
Giftskandal um Apple-Zulieferer: Chinesische Arbeiter klagen an
Globalisierung Der Fluch des iPhones
Jeden Morgen kämpft Wan Qiuying gegen sich selbst. Jeden Morgen, wenn sie vor dem Werkstor ihrer Fabrik im Industriegebiet der chinesischen Stadt Suzhou in der Nähe von Shanghai ankommt. Die 24-Jährige will da nicht rein, weil sie ahnt, dass es sie kaputtmacht.
Die Arbeit ruiniert Wans Gesundheit. Drinnen fertigen sie und ihre Kollegen Zubehör für die westliche Kultmarke Apple und deren Top-Produkte wie das . Die Arbeit daran ist allerdings nicht cool oder kultig wie die Geräte, sondern offenbar lebensgefährlich.
Wan ist schon froh, dass sie mittlerweile wieder ihre Arme und Beine bewegen kann. Im Sommer 2009 musste man sie von ihrem Arbeitsplatz hier bei Wintek, dem taiwanischen Apple-Zulieferer, wegtragen. Mit schweren Lähmungserscheinungen wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert. "Ich war nicht mehr in der Lage, mich selbst zu waschen oder mit eigenen Händen Mahlzeiten zu mir zu nehmen", erinnert sie sich.
Wenn die Arbeiterin ihre Geschichte erzählt, verdunkeln sich ihre großen Augen. Ihre Eltern mussten damals aus dem fernen Chongqing anreisen, um sie wochenlang zu versorgen. "Ich war so schwach, mein Vater musste mich auf Händen tragen wie ein Kind."
Werkarbeiter wurden giftigen Dämpfen ausgesetzt
Ähnlich war es jenen Kollegen ergangen, mit denen sich Wan vergangene Woche nach Feierabend in einem Einkaufszentrum in der Nähe der Wintek-Fabrik traf. Sie erzählten, wie sie den mächtigen Apple-Konzern zur Verantwortung für ihr Leiden ziehen möchten. Sie wollen jetzt Antworten - am besten direkt von Apple-Gründer und -Chef , dem sie einen Brief geschrieben haben ins ferne Kalifornien.
Apple solle ihnen ärztliche Behandlung in der Hauptstadt Peking ermöglichen - den lokalen Hospitälern trauen sie nicht. Der Konzern soll sich zudem schriftlich bei ihnen entschuldigen und langfristig ihre Versorgung garantieren. Denn neue Jobs zu finden, halten sie für aussichtslos; sie fürchten, dass sie schon beim Gesundheitscheck durchfallen.
Doch kann der iPhone-Hersteller den Arbeitern ihre Zukunft zurückgeben? "Wer will mich noch heiraten", fragt Wan, "wenn er erfährt, dass ich krank bin?"
Sie war eine der ersten von 137 Arbeitern, die bei Wintek erkrankten. Gemeinsam mit ihren Kollegen hatten sie Touchscreens von iPhones mit der Chemikalie n-Hexan reinigen müssen. Die Dämpfe des giftigen Mittels waberten aus schweren Bottichen durch die fensterlosen Werksräume. Jeder atmete sie ein.
Sieben Tage die Woche arbeiten - für 220 Euro im Monat
Früher hatten sie die winzigen Bildschirme bei Wintek mit anderen Mitteln gereinigt, doch der Anteil der fertigen Touchscreens, die den strengen Qualitätstests genügten, war teilweise nur halb so hoch wie beim Einsatz von n-Hexan, das schneller verdunstet. Die Ausfallzahlen waren nicht akzeptabel bei einer Edelmarke wie , die sich viel einbildet auf ihren perfekten Auftritt.
Das iPhone-Geschäft brummt. In Stoßzeiten arbeiteten sie bei Wintek deshalb zwölf Stunden jeden Tag, an sieben Tagen pro Woche. Derzeit verdienen sie mit Überstunden rund 2000 Yuan im Monat, das sind 220 Euro.
Zwar beginnt die Schicht von Wan und ihren Kolleginnen offiziell um 8 Uhr morgens. Doch schon ab 7.20 Uhr treten die Arbeiter an, um sich ihre Arbeitskluft - Mütze, Mundschutz, Kittel, Handschuhe und Plastiküberzieher für die Schuhe - anzulegen. Die Kleidung schützte zwar die Apple-Produkte vor Staub, nicht aber die Arbeiter vor giftigen Dämpfen.
Wie Soldaten reihen sich die jungen Männer und Frauen dann zum Tagesappell ihres Vorarbeiters auf. Am Arbeitsplatz darf niemand reden, unnötige Bewegungen sind verboten. Nach Feierabend müssen die Arbeiter wieder antreten und sich tadeln lassen, wenn zu viel Ausschuss produziert wurde.
