DER SPIEGEL

Exklusive SPIEGEL-Recherche Das Geheimnis des Cristiano Ronaldo

Eine Amerikanerin geht in Las Vegas zur Polizei. Sie behauptet, Cristiano Ronaldo habe sie vergewaltigt. Ob das wirklich geschah, wird nie aufgeklärt. Rechtsanwälte regeln den Fall, der Real-Star zahlt der Frau: 375.000 Dollar.

Gott sei immer an seiner Seite. Er könne das fühlen, sagt Cristiano Ronaldo. "Da ist jemand, der mich lenkt."

Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro, 32, geboren in Funchal auf Madeira, getauft in der Kirche Santo António, gesegnet mit Talent. Der Weltfußballer von Real Madrid bekreuzigt sich oft nach einem wichtigen Tor oder schickt mit einer Geste Grüße in den Himmel.

Eine Zeit lang trug er zum Zeichen seiner Gläubigkeit auch einen Rosenkranz um den Hals. Es gibt Fotos von Ronaldo, auf denen die Gebetskette zu sehen ist. Sie ist weiß. Die Farbe der Unschuld.

Der weiße Rosenkranz blieb auch einer jungen Frau in Erinnerung, die Ronaldo am 12. Juni 2009 in Las Vegas getroffen hat. Er machte dort Urlaub mit seinem Schwager und einem Cousin. Die Amerikanerin war die Zufallsbekanntschaft einer langen Partynacht. Ein Flirt.

Irgendwann landeten die hübsche Frau und der berühmte Kicker im Schlafzimmer einer Suite im Palms Place Hotel.

Laut einem Polizeiprotokoll soll es da schon früh am Morgen gewesen sein.

Was in jener Nacht und in diesem Schlafzimmer geschehen sein soll, beschreibt Susan K. in einem Brief an Ronaldo, den sie über ein Jahr nach der Begegnung verfasste. Er ist verstörend. Ein langer, gellender Aufschrei.

K. behauptet darin, von Ronaldo vergewaltigt worden zu sein. Der weiße Rosenkranz, "the white rosary", taucht ungefähr in der Mitte des Briefes auf. "Du sprangst von hinten auf mich", schreibt Susan K., "mit einem weißen Rosenkranz um deinen Hals!!" Es folgen zwei Fragesätze, die sie mit Ausrufezeichen beendet:

"Was würde Gott darüber denken!!!

Was würde Gott über Dich denken!!!"

Der Brief von Susan K. an Ronaldo liegt dem SPIEGEL vor. Er gehört zu einer Dokumentensammlung, die das Enthüllungsportal Football Leaks dem Nachrichten-Magazin überlassen hat. Das Schreiben, fast sechs Seiten lang, ist eine wütende Anklage. Aber entsprechen die Schilderungen K.s auch der Wahrheit?

Der Inhalt dieses Schreibens ist heikel, er kann den Ruf eines Mannes beschädigen, der zu den größten Stars des Weltsports gehört. Weil die Geschichte der Susan K. aber wahr sein kann, muss sie erzählt werden. Denn sie wirft ein Schlaglicht auf eine Gesellschaft, in der sich manche Menschen offenbar fast alles leisten können. Sie berichtet von einem bislang unbekannten Teil der großen Cristiano-Ronaldo-Story. Einer Heldensaga, die düsterer zu sein scheint, als viele seiner Fans denken.

Es gibt noch ein weiteres Dokument, das sich mit dem, was in den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2009 in Appartement 57306 vorgefallen sein soll, beschäftigt. Es handelt sich um ein "Settlement Memorialization", eine außergerichtliche Einigung zwischen Susan K. und Ronaldo. Sie wurde Monate nach der Nacht in Las Vegas ausgearbeitet. Es waren mindestens neun Anwälte daran beteiligt.

Laut dieser Vereinbarung, die elf Klauseln enthält, verpflichtet sich Susan K., über das, was in dem Schlafzimmer passiert ist, für immer zu schweigen. Sie verpflichtet sich, alle Tatvorwürfe fallenzulassen. Ronaldo muss ihr 375.000 Dollar bezahlen.

