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Doping: Ein international verflochtenes Geschäft

Foto: LEONHARD FOEGER/ REUTERS

Doping "Wie die Mafia"

Der Wiener Ermittler Andreas Holzer über den illegalen Handel mit Epo und Anabolika, neue Dopingkreationen und Dealer, die ihren Stoff aus dem Kofferraum heraus verkaufen - auch an Sportler in Deutschland

SPIEGEL: Herr Holzer, im Januar 2009 begann eine Sonderkommission unter Ihrer Leitung gegen Dopingnetzwerke zu ermitteln, seither haben die Erfolge österreichischer Wintersportler stark abgenommen. Bei Olympia in Vancouver holten sie sieben Medaillen weniger als vor vier Jahren...

Holzer: ... und da sehen Sie einen Zusammenhang?

SPIEGEL: Sie nicht?

Holzer: Eine kleine Sonderkommission kann nicht innerhalb eines Jahres lange gewachsene Dopingstrukturen lahmlegen. Aber wir sind sehr tief eingedrungen in die Materie.

SPIEGEL: Wie lautet Ihr Befund?

Dopinghandel

Holzer: ist ein international verflochtenes Geschäft, vergleichbar mit dem Drogenhandel, die reinste Mafia.

SPIEGEL: Ihre Einheit war im Oktober an der Operation "Pangea" beteiligt, einer Großrazzia in 45 Ländern, bei der 76 Verdächtige festgenommen und illegale Medikamente im Gesamthandelswert von rund 2,6 Millionen Dollar beschlagnahmt wurden. Wo kommt der ganze Stoff her?

Holzer: Viele Präparate stammen aus China, Indien oder Pakistan. Dort ist die Herstellung billig, niemand macht sich darüber Gedanken, dass schon die Produktion gesundheitsgefährdend ist. Die Wirkstoffe werden von Internetanbietern vertrieben, häufig über illegale Internetapotheken. Der Versand erfolgt per Luftpost.

SPIEGEL: Gibt es Kontrollen?

Holzer: Schon. Es ist jedoch aufgrund des Umfangs und der Tarnung in einfachen Postsendungen schwierig, ohne einen konkreten Hinweis verdächtige Pakete herauszufischen.

SPIEGEL: Wo landen die Mittel?

Holzer: Häufig sitzen die Dealer in Europa. Dort beginnt erst das eigentliche Geschäft. Nicht die Hersteller der Rohstoffe machen das große Geld, sondern die Produzenten, die die Substanzen in den Laboren mischen, das Endprodukt in Ampullen und Kapseln füllen, etikettieren und in die ganze Welt weitervertreiben.

SPIEGEL: Wie hoch sind die Gewinne?

Holzer: Die durchschnittliche Produktion einer Packung Anabolika kostet 50 Cent, sie wird für 35 bis 40 Euro weiterverkauft. In Österreich haben wir einen Dealer festgenommen, der innerhalb von vier Jahren rund zwei Millionen Euro verdient hatte. Das sind Dimensionen, von denen auch ich überrascht war. Ich habe lange in der Rauschgiftszene ermittelt. Deshalb kann ich sagen: Wer heute noch mit Drogen dealt, setzt sich einem viel größeren Risiko aus. Dopinghandel ist nicht nur lukrativer, die Produktion ist auch weniger aufwendig und der Versand sehr einfach.

SPIEGEL: Kürzlich wurde der ehemalige Leichtathlet und Sportmanager Stefan Matschiner wegen Handels mit Dopingsubstanzen verurteilt. Der Fall sorgte für Aufsehen, weil Matschiner auch Epo im Angebot hatte.

Holzer: Ich bin mir sicher, dass dies kein Einzelfall war.

SPIEGEL: Wird das die Ausdauer steigernde Hormon Epo auch aus Asien geliefert?

Holzer: Wir haben in einem Fall ermittelt, in dem der Händler von einer Apotheke in der Nähe beliefert wurde. Der Apotheker kaufte für 350 Euro ein und verkaufte für 550 Euro weiter. Andere Dealer besorgen sich Epo mit gefälschten Rezepten. Es kommt auch vor, dass ganze Epo-Ladungen aus Schiffscontainern gestohlen werden, die dann auf dem Markt landen. Das zeigt, wie groß die Nachfrage ist.

SPIEGEL: Auf dem Markt werden die wildesten Mixturen angeboten, Testosteronsalben, hochdosierte Anabolikapillen. Wie entstehen solche Kreationen?

Holzer: Man darf sich das nicht so vorstellen, dass da Ärzte oder Chemiker im Labor in weißen Kitteln mit Reagenzgläsern hantieren. Das läuft ab wie bei der Produktion von Methamphetamin in sogenannten Böhmischen Küchen. Mit dem Bunsenbrenner wird irgendwas zusammengebraut. In Kärnten haben wir ein Wohnungslabor mit Reinsubstanzen und einer Verkapselungsmaschine ausgehoben. Mit der Maschine kann man den Wirkstoff in Tablettenkapseln oder Ampullen füllen. Das Equipment ist leicht zu besorgen, die Produktion einfach. Und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Der neueste Hit sind Anabolika-Blades. Das sind DIN-A4-große Oblaten, auf die der Wirkstoff, meist anabole Steroide, aufgesprüht wird. Der Konsument reißt die vorperforierten Dosisstücke ab und lässt sie auf der Zunge zergehen.

SPIEGEL: Welche Qualität haben Präparate aus so einer Hinterhof-Hexenküche?

