Fotostrecke

Löhne im Aufschwung: Endlich ein Plus?

Foto: CHRISTIAN CHARISIUS/ REUTERS

Einkommen Das Ende der Bescheidenheit

Eigentlich sind sich fast alle einig: Nach Jahren der Zurückhaltung sind nun die Arbeitnehmer dran, sie sollen durch spürbare Lohnerhöhungen vom Aufschwung profitieren. Allzu große Hoffnungen können sich die meisten Beschäftigten dennoch nicht machen.

So einsam waren sie selten, die großen Mahner aus dem Arbeitgeberlager. Martin Kannegiesser, der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, und Dieter Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, warnen mal wieder vor zu starken Lohnsteigerungen. Diese wären "jetzt ein Fehler", sagt Kannegiesser. Es müsse alles verhindert werden, sagt Hundt, "was den Aufschwung bremst".

Man kennt die Melodie. Aber jetzt mag sie niemand mehr hören.

Die SPD sowieso nicht. Sie ist für Lohnsteigerungen, damit nach dem Export nun endlich auch die Nachfrage im Inland in Gang kommt. Aber auch Kanzlerin Angela Merkel ist auf den neuen Kurs eingeschwenkt. Sie hofft, dass sich "die verbesserten Situationen der Unternehmen auch widerspiegeln werden bei den Arbeitnehmern".

Sogar aus dem Ausland erhalten deutsche Gewerkschaften Unterstützung. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde sagt, von einer Erhöhung der Löhne in Deutschland könne der ganze Euro-Raum profitieren. Wobei Madame Lagarde ein ganz eigenes Interesse verfolgen dürfte.

Die deutschen Unternehmen sind auch deshalb wettbewerbsfähiger geworden und auf den Exportmärkten so erfolgreich, weil ihre Arbeitnehmer sich jahrelang zurückhielten. In Frankreich und anderen Ländern dagegen stiegen die Löhne deutlich stärker (siehe Grafik links). Nun hofft die französische Finanzministerin wohl, dass sich dieser Wettbewerbsnachteil verringert, wenn die deutschen Gewerkschaften ordentliche Erhöhungen durchsetzen.

Endlich sollen die Beschäftigten etwas vom Aufschwung abbekommen

Autoindustrie

Maschinenbau

Chemieindustrie

Die Voraussetzungen dafür waren eigentlich selten so gut. Nach der Krise der vergangenen Jahre geht es den meisten Unternehmen wieder besser, manchen sogar blendend. Die kann kaum so viele Fahrzeuge produzieren, wie sie vor allem auf Exportmärkten verkaufen kann. Im geht es wieder aufwärts. In der werden zeitweise stillgelegte Anlagen wieder hochgefahren. Alles brummt.

Michael Sommer

Viele Ökonomen erwarten in diesem Jahr rund zwei Prozent Wachstum. Und eine große Koalition aus Politikern und Gewerkschaftern ist deshalb überzeugt: Von dieser Entwicklung sollen nun endlich auch die Beschäftigten profitieren, die in den vergangenen Jahren auf Einkommenssteigerungen verzichteten, um ihren Arbeitsplatz zu sichern. DGB-Chef sagt: "Jetzt sind unsere Leute mal wieder dran."

Stahlindustrie

An diesem Montag gibt es in Gelsenkirchen "die erste Tarifrunde der Nachkrisenzeit", sagt IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard. Die Gewerkschaft fordert für die Beschäftigten der nordwestdeutschen sechs Prozent mehr Lohn. Bei dieser Zahl hätte es in der Vergangenheit gewiss einen Aufschrei der Empörung gegeben, jetzt wird sie ganz ruhig zur Kenntnis genommen.

Es hat sich herumgesprochen, dass die deutschen Arbeitnehmer "zu den bescheideneren in der Welt" ("Handelsblatt") gehören. Hierzulande verdienen die Beschäftigten schon seit vielen Jahren nach Abzug der Inflation nicht mehr, sondern weniger. Sogar in den Boom-Jahren von 2004 bis 2008 sanken die sogenannten Reallöhne.