In dem Dokument hat Susan K. das Kürzel "Ms. P", Ronaldo ist "Mr. D". In Klausel Nummer acht heißt es: "Ms. P willigt ein, Mr. D die Vornamen aller Personen zur Verfügung zu stellen, denen sie vom Vorwurf der Vergewaltigung erzählt hat und denen sie die Identität von Mr. D preisgegeben hat ... Außerdem erklärt sie, dass es keine weiteren Personen gibt, denen sie von den Vorgängen erzählt hat."

In Klausel Nummer elf heißt es: "Ms. P wird versichern, dass sie sämtliche elektronischen und schriftlichen Aufzeichnungen, die infolge des angeblichen Vorgangs entstanden sind, unwiderruflich zerstört hat."

Wenn sie gegen die Vereinbarungen verstößt, muss sie das Geld zurückzahlen. Sollte Ronaldo aus einer Indiskretion Schaden entstehen, müsste sie auch dafür aufkommen.

Die Vereinbarung wurde am 12. Januar 2010 unterschrieben. Von Susan K., von mehreren Juristen. Cristiano Ronaldo unterzeichnete nicht persönlich. Für ihn zeichnete sein portugiesischer Anwalt Carlos Osório de Castro, der seit Jahren das Rechtliche um den Fußballer herum regelt.

Die Auseinandersetzung um die Vorgänge in Appartement 57306 im Palms Place Hotel sollten mit diesem Schriftstück ausgelöscht, aus der Welt geschafft werden. Was vom 12. auf den 13. Juni in Las Vegas geschah, sollte für Cristiano Ronaldo keine Rolle mehr spielen. Es sollte die Nacht im Leben des berühmten Fußballers sein, die es nie gegeben hat. Die es nicht geben darf.

Es ist die Frage, ob es klug ist, dass Streitigkeiten und Anschuldigungen dieses Ausmaßes nicht vor Gericht geklärt werden. Kann es gut ausgehen, wenn die Justiz übergangen wird und sich Beteiligte durch eine Geldzahlung aus der Affäre ziehen?

In Deutschland müssen mutmaßliche Verbrechen, wenn sie einmal bei der Polizei aktenkundig wurden, aufgeklärt werden. Zumindest haben die Behörden es zu versuchen. Je weiter man sich von diesem Grundsatz entfernt, desto stärker werden Vorbehalte, dass die Wohlhabenden sich nicht nur Topanwälte leisten, sondern auch Verfehlungen einfach wegverhandeln können.

Suite im Palms Place Hotel mit Blick über Las Vegas: Kingsize-Betten und Luxusbäder

Suite im Palms Place Hotel mit Blick über Las Vegas: Kingsize-Betten und Luxusbäder

Foto: Robert Gallagher / DER SPIEGEL

Der SPIEGEL hat versucht, mit Susan K., ihrer Familie, mit ihren Freunden und mit ihrer Anwältin zu sprechen. Kaum jemand wollte sich äußern, niemand will sich zitieren lassen. Es gibt gute Gründe dafür: die Angst vor Schlagzeilen. Dass alles wieder aufbricht. Und natürlich das Abkommen, das vor sieben Jahren getroffen wurde. Es wirkt wie eine Mauer.

Susan K., deren Name geändert ist, wohnt in Las Vegas in einer Apartmentanlage mit gesicherter Ein- und Ausfahrt. Sie ist Mitte dreißig, arbeitet mit Kindern. K. stammt aus der gehobenen Mittelschicht. Das Haus der Eltern liegt in einer der besseren Gegenden von Las Vegas, gepflegter Vorgarten, große Garage, weiter Blick über die Stadt.

Im Juni 2009 war K. verheiratet. Welche Rolle ihr Ehemann, von dem sie inzwischen geschieden ist, damals in ihrem Leben spielte, ist unklar. Er wird in den Dokumenten und den zahlreichen E-Mails, die dem SPIEGEL vorliegen, an keiner Stelle erwähnt.