Holzer: In den Untergrundlaboren kann nicht professionell produziert werden. Für Sterilität, Sauberkeit und Qualität garantiert niemand. Wir haben Sportler vernommen, an deren Armen sich handballgroße Abszesse durch verunreinigte Präparate gebildet hatten. Überführte Produzenten berichten, teilweise die doppelte Menge an Wirkstoff in die Ampullen gefüllt zu haben, damit diese auch über das Haltbarkeitsdatum hinweg die erwünschte Wirkung garantierten.

SPIEGEL: Wie finden Sportler und Dopingmittel-Anbieter zueinander?

Holzer: Durch Mundpropaganda, in Sportstätten wie Fitnessstudios oder über Internetforen. Auch Profi-Athleten suchen sich auf diese Weise ihre Dealer. Die wenigsten haben einen Teamarzt, der alles für sie organisiert. In der Regel beobachten die Sportler die Szene in den verschiedenen Foren oder erhalten Tipps von älteren Kollegen, dann wählen sie einen Dopinghändler aus, der sich bei anderen bereits bewährt hat.

SPIEGEL: Wo laufen die Deals ab?

Holzer: Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber der Fokus liegt auf Fitnessstudios und in Geschäften, in denen Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden. In vielen dieser Shops konnten wir Taschen voll mit anabolen Steroiden, Wachstumshormon und gefälschten Viagra-Pillen beschlagnahmen. Sie werden einfach unter dem Verkaufspult gelagert.

"Spitzensportler sind für die Dealer nur ein kleiner Kundenstamm"

SPIEGEL: In einem Fitnessstudio einzukaufen könnte für prominente Athleten riskant sein. Gibt es noch andere Wege, an Mittel zu kommen?

Holzer: Ja. Wir konnten einen Dopinghändler festnehmen, der jahrelang kreuz und quer durch Österreich fuhr und Präparate aus dem Kofferraum heraus verkaufte. Wer Stoff brauchte, wählte seine Mobilfunknummer, die sogenannte Kummernummer, wie sie in Insiderkreisen genannt wird. Die Übergabe erfolgte an Raststätten, in Fast-Food-Filialen oder in Kaffeehäusern. Der Mann verkaufte seinen Stoff auch in Deutschland.

SPIEGEL: Wer sind die Abnehmer?

Holzer: Spitzensportler sind für die Dealer nur ein kleiner Kundenstamm. Das große Geld verdienen sie im Breitensport. Wir stießen während unserer Ermittlungen auf Hobbysportler, die für die Vorbereitung auf einen Marathon rund 7000 Euro in Dopingpräparate investierten, nur um von Platz 1024 auf Platz 912 nach vorn zu kommen, es ist absurd.

SPIEGEL: In welchem Alter beginnt die Nachfrage?

Holzer: Die jüngsten dopenden Breitensportler sind 15 oder 16 Jahre alt. Das hat meiner Meinung nach mit der Veränderung des Lebensstils zu tun. Heute muss alles schnell und möglichst einfach gehen. Früher war das Kiffen schwer angesagt. Wer heute hip sein will, der spritzt Testosteron zum Aufbau der Muskeln oder reduziert das Gewicht mit Ephedrin. Es besteht die akute Gefahr, dass in ein paar Jahren die Sucht nach leistungssteigernden Präparaten mit der Sucht nach herkömmlichen Drogen gleichzieht.

SPIEGEL: Welche Nebenwirkungen riskieren die Doper?

Holzer: Betroffene haben uns von nachlassender Libido, Schlaganfällen oder Herzinfarkten berichtet. Manche vermuten, dass ihr Krebsleiden eine Folge der Dopingsucht ist. Fast alle Konsumenten leiden an schweren Depressionen, bei manchen gehen aggressive Ausbrüche voran. Dagegen hilft dann nur das nächste Medikament, natürlich nicht vom Arzt verschrieben. Es ist ein Teufelskreis.

SPIEGEL: In Österreich wurde vor drei Jahren ein Anti-Doping-Gesetz erlassen. In Deutschland sträuben sich Politiker und Verbände gegen einen solchen Schritt mit der Begründung, das bestehende Arzneimittelgesetz reiche aus. Wird die Problematik unterschätzt?

Holzer: Die Bekämpfung des Dopinghandels gilt immer noch als Orchideenthema. Wir Ermittler werden manchmal mit dem Vorwurf konfrontiert, dass es wichtigere Probleme gebe. Das mag sein. Ich glaube jedoch, dass ohne koordinierte Gegenmaßnahmen in einigen Jahren das Geschäft mit Dopingpräparaten und gefälschten Arzneimitteln genauso groß sein wird wie das Geschäft mit Heroin, Kokain oder Cannabisprodukten.

SPIEGEL: Welche Maßnahmen sind nötig?

Holzer: Wir brauchen eine international harmonierende Gesetzgebung, die auch eine internationale Polizei- und Justizkooperation ermöglicht, sonst ist der Kampf auf Dauer aussichtslos. Ein Netzwerk, das wir ausgehoben haben, erstreckte sich von Österreich bis nach Kalifornien. Die Kollegen von der US-Drogenfahndungsbehörde DEA haben uns hervorragend unterstützt. Das funktionierte nur, weil die Amerikaner eine gute Gesetzgebung in diesem Bereich haben.

SPIEGEL: Der US-amerikanische Ermittler Jeff Novitzki erlangte Berühmtheit, weil er die Leichtathletin Marion Jones überführte. Jetzt ermittelt Novitzki gegen den Radstar Lance Armstrong. Haben Sie auch so prominente Athleten im Visier?

Holzer: Wir konzentrieren uns nicht auf einen bestimmten berühmten Sportler. Es geht mir nicht um große Namen. Wir wollen das System verstehen und die Produzenten stoppen.

SPIEGEL: Herr Holzer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte die Redakteurin Cathrin Gilbert

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