Wirtschaftsexperte über digitale D-Mark "Deutschland könnte vermutlich auf einen Schlag seine Schulden zurückzahlen"

Der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff hält es für möglich, dass Staaten ihr eigenes Cybergeld erschaffen. Kommt die D-Mark als Digitalwährung zurück?
Kenneth Rogoff

Kenneth Rogoff

Foto: Ruben Sprich/ REUTERS

Kenneth Rogoff, 64, gilt als Kritiker des Bargelds. Der Aufstieg von Kryptowährungen könnte seiner Ansicht nach den Abschied vom Papiergeld beschleunigen.

SPIEGEL: Herr Rogoff, die Welt hatte sich gerade daran gewöhnt, dass der Kurs des Bitcoin beständig steigt, da haben Kryptowährungen zeitweise drastisch an Wert verloren. Platzt da eine Spekulationsblase?

Rogoff: Ich bin mir nicht sicher, ob es weiter nach unten geht. Bei den heutigen Kryptowährungen handelt es sich in der Regel um digitales Geld, dessen Nutzer anonym bleiben. Wenn man die Geschäfte transparent machen würde, wären die Währungen in ihrer heutigen Form wenig wert. Aber die Technologie dahinter, die Blockchain, hat großes Potenzial. Ich bin daher überzeugt, dass Cyberwährungen noch eine große Rolle spielen werden.

SPIEGEL: Was hat im vergangenen Jahr zu dieser Kursexplosion geführt?

Rogoff: Entscheidend war, dass Japan Bitcoin quasi als öffentliches Zahlungsmittel anerkannt hat. Ich glaube, das war ein großer Fehler. Japan hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Bitcoin-Transaktionen würden registriert, damit sei das Geldwäscheproblem gelöst. Aber transparent ist nur, wer am Ende mit Bitcoin gezahlt hat, und nicht, ob vorher zum Beispiel ein Drogenkartell Bitcoin ins Land gebracht hat. So ist Japan womöglich zu einem globalen Geldwäschezentrum geworden.

SPIEGEL: Würden Sie dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zustimmen, der gesagt hat, der Bitcoin müsse verboten werden, weil er keine gesellschaftlich nützliche Funktion erfüllt?

Rogoff: Ich finde nicht, dass man Kryptogeld verbieten sollte, aber man muss es regulieren und aus der Anonymität holen. Ähnlich wie große Geldscheine kann es sonst für kriminelle Zwecke missbraucht werden.

SPIEGEL: Könnten Kryptowährungen Bargeld auf Dauer überflüssig machen?

Rogoff: Grundsätzlich könnte ein digitales Zahlungsmittel Papiergeld ersetzen. Papiergeld ist ohnehin auf dem Rückzug, sogar in Deutschland. Es heißt immer, die Leute vertrauten den Banken nicht und horteten deshalb Bargeld. Aber die Nachfrage nach großen Banknoten kommt vor allem aus der Schattenwirtschaft. Genauso ist es beim Bitcoin.

SPIEGEL: Es gibt auch andere Vorteile, mit Digitalwährungen können Zahlungen effizienter abgewickelt werden.

Rogoff: Die Blockchain-Technologie - eine Art dezentrales, verschlüsseltes Grundbuch - könnte viele Mittlerfunktionen überflüssig machen, nicht nur bei Zahlungen, sondern bei Verträgen aller Art. Aber wenn die libertären Prediger der Bitcoin-Community glauben, sie könnten mit einer Kryptowährung die staatliche Hoheit über das Geldwesen umgehen, dann irren sie. Regierungen setzen die Regeln, und sie werden die Kontrolle über Zahlungsmittel und Geldpolitik nicht aus der Hand geben.

SPIEGEL: Warum haben die Regierungen bisher kaum eingegriffen?

Rogoff: Der private Sektor hat im Geldwesen immer die Innovationen hervorgebracht, auch die Kryptowährungen sind eine bahnbrechende Neuerung. Kredit- und Debitkarten beispielsweise sind heute sehr teuer. Das wird sich durch die Blockchain ändern, so wie einst die Internettelefonie die Telefongebühren gedrückt hat. Aber jetzt ist ein Punkt erreicht, wo Regierungen die Kontrolle über die Entwicklung gewinnen wollen.