Viele Konzerne verdanken ihr Wachstum den Mitarbeitern

Nach Ausbruch der Weltfinanzkrise verzichteten viele Belegschaften sogar auf Lohn, um den Job zu sichern. Viele mussten in Kurzarbeit gehen, manche überließen dem Unternehmen ihr Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. In kaum einem Land haben die Belegschaften auf die Finanzkrise mit ähnlich großer Lohnzurückhaltung reagiert.

Beispiel Daimler: Ein Teil der Belegschaft musste kurzarbeiten, der andere die Arbeitszeit um 8,75 Prozent verringern, bei entsprechend verringerten Bezügen. Die vereinbarte Tariferhöhung wurde von Mai auf Oktober verschoben.

Zudem gab die Belegschaft dem Konzern einen Kredit über insgesamt 280 Millionen Euro: Sie verzichtete im März auf die ihr zustehende Ergebnisbeteiligung für das Jahr 2008 in Höhe von 1900 Euro für jeden Mitarbeiter. Das Geld wurde erst im Dezember ausbezahlt, als es dem Autokonzern schon wieder besserging.

Die großen Konzerne konnten dadurch ihre Personalkosten gewaltig reduzieren. Bodo Uebber, Finanzvorstand des Daimler-Konzerns, bezifferte die Einsparungen im vergangenen Jahr mit 1,8 Milliarden Euro.

Der Stuttgarter Autokonzern profitierte wie viele andere Unternehmen gleich auf doppelte Weise von der Kompromissbereitschaft der Belegschaft. Die Alternative zu Arbeitszeit- und Lohnkürzungen wären Entlassungen gewesen. Diese hätten Daimler und Co. im Jahr 2009 erst einmal viel Geld für Abfindungen gekostet. 2010 wären die Personalkosten gesunken.

Die Exporte ziehen an - doch die Krise ist nicht überwunden

Doch in diesem Jahr benötigt der Autohersteller wie eine ganze Reihe anderer Unternehmen seine Mitarbeiter wieder dringend, weil die Nachfrage vieler Exportmärkte überraschend stark anzieht. Daimler hat seine Belegschaft weitgehend gehalten und kann seine Fertigung jetzt schnell wieder hochfahren.

Es spricht also alles für deutliche Lohnerhöhungen. Zumal die Konzernchefs in der Krise keineswegs so zurückhaltend waren wie ihre Belegschaften.

Die Vergütung des Daimler-Vorstands um Konzernchef Dieter Zetsche wurde zwar um knapp 30 Prozent gekürzt. Andere Bosse hielten sich aber auch in der Krise nicht zurück. Das Beratungsunternehmen Towers Watson fand heraus: Die durchschnittliche Vergütung der Vorstandschefs von 29 untersuchten Dax-Konzernen stieg im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf 3,6 Millionen Euro.

Bei der nächsten Tarifrunde müsste es für die Gewerkschaften eigentlich einen Durchmarsch geben. Die Stahlbranche besteht in erster Linie aus wenigen Großbetrieben. Die Betriebsräte sind mächtig, rund 90 Prozent der Beschäftigten sind in der IG Metall organisiert. Nirgendwo sonst kann die Gewerkschaft besser ihre Muskeln spielen lassen.

"Wir können nicht das Maul aufreißen und dann nicht liefern"

Berthold Huber

Für die Gewerkschaften hat ein guter Abschluss der Stahlindustrie aber vor allem psychologische Bedeutung. Es wäre das Signal an die Mitglieder, dass ihre Funktionäre nicht nur Bescheidenheit in der Not üben können. "Die Arbeitnehmer müssen etwas vom Aufschwung abbekommen", sagt IG-Metall-Chef .

