Energie Die Kraft der grünen Brühe
Die lebenden Tankstellen des Biochemikers Dan Robertson schimmern dunkelgrün wie Eichenlaub und sind klein wie Ehec-Bakterien. Ihr Erbgut ist von Menschenhand frisiert. Fällt Licht durch ihre Hülle, scheiden sie wenig später tröpfchenweise Treibstoff aus.
"Wir mussten die Organismen erst dazu überreden, das zu tun, was wir wollen", sagt Robertson, Chefforscher der US-Biotech-Firma Joule Unlimited. Stolz schwenkt er eines der mit grüner Flüssigkeit gefüllten Reagenzröhrchen. Der geschäftig wirkende Biochemiker arbeitet in einem schmucklosen Zweckbau am Life Sciences Square der Universitätsstadt Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts.
Sein Labor ist karg möbliert, die Decke brüchig. Und doch geschieht hier Wundersames: Es geht um die Lösung des Weltenergieproblems. Robertson und seine Kollegen haben Blaualgen erschaffen, die Dieselkraftstoff produzieren.
Fachleute schwärmen von einer neuen, grünen Revolution. Mit Gentechnik und raffinierten Zucht- und Ausleseverfahren peppen Biochemiker vor allem in den USA Blau- und Grünalgen zu Winz-Fabriken für Öl, Ethanol oder Diesel auf.
Grüner Algensud schwappt in Zuchtteichen und zirkuliert durch glänzende Bioreaktoren oder pralle Plastikschläuche. Schon tanken erste Autos, Schiffe und Flugzeuge testweise den Algensprit. Investoren wie die Rockefeller-Familie und Microsoft-Gründer Bill Gates setzen Millionenbeträge auf die Kraft der grünen Brühe. "Die industrielle Produktion von Öl aus Algen ist die nächstliegende Möglichkeit, künftig das Erdöl zu ersetzen", sagt Jason Pyle von der kalifornischen Firma Sapphire Energy, die mit Algenhilfe bereits Rohöl herstellt.

Energie: Biosprit aus Algen
Auch die etablierte Ölindustrie ist in das Geschäft eingestiegen. "Kraftstoff aus Algen kann eine entscheidende neue Energiequelle werden", sagt Emil Jacobs, Forschungsvorstand von Exxon Mobil. Der Ölkonzern investiert 600 Millionen Dollar in die Firma Synthetic Genomics des Erbgut-Entschlüsslers Craig Venter.
Die Verheißungen sind groß: Wer als Erster ökologisch nachhaltigen und klimaneutralen Biosprit zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten kann, wird nicht nur Milliarden verdienen, sondern noch dazu Geschichte schreiben.
Warum der Autoschnaps keinen guten Ruf genießt
Mit altem Frittenfett zum Betrieb genügsamer Landmaschinen starteten Do-it-yourself-Dieselbarone vor Jahrzehnten das Biospritgeschäft. Inzwischen treibt aus Getreide gewonnenes Ethanol Hunderttausende Autos an. In den USA etwa enthalten mehr als 40 Prozent des Benzins Ethanol-Beimischungen. In Fermentern, so groß wie Zeppeline, entsteht der Stoff, wenn Maische aus Mais oder Roggen mit Hefe gärt.
Doch der Autoschnaps genießt keinen guten Ruf. Weniger als 4000 Liter Ethanol jährlich liefert ein Hektar Maisacker; und jeder Liter davon wird mit rund 8000 Liter Süßwasser erkauft. Außerdem geht wertvolles Ackerland für den Nahrungsmittelanbau verloren. In der vergangenen Saison ernteten die Bauern in den USA erstmals mehr Mais für die Ethanol-Produktion als für die Viehzucht. Der Biospritboom treibt die Lebensmittelpreise nach oben.
Viele Ökologen halten den Anbau von Energiepflanzen daher inzwischen für einen Irrweg. Algen dagegen verbrauchen kein Ackerland. Sonne, Salzwasser, etwas Dünger und Kohlendioxid reichen den genügsamen Winzlingen zum Leben. Weil sie bei der Photosynthese etwa so viel CO2 verbrauchen, wie später beim Verbrennen ihres Öls wieder frei wird, ist Algensprit auch noch klimaneutral.
Die Kommerzialisierung steht bevor
Verblüffend erscheint auch ihre Produktivität: Wer ein Hektar sonniger Wüste mit Algenbecken vollstellt, gewinnt aus ihrer Biomasse nach einem Jahr fast achtmal so viel Biosprit wie ein Bauer aus Energiemais.
Die Firma Sapphire gehört zu den Pionieren der Branche. Firmenchef Pyle hat die Vision, Wüste in fruchtbares Energieland zu verwandeln: "Dazu müssen wir Algen wie Reis anbauen, in flachen Wasserbecken, auf Tausenden Hektar." Nur so könne es gelingen, Algenöl in großen Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren.
Ein Barrel grünes Rohöl von Sapphire soll künftig zwischen 70 und 100 Dollar kosten - und damit deutlich weniger als Erdöl. Ähnlich wie beim Getreideanbau sind dafür allerdings Hochleistungssorten nötig. Ertrag, Krankheitsresistenz und "Erntefähigkeit" der verwendeten Grünalgen seien optimiert, berichtet Pyle. Schon erproben die Sapphire-Ingenieure ihre grünen Zauberwichtel in einer Kleinanlage in New Mexico. Zusammen mit dem Agrarkonzern Monsanto und dem CO2-Produzenten Linde wollen die Algenbastler auf 120 Hektar bald auch das kommerzielle Geschäft ausloten.
