"Entweder die oder wir"
Israel in der Krise? Selbst schuld, meint der Viehzüchter Eddie Dribben aus Kirjat Arba. Sie sollten lieber ihn ranlassen, dann wäre der Dampf schnell raus aus dem Hexenkessel. "Ich erzähle Ihnen mal die Geschichte, wie ein Araber mich einschüchtern wollte und wie ich ihn davon überzeugte, dass das eine verdammt schlechte Idee war."
Es ist eine kurze Geschichte. Und sie könnte auch auf der Ranch in den Bergen von Wyoming passiert sein, auf der Eddie Dribben aufwuchs: Also morgens steht da ein Typ am Zaun vorm Farmhaus. Er wedelt drohend mit den Armen und schreit auf Arabisch, Eddie solle rauskommen.
Eddie tat erst mal nichts. Dann ging er raus. Mit seinem Sturmgewehr unterm Arm. Er feuerte dem Kerl eine Salve zwischen die Füße, dass der Sand aufspritzte. Dann rief er: "Jallah!" Komm! Zum Schluss tranken sie Tee zusammen. "Erst schießen, dann fragen. Sonst bist du bald tot", sagt Eddie. Man muss ja nicht immer gleich zwischen die Augen zielen.
Und was soll die israelische Regierung daraus lernen? "Dass es nur einen einzigen Weg zum Frieden gibt: Man muss stark sein, man muss schießen." Er knetet genüsslich die rissigen Hände. "Man muss es mit Arafat-Land so machen, wie es General Patton mit Deutschland gemacht hat. Bang, bang, and peace is there. Dies Land gehört uns, wir haben ein Recht, hier zu sein."
So denken die meisten der etwa 6000 Siedler, die sich in Kirjat Arba und in den drei jüdischen Enklaven von Hebron mitten im palästinensischen Autonomiegebiet festgekrallt haben. Sie haben alle Rechte, und die Araber haben höchstens das Recht, sich damit abzufinden.
Eddies Friedensformel ist ganz einfach: "Entweder die oder wir."
Es ist aber kein todsicheres Prinzip. Dow, sein Ältester, wurde vor zwei Jahren auf seiner Farm in den Bergen mit Äxten und Gewehrkolben erschlagen. Eddie gibt zu, dass Dow ein besonders scharfer Hund war. Er hatte viele Feinde. Welcher von ihnen der Mörder war, wurde nie ermittelt.
Eddie Dribbens Farm dicht bei Kirjat Arba hat ein Flair wie ein Fort im Indianerland: ein riesiges Farmhaus mit Fenstern, so klein wie Schießscharten, ringsum Mauern und Stacheldraht, vor der Tür ein zähnefletschender Kettenhund. Überall im Haus liegen Patronen.
Bei Westwind kann man hier deutlich hören, wenn in Hebron geschossen wird. Eddie regt sich darüber nicht auf. Er sagt, er habe persönlich schon lange keine Probleme mehr mit den Arabern. Mal abgesehen von der Sache mit Dow. Vor ein paar Tagen hat er sich noch bei einem von ihnen ein paar Kisten Tomaten ausgeliehen, weil er selbst keine mehr hatte und seinen Kunden in der Stadt nicht beliefern konnte. "Nennen Sie so was Feinde, eh?" Eddie Dribben klatscht sich vor Vergnügen auf den Gummistrumpf, den er wegen einer Arthrose tragen muss. "Leihen sich Feinde gegenseitig Tomaten?"
Kirjat Arba ist die knorrigste Zitadelle der Wagenburg-Juden im Westjordanland. Nirgendwo sonst ist die jüdisch-arabische Konfrontation so unmittelbar und so handfest. Jizchak Ginsburg, der Rabbi der Talmudschule beim Grab Josefs, der seine Schüler lehrt, dass arabisches Blut weniger Wert sei als jüdisches, hat hier seinen stärksten Brückenkopf.
Gleich hinter dem Eingangstor liegt Baruch Goldstein begraben, der Arzt aus New York, der am 25. Februar 1994 in Hebron 29 Araber ermordete. Goldstein war frühmorgens mit seinem Galil-Automatikgewehr in das Machpela-Heiligtum gestürmt und hatte wahllos in die Menge betender Palästinenser gefeuert. Als er zum zweiten Mal nachladen wollte, erschlugen ihn Überlebende mit einem Feuerlöscher.
Von dem Platz, an dem Goldsteins Grab liegt, kann man weit über das steinige biblische Land schauen. Jahrelang war dies die beliebteste Pilgerstätte der Groß-Israel-Fanatiker. Zu ihnen gehörte auch der Student Jigal Amir, der am 4. November 1995 in Tel Aviv Ministerpräsident Jizchak Rabin nach einer Friedensdemonstration erschoss. Er hat hier am Grab von Baruch Goldstein den Entschluss gefasst, den "Verräter" Rabin zu beseitigen.