Örtliche Ärzte stellten angeblich nichts Anormales fest
Wan spürte, wie ihr Körper mit dem Drill immer weniger klarkam. Mit wachsender Qual schleppte sie sich zur Mittagspause. Zwar gewährt man ihnen offiziell eine Stunde Pause, tatsächlich dauert die ersehnte Unterbrechung nur halb so lang: Erst schälen sie sich aus ihrer staubfreien Kluft, dann rennen sie zur Kantine.
Im Internet informierten sich Wan und ihre Kollegen schließlich über die gesundheitsschädliche Wirkung von n-Hexan. Örtliche Ärzte hatten angeblich nichts Anormales festgestellt, erst eine Uni-Klinik in Shanghai diagnostizierte "krankhafte Veränderungen" des Nervensystems.
Aus dem Krankenhaus wurde Wan vor einem Jahr wieder entlassen. Wintek zahlte die Behandlung. Doch nach wie vor spürt sie Schmerzen in den Gliedmaßen. Ähnlich ergeht es ihrem Kollegen Jia Jingchuan: Der 27-Jährige aus dem nordostchinesischen Shandong hat Eltern und Ehefrau seine Krankheit verheimlicht; er will sie nicht beunruhigen.
Als seine Tochter voriges Jahr zur Welt kam, lag Jia im Krankenhaus: "Werde ich noch für sie sorgen können, wenn sie größer ist?", fragt er. Jia schwitzt extrem stark, obwohl nicht geheizt ist. Das sei eine Folge von n-Hexan. "Schauen Sie", sagt der Arbeiter und streckt seine feuchten Hände vor, "eben waren sie noch vollkommen trocken."
Apple verweist auf seinen Zuliefererbericht
Bei Wintek pflegt er die Maschinen, mit denen die iPhone-Bildschirmchen bearbeitet werden. Wie seine Kollegen atmete er die gleiche giftige Luft ein. Jia zieht einen ärztlichen Befund hervor: Nur die Spalte für "besser" ist dort angekreuzt, aber nicht für "kuriert". Jia spricht immer hastiger. Seit seiner Krankheit sei er leicht erregbar, gibt er zu. Auch er arbeitet weiter bei Wintek und will sich nicht mit einer einmaligen Entschädigung abfinden lassen.
Inzwischen schöpften Jia und seine Kollegen sogar ein wenig Hoffnung. Vergangene Woche bekamen sie erstmals Gelegenheit, mit Abgesandten von Apple direkt über ihre Leiden zu sprechen. Früher dagegen hatten sie die westlichen Manager immer nur aus der Ferne gesehen. Vor allem wenn neue Modelle zur Produktion anstanden, waren die Experten zur Stelle, um die Abläufe zu überwachen. "Alle Details gingen sie mit unseren Bossen penibel durch", sagt Jia, "natürlich müssen sie gewusst haben, dass bei uns n-Hexan verwandt wurde."
Apple verweist dagegen auf seinen jüngsten Zuliefererbericht. Danach fand der Konzern erst 2010 heraus, dass die Arbeiter durch n-Hexan erkrankt waren und dass Wintek Produktionsabläufe "rekonfiguriert hatte, ohne auch sein Ventilationssystem zu ändern". Apple habe dann gegenüber Wintek darauf bestanden, kein n-Hexan mehr zu verwenden und die Missstände abzustellen.
Der Konzern achte streng auf sichere Arbeitsbedingungen, sagt Apple-Sprecherin Jill Tan in Hongkong, Arbeiter seien "mit Würde und Respekt" zu behandeln.
"Steve Jobs ist krank, und wir sind krank"
Doch für das Wohl der Arbeiter interessierte sich Apple bei Wintek offenbar lange kaum mehr als bei seinem taiwanischen Zulieferer Foxconn in Südchina: In einer aufsehenerregenden Selbstmordserie sprangen bei dem größten Elektronikhersteller der Welt vergangenes Jahr etliche Arbeiter in den Tod.
Noch haben Jia und seine Kollegen keine Antwort von Apple-Chef Jobs erhalten. Er selbst lässt seinen Vorstandsposten wegen Krankheit derzeit ruhen. " Steve Jobs ist krank, und wir sind krank. Aber Apple darf seinen Gewinn nicht auf Kosten unserer Gesundheit erhöhen", sagt Jia.
Immerhin räumte der Konzern in einem Bericht kürzlich Missstände bei Zulieferern ein, einige hätten illegal Kinder beschäftigt.
Arbeiterin Wan ist noch zu schwach, um wieder Touchscreens zu reinigen. Sie teilt jetzt die Atemschutzmasken aus und achtet darauf, dass der Fußboden in der Werkshalle sauber bleibt.
"Wenigstens darf ich jetzt bei der Arbeit sprechen und umhergehen", sagt sie.