
Kriminalität: Pest und Cholera
Kriminalität Pest und Cholera
Die letzte Bewegung im Leben des Fahranfängers Mustafa B. war eine Drehung der rechten Hand. Seine rote Honda Fireblade, 178 PS, 290 km/h Spitze, heulte auf, beschleunigte und schoss an den Autos vorbei. Sekunden später prallte der Motorradfahrer gegen einen Baum. Er starb an der Unfallstelle, einer vierspurigen Straße im Bremer Stadtgebiet. "Ein Fremdverschulden" liege nicht vor, teilte die Polizei lapidar in einer Pressemeldung mit.
Tatsächlich untersuchte die Kripo die Maschine des Toten besonders gründlich auf mögliche Manipulationen. Denn der 38-Jährige galt als einer der führenden Köpfe der Organisierten Kriminalität in Bremen. Der Verdacht war naheliegend, dass jemand aus dem Milieu ein besonderes Interesse an seinem Ableben gehabt haben könnte.
Vor allem aber hatte Mustafa B. die Hells Angels herausgefordert, den berüchtigten Rockerclub. Mitglieder stehen seit langem in Verdacht, eine wichtige Rolle in der Unterwelt an der Weser zu spielen. Im August hatte der Kurde gemeinsam mit knapp zwei Dutzend Mitgliedern seiner Sippe einen Ableger eines internationalen Motorradclubs gegründet, die Mongols. Es ist das erste Mal, dass in Deutschland Angehörige eines muslimischen Zuwanderer-Clans, der der Organisierten Kriminalität zugerechnet wird, auf diesem Feld tätig werden.
Die Ermittler an der Weser fürchten nun, dass es zu einem neuen, blutigen Rockerkrieg kommen könnte, der schnell auch andere Städte infizieren würde. Oder, auch nicht weniger bedrohlich, dass sich die Hells Angels und der Ethno-Clan verbrüdern. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera. "Wir beobachten beide Entwicklungen mit großer Sorge", so der Bremer Kripo-Mann Harald Habethal.
Sicher ist, dass es den Zuwanderern kaum um das "Easy Rider"-Feeling geht. Die Neu-Rocker haben nach den Erkenntnissen der Polizei weder Motorräder noch den notwendigen Führerschein. Wenn sie über die Bremer Discomeile rollen, dann in PS-starken Autos. Lediglich Mustafa B. hatte die Fahrerlaubnis zwei Wochen vor seinem Tod erworben. "Wir vermuten", sagt Andreas Weber, Chef des Bremer Landeskriminalamts, "es geht den Mitgliedern ethnischer Clans darum, neue Strukturen und Handelswege zu erschließen." Mongols sollen in den USA und in Südeuropa in Drogengeschäfte verwickelt sein. Eine Zusammenarbeit könnte sich da für die Bremer lohnen.
Integration ist für viele ein Fremdwort
Schon jetzt beherrscht die Sippe nach Überzeugung der Polizei den Rauschgiftmarkt in der Stadt. Der Clan zählt zu den Mhallamiye-Kurden, die in den achtziger Jahren aus dem Libanon eingewandert sind. Integration ist für viele von ihnen ein Fremdwort, sie leben vorwiegend von Sozialleistungen und Geschäften wie Drogenhandel und Prostitution. Die meisten wohnen in Bremen, Berlin und Essen. Allein in der Hansestadt rechnet die Polizei 2600 Kurden zu der Sippe, gegen jeden zweiten ermittelte sie bereits. 66 Familienmitglieder gelten als Top-Täter.
Über viele Seiten im Polizeicomputer erstrecken sich auch die Einträge der meisten Mongols-Mitglieder. Ibrahim M., nach Einschätzung der Ermittler der Nachfolger von Mustafa B. an der Spitze des Clubs, wird allein mit 147 Taten in Verbindung gebracht, von Körperverletzung bis zum illegalen Waffenbesitz.
Die Zeit für eine Ausweitung der Geschäftsfelder wäre günstig. Die Bremer Hells Angels sind geschwächt. Vor vier Jahren haben sie die konkurrierenden Bandidos zwar schlagkräftig aus der Hansestadt vertrieben. Aber viele sind nur auf Bewährung in Freiheit, und die Kurden gelten als besonders skrupellos.
Kein Wunder, dass es offenbar schon Friedensverhandlungen gibt. Hells-Angels-Boss Frank Hanebuth aus Hannover habe 250.000 Euro geboten, damit die Mongols zu ihm überliefen, behauptet zumindest deren Deutschland-Chef Bernhard Denzinger, der einen Club in Südbaden leitet. Die Kurden hätten abgelehnt. Angels-Sprecher Rudolf "Django" Triller will keinen Kommentar zu Verhandlungen abgeben: "Wir sind wegen der Mongols völlig entspannt."
Immerhin hatten die Angels in Berlin mit einer ähnlichen Taktik Erfolg. Anfang 2010 lösten sie dort die besonders brutalen Bandidos um Kadir P. aus deren Club heraus und gemeindeten die früheren Todfeinde ein. Nun firmieren sie als Hells Angels Nomads Turkiye.
Die Bremer Polizei will gegen die Rocker hart durchgreifen. Straftäter sollen schnell verurteilt, die Clubs womöglich verboten werden, kündigt Weber an. Auch Mongols-Chef Denzinger will nicht dulden, dass kriminelle Machenschaften seinen Club gefährden, schließlich habe es der ein oder andere Neu-Rocker in der Vergangenheit "ein bisschen übertrieben". Zudem verlangt er, dass alle Mitglieder bis Anfang Mai einen Führerschein haben.
Vielleicht setzt nicht die Polizei dem Treiben ein Ende, sondern das Straßenverkehrsamt.
Anmerkung der Redaktion: Hells-Angels-Boss Frank Hanebuth, der sich zuvor zu den Mongols nicht offiziell hatte äußern wollen, betonte am Montagabend: "Wir haben niemals und niemandem Geld geboten. Das haben wir gar nicht nötig."