Metallindustrie

Einen Pilotcharakter wird der Tarifabschluss jedoch nicht haben. Von den Verhandlungen, die jetzt in der Stahlindustrie beginnen, können gerade mal 85.000 der insgesamt 3,4 Millionen Beschäftigten der profitieren.

Die Tarifverträge für die überwiegende Mehrheit der IG-Metall-Mitglieder laufen dagegen bis 2012. Sie sehen im April kommenden Jahres eine Erhöhung von 2,7 Prozent vor. Die Betriebsräte der einzelnen Unternehmen können mit ihren Firmenchefs allenfalls darüber verhandeln, ob diese Gehaltsaufbesserung um zwei Monate vorgezogen wird.

Frank Bsirske

Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, deren Chef nicht gerade für Zurückhaltung bekannt ist, verhält sich überraschend ruhig. Denn Ver.di ist in den kommenden Monaten kaum in der Lage, starken Worten hohe Abschlüsse folgen zu lassen. "Wir können nicht das Maul aufreißen und dann nicht liefern", sagt ein Ver.di-Vertreter.

Zum Jahreswechsel muss Ver.di in eine schwierige Tarifrunde für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst der Länder ziehen. Deren Ergebnis dürfte mager ausfallen. Denn mit den guten Konjunkturdaten kann Bsirske nicht argumentieren. Im Öffentlichen Dienst gelten andere Kriterien.

Die Gewerkschaftsfunktionäre stehen unter Druck

Angesichts einer Rekordstaatsverschuldung, leerer öffentlicher Kassen und rigidem Sparkurs tendiert der Verteilungsspielraum der Länderminister gegen null.

Dabei ist der Druck der Mitglieder auf ihre Funktionäre nach Jahren der Bescheidenheit in allen Gewerkschaften groß. Zu den geringen Lohnerhöhungen der Vergangenheit hatte auch beigetragen, dass sich die Arbeitnehmerorganisationen öfter auf Einmalzahlungen einließen. Beschäftigte erhielten ein paar hundert Euro mehr. Doch dadurch erhöhte sich nicht das Grundgehalt, das die Basis für kommende Tarifrunden bildet.

Im Frühjahr kommenden Jahres beginnen die Verhandlungen der IG Bergbau, Chemie, Energie für die chemische Industrie. Den meisten Unternehmen dieser Branche geht es wieder deutlich besser. Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft, fordert: "Diese Erfolge müssen sich in den Einkommen angemessen widerspiegeln."

Das setzt voraus, dass der Export-Boom, der die chemische Industrie derzeit antreibt, noch bis 2011 anhält. Aber dies ist keineswegs sicher.

In der Krise muss verzichtet werden

Wichtige Märkte für die deutsche Exportwirtschaft könnten in Schwierigkeiten geraten. In China droht die Immobilienblase zu platzen. In den USA verlangsamt sich das Wachstum, und Ökonomen fordern bereits ein weiteres Konjunkturprogramm von der US-Regierung. Die Bankenkrise ist noch nicht überwunden. Und es ist ungewiss, ob Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und andere Staaten ihre Schuldenkrise meistern.

Bedrohungen für den Aufschwung gibt es genug. Den Gewerkschaften droht deshalb das klassische Dilemma: Eigentlich ist, wenn man der Logik der Arbeitgeberverbände folgt, nie die rechte Zeit für kräftige Lohnerhöhungen.

In der Krise muss verzichtet werden. Den Aufschwung dürfen zu hohe Abschlüsse nicht gefährden. Oder es stehen, wie für die meisten IG-Metall-Mitglieder, zurzeit gerade keine Tarifverhandlungen an. Und wenn die Wirtschaft mal richtig brummt, sind meist schon dunkle Wolken einer möglichen Krise in Sicht.

Das ist dann die Zeit, in der Arbeitgeberfunktionäre wie Hundt und Kannegiesser plötzlich wieder viel Unterstützung für ihre Warnungen erhalten.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren