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Treibhauseffekt: Die Nordsee schwillt an

Foto: HERIBERT PROEPPER/ ASSOCIATED PRESS

Treibhauseffekt Tonga in der Nordsee

Kühlanlagen in überhitzten Städten, Wasserspender auf trockenen Feldern - Deutschland bereitet sich auf den Klimawandel vor. Doch es fehlt ein klares Konzept für den Umbau.

Volker Mommsen ist Bürgermeister einer der kleinsten Gemeinden Deutschlands. Die Hallig Gröde liegt vier Kilometer vor der Küste Schleswig-Holsteins, eine flache grüne Scheibe mitten im Wattenmeer. Es gibt nur zwei Erhebungen, je vier Meter hoch, die Warften. Darauf stehen fünf Häuser. Elf Bewohner leben auf dem Eiland und im Sommer 70 Rinder und 60 Schafe.

Mommsen, grauer Bart, wettergegerbtes Gesicht, buntgeringelte Stricksocken in groben braunen Schuhen, lebt schon seit 47 Jahren dort draußen. Kürzlich ist seine Tochter mit den zwei Enkeln aufs Festland gezogen. Aber Mommsen will nicht weg von Gröde.

Dabei schwappt mehrmals im Jahr die Nordsee über das Eiland. Dann ragen nur die Warften aus dem Wasser. Ihm mache das nichts aus, sagt Mommsen. Als er 1964 mit seinen Eltern auf die Insel zog, waren die Gebäude nach der großen Sturmflut gerade neu aufgebaut worden. "Das Land gab günstige Kredite, damit die Warften weiter bewohnt blieben."

Inzwischen aber fragt sich mancher in der Regierung in Kiel, ob es eigentlich so eine gute Idee ist, dass da draußen Menschen wohnen. Wenn Klimaforscher mit ihren Prognosen recht haben, wird sich die Atmosphäre weiter aufheizen und der Meeresspiegel in wenigen Jahrzehnten stark steigen. Die Inseln würden in den Fluten versinken.

Mommsen ist also so etwas wie der König von Tonga oder der Präsident der Malediven. Auch deren Amtssitze drohen als Folge des Klimawandels unterzugehen. Doch wie lässt sich die Nordsee im Zaum halten? Mit neuen Deichen und höheren Warften? Das würde etliche Millionen kosten und das Gesicht der Hallig grundlegend verändern.

Helfen sollen nun Architekten und Ingenieure. Gerade hat das Land zu einem Ideenwettbewerb aufgerufen. "Vielleicht", sagt Mommsen, "brauchen wir hier Häuser wie in Holland, die wie Boote bei Flut aufschwimmen."

Die Winter werden feuchter und die Sommer trockener

Die Folgen des Klimawandels bereiten nicht nur Mommsen und den Küstenschützern Kopfzerbrechen. Sie werden Deutschland von Flensburg bis zu den Alpen treffen. Klimaforscher sind sich sicher, dass die Winter feuchter und die Sommer trockener werden. Die mittleren Jahrestemperaturen könnten bis Ende des Jahrhunderts um vier Grad steigen. Dann wird es in den Innenstädten im Sommer unerträglich heiß, auf den Feldern fehlt der Regen, es drohen Gewitter, Stürme, Sturmfluten und Überschwemmungen.

Bislang allerdings ging es in den Rathäusern beim Klimaschutz vor allem darum, Schulen zu dämmen, Glühbirnen gegen Energiesparlampen zu tauschen und Dienstautos mit Start-stopp-Automatik anzuschaffen. All das wird den Anstieg von Treibhausgasen in der Atmosphäre kaum bremsen. Und so rückt ein zweiter Aspekt in den Vordergrund - der Schutz vor den unvermeidbaren Auswirkungen des Klimawandels.

Doch noch gibt es weder einheitliche Standards, verbindliche Regeln noch klare Konzepte für den Umbau des Landes. Es fehlt an Geld und Verständnis von Politikern, Stadtplanern, Denkmalschützern und auch Bürgern.

Reagiert hat in der vergangenen Woche immerhin die Bundesregierung. Sie beschloss einen lange angekündigten "Aktionsplan Anpassung". Neben die Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgase müsse die Anpassung an die Folgen des Klimawandels treten, verlangte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU).