"Unfruchtbares Land mit hoher Sonneneinstrahlung gibt es zweifellos genug auf der Erde"
Doch die Sapphire-Algen können nur ein Anfang sein. Denn sie reichern das Öl lediglich in ihrem Innern an. Wer es gewinnen will, muss die Geschöpfe ernten und in einem teuren und aufwendigen Prozess gleichsam auspressen.
Andere Forscher züchten deshalb Algen, die gar nicht erst geerntet werden müssen: Sie schwitzen den Treibstoff der Zukunft gleichsam aus. Die Evolution habe nichts hervorgebracht, was in großem Stil Biosprit aus CO2 produziere, erläutert Biologe Venter: "Deshalb müssen wir es eben bauen."
Im Labor der Firma Joule sind die ersten dieser Wunderorganismen schon zu bestaunen. Zu den Werkzeugen der Bioingenieure gehören Nährmedien, Brutschränke und vor allem Datenbanken, in denen die DNA-Sequenzen Tausender Mikroorganismen verzeichnet sind. In ihnen fahndet Robertson mit seinen Leuten nach vielversprechenden Genschnipseln, die sie anschließend isolieren und in das Erbgut von Blaualgen einschleusen.
Dutzende Varianten der auch Cyanobakterien genannten Winzlinge dümpeln bei Joule in bauchigen Glaskolben. Grüne Suppe füllt kleine Photobioreaktoren, in denen die Blaualgen unter verschiedenen Umweltbedingungen getestet werden."Hier simulieren wir zum Beispiel den Tag-Nacht-Rhythmus von Texas", erläutert Robertson einen der Versuche; in Texas steht eine Pilotanlage der Firma.
Hochreiner Kraftstoff ohne Schwefel und Benzol
Der Aufwand ist enorm. Doch der Erfolg scheint den Genbastlern recht zu geben. Die Joule-Mikrobiologen haben Blaualgenstämme erschaffen, die sogenannte Alkane durch ihre Membran nach außen pumpen, energiereiche Kohlenwasserstoffe, die in Dieselkraftstoff enthalten sind. "Sie müssen die Zelle davon überzeugen, das Wachstum ein- und stattdessen das gewünschte Produkt herzustellen", erläutert der Forscher. Anders als bei Getreide komme am Ende kein minderwertiger Brennstoff, sondern hochreiner Kraftstoff ohne Schwefel und Benzol heraus. Robertson: "Sie können unser Produkt direkt in Ihr Auto tanken."
In Hightech-Bioreaktoren verrichten die Laboralgen nun ihren Dienst. Stetig perlt Kohlendioxid durch die grün schimmernden Paneele, die an Sonnenkollektoren erinnern. Rund 140.000 Liter Biosprit jährlich will Robertson später einmal auf einem Hektar Land gewinnen - 40-mal so viel wie aus Energiemais. Etwa 500 Hektar Wüstenland in New Mexico hat sich Joule gesichert, um eine erste kommerzielle Anlage zu errichten.
Doch werden die Laborgeschöpfe auf dem freien Feld wirklich so gut funktionieren wie im Labor? Berechnungen zufolge dürften manche Algenanlagen mehr Dünger und Energie pro Hektar verbrauchen als der Getreideanbau. Und die Mikroalgen kommen mit dem Kohlendioxid der Luft nicht aus. Forscher schätzen, dass eine kommerzielle Algenspritanlage etwa 10.000 Kubikmeter CO2 pro Tag brauchte. Ob und wie das Gas in dieser Menge beispielsweise aus den Abgasen großer Kohlekraftwerke gewonnen und zu den Algenfarmen gebracht werden kann, ist unklar.
Warum die Umstellung auf Algensprit dauern wird
Zudem könnte der Landverbrauch enorm ausfallen. Im Fachblatt "Science" rechneten Forscher der niederländischen Wageningen-Universität unlängst vor, dass theoretisch die Fläche Portugals voller Algenbecken gestellt werden müsste, um den heutigen Treibstoffbedarf Europas zu decken. Ein "Sprung in der Mikroalgen-Technologie" sei notwendig, um die Produktivität mindestens zu verdreifachen, mahnten die Experten.
Pyle und Robertson versprechen diesen Fortschritt. Sie beharren darauf, dass sich mit Algentechnologie künftig ein signifikanter Teil des Energiebedarfs decken lasse. "Unfruchtbares Land mit hoher Sonneneinstrahlung gibt es zweifellos genug auf der Erde", sagt Robertson. Einen großen Vorteil sieht er auch darin, dass Algensprit problemlos in die Pipelines und Raffinerien der Ölindustrie eingespeist werden könnte. Für Autos oder Flugzeuge würde sich nichts ändern.
Dass die Umstellung auf Algensprit aber noch eine Weile dauern wird, räumen selbst die Pioniere ein. Zuweilen sind es ganz profane Dinge, die der grünen Revolution noch im Wege stehen.
Den Züchtern der Firma Sapphire etwa spielen zehnbeinige Gourmets übel mit. "Shrimps finden, dass Algen gutes Futter sind", erzählt Firmenchef Pyle, "wenn wir nicht aufpassen, verwandelt sich unsere Algenzucht ganz schnell in eine Shrimps-Farm."