Bildung Geregelte Arbeitszeit

Klick, klick und drin? Was bei Flügen geht, ist bei Studienplätzen noch immer nicht möglich
Foto: Friso Gentsch/ picture alliance / dpaDie Johannes Gutenberg-Universität in Mainz gehört zu den angesehensten Hochschulen des Landes. Bei Umfragen unter Studenten schneidet sie immer gut ab. Außerdem ist Mainz eine angenehme Stadt, die Universität verzichtet auf Studiengebühren, das macht sie bei Studienanfängern doppelt attraktiv.
17.000 Abiturienten haben sich vergangenes Jahr in Mainz für zulassungsbeschränkte Fächer beworben, mehr als viermal so viel, wie die Uni Plätze hat, dieses Jahr sind es sogar 22.000. Weil die Nachrückverfahren kompliziert sind, erfahren viele Bewerber erst kurz vor Semesterbeginn, ob sie einen Zuschlag erhalten haben. Da bleibt nicht viel Zeit für Umzug und Wohnungssuche - ein umständliches Procedere, das man den Neuzugängen gern ersparen würde.
Diesen Sommer sollte nun alles besser werden, nicht nur in Mainz. Statt weiter getrennt voneinander die Plätze zu vergeben, haben sich die deutschen Hochschulen entschieden, künftig alles über ein gemeinsames Online-Portal zu koordinieren. Was bei jeder Flugbuchung seit langem funktioniert, erreicht nun den Uni-Alltag, so ist es jedenfalls geplant.
"Hochschulstart.de" heißt die Seite, bei der sich die Studienanfänger online anmelden. Das entlastet nicht nur die Studenten, die am PC jederzeit den Stand ihrer Bewerbungen verfolgen können, sondern auch die Uni-Verwaltungen. Viele Abiturienten bewerben sich zur Sicherheit mehrfach, aber die wenigsten sagen ab, wenn sie woanders eine Zusage bekommen haben. Vielerorts besteht erst zu Semesterbeginn Klarheit über die tatsächliche Auslastung, da ist es für Nachrücker zu spät. So bleiben jedes Jahr Studienplätze frei, trotz des Andrangs. Fast sieben Prozent waren es im vergangenen Jahr bei den begehrten Numerus-clausus-Fächern, auch diese Fehlsteuerung möchte man endlich abstellen.
Schon in diesem Wintersemester sollte es mit der elektronischen Studienplatzvergabe losgehen - aber daraus wird nichts. Das ganze Projekt ist abgesagt, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem so viele Studienanfänger an die Hochschulen strömen wie noch nie. Es ist noch nicht einmal sicher, wann das System einsatzfähig sein wird, denn bis heute streiten die Verantwortlichen, welche Konsequenzen aus dem Abbruch zu ziehen sind.
Den Anschluss ans Informationszeitalter verpasst
Es ist ein Debakel, anders lässt es sich nicht sagen: 15 Millionen Euro hat das Prestigeprojekt gekostet, und dabei wird es nicht bleiben, das steht jetzt schon fest. Bei den ersten Tests waren viele Funktionen der Software nur eingeschränkt nutzbar. Wo der Computer versagte, musste alles noch einmal von Hand eingegeben werden. "Uns blieb nichts anderes übrig, als die Reißleine zu ziehen", sagt Micha Teuscher von der eigens gegründeten Stiftung für Hochschulzulassung.
Die Schuld für das Versagen trägt eine Firma, die Bund und Ländern gehört, das macht die Sache für die Auftraggeber nun besonders peinlich und behindert die Schadensbegrenzung. Entwickelt wurde "Hochschulstart" von der Telekom-Tochter T-Systems, doch deren System funktioniert einwandfrei, wie die Testläufe zeigten. Das Problem ist die
Anbindung der Software an die Systeme der Universitäten. Für die sollte die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) sorgen, ein IT-Unternehmen, das bis heute in Staatsbesitz ist.Die HIS steht seit langem im Ruf, den Anschluss ans Informationszeitalter verpasst zu haben. Seit den achtziger Jahren beliefert die in Hannover ansässige Firma die Hochschulen mit Verwaltungs-Software, die Pannen und Abstürze sind fester Bestandteil der Uni-Folkore. Manchmal verschluckte das System einfach die "credit points" für bestandene Lehrveranstaltungen. In einigen Fällen änderte die HIS-Software auch gleich die Noten.
Verklagen könnte der Bund nur sich selbst
Man hätte also gewarnt sein können, und es gab ja weitere Angebote. Parallel hatte sich IBM beworben, mit dem Hamburger Software-Unternehmen Datenlotsen für die Anbindung. Die Datenlotsen haben Erfahrung mit stabiler Hochschul-Software. Vor sechs Jahren ist die Uni Hamburg als erste große Hochschule zu dem privaten Anbieter gewechselt, obwohl dessen Produkt deutlich teurer ist als die lizenzfreie Lösung aus Hannover; auch Mainz ist seit 2007 bei den Datenlotsen Kunde.
Die Einführung von "Hochschulstart" wäre also eine gute Gelegenheit gewesen, die Leistungsfähigkeit der privaten Konkurrenz zu testen. Aber genau da lag das Problem: Wer das neue Bewerbungssystem liefert, ist an allen deutschen Universitäten vertreten, das galt es aus Sicht der HIS-Gesellschafter zu verhindern.
Der Unmut unter den Parlamentariern, die in Berlin die Gelder bewilligten, ist nun groß. Einige Abgeordnete würden die Software-Firma aus Hannover am liebsten in Haftung nehmen. "Jedes normale Unternehmen hätte jetzt die Anwälte im Haus, um Regressansprüche zu prüfen", sagt Patrick Meinhardt, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Aber so, wie die Dinge liegen, könnte der Bund nur sich selbst verklagen, schließlich ist er zu einem Drittel an der HIS beteiligt.
"Ein ambitionierter Zeitplan"
Die Alternative wäre, im zweiten Anlauf die private Konkurrenz ins Boot zu holen, die eine schnelle Anbindung an "Hochschulstart" anbietet. Aber davor scheuen die Länder zurück, die ihr Unternehmen am Markt halten wollen. So hat man sich jetzt darauf verständigt, die elektronische Studienplatzvergabe um ein Jahr zu verschieben, auf das Wintersemester 2012/2013. Zwei Millionen Euro hat die HIS schon einmal für zusätzliche Entwicklungskosten beantragt.
Bis Oktober müssen die Programmierer in Hannover eine fehlerfreie Version vorlegen, sonst ist es wieder zu spät. "Das ist nach wie vor ein ambitionierter Zeitplan" sagt Sven Gutow, der bei der HIS die Entwicklungsabteilung mitleitet.
Aber was soll der Mann auch sagen? Wer in Hannover als IT-Experte anfängt, bekommt Tarifgehalt, das liegt deutlich unter dem, was normalerweise in der Branche gezahlt wird. Dafür wirbt die HIS damit, ein familienfreundliches Unternehmen zu sein, mit geregelten Arbeitszeiten. Da könne man nicht mal eben den Urlaub streichen, wenn plötzlich ein Auftrag reinkomme, erklärt Gutow.