Über eigene Aktionen der Regierung ist auf den 93 Seiten allerdings kaum etwas zu finden. Vieles müsse "auf lokaler oder regionaler Ebene" umgesetzt werden, heißt es wolkig in dem Papier, das nicht etwa von Röttgens Klimaexperten, sondern der Unterabteilung Wasserbau verfasst wurde: "Im Sinne der Eigenvorsorge liegt die Verantwortung für die Anpassung an den Klimawandel schließlich im Wesentlichen bei Bürgern und Unternehmen selbst."

Was sich vor Ort tut, weiß selbst das Umweltbundesamt nicht, nach Röttgens Willen immerhin "Wegweiser und Ansprechpartner" für die Anpassungsaktivitäten in Deutschland. Gerade einmal hundert Vorhaben listet eine "Tatenbank" auf, vieles davon wurde noch nicht mal begonnen.

Strategiepapiere werden beschlossen, Kommissionen und Arbeitskreise eingesetzt

Die Deutschen nähern sich dem Problem in typischer Weise - grundsätzlich und föderal. Die meisten Länder, viele Kreise und Gemeinden haben inzwischen eigene Strategiepapiere beschlossen, Kommissionen und Arbeitskreise eingesetzt, Gutachten und Studien in Auftrag gegeben.

Doch was versteht man unter einem Hochwasser? Was ist eine Flut? Und wo beginnt eine Bedrohung? Schon bei diesen Fragen gibt es unterschiedliche Ansichten in den 16 Landeshauptstädten.

Peitscht etwa eine Sturmflut von der Nordsee die Elbmündung hinauf, sind davon zwar Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein betroffen. Jedes Land aber hat eine andere Methode, aus den gemessenen Wasserständen Rückschlüsse auf mögliche Gefahren zu ziehen. Ein für die Statistiker in den Landesämtern jahrelang unlösbares Problem - und eine schlechte Voraussetzung, um sich auf noch höhere Fluten einzustellen.

An der Mittelelbe musste sich gar ein Gericht mit den Deichen beschäftigen. Nach dem Elbhochwasser 2002 hatte dort ein Wettrüsten bei den Uferdämmen begonnen, und die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern fürchtete, die Deiche in Brandenburg seien so hoch, dass ihre eigenen Schutzdämme überspült würden. Inzwischen gibt es einen komplizierten Kompromiss.

Auch an Forschungsvorhaben herrscht kein Mangel. Sie tragen so schöne Namen wie Klimzug, Klimafit oder Klimpass, Regklam oder Dynaklim, Kliff, KlimAix, JenKAS, Klima Exwost, KlimaMoro.

Über 80 Millionen Euro gibt der Bund allein für das Projekt Klimzug aus. Damit untersuchen beispielsweise Forscher in Lübeck, wie stark Reetdachhäuser künftig von Pilzen befallen werden. In Brandenburg testen Wissenschaftler, ob entlang den typischen Alleen statt Platanen, Eschen oder Kastanien bald Orangenmilchbäume oder Japanische Magnolien gepflanzt werden sollten. Am bayrischen Schloss Neuschwanstein messen Experten, wie es sich auswirkt, wenn Besucher durch den Temperaturanstieg stärker schwitzen.

Die Ergebnisse füllen bald eine kleine Bibliothek. Doch was fehlt, sind klare Prioritäten. "Es gibt viele Papiere, aber wenig Koordination", klagen deshalb selbst Klimaexperten in den Ministerien.

"Es ist klar, dass die Situation verbessert werden muss"

Da erscheint das Bemühen der "Klimaanpassungsakademie Kassel" durchaus verdienstvoll, kommunale "Anpassungsbeauftragte" auszubilden. Die soll künftig jede Gemeinde einstellen. Teilnehmen allerdings, bedauert Mitarbeiterin Ulrike Steffens, könne man an solchen Kursen zurzeit noch nicht. Das Vorhaben komme nicht recht voran, weil die Vorgaben des Landes Hessen fehlten. Und freiwillig würden sich wohl nur wenige Kommunen solche Klima-Bürokraten leisten.

