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Abgeordneter Koschorrek: Begehrter Partner, fürstliche Honorare

Foto: MARCO-URBAN.DE

Lobbyismus 1000 Euro in 30 Minuten

Ein Zahnarzt aus Bad Bramstedt wurde zum begehrten Geschäftspartner von Pharmakonzernen - und kassierte als Bundestagsabgeordneter hohe Vortragshonorare.
Von Hannes Vogel

Was auch immer Rolf Koschorrek jetzt sagt, ist mindestens 1000 Euro wert. Der Bundestagsabgeordnete sitzt auf einem Podium der Saarländischen Landesvertretung in Berlin, es geht um Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Koschorrek wirft ein paar dürre Sätze in die Diskussion, nebenbei tippt er auf seinem Handy, zum Abschied werden fleißig Hände geschüttelt. Als der CDU-Mann zielstrebig den Ausgang ansteuert, flüstert ihm eine Dame zu: "Ganz, ganz toll, dass du eingesprungen bist."

Termine wie dieser sind für Koschorrek Routine. Mehr als 64.000 Euro hat er sich insgesamt mit 54 Auftritten verdient - der Volksvertreter gehört zu den besonders fleißigen Vortragsreisenden der Berliner Politik. Novartis, Pfizer und zahlreiche weitere Pharmaunternehmen haben seine Dienste gebucht. Berater wie Gisela Merck, die mit ihrer Firma Cognomed "zielgerichtetes Lobbying" betreibt und für die Koschorrek kurzfristig zur Verfügung stand, können auf ihn als verlässlichen Partner bauen.

Kaum eine andere Branche übt in Berlin so viel Einfluss aus wie das milliardenschwere Gesundheitswesen. Und kein zweites Gremium im Bundestag ist für die Lobbyisten so interessant wie der Gesundheitsausschuss. Was die Abgeordneten dort beschließen, hat Folgen für die Industrie, für Krankenkassen und Kliniken. Intensiv kümmern sich deren Vertreter deshalb um die Ausschussmitglieder. Großzügige Vortragshonorare sind ein beliebtes Mittel, um den Gedankenaustausch zu befördern.

Lehrstück für Parlamentarier

In welche Interessenkonflikte Abgeordnete dabei geraten können, zeigt die Karriere von Rolf Koschorrek. Der Zahnarzt aus dem Holsteiner Auenland zog vor acht Jahren in den Bundestag, um die Anliegen der Menschen in seinem Wahlkreis zu vertreten - am Ende wurde er zum begehrten Geschäftspartner privater Firmen. Seine Geschichte ist ein Lehrstück für Parlamentarier, denn gleich nach den Bundestagswahlen werden die Karten im Gesundheitsausschuss neu gemischt. Dann geht es für die Pharmaflüsterer wieder darum, Verbündete zu finden, Abgeordnete, die sich für ihre Belange einsetzen.

So wie Rolf Koschorrek. Das Geschäftsgebaren der Branche konnte er von 2005 an studieren, zunächst als einfaches Ausschussmitglied. Der Christdemokrat aus Bad Bramstedt wirkt sympathisch, spielt Trompete in Jazzbands, kann auf Leute zugehen. Nach vier Jahren stieg Koschorrek zum stellvertretenden gesundheitspolitischen Sprecher seiner Fraktion auf - plötzlich war er für die Industrie wichtig.

Nervös hatten Pharmakonzerne im Sommer 2010 verfolgt, wie das geplante Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) ihr Geschäft bedrohte. Das Gesetz sollte die Hersteller erstmals zwingen, den Zusatznutzen ihrer neuen Medikamente nachzuweisen und dann die Preise mit den Krankenkassen auszuhandeln. Ein Schock für die Konzerne, derartige Eingriffe in ihre Preisgestaltung mochten sie nicht hinnehmen.

Mann vom Fach

Am 6. Oktober, während im Bundestag Änderungsanträge für das AMNOG beraten wurden, eröffnete das Pharmaunternehmen AstraZeneca sein Hauptstadtbüro. Die Firma bat Koschorrek und einen Krankenkassenchef zum Gespräch mit dem Deutschland-Boss von AstraZeneca. Der ZDF-Mann Cherno Jobatey moderierte. Mehr als 1000 Euro zahlte der Hersteller an Koschorrek.

Bei einem weiteren Termin redete der CDU-Abgeordnete wieder bei AstraZeneca über das Gesetz. Die Firma überwies erneut zwischen 1000 und 3500 Euro - die genaue Höhe ist unbekannt, weil Parlamentarier ihre nebenberuflichen Einkünfte nur in Stufen angeben müssen.

Auch bei Novartis trat Koschorrek als Redner auf. Für 30 Minuten erhielt er im Oktober 2010 ebenfalls mehr als 1000 Euro. Und weil er als Zahnarzt ja nun wirklich ein Mann vom Fach ist, hielt er im selben Jahr weitere bezahlte Vorträge, etwa bei Gesellschaften des US-Konzerns Pfizer und des belgischen Medikamentenherstellers UCB.

Er habe sich auf seine Reden intensiv vorbereitet und arbeite grundsätzlich nicht umsonst, erklärt Koschorrek zu den Nebentätigkeiten: "Pharmanähe muss man mir erst mal nachweisen." Im Übrigen habe ihn 2010 kein Pharmakonzern gebeten, über das AMNOG zu sprechen. Bei einem seiner Auftraggeber, AstraZeneca, klingt das anders: Gesprochen wurde über "aktuelle Entwicklungen wie das AMNOG", heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens über seine Veranstaltung mit Koschorrek.