Als der SPIEGEL Ende März K. zunächst telefonisch kontaktiert, mit ihr über den Brief und die Vereinbarung mit Ronaldo sprechen will, zittert ihre Stimme. "Kein Kommentar, kein Kommentar", sagt sie und legt auf.

Ein paar Tage später, bei einer Begegnung vor ihrem Wohnhaus, rennt K. fast panisch davon.

In der Vereinbarung mit Ronaldo ist in Klausel Nummer vier festgelegt, was sie zu tun hat, wenn sie von Dritten auf die Vorgänge im Juni 2009 angesprochen wird. Sie habe darauf "nichts zu erwidern". Sollte man sie auf der Straße ansprechen, habe sie "weiterzugehen".

Es ist eine unsichtbare Regie, die ihr Leben bestimmt.

Das Palms Place Hotel liegt in Downtown Las Vegas, nur wenige Blocks vom Strip entfernt. Es hat 58 Stockwerke, ganz oben befinden sich vier Etagen mit edlen Penthäusern. Die Lobby dominieren Gold, Marmor und Loungemöbel im Metallic-Look. Aus den Luxuswagen, die vorfahren, steigen Gäste mit teuren Sonnenbrillen und Designerschuhen.

2009 war der Hotel- und Kasinokomplex des Palms die In-Adresse schlechthin in Las Vegas. Michael Jackson hat hier gewohnt, die MTV Video Music Awards wurden hier verliehen, das hauseigene Tonstudio nutzten Stars wie Whitney Houston, Lady Gaga und Usher.

Das Appartement 57306, jenes, in dem Ronaldo logierte, kostet heute rund 1000 Dollar die Nacht. Zur Ausstattung gehören eine Küche, ein großes Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer mit Kingsize-Betten und angrenzenden Luxusbädern. Der Clou ist ein Jacuzzi auf dem Balkon, von dem aus man über die Skyline der Stadt blicken kann.

Ronaldo bewohnte die glamouröse Suite für mehrere Tage. Es war der Sommer, in dem er von Manchester United zu Real Madrid wechselte, für die damalige Rekordsumme von 94 Millionen Euro.

Am Abend des 12. Juni, einem Freitag, geht Ronaldo in Las Vegas mit seinen Begleitern aus. Sie feiern in einem nahe gelegenen Nachtklub. In einem abgetrennten VIP-Bereich trifft Ronaldo Susan K.

Den weiteren Verlauf der Partynacht schildert K. in dem Brief, den sie an Ronaldo geschrieben hat: Sie habe ihm ihre Nummer gegeben. Er habe sie später angerufen und zu einer Feier eingeladen. Danach gingen sie in sein Penthouse. Als K. mit einer Freundin dort ankam, sollen Ronaldo und seine Freunde in den Jacuzzi gestiegen sein. Er habe ihr Badesachen angeboten. Als sie sich umzog, sei er ihr gefolgt. Sie hätten sich geküsst. Ronaldo, so schreibt es K., sei das nicht genug gewesen. Sie habe aber zu den anderen zurückgewollt. Er habe sie gepackt und aufs Bett gelegt. Sie habe versucht, sich mit beiden Händen zu schützen. "Ich habe immer wieder Nein, Nein, Nein, Nein geschrien und Dich angefleht, aufzuhören. Ich hatte noch nie so eine Angst in meinem Leben", schreibt K. in dem Brief.

Als es vorbei war, soll sich Ronaldo noch an sie gewandt haben. Er sei zu 99 Prozent kein schlechter Kerl, soll er gesagt haben, das eine Prozent könne er sich nicht erklären. So schreibt es K. in ihrem Brief.

Ronaldos Anwalt weist den Vorwurf einer Vergewaltigung aufs Schärfste zurück. Es sei eine haltlose Unterstellung.

Wer ist Cristiano Ronaldo?