SPIEGEL: Venezuela möchte eine eigene Kryptowährung, den Petro, in Umlauf bringen. Kann dieses staatliche Digitalgeld ein Erfolg werden?

Rogoff: Venezuela hat null Glaubwürdigkeit, deshalb würde das nicht funktionieren. Aber Länder wie Nordkorea, Iran oder Russland, die sich als Verlierer des globalen Geldsystems sehen, werden Bitcoin weiterhin gezielt nutzen, etwa um amerikanische Sanktionen zu umgehen.

SPIEGEL: Diese Nachfrage wird den Kurs des Bitcoin stützen?

Rogoff: Ja. Aber es gibt mindestens eine weitere Gefahr für den Bitcoin. Ich nenne sie das Myspace-Risiko. Myspace war ein aussichtsreiches soziales Netzwerk, bis Facebook ein etwas besseres entwickelt hat. Da kollabierte Myspace. Das Gleiche kann dem Bitcoin passieren.

SPIEGEL: Es geht folglich nicht darum, ob, sondern in welcher Form Kryptowährungen überleben. Was wäre beispielsweise, wenn die Bundesbank eine Cyberwährung ausgeben würde?

Rogoff: Eine digitale D-Mark ist nur theoretisch denkbar, weil die Bundesbank die Hoheit über die Währung an die EZB abgegeben hat. Aber angenommen, die Bundesbank könnte eine Cyberwährung ausgeben, würde sie ein gigantischer Erfolg. Deutschland könnte vermutlich auf einen Schlag seine Schulden zurückzahlen, weil eine anonyme deutsche Digitalwährung begehrt wäre. Aber sie würde auch Probleme schaffen. Jeder würde die Währung nutzen wollen, und das würde die Welt ins Chaos stürzen.

SPIEGEL: Werden Zentralbanken also eher transparente Digitalwährungen ausgeben?

Rogoff: Ja, staatliches digitales Geld wird kommen. Allerdings ist es für Zentralbanken nicht so einfach, mit einer großen Zahl von Kleinkunden umzugehen. Dennoch glaube ich, dass die Bürger in Europa binnen fünf oder zehn Jahren die Möglichkeit bekommen, Konten über kleinere Beträge einer Digitalwährung bei der EZB zu halten. Die Bank of England, die Notenbank von Schweden und andere Zentralbanken arbeiten bereits an solchen Konzepten.

SPIEGEL: Das würde die Rolle von Banken stark verändern.

Rogoff: Banken würden in ihrer Mittlerrolle drastisch beschnitten. Auch deshalb zögern die Zentralbanken. Sie wollen die Kreditinstitute auf keinen Fall destabilisieren.

SPIEGEL: Sollten Notenbanken koordiniert vorgehen, um Chaos zu vermeiden?

Rogoff: Sie sollten gemeinsame Regeln für den Gebrauch von Kryptowährungen aufstellen. Japan zeigt, was passiert, wenn ein Land einen Alleingang macht. Aber bei der Herausgabe eigener Digitalwährungen wird jeder seinen Weg gehen. China sieht darin eine Chance, den Dollar als Weltreservewährung abzulösen. Das würde das globale Machtgefüge verschieben. Deshalb prüft auch die Fed mögliche Wege zum digitalen Dollar. Sie wäre verrückt, wenn sie es nicht täte.

SPIEGEL: Auch große Technologiekonzerne wie Amazon denken offenbar darüber nach, digitales Geld auszugeben, das Kunden auf ihrer Plattform nutzen könnten. Würde das funktionieren?

Rogoff: Grundsätzlich ja. Schon heute werden die meisten Zahlungen elektronisch getätigt und abgewickelt. Aber wenn es Amazon-Coins gäbe, würde die US-Regierung Zugriff auf die Transaktionsdaten verlangen. Deshalb wird sich Amazon das gut überlegen.

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