
Währung Shoppen gegen die Angst
Franz Herrmann, erster Vorstand des Bundes der Sparer, hat sich ein halbes Jahrhundert lang gemüht, ein guter Anleger zu sein. Als Kind füllte er Spardosen, als Jugendlicher das Sparbuch. Später kamen der Bausparvertrag dazu und zwölf Lebensversicherungen. "Geld zieht Geld an", hatte ihm sein Vater mit auf den Weg gegeben. "Ich war aufs Sparen gepolt", sagt Herrmann.
Mit 52 Jahren habe er dann kapiert, "was hier passiert". Geld verdiente er durch sein Geschäft in der Münchner Innenstadt, Herrmann verkaufte dort Schmuck und Bierkrüge. Mit den Sparanlagen dagegen hat er nach seiner festen Überzeugung nur verloren - die Versicherungen kündigte er, die Mini-Zinsen der sonstigen Sparbücher habe "die Inflation gefressen".
Um sich zu wehren, gründete Herrmann den Bund der Sparer. Jetzt tingelt er durchs Land und warnt in Vorträgen vor "Geldvernichtungsinstrumenten". Sparen, da ist sich Herrmann inzwischen sicher, sei "staatlich verordnete Beraubung".
Ärmer durchs Sparen?
Ärmer durchs Sparen? So radikal Herrmanns Ansicht auch ist, sein Misstrauen wird von immer mehr Menschen geteilt. Den Renditeversprechen der Finanzbranche glauben sie nicht mehr, Sparbücher und Festgeldkonten werfen nur mickrige Zinsen ab und die nicht enden wollende Euro-Krise nährt die Angst vor Inflation - oder einem Währungsschnitt. Manche sehen gar das Ende des ganzen Geldsystems nahen.
Umfragen von TNS Infratest und Allensbach spiegeln die aktuelle Sinnkrise wider: Fast die Hälfte der Befragten fürchtet sich mittlerweile vor einer Geldentwertung. Und jeder zweite Berufstätige fragt sich, welche private Anlageform überhaupt noch Sinn macht.
"Die Leute werden immer vorsichtiger, den Banken ihr sauer verdientes Geld anzuvertrauen", sagt Rolf Bürkl von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Noch ist es keine Massenbewegung, aber viele Menschen schichten ihr Vermögen um. Sie lösen etwa vermeintliche Sorglos-Produkte wie Lebensversicherungen auf. Vor zwei Jahren, berichtet Philipp Vorndran, Kapitalmarktexperte des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, hätten seine Kunden bereits vermehrt die schwache Rendite solcher Anlagen kritisiert. "Jetzt fragen sich viele, was sie da eigentlich für ein Produkt haben."
Statt auf die deutschen Kreditinstitute zu vertrauen, setzen manche Anleger lieber auf altbewährte Institutionen, etwa den Hamburger Fußballclub St. Pauli: 5000 Fans zeichneten gerade in nur knapp vier Wochen Anleihen für sechs Millionen Euro - das Stadion soll dafür ausgebaut werden, sechs Prozent Rendite sind versprochen. Vielen scheint der Club eine sichere Bank - allen Krisen zum Trotz besteht er seit 1910.
"Aus dem Angstsparer ist ein Angstkonsument geworden"
Marktforscher Bürkl hatten Umfragen und Zahlentabellen bisher immer gezeigt, dass die Deutschen in unsicheren Zeiten mehr sparen. Neuerdings sinkt das Vertrauen ins Finanzsystem aber so rapide, dass die Krise eine Art Schlussverkaufsstimmung auslöst: "Aus dem Angstsparer", so Bürkl, "ist ein Angstkonsument geworden."
Noch lässt sich der Trend nicht in Zahlen fassen, die Sparquote ist bislang nur moderat gesunken. Aber die Konsumfreude steigt, und davon profitierte nicht nur der Handel im Weihnachtsgeschäft.
Wem es möglich ist, der steckt sein Geld ins eigene Haus, er dämmt es oder bessert es aus. Dachdecker sind in vielen Regionen auf Wochen ausgebucht, die Branche ist einer der Krisengewinner und wird 2011 um fünf Prozent wachsen, auf knapp 8,5 Milliarden Euro Umsatz.
Mal eben kurz das Geld retten - wer kann, investiert in vermeintlich sichere Werte. Auf Kunstauktionen werden Rekordpreise erzielt. Und in Boom-Städten wie Hamburg oder München berichten Makler bereits von Bietergefechten um sogenanntes Betongold.
Krise, welche Krise?
Eine typische Krisenreaktion ist das allerdings nicht unbedingt: So gut es im Moment laufen mag, so paralysiert wirkte die Branche 2008 zur Lehman-Krise. "Wir sind damals kaum an Geld gekommen, da hat sich keine Bank über acht Monate festgelegt", sagt Georg Reul vom Bauträger Frankonia. 2008 erwarb die Firma ein Filetgrundstück in Hamburg mit Alsterblick. Lange stockte das Vorhaben, inzwischen geht der Bau voran, und die Verkaufslage sieht besser aus: Auch Penthouse-Wohnungen für über 12.000 Euro pro Quadratmeter ist Reul jetzt losgeworden.