Enthüllung der Ronaldo-Statue auf Madeira 2014: Absurd betonte Männlichkeit

Enthüllung der Ronaldo-Statue auf Madeira 2014: Absurd betonte Männlichkeit

Foto: Globalimagens/ imago

Es gibt keinen zweiten prominenten Fußballer, der ein so klares Selbstbild von sich zeichnet wie der Weltstar aus Portugal. Wenn er nach Toren breitbeinig, mit emporgerecktem Kinn und funkelnden Augen vor dem jubelnden Publikum posiert, die Arme in die Hüften gestemmt, alle Muskeln angespannt, dann ist das die Inszenierung eines Mannes, der sich als Übermensch fühlt. Perfekt, omnipotent, unerreicht. Gottähnlich.

In ihrem Brief an Ronaldo schreibt Susan K.: "Ich wünschte, ich hätte der Welt erzählen können, wer Du wirklich bist."

Die Welt kennt nur den Fußballer Ronaldo. Seine Tore, seine Dribblings, seine Selbstsucht. Man weiß, dass er bei Real Madrid fast 40 Millionen Euro im Jahr verdient. Dass er Kinder gern hat. Dass er seine Mutter verehrt. Man hat ihn weinend erlebt, als er voriges Jahr im Finale bei der Europameisterschaft in Frankreich verletzt vom Platz musste. Man erlebte ihn erfüllt von Glückseligkeit, nachdem Portugal das Endspiel auch ohne ihn gewonnen hatte.

Ronaldo ist mehr als nur ein guter Kicker. Er ist das Idol einer Jugendgeneration, die jede seiner Posen, jeden seiner Tricks und jeden seiner Haarschnitte kopiert. Er ist eine Werbeikone. In Ronaldos Heimat auf Madeira ist ein Flughafen nach ihm benannt, es gibt auch ein Ronaldo-Museum auf der Insel. Davor steht eine überlebensgroße Statue des Idols. Sie zeigt ihn in Fußballerhose - und mit absurd betonter Männlichkeit.

Ronaldo ist ein Sexsymbol. Bei der Weltfußballer-Gala im Januar in Zürich kreischten die weiblichen Fans auf, als er vorfuhr. Es gibt unzählige Fotoaufnahmen, die den Fußballer nur in Unterwäsche zeigen. Er liebt seinen Körper, den er im Fitnessstudio modelliert und für den er auch von vielen Männern bewundert wird.

Welche Rolle Frauen in seinem Leben spielen, ist schwer zu sagen. Er hatte Beziehungen, Affären. Derzeit ist Ronaldo liiert. Er hat einen sechsjährigen Sohn, Cristiano junior. Die Mutter ist unbekannt. Der Kleine ist, so oft es geht, an seiner Seite.

2005 wurde Ronaldo schon einmal von einer Frau der Vergewaltigung beschuldigt. Der damals 20-jährige Stürmer von Manchester United wurde von der Polizei befragt. Er bestritt die Vorwürfe. Anklage wurde nie erhoben.

Es kommt immer wieder vor, dass Prominente Opfer einer Erpressung werden. Letztlich wissen nur Susan K. und Ronaldo, was sich in den frühen Morgenstunden in seinem Penthouse in Las Vegas zugetragen hat.

Sie hat ihre Version in dem Brief niedergeschrieben. Der SPIEGEL hat Ronaldo um eine Stellungnahme gebeten. Er lässt seinen Münchner Anwalt Johannes Kreile antworten. "Die Anschuldigungen, die Ihre Fragen nahelegen, sind aufs Schärfste als unzutreffend zurückzuweisen", schreibt der Anwalt. Sein Mandant werde "gegen jede unwahre Tatsachenbehauptung sowie gegen jede Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte vorgehen". Der Anwalt fordert den SPIEGEL auf, "eine Berichterstattung zu dem Komplex zu unterlassen".

