Medizin Ferndiagnose von der Insel

Ärzte-Portal "DrEd.com": Sprechstunde im Internet
Was Jasper Mordhorst als "neue Art, Medizin zu machen" bezeichnet, nennen seine Kollegen "fahrlässig", "gefährlich" oder "katastrophal".
Mordhorst, 42, ist ein deutscher Arzt, der in England lebt und arbeitet. An drei Tagen pro Woche untersucht er Patienten in einer Praxis in London. Die anderen beiden Tage behandelt er vom Computer aus als "Internet-Arzt", wie er sich selbst nennt. Nach ein paar Monaten besuchen knapp 50 britische Patienten täglich seine Website in England. Ab Anfang dieser Woche bietet er zusammen mit Kollegen den Service für seine alte Heimat an. Auch diese Internetpraxis wird von London aus betrieben, richtet sich aber an deutsche Patienten. "DrEd.com " soll eine Ferndiagnose aus mehreren hundert Kilometern liefern.
Kuriert werden sollen vor allem vermeintlich peinliche Leiden wie Erektionsstörungen, vorzeitiger Samenerguss oder Geschlechtskrankheiten. Auch Rezepte für die Pille wird es geben. "Unsere Kunden schätzen die Bequemlichkeit und Anonymität", erklärt Mordhorst. Viele Patienten schämten sich, einem Doktor von ihrem Problem zu erzählen. Im Internet aber müssen sie keinem in die Augen schauen, wenn der Arzt fragt, wie es im Bett läuft.
In Deutschland wäre das undenkbar; laut Berufsordnung müssen Arzt und Patient sich für eine erste Diagnose gesehen haben. Der persönliche Eindruck sei entscheidend, sagt Dirk Heinrich. Der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, ein Verband niedergelassener Ärzte, warnt vor dem Angebot im Netz: "Eine Diagnose aus einer Online-Befragung ist keine Diagnose, sondern eine Vermutung."
Doch bei DrEd soll ein Online-Fragebogen reichen. Die Patienten müssen ihren Blutdruck angeben, Fragen zu ihrem Leiden oder früheren Krankheiten beantworten. Sie können Fotos hochladen oder eine Urinprobe an ein Labor schicken. Eine Stunde später berät sie ein Arzt schriftlich. Entweder er lehnt die Behandlung ab oder - falls ihm die Antworten genügen - er stellt ein Rezept aus.
"Was der Patient wirklich braucht, findet man online nicht heraus"
"Auf diese Weise kann ein Arzt vielleicht testen, ob ein Patient Viagra bekommen darf", sagt die Urologin Sabine Kliesch, die sich durch den Test für Potenzprobleme geklickt hat. Doch auch bei vermeintlich leichten Fällen warnt sie vor einer trügerischen Sicherheit: "Was der Patient wirklich braucht, findet man online nicht heraus." Regelmäßig entdeckt sie in der Sprechstunde an der Uni-Klinik Münster, dass die Erektionsstörungen ihrer Patienten von einer unerkannten Gefäßerkrankung herrühren, beispielsweise durch Diabetes. Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen bewertet das Angebot "kritisch". Es sei fraglich, ob die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen.
Mordhorst und seine Kollegen arbeiten schon länger online. Ihr alter Arbeitgeber DrThom hat nach eigenen Angaben schon Rezepte für 250.000 Patienten aus ganz Großbritannien ausgestellt. Täglich melden sich mehrere hundert Patienten; in nur durchschnittlich zehn Prozent der Fälle lehnten die Mediziner eine Behandlung ab. In Irland versuchen ein Arzt und ein Apothekerverband, das Portal zu stoppen. Doch die Seite ist weiter online.
Die Portale berufen sich auf eine EU-Richtlinie, wonach sich Patienten ihren Arzt europaweit selbst suchen dürfen. In Großbritannien können Ärzte Arzneien gegen bestimmte Wehleiden legal per Checkliste verschreiben, vorausgesetzt, die Online-Praxis wird von einer staatlichen Stelle in England kontrolliert.
"Natürlich sind die niedergelassenen Ärzte argwöhnisch"
"Natürlich sind die niedergelassenen Ärzte argwöhnisch", sagt Jens Apermann, der als Sprecher von DrEd auftritt. "Plötzlich stehen sie im Wettbewerb mit Kollegen, die weit weg sind." Für Frauenärzte etwa sei die Pille oft nur eine Formalität: "Alle drei Monate müssen Patientinnen sich ein Rezept abholen, das der Arzt der Krankenkasse in Rechnung stellen kann", sagt Apermann, der auch Online-Apotheken berät und früher bei DocMorris war. Die niederländische Versandapotheke verhalf dem Online-Geschäft mit Medikamenten in Deutschland zum Durchbruch. Jahrelang gab es damals Streit um das neue Geschäftsmodell. Auf Widerstand stellt sich Apermann auch diesmal ein: "Wir erwarten nicht nur ein paar Klagen, wir bereiten uns auf einige vor."
Problematisch ist im Netz nicht zuletzt die enge Verzahnung zwischen Arzt und Apotheken: Die Website DrThom arbeitet mit einer einzigen Apothekenkette zusammen. Beide gehören zu Celesio aus Stuttgart, einem der größten Pharmahändler in Europa. Ein Rezept bei DrEd wird direkt an die Versandapotheke Apo-Rot aus Hamburg weitergeleitet, oder der Patient muss es sich nach Hause schicken lassen. Eine solch enge Zusammenarbeit wäre in Deutschland wohl unzulässig.
"Eine verkappte Online-Apotheke" nennt Virchow-Bundesvorsitzender Heinrich das Ärzte-Portal. Seine Sorge: Was, wenn ein Patient lügt oder die Frage nicht versteht? "Dann gehe ich davon aus, dass er den Vorgang abbricht oder nachfragt", sagt Mordhorst.
Der Netz-Arzt vertraut auf den mündigen Patienten, der sich informiert und einzuschätzen vermag, was gut für ihn ist. Wobei sich dann am Ende die Frage stellt, wofür die Mediziner bei einfachen Wehwehchen überhaupt noch gebraucht werden.