"Interesse an Beratung gibt es in den Kommunen schon", sagt Cornelia Rösler, Leiterin des Bereichs Umwelt beim Deutschen Institut für Urbanistik, aber für Maßnahmen fehle leider Geld. "Welcher Stadtrat würde zur Lösung eines Problems, das womöglich erst in einigen Jahrzehnten auftritt, Geld ausgeben?" Klimaanpassungsprojekte müssten "No regret"-Maßnahmen sein, so Rösler, also Vorhaben, die "ohne Reue" auch dann einen Sinn haben, wenn sich die Klimaveränderungen gar nicht einstellen.

Das erklärt, weshalb der Anpassungseifer dort am größten ist, wo es schon heute Probleme gibt. Wie in Wuppertal. Die Menschen dort wissen, wie es ist, wenn es ausdauernd regnet. Die Atlantikwolken, die von Westen über die Kölner Bucht ziehen, entleeren sich besonders häufig über dem Bergischen Land. Fast 1200 Liter Niederschlag pro Quadratmeter fallen in Wuppertal im Jahr, doppelt so viel wie in Berlin. Weil zudem die zwei Stadtzentren eingezwängt im tiefen Tal der Wupper liegen, rauschen die Niederschläge immer wieder mit Wucht die Hänge hinab.

Wie das Wasser fließt sieht man virtuell am Computer

Wie das Wasser genau fließt, kann man sich inzwischen bequem und trocken im Rathaus ansehen, virtuell am Computer. Um sein neues Programm vorzuführen, hat Bauingenieur Bernard Arnold eigens einen Bildschirm aufgestellt. Zu sehen ist ein Luftbild, auf dem sich nach und nach die Straßen blau färben. "Steht die neue Technik komplett", sagt der 63-Jährige, "können wir an jeder Stelle der Stadt ein beliebig starkes Gewitter simulieren."

Demnächst sollen bestimmte kritische Gebiete digital vermessen werden. Dann können die Wasserströme dreidimensional dargestellt werden. "So sehen wir, wie es sich auswirkt, wenn wir Bordsteinkanten erhöhen, Parkflächen absenken oder mit kleinen Mauern die Flutwelle in weniger gefährdete Bereiche lenken", sagt Arnold.

Bei Schloss Lüntenbeck, einem historischen Gemäuer, das schon mehrfach überflutet wurde, laufen die ersten Versuche. Statt einen teuren Entlastungskanal anzulegen, soll ein Wanderweg abgesenkt werden. Bei Starkregen könnte das Wasser darüber abfließen. Ohnehin müssten künftig Regenfälle wie heute schon in Dänemark über Straßen statt durch Rohre abgeleitet werden, sagt der Planer.

Die Computersimulationen haben noch eine andere Funktion. Sie sollen die Bevölkerung auf die Bedrohung vorbereiten. Leider seien sich viele der Gefahren nicht bewusst, glaubt Arnold. Bei seinen Untersuchungen stieß er auf ein Krankenhaus und ein kirchliches Versammlungszentrum, die bei Starkregen von Überflutung bedroht sind. Doch die Verantwortlichen hätten Schutzvorkehrungen abgelehnt. "Vielleicht reagieren sie, wenn sie sehen, wie alles absaufen würde", hofft er.

Rechtlich habe die Stadt keine Möglichkeiten, die Anwohner zur Vorsorge zu zwingen, und eigentlich dürfte sie die Anpassung auch nicht finanzieren. Solche Maßnahmen seien "freiwillige Leistungen", die sich hochverschuldete Kommune nicht leisten dürften. Was die Wuppertaler nicht daran hindert zu handeln. Bauherr sind die Stadtwerke, die den Umbau über Gebühren finanzieren.

Was in Wuppertal zu viel vom Himmel tropft, fällt in der Lüneburger Heide zu wenig. Dort, am Rande der Stadt Uelzen, arbeitet im Gebäude einer ehemaligen Straßenmeisterei Ulrich Ostermann. Er ist Chef des "Kreisverbands der Wasser- und Bodenverbände" und eine Art Regenmacher der Region. Ostermann sorgt dafür, dass die Landwirte genug Wasser für ihre Felder erhalten.