In den Dokumenten, die der SPIEGEL ausgewertet hat, findet sich auch ein Vermerk, aus dem hervorgeht, wie sich der Fußballer möglicherweise gegenüber seinem Anwalt Osório de Castro über die Nacht in Las Vegas geäußert haben soll. Demnach habe Ronaldo Sex mit K. gehabt. Er sei anschließend zu Bett gegangen. Sie sei zurück zum Jacuzzi gegangen. Es habe keine Anzeichen dafür gegeben, dass es ihr nicht gut ginge.

War es einvernehmlicher Sex? Spielte K. später ein falsches Spiel? Und zwar so gut, dass Ronaldos Anwälte entschieden, sie nicht vor Gericht zu bringen, sondern zu zahlen?

Fest steht, dass sich K. noch am Tag des angeblichen Übergriffs, um 14.16 Uhr, bei der Polizei meldete. Es gibt ein Protokoll, das den Anruf beim Las Vegas Metropolitan Police Department festhält. Es liegt dem SPIEGEL als Ausdruck vor. In dem sogenannten CAD-Report hat der Fall ein Aktenzeichen, das sich später auch im Settlement zwischen K. und Ronaldo wiederfindet.

Im CAD-Report ist in der Rubrik "Type" der Anlass des Anrufs verzeichnet: 426. Der Code für ein gemeldetes Sexualdelikt.

Der Polizist, der mit K. spricht, notiert, dass die Anruferin aufgelöst sei, weine und nicht den Namen des mutmaßlichen Täters angeben wolle. Es handle sich um eine "öffentliche Figur", einen "Athleten". Der Beamte vermerkt, dass sich K. nicht gewaschen habe.

Ausriss aus der Vereinbarung zwischen Susan K. und Ronaldo: Für immer Schweigen

Ausriss aus der Vereinbarung zwischen Susan K. und Ronaldo: Für immer Schweigen

Um kurz nach halb drei fährt eine Streife bei K. vor. Die Polizisten melden sich mehrfach per Funk in der Zentrale. Dort notiert ein Beamter, das mutmaßliche Opfer wolle ins Krankenhaus, um sich einem "rape-kit" zu unterziehen. Damit ist eine spezielle Untersuchung von Opfern sexueller Gewalt gemeint, bei der Spuren gesichert und Verletzungen fotografiert werden.

Um kurz vor 16 Uhr bringen die Polizisten K. ins University Medical Center. Die Fahrt dauert 26 Minuten. Um 17.15 Uhr wird im CAD-Report festgehalten, dass K. nun doch vage Angaben zum mutmaßlichen Tatort gemacht habe. Es handle sich um ein Hotel "in der Nähe" der Flamingo Road.

Das Palms Place Hotel liegt an der Flamingo Road.

Die Behandlung im University Medical Center kostete 2976,52 Dollar. Wofür genau, wird aus den Dokumenten, die der SPIEGEL eingesehen hat, nicht klar. In dem Brief an Ronaldo schreibt K., er habe ihr in der Nacht Verletzungen am Rektum zugefügt.

Es ist nicht bekannt, ob K. nach der Untersuchung im Krankenhaus Anzeige erstattet hat. Aus den Dokumenten geht hervor, dass sie womöglich davon Abstand nahm, aus Angst vor den Konsequenzen. Ein Prozess gegen einen Weltstar bedeutet Kamerateams vor der Tür. Es werden viele Behauptungen aufgestellt, der Ausgang ist ungewiss, die Schlagzeilen hallen ein Leben lang nach.

Vielleicht wollte K. sich und ihrer Familie das nicht antun.

Dennoch mochte K. die Sache offenbar nicht auf sich beruhen lassen. Sie nahm sich eine Anwältin. Die Juristin Mary S., Name geändert, hatte damals eine kleine Kanzlei in einem Bürokomplex im südlichen Teil von Las Vegas. Das Gebäude ist umgeben von Wohnhäusern und einem Altersheim. Der Vorgang, den ihr die Mandantin schilderte, wird sie in den nächsten Monaten an ihre Grenzen bringen.

