Vanille-Boom Ein Zaubergewürz, wertvoller als Silber

Natürliche Vanille ist rar und teuer. Das ruft Agraringenieure aus den Niederlanden auf den Plan: Lassen sich die empfindlichen Schoten in Gewächshäusern züchten?
Handbestäubung der Vanille auf Madagaskar: 600 Blüten ergeben gerade mal ein Kilogramm der schwarzen Stangen

Handbestäubung der Vanille auf Madagaskar: 600 Blüten ergeben gerade mal ein Kilogramm der schwarzen Stangen

Foto: Rijasolo / Riva Press / laif

Bleiswijk, ein unscheinbares Städtchen nahe Rotterdam. Hier reiht sich ein gigantisches Gewächshaus an das andere, es ist eine abgeschottete, künstliche Welt aus Glas und Hightech, in der es nie zu warm, zu kalt, zu feucht oder zu dunkel wird. Auf industrielle Weise wachsen hier Tonnen über Tonnen Zucchini, Paprika und Auberginen, selbst Bonsaibäume und Bambus.

Mittendrin steht ein Gewächshaus, das anders ist. Wageningen University & Research, ein Ableger der berühmten Landwirtschaftsuniversität von Wageningen, entwickelt hier auf 15.000 Quadratmetern das Treibhaus der Zukunft. Es soll nachhaltiger werden, emissionsfrei - und rentabler.

Im Forschungsgewächshaus untersuchen Spezialisten, was LED-Rotlicht mit Tomaten macht (spart Energie und verdoppelt den Vitamingehalt) oder wie hilfreich sensorbestückte Roboter bei der Früherkennung von Krankheiten sind (weil sie 24 Stunden am Tag im Dienst sind, erwischen sie Schädlinge, bevor diese zum Problem werden). Und sie fahnden nach neuem Leben für die Treibhäuser: lukrativen Gewächsen, die sich der Aufzucht unter Glas bislang widersetzten.

Ein heller Flur, links vier Meter hohe Gurken auf Kokossubstrat, dann erreicht Filip van Noort, 50, seine Forschungsparzelle. Er ist sichtlich stolz auf das, was in diesem Raum üppig gedeiht. "Das ist Pionierarbeit", sagt er. Von seinen Vorgängern in der Welt ist jeder einzelne gescheitert, er nicht. Hier, auf rund 150 Quadratmetern, päppelt er die Königin der Gewürze: Vanille.

In langen Reihen ranken grüne Lianen mit lederartigen Blättern in die Höhe. Ganze Knäuel bohnenförmige Samenkapseln hängen daran, manche sind 25 Zentimeter lang. Van Noorts Mitarbeiter haben die Zahl der Vanillefrüchte gezählt. Es sind nahezu 3500 Stück, genug für eine Ernte von voraussichtlich 20 Kilo, 20-mal so viel wie im Jahr zuvor. "Wir haben in kurzer Zeit viel erreicht", sagt van Noort.

Begonnen hatte er 2012. Schwierig war es vor allem, die Schlingpflanze zur Blüte zu bringen. Die Vanille zählt zu den Orchideen, und an deren Blühverweigerung sind schon viele Gärtner verzweifelt.

Van Noort allerdings rückte ihr zu Leibe mit 25-jähriger Erfahrung im Anbau exotischer Topfpflanzen. Bald fand er die richtige Mixtur aus Licht, Temperatur, Wasser und Dünger. Die genaue Erfolgsformel hält er geheim, kein Wunder: Sie könnte sich schnell als sehr wertvoll erweisen.

Für das Zaubergewürz Vanille, weltweit beliebt in Eis, Gebäck, Schokolade, Pudding und Joghurt, selbst in Cola, Parfum und Zigaretten, scheint jetzt eine neue Ära anzubrechen, eine Zukunft jenseits der Tropen.

Bisher ist die ostafrikanische Insel Madagaskar der weltgrößte Vanilleproduzent. Das bitterarme Land hält einen Anteil von über 60 Prozent am Weltmarkt. Auf den dortigen Plantagen stellen rund 80.000 Kleinbauern pro Jahr etwa 1500 Tonnen der schwarzen Stangen für den Export her. Ihnen könnte nun starke Konkurrenz erwachsen - und zwar ausgerechnet von dem Land mit den ausgebufftesten Agrarproduzenten überhaupt.

Forscher van Noort im Gewächshaus Teurer als Silber

Forscher van Noort im Gewächshaus Teurer als Silber

Foto: David van Dam / De Beeldunie

Gewürzhändler aus aller Welt pilgern schon jetzt nach Bleiswijk zu van Noort und seiner Entourage. "Alle waren hier", sagt er. "Amerikaner, Franzosen, Deutsche. Das Interesse ist enorm." Ein Konsortium von vier niederländischen Gewächshausbetreibern und einem Gewürzspezialisten ist derzeit dabei, eine Firma zu gründen. Im Dezember soll es losgehen: Auf zunächst 6000 Quadratmeter Treibhaus wollen die Dutch Vanilla Growers 30.000 Pflanzen der Art Vanilla planifolia ziehen.

Das Unterfangen ist schwierig und ökonomisch riskant. Frühestens nach zwei Jahren werden die Pflanzen blühen. Wenn es dann so weit ist, bilden sich täglich neue Blüten, aber jede einzelne ist nur einen Vormittag geöffnet. Innerhalb dieser Stunden muss ein Mensch mühevoll per Hand die Bestäubung vornehmen; er muss die Barriere zwischen den männlichen und weiblichen Fortpflanzungsorganen in der Blüte mit einem Stechinstrument aufreißen und dann beide Teile aufeinanderdrücken.