"Ohne künstliche Bewässerung kann man mit den trockenen Sandböden wenig anfangen", sagt der Bauingenieur. Dank des Wassers aber wachsen Zuckerrüben und Kartoffeln, das "Heidegold". Im Schnitt werden im Kreis Uelzen sieben Millionen Kubikmeter Trinkwasser verbraucht, aber 27 Millionen auf die Äcker gesprüht. Die Region ist das größte Beregnungsgebiet Deutschlands.

Die Zukunft der Landwirtschaft liegt in gewaltigen Bewässerungsanlagen

Schon heute ist absehbar, dass das Wasser nicht reicht, sollten die Sommer heißer und trocken werden. Vor Ostermann auf einem runden Tisch liegen deshalb Karten und Pläne. Die Zukunft der Landwirtschaft liege in gewaltigen Bewässerungsanlagen, sagt er, wie sie etwa in den USA eingesetzt werden. "Sie nutzen das Wasser wesentlich effektiver als die herkömmlichen Bewässerungskanonen."

Die Innovation hat allerdings den Nachteil, dass sie viel Platz braucht. Die Äcker der Zukunft sind 800 Meter lang und so groß wie 140 Fußballfelder. Das aber zerstört die traditionelle Kulturlandschaft und führt zu bürokratischen Problemen. Feldwege müssen entfernt, Leitungen gelegt, Grundstücke unter den Landwirten getauscht werden. Vor allem aber werden ökologisch wertvolle Baumreihen, Büsche und Hecken verschwinden.

Um dennoch schnell zu pragmatischen Lösungen zu kommen, hat Ostermann vor wenigen Tagen gemeinsam mit der Landwirtschaftskammer einen "Kulturlandschaftsverband" gegründet. Dort verhandeln nun Bauern mit Naturschützern und Kommunalpolitikern, wie die Umgestaltung der Landschaft allen Interessen zugleich dienen kann. "Ob das klappt, wissen wir nicht", sagt Ostermann, "dafür gibt es in Deutschland keine Beispiele."

Der Umbau auf dem Land ist schwierig, in den Städten kommt es mitunter zu unlösbaren Konflikten. Die Stadt Hamburg etwa baut zwar gerade für 40 Millionen Euro den Flutschutz der Innenstadt weiter aus. Doch seit langem fehlt eine Strategie, wie sich die Hansestadt auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten soll. Regierungschef Olaf Scholz (SPD) hat andere Prioritäten. 6000 neue Wohnungen will er pro Jahr bauen lassen. Dafür müssen Brachflächen bebaut werden und mehr Häuser entstehen. Klimaexperten raten zum Gegenteil - zur Auflockerung der Bebauung und mehr Grünflächen.

Als Glücksfall erweist es sich da, wenn ein innerstädtischer Bereich komplett neu errichtet werden muss. Wie der Neumarkt an der Dresdner Frauenkirche. Dort verlegten die Stadtwerke nicht nur ein Fernwärme-, sondern auch gleich ein Kältenetz. Durch die Rohre wird sechs Grad kaltes Wasser gepumpt, mit dem im Sommer Wohnungen und öffentliche Gebäude gekühlt werden können. Ursprünglich sei das Konzept geplant worden, um den Komfort zu verbessern, räumt Reinhard Niespor von den Stadtwerken unumwunden ein, "nun aber lässt es sich prima als Klimaanpassung vermarkten".

Probleme mit der Temperatur hat heute schon die bayrische Stadt Regensburg. In der engen Altstadt staut sich an Sommertagen die Hitze, nachts kühlt es kaum ab. "Es ist klar, dass die Situation verbessert werden muss", sagt Joachim Scheid. Der Geograf soll ein Konzept erarbeiten. Doch die Denkmalschützer wollten keine Veränderung am geschützten Unesco-Welterbe, die Tourismus-Verantwortlichen freuten sich über "südländisches Flair" und die verlängerte Saison.

Immerhin, fand Scheid heraus, hat die Stadt einen besonderen Vorteil. Die Gebäude und die Stadtstruktur sind während einer mittelalterlichen Warmzeit errichtet worden. Damals gab es Belüftungsschächte und Bachläufe zur Temperaturregulierung. Könnten die wieder freigelegt werden, wäre Anpassung nur ein Schritt in die Vergangenheit.

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