Mitte Juli meldet sich S. bei einem Anwalt von Ronaldo in England. Sie vertrete einen Kläger in Las Vegas in einer Sache gegen den Fußballer. Der Jurist leitet die Mail weiter an den Ronaldo-Anwalt Carlos Osório de Castro in Portugal.

"Um was könnte es hier gehen?"

Osório antwortet: "No idea."

Ende Juli ist klar, dass es sich um etwas Brisantes handelt. Inzwischen sind mehrere Anwälte mit dem Fall befasst, darunter einer aus Kalifornien, der schon viele Prominente vor Gericht vertreten hat. Die Anwälte Ronaldos tauschen sich aus, wie am besten vorzugehen sei. Einer schreibt in einer Mail, man müsse die Suite im Palms Place Hotel in Augenschein nehmen, um sich ein Bild vom vermeintlichen Tatort zu machen.

Es wird ein Katalog mit 274 Fragen an Ronaldo erstellt. Er soll sie mündlich, nicht schriftlich beantworten. Susan K. bekommt in dem Manuskript das Kürzel "Ms. C".

Frage 60: "Wie waren die Umstände der ersten Begegnung mit Ms. C?"

Frage 80: "Nahm Ms. C früher am Abend Drogen?"

Frage 141: "Welcher Art war der erste körperliche Kontakt zwischen Ihnen und Ms. C, nachdem Sie den Jacuzzi-Bereich verlassen hatten?"

Frage 152: "Kam es zu einer sexuellen Penetration?"

Frage 158: "Gab es irgendeine Rohheit in Ihrem sexuellen Verhalten?"

Frage 163: "Hat Ms. C gerufen oder geschrien?"

Frage 165: "Hat Ms. C Wörter wie 'stopp' oder 'nein' oder 'nicht' oder Ähnliches gesagt?"

Es folgt eine fett gedruckte Notiz der Anwälte. "Ms. Cs Anwältin erzählte uns, dass ihre Klientin gesagt habe, Sie hätten sich nach dem Sex vielmals bei ihr entschuldigt."

Frage 190: "Haben Sie sich bei ihr entschuldigt oder ihr gesagt, dass es Ihnen leidtue, nachdem Sie Geschlechtsverkehr hatten?"

Frage 270: "In welcher körperlichen und mentalen Verfassung verließ Ms. C das Hotelzimmer?"

Die Fragen der Anwälte an Ronaldo drehen sich sehr oft um eine blonde Frau, die K. in jener Nacht, auch ins Appartement 57306, begleitet hat. Sie ist eine wichtige Zeugin. Der SPIEGEL kontaktierte sie ebenfalls, doch wie Susan K. hat sie Angst zu reden.

Im Herbst 2009 beginnen erste Verhandlungen über eine außergerichtliche Einigung. In den USA werden Fälle sexueller Gewalt oft durch sogenannte Settlements beigelegt, bei denen sich Opfer und Täter einigen, ohne dass es zu einem Prozess kommt.

Nach Mord ist Vergewaltigung im US-Bundesstaat Nevada das schwerste Verbrechen. Wird man verurteilt, droht lebenslange Haft. Für eine Verurteilung muss die Schuld allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen - und das ist gerade bei Sexualdelikten schwierig. Oft steht Aussage gegen Aussage.

Viele Opfer entscheiden sich dafür, statt eines Strafverfahrens ein Zivilverfahren anzustrengen. Dabei geht es nicht darum, den mutmaßlichen Täter zu verurteilen, sondern das Opfer finanziell so zu entschädigen. Die Beweislast ist in so einem Prozess deutlich geringer. Es muss nur zu mehr als 50 Prozent wahrscheinlich sein, dass der mutmaßliche Täter die Tat begangen hat.

Ein Zivilverfahren hat aber auch Nachteile. Zwar kann das Opfer beantragen, dass der Fall unter Pseudonym verhandelt wird, dennoch ist er öffentlich, und natürlich gibt es dann keine Sicherheit, dass die Anonymität gewahrt bleibt.

