Medizin Kann falsche Ernährung bei Kindern zu Autismus führen?

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Foto: Jan Woitas/ picture alliance / dpaWenn das Kind nicht mehr lacht, keinem in die Augen schaut und den Kopf hin und her wiegt, dann hat es wohl die "Krankheit des Westens" bekommen.
So wird das Leiden von den Eltern genannt - Somaliern, die Anfang der Neunzigerjahre vor dem Bürgerkrieg nach Kanada geflohen sind. Denn in ihrer Muttersprache gibt es keinen eigenen Begriff für Autismus; die Krankheit wird in Ostafrika selten diagnostiziert. Erst in Nordamerika, aber auch in Großbritannien und Schweden entwickeln viele somalische Kinder Züge von Autismus. Der Ausbruch der Störungen in der Diaspora ist Ausgangspunkt einer faszinierenden medizinischen Theorie: Ernähren sich Kinder in westlichen Industriegesellschaften falsch und werden deshalb verstärkt von schädlichen Darmbakterien besiedelt, die autistisches Verhalten auslösen können?
Einer, der das glaubt, ist der kanadische Arzt Derrick MacFabe, 55. In Toronto hat er Stuhlproben autistischer Kinder untersucht, deren Eltern aus Somalia stammen. Er sagt: "Ernährungsweise, Darmbakterien und autistisches Verhalten sind womöglich miteinander verbunden. Es könnte sein, dass die Mikroben das Gemüt verändern."
Bei Autismus gebe es eine "mögliche Verknüpfung" zwischen Darmbakterien und dem Gehirn, bestätigt auch der Mikrobiologe Sarkis Mazmanian vom California Institute of Technology. Er hat sogar ein Start-up (Axial Biotherapeutics) mitgegründet, um diese Spur zu verfolgen. Am Ende könnte eine ganz neue Autismus-Therapie stehen - eine, die bei einer Veränderung der Darmflora ansetzt.
Tatsächlich haben autistische Kinder häufig Verdauungsprobleme. Sie lassen Winde fahren, haben Durchfall oder sind verstopft. Das geht einher mit einer auffälligen Darmflora: Im Vergleich zu gesunden Mädchen und Jungen tragen junge Autisten mehr schädliche Clostridien sowie Sutterella-Bakterien in sich - dafür kommen nützliche Bakterien vom Typ Prevotella und Bacteroides seltener vor.
Doch wie könnte eine Fehlbesiedlung zu autistischen Verhaltensweisen führen?
Viele Forscher teilen inzwischen die Überzeugung, dass der Verdauungsapparat und das Denkorgan miteinander verbunden sind. So stellen Darmbakterien Dopamin, Noradrenalin und Serotonin her - Neurotransmitter, die das Gefühlsleben beeinflussen. Darüber hinaus verwerten Mikroben mehrkettige Kohlenhydrate aus der Nahrung und verwandeln sie in kurzkettige Fettsäuren wie Butter-, Essig- oder Propionsäure. Und diese wirken auf das Nervensystem.

MacFabe vermutet folgendes Szenario: Die schädlichen Darmbesiedler führen zu einer Überproduktion kurzkettiger Fettsäuren, die über das Blut in das zentrale Nervensystem gelangen und das Gehirn manipulieren. Der Betroffene entwickelt daraufhin Heißhunger auf westliche, energiedichte Nahrung, die seine Darmbakterien als Futter bevorzugen. Außerdem bekommt er Durchfall und neigt zum Kotschmieren - Symptome bei Autismus, die dazu beitragen, dass die betreffenden Darmbakterien sich ausbreiten können.
Um seine Vermutung zu überprüfen, spritzte MacFabe Propionsäure in Ratten - und zwar direkt in jene Körperflüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt. "Die Tiere zeigten daraufhin Verhalten wie Hyperaktivität, Objektfixiertheit, Tics", berichtet MacFabe. "Die Tatsache, dass dieses kleine Molekül im Gehirn so viele Symptome des Autismus hervorrufen kann, legt den Schluss nahe, dass Darmbakterien die treibende Kraft hinter der psychischen Erkrankung sind."
Wenn sich das bewahrheitete, könnte eine Normalisierung der Darmflora gegen Autismus helfen. Die Forscherin Rosa Krajmalnik-Brown von der Arizona State University in Tempe hat dazu mit Kollegen ein delikates Experiment gewagt. Sie attackierten die mutmaßlich entgleiste Darmflora von 18 jungen Autisten mit einem Antibiotikum und entleerten den Verdauungstrakt mit einem Abführmittel. Den Autisten wurde nun über einen Schlauch eine Bakterienlösung in den Darm gespült, die aus Fäkalien gesunder Spender stammte. Auf diese Weise erhielten die Patienten Billionen Bakterien, die zu Hunderten verschiedenen Arten gehörten.
Das verblüffende Ergebnis der Mikrobenverpflanzung: Nach acht Wochen hatten sich die Spenderbakterien in ihrer neuen Heimat angesiedelt. Die Empfänger bekamen wieder eine geregelte Verdauung - und zeigten weniger autistische Verhaltensweisen als vorher. Schon bald wollen die Forscher ihre Methode in einer streng kontrollierten Studie abermals testen.
Aber vielleicht wäre es schon mit einer Ernährungsumstellung getan. Wer sich ausgewogen und ohne Fast Food ernährt, der normalisiert ohnehin seine Darmflora - und damit vielleicht auch seine Psyche.
Darauf deuten Interviews hin, welche die US-Soziologin Claire Decoteau mit somalischen Eltern autistischer Kinder geführt hat, die nach Afrika zurückgekehrt sind. Wie von Geisterhand schwanden in der Heimat die autistischen Symptome. Nach ein paar Monaten, erzählte eine Mutter, sei ihr Sohn wieder normal gewesen.