In der Heimat der wilden Vanille, Mexiko, übernehmen spezielle Bienen und Kolibris diese Arbeit. Überall sonst, ob draußen oder drinnen, erfordert die Vanille fleißiges Personal sieben Tage pro Woche; 600 bestäubte Blüten ergeben gerade mal ein Kilogramm schwarze Vanillestangen.

Erst sechs Monate nach der Bestäubung wird die Vanillekapsel erntefähig sein - aber immer noch nicht marktreif: Bis sie ihr typisches Aroma entwickelt, müssen die Früchte weitere zwei Monate lang unter einer Wärmequelle fermentieren.

Die erste Ernte der Dutch Vanilla Growers wird 2020 erwartet, deutlich mehr als eine Tonne dürfte es auf Anhieb werden. Schon jetzt wird über Terminkontrakte gesprochen; die Nedervanille, wie sie heißen soll, wird verkauft sein, lange bevor der erste Steckling an den Start geht.

Optimisten im Gewerbe sehen in der Vanille gar die Chance, dass sie sich für die niederländische Agrarindustrie zur Tomate des 21. Jahrhunderts auswachsen könnte. Wenn der Markt so verrückt bleibt wie derzeit, könnte das sogar klappen.

Viele Jahre lang wurden für ein Kilogramm Vanille nicht mehr als 20, 30 Dollar bezahlt, so wenig, dass sich viele Bauern anderen Gewächsen zuwendeten. Seit 2015 aber gehen die Preise durch die Decke. Aktuell kostet ein Kilogramm atemberaubende 600 Dollar, mehr als Silber, mehr als je zuvor. "Im Augenblick ist keine Vanille mehr zu bekommen", sagt Berend Hachmann, Inhaber des Hamburger Handelshauses Aust & Hachmann. Nachschub gebe es frühestens ab November.

Die Gründe für die Preisexplosion sind vielfältig. Händler aus Madagaskar halten einiges an Vanille zurück und spekulieren auf noch höhere Preise. Viele Konsumenten hingegen fordern mittlerweile natürliche Zutaten in ihrem Essen. Mit synthetischem Vanillin, das in gewaltigen Mengen aus Holzabfällen oder aus der Erdölchemie gewonnen wird, wollen sie sich nicht mehr zufriedengeben. Der Nahrungsmittelgigant Nestlé hat daher entschieden, zumindest in den USA in seinen Produkten nur noch echte Vanille zu verwenden. Die Nachfrage treibt den Preis - und bizarrerweise senkt sie gleichzeitig die Qualität.

Foto: DER SPIEGEL

Seit an jeder Pflanze ein Vermögen hängt, hat der Diebstahl von Vanille auf Madagaskar enorm zugenommen. Die Bauern sind nicht in der Lage, ihre Gewächse hinreichend zu bewachen, auch die Polizei kann in dem weiten Areal im Nordosten der Insel wenig ausrichten. Daher schützen sich viele Bauern durch eine viel zu frühe Ernte. Heutige Madagaskar-Vanille kommt nur noch auf einen Vanillinanteil von einem Prozent. Vor wenigen Jahren waren es noch 1,8 Prozent.

Anfang März krachte ein Zyklon in das Anbaugebiet, der stärkste seit über einem Jahrzehnt. Hunderttausende Menschen wurden obdachlos, mindestens 81 starben - und knapp ein Drittel der Vanilleplantagen wurde zerstört. Kaum machte diese Nachricht die Runde, stieg der Kilopreis um weitere 100 Dollar. Es wird Jahre dauern, bis die vernichteten Pflanzen ersetzt sind.

Van Noort hingegen hat im Gewächshaus keinen Zyklon zu befürchten, keine Diebe, keine Probleme mit Kinderarbeit, ausbeuterischen Zwischenhändlern oder übermäßigem Pestizideinsatz. Bei ihm reifen die Schoten genau so lange, wie sie sollen. Darum ist die Nedervanille schon jetzt objektiv ein besseres Produkt als die madegassische Bourbonvanille: Van Noorts Schoten erreichen aus dem Stand einen Vanillingehalt von 1,82 Prozent, weitere Steigerungen dürften möglich sein.

Wird niederländische Turbovanille also arme Bauern auf Madagaskar um ihren Lebensunterhalt bringen? Van Noort winkt ab. "Gewächshäuser sind sehr teuer", sagt er. "Es wird lange dauern, bis sich so eine Investition trägt." Niemals werde Nedervanille über den Preis mit Madagaskar konkurrieren können. Die einzige Chance der Niederländer bestehe in der Qualität. Aber wenn sie es gut angingen, so hofft er, könnten die Dutch Vanilla Growers dazu beitragen, dass sich der zuletzt so heißgelaufene Gewürzmarkt preislich stabilisiert.

Der Bezwinger der Vanille ist noch nicht am Ziel. Van Noort will einen Weg finden, die Pflanze schneller zur Blüte zu bringen, er will ertragreichere Sorten suchen und Resistenzen gegen Krankheiten in die Pflanze züchten.

Und danach wird sich der Forscher vielleicht mit einem Problem beschäftigen, das Nedervanille doch noch zu einem überwältigenden Verkaufsschlager machen könnte: Wenn es gelänge, die Pflanze so zu manipulieren, dass sie sich ohne Hilfe selbst bestäubt, dann entfiele ein Großteil der teuren Handarbeit. "Aber davon", sagt van Noort, "sind wir noch 10 bis 20 Jahre entfernt."

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