Das Denkmal musste vergangenes Jahr auf Order der Regierung abgerissen worden. Nur die polierte Grabplatte des hochverehrten Massenmörders ist geblieben. Darauf steht: "Hier liegt der Heilige Doktor Baruch Kappel Goldstein. Ohne Fehl und mit reinem Herzen opferte er sich für sein Volk, die Tora und das Land Israel. Möge Gott diesen Gerechten segnen, sein Blut rächen, seiner Seele ewige Ruhe geben."
Kirjat Arba soll mittelfristig an den künftigen palästinensischen Staat übergeben werden. Tatsächlich aber wächst hier die jüdische Bevölkerung schneller als im israelischen Staat. Die Regierung in Jerusalem zahlt sogar Prämien an Juden, die sich in Hebron niederlassen. Palästinenser dagegen dürfen leer stehende Häuser im weiten Umkreis um "militärisch wichtige Objekte" nicht beziehen.
Und wo sie bauen, da müssen die Araber mit Sabotage rechnen. Nachts werden in Neubauten Zement und Ölfarbe auf neue Fußböden gegossen. Die Armee darf nicht eingreifen. Sie ist zwar für den Schutz der jüdischen Siedler vor den Arabern zuständig, aber nicht für den Schutz der Araber vor den Siedlern.
Die jüdischen Eremiten von Hebron, so schreibt auch die Tel Aviver Zeitung "Jediot Acharonot", gingen mit Gewalt und Drohungen gegen die Araber vor, wo die sich nicht freiwillig zurückzögen. Sie schmeißen arabischen Händlern die Obstkarren um und beschuldigen Araber, sich ihren Frauen unsittlich genähert zu haben. Und die Kinder ziehen durch die Straßen und rufen im Chor: "Araber verschwindet, dies ist unser Land." Die Aggressivität der Siedler, so sagt Vize-Verteidigungsminister Efraim Sneh, stimme ihn traurig. Aber keiner tut was dagegen.
Hebron, das heilige Pulverfass. Weil sie voll ist von historischen Gebäuden und Heiligtümern beider Konfessionen, wird die Hass-Stadt von Muslimen und Juden gleichermaßen als heilige Stätte verehrt. Die Heiligkeit bindet eine Menge Hysteriepotenzial. Auf jüdischer Seite bestimmen die so genannten Brooklyn-Zeloten, auf arabischer Seite die Hamas-Agitatoren die Richtlinien der Nachbarschaftspolitik.
Die rauen Sitten von Hebron bekam voriges Jahr auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei einem Besuch zu spüren. Ein jüdischer Siedler schrie ihn an: "Herr Präsident, zeigen Sie Ihr Nazi-Gesicht!" Die Bodyguards drängten den Mann zwar ab, aber es kam zum Tumult. Thierse musste den Rückzug antreten.
Die Straße zwischen Kirjat Arba und dem Stadtkern von Hebron ist mit Steinen übersät. Die kleineren liegen da noch von der Schülerdemonstration, die hier jeden Tag kurz vor Mittag durchtobt. Die dicken Felsbrocken haben Soldaten auf die Fahrbahn geworfen, um Autofahrer zu zwingen, langsam zu fahren.
Die Krawalle der letzten zwei Wochen haben die rund 500 Juden in den drei winzigen Enklaven in Hebron kaum berührt. 2500 israelische Soldaten und 180 internationale Beobachter sorgen dafür, dass ihnen kein Araber zu nahe kommt. Das Verhältnis zwischen den Beschützern und den Beschützten ist nicht besonders herzlich. Für die israelischen Soldaten ist es nur schwer nachzuvollziehen, dass sie hier eine gerechte Sache verteidigen.
Siedlersprecher David Wilder fühlt sich durch die Unruhen in seinem Vorurteil bestätigt: "Der Friede von Oslo war vorbei, noch bevor er begonnen hatte." Man sieht ihm an, dass er das nicht bedauerlich findet.
Wilder wohnt mit seiner Familie in einer Vier-Zimmer-Wohnung mit voller Feindsicht. Die Fenster zu den arabischen Nachbarn hat er mit Sandsäcken verbarrikadiert. Im Schlafzimmerschrank ist noch eine dicke Schramme zu sehen, die ein arabisches Kleinkalibergeschoss da hinterlassen hat.
Wilders Büro liegt im Keller eines mehrstöckigen, verschachtelten Gebäudes in Awraham Awinu, einer Trutzburg aus Resopal, Plastik und ockerfarbenem Tuffstein. Im Inneren der Burg ein Ambiente wie im polnischen Schtetl: Die Männer tragen schwarze Hüte und Schläfenlöckchen, die Frauen Häubchen und lange Röcke. Über der Front ein Spruchband: "Dieses Gebäude wurde errichtet auf einem Gelände, das die Araber gestohlen hatten."
Warum tun sie sich das an diese Bunkerexistenz, dieses Leben im Dauerstress, die permanente Feindschaft mit den arabischen Nachbarn? Es gibt doch reichlich Platz im Heiligen Land, wo sie entspannt und trotzdem gottgefällig leben könnten.
Wilders Antwort ist die Standardfloskel, mit der in Hebron Absurditäten aller Art begründet werden: "Wir haben ein Recht, hier zu sein." ERICH WIEDEMANN