Störfaktor Sawicki muss seinen Posten räumen

Noch im Herbst 2010 wurde das ungeliebte Gesetz entschärft. Die schwarz-gelbe Koalition schrieb offenbar fast wortgleich Formulierungen beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller ab. Wie der Nutzen von neuen Medikamenten geprüft wird, soll demnach das von der FDP geführte Gesundheitsministerium festlegen. Und nicht, wie ursprünglich geplant, der Gemeinsame Bundesausschuss - das Selbstverwaltungsgremium gilt in der Industrie als schwierig und unbequem, weil dort Kassenvertreter auf Nutzen und Kosten achten.

Um einen anderen Störfaktor hatte sich Koschorrek bereits gleich nach der Wahl 2009 gekümmert. Mit Jens Spahn, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, und weiteren Parteifreunden ging er damals den größten Kritiker der Pharmaindustrie an: Peter Sawicki. Der Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte mehrere neue Medikamente als Scheininnovationen entlarvt; in der Regel weigerten sich die Krankenkassen, dafür zu zahlen.

In "Kernforderungen an eine schwarz-gelbe Gesundheitspolitik" verlangten die Gesundheitsexperten der Union, die Arbeit des IQWiG "neu zu ordnen". Die "Neuausrichtung muss sich auch in der personellen Spitze des Hauses niederschlagen". Wenig später stand fest, dass Sawicki seinen Posten räumen muss, zur Freude der Industrie.

Einen guten Draht entwickelte Koschorrek in dieser Zeit zum Verband der Deutschen Dental-Industrie. Die Zahntechnikhersteller mussten 2010 Einbußen fürchten, weil die Koalition den Krankenkassen Sparmaßnahmen verordnen wollte. Nur zu gern hätten die Verbandsleute erfahren, wo die Politiker den Rotstift ansetzen wollten. So ließe sich womöglich rechtzeitig eine Gegenposition aufbauen und das Schlimmste verhindern.

Im Juni 2010 luden sie den Christdemokraten als Redner ein. Danach war ihnen vieles klarer: Koschorrek habe, heißt es in einer Mitteilung des Dentalverbands, "Vorschläge für Sparmaßnahmen aus dem Papier" zitiert, "das er gemeinsam mit seinem Abgeordnetenkollegen Jens Spahn für die Sitzungen der Gesundheitsfachleute der Koalition in der vergangenen Woche erarbeitet hatte".

"Ich kann Berufliches und Privates sauber trennen"

Bundestag und Öffentlichkeit informierte der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) über Details erst Wochen später. Er habe über die aktuelle Situation in der Gesundheitspolitik berichtet, erklärt Koschorrek zu seinem Auftritt. Der Dentalverband zahlte ihm dafür die bis dahin höchste Vortragsgage seiner Abgeordnetenkarriere - zwischen 3500 und 7000 Euro.

Voriges Jahr erweckte der Parlamentarier den Eindruck, sich sogar um die Partikularinteressen eines einzelnen Unternehmens zu kümmern: B. Braun Melsungen ist einer der weltweit führenden Medizintechnikhersteller mit Sitz in Hessen. Das Unternehmen will seine medizinischen Mundspülungen und Shampoos besser positionieren. Diese Mittel sollen gegen Bakterien zum Einsatz kommen, denen Antibiotika nichts anhaben können. Bisher müssen die Krankenkassen in der Regel die Kosten für die ambulante Form dieser Keimentfernung nicht übernehmen.

Eine Gesetzesänderung stand nicht auf der Agenda. Trotzdem versuchte Koschorrek mit einem FDP-Kollegen, die von B. Braun erhoffte Erstattungspflicht in einer Reform arzneimittelrechtlicher Vorschriften unterzubringen. Er habe selbst mit antibiotikaresistenten Keimen zu kämpfen gehabt, erklärt Koschorrek die Initiative. Der Vorstoß wurde zwar damals nicht richtig bekannt und kam nicht ins offizielle Gesetzgebungsverfahren. Dennoch frohlockte B. Braun auf der Firmenseite, ein entsprechender Antrag sei gestellt.

Die Berliner Lobbyistin von B. Braun unterhält offenbar enge Kontakte zu Koschorrek. Wie eng, wollen beide nicht sagen. Das sei Privatsache, so der CDU-Politiker. Er könne Berufliches und Privates sauber trennen.

Nur seinem Gewissen unterworfen

Koschorreks Umtriebigkeit wurde auch in seinem Wahlkreis bemerkt - weil er daheim kaum noch präsent war. Zur Bundestagswahl im September stellten seine Parteifreunde einen neuen Kandidaten auf.

Um seine berufliche Zukunft muss sich Koschorrek deshalb aber nicht sorgen. Seit Januar 2012 vertritt der Abgeordnete neben den Menschen in seinem Wahlkreis auch den Bundesverband der Freien Berufe als Präsident. Ein Gehalt gebe es dafür nicht, sagt Koschorrek, bloß eine Aufwandsentschädigung. Zwischen 3500 und 7000 Euro monatlich.

Zu Beginn des Jahres, den Abschied vom Bundestag vor Augen, drehte Koschorrek noch einmal auf. Bei einem Parlamentarischen Abend mit dem kalifornischen Hersteller Genomic Health begrüßte er die Gäste zu einem Dinner-Menü; das Unternehmen zahlte ihm dafür mehr als 1000 Euro.

In einem Brief hatte er sich zuvor an seine Ausschusskollegen gewandt. Als Vertreter des Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen, lud Koschorrek die Abgeordneten "im Namen des Unternehmens herzlich ein".

Der Autor ist freier Journalist und wurde mit einem Stipendium der Otto Brenner Stiftung gefördert und von Netzwerk Recherche unterstützt.

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