Im Luxussegment beobachten Konsumforscher eine Art Affekt-Shoppen gegen die Krise: Anders als während der Lehman-Pleite wird die Verunsicherung nun durch Trotzkäufe kompensiert. Mit Swarovski-Steinen besetzte Fressnäpfe für 1000 Euro und Nerzmäntel für Hunde verkaufen sich gut. Der französische Luxusartikler LVMH (Louis Vuitton, Christian Dior) meldet Rekordumsätze. Oldtimer-Händler Dietrich-Gotthard Groß aus Bernau am Chiemsee hat gerade einen Mercedes 300 SL mit Flügeltüren für rund 550.000 Euro verkauft. "Als reine Geldanlage", sagt Groß, der selbst verwundert ist. "Der Kunde will das Auto nicht mal zulassen."
Krise, welche Krise?
Krise, welche Krise? Die zur Ignoranz der Reichen passende Melodie lieferte Modezar Karl Lagerfeld gerade auf einer Chanel-Show in Paris: "Es kommt überhaupt nicht in Frage", so Lagerfeld zwischen Bergen von Bonbonnieren aus Kristall, "sich in dieser allgemeinen Verdrossenheit gehenzulassen."
Ganz unverdrossen scheint jedoch auch der Couturier nicht zu sein. Erst vor kurzem warb er für eine Art Reichensteuer, die auch seiner Branche zugutekommen sollte. Wer eine bestimmte Gehaltsgrenze überschreite, forderte Lagerfeld, sollte für eine gewisse Summe shoppen müssen. Er hasse Leute, die Geld horteten.
Auch das scheint ein Effekt der allgemeinen Verunsicherung zu sein: Es wird plötzlich viel Klartext gesprochen - sogar in der Finanzszene. "Die Kaufkraft Ihres Geldes garantieren", gibt Kapitalmarktstratege Vorndran zu, "das kann und konnte seriös eigentlich niemand." Für die nächsten Jahre rechnet er mit Inflationsraten von bis zu sechs Prozent, die Lieblingsanlagen der Deutschen - Sparbuch, Anleihen oder Festgeld - würden zu Verlustgeschäften. Die Menschen spürten, dass eine Art "reset" nötig werde. An eine neue Währung allerdings glaubt Vorndran nicht: "Die Entschuldung wird sich innerhalb unseres Geldsystems abspielen."
Dass unser Geldsystem kurz vor dem Zerfall steht, hält der Mann für unausweichlich, der an diesem Morgen im Goldhandelshaus Pro Aurum in Berlin steht. Im gediegenen Schalterbereich mit Goldbarren unter Panzerglasvitrinen fällt er etwas auf, weil er frisch vom Stall-Ausmisten im Zoologischen Garten kommt. Er ist Tierpfleger, ein entsprechender Geruch entfaltet sich.
"Gold kann mir keiner wegnehmen"
Mit den ganzen ungedeckten Krediten sei es wie mit Zahnpasta, sagt der Mann: "Die geht raus aus der Tube, aber nicht mehr rein." Je ungehemmter jetzt Milliarden vorgestreckt und Rettungsschirme gespannt würden, desto wahrscheinlicher sei der Bankrott. Seine Lebensversicherung und die seiner Frau sowie fast alle Barreserven habe er deshalb "umgemünzt" - in Edelmetall. "Gold kann mir keiner wegnehmen."
Je größer die Angst im Volk, desto länger werden die Schlangen vor den Pro-Aurum-Schaltern. Gold gilt als krisenresistent. Der Münchner Händler ist ein Gewinner der Krise. Dabei sah es lange gar nicht danach aus.
Genau genommen sei er beruflich "auf dem absteigenden Ast" gewesen, erzählt Pro-Aurum-Chef Robert Hartmann. "Rentnerschalter" hieß der Arbeitsplatz der Edelmetallhändler bei vielen Banken. Auch Hartmanns damalige Bank rationalisierte: "Change" hieß das Projekt, für Hartmann bedeutete es Arbeitslosigkeit.
Vor acht Jahren tat sich Hartmann deshalb mit einigen anderen Bankexoten von den Rentnerschaltern zusammen. Sie wurden belächelt - Aktienhandel galt damals als sexy, aber nicht das Verschieben von Edelmetallmünzen. Hartmanns Businessplan für die neue Firma sah als Fernziel sechs bis sieben Mitarbeiter vor. Heute beschäftigt er über hundert, Umsatz: knapp eine Milliarde Euro.
"Wir haben einfach die Beruhigungsmedizin"
Hartmann weiß, dass der Run auf sein Gold "weniger mit irgendeiner Performance als mit Ratlosigkeit" zu tun hat. "Wir haben einfach die Beruhigungsmedizin." Doch ist Gold wirklich der Anker gegen vermeintliche Armut? "Die Chance, beim Neustart gutaufgestellt zu sein", wie der Berliner Tierpfleger hofft?
Im April 1933 verbot US-Präsident Franklin D. Roosevelt angesichts der hartnäckigen Weltwirtschaftskrise den privaten Goldbesitz. Mit rigiden Kontrollen im Kapitalverkehr rechnet auch Anlagestratege Philipp Vorndran. Verschärfte sich die Krise, würden alle - gerade auch seine Kunden - zur Kasse gebeten: "Da bekommt jeder Bürger sein Fett weg, eine schmerzfreie Lösung wird es nicht geben."
Um den Schmerz etwas zu lindern, bunkert seine Firma ihr Edelmetall vorsichtshalber in einem Depot außerhalb der Euro-Zone. Ob es da sicher ist? "Sicher ist heutzutage nichts", sagt Vorndran.