Ronaldos Suite

Ronaldos Suite

Foto: Robert Gallagher / DER SPIEGEL

Gerade deshalb entscheiden sich viele Opfer dafür, den Fall außergerichtlich zu klären, zum Beispiel im Rahmen einer Mediation, bei der eine neutrale Person vermittelt. Am Ende steht eine Vergleichsvereinbarung, ein Settlement.

Ein solches Prozedere kann vorteilhaft sein, für beide Seiten. So können die Identitäten mutmaßlicher Täter und Opfer geschützt werden. Das Ganze währt nicht so lang wie ein Prozess. Die belastenden Details der Vergewaltigung müssen nicht zwingend vorgetragen werden.

Im Fall K. versus Ronaldo dauert es lange, bis es zu einem Mediationstermin kommt. Im Dezember 2009 wird Osório de Castro darüber informiert, dass Susan K. plane, sich mit einem Polizisten zu treffen - und dieser Ermittler wolle auch ihre Freundin, die Zeugin, sprechen.

Osório de Castro drängt seine US-Kollegen: "Die Uhr tickt, wir müssen entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Und wir müssen uns auf eine Schlacht vorbereiten, so oder so."

Am 12. Januar 2010 kommt es zu einem Treffen der Parteien. Auch der Mediator ist anwesend. Ronaldo nicht. Susan K. soll darüber bestürzt gewesen sein.

Nach "einem langen Verhandlungstag", wie einer der Juristen später notiert, einigen sich die Parteien dann auf das Settlement. Die Summe, die Ronaldo an K. bezahlen soll, wird in der Settlement Memorialization eingetragen: 375.000 Dollar. So viel verdiente Ronaldo damals bei Real Madrid in einer Woche.

Bis in die Sommermonate hinein verfeinern die Anwälte die Einigung, sie feilschen um Absätze, Klauseln und Formulierungen. Es geht zum Beispiel darum, wie sich K. in ihrer Therapie zu verhalten habe. Die Ronaldo-Anwälte drängen darauf, dass sie nicht an Gruppensitzungen teilnehmen und ihrem Therapeuten nicht den Namen Ronaldos offenbaren dürfe.

Nicht einmal schimpfen, so fordern es die US-Anwälte, dürfe K. über Ronaldo. Und sie solle auch nicht im Kreis ihrer Familie über ihn sprechen. "Dem Ärger Luft zu machen und zu lästern", schreibt einer der Anwälte in einer Mail, würde eine schwer zu kontrollierende Stimmung erzeugen.

Ronaldos Truppe ist darauf bedacht, jede Möglichkeit des Geheimnisverrats auszuschließen. So geht es zum Beispiel auch um die Frage, wie K. die Einigungssumme versteuern könnte. Falls sie es nämlich nicht tun würde, fürchten die Juristen, könnte sich die US-Steuerbehörde für die Geldsumme auf ihrem Konto interessieren, und K. müsste erklären, wofür sie das Geld erhalten habe.

Ronaldos Anwälte diskutieren, die 375.000 Dollar über eine Firma fließen zu lassen, die normalerweise die Werberechte für Ronaldo verkauft: Multisports & Image Management, registriert in der europäischen Steueroase Irland.

Am 31. Juli gibt Osório de Castro schließlich grünes Licht zu der Einigung, die von den US-Anwälten ausgehandelt wurde.

Der Fall Las Vegas war für Cristiano Ronaldo damit erledigt. Er startete mit Real in die nächste Fußballsaison.

Der SPIEGEL hat Osório de Castro um Stellungnahme gebeten. Er antwortete, es sei Geschäftspolitik seiner Kanzlei, keine Angelegenheit seiner Klienten öffentlich zu kommentieren - und man solle keine Rückschlüsse daraus ziehen, dass man jeden Kommentar ablehne.

Was kostet die Wahrheit? Welchen Preis hat eine Lüge?

Der Brief, den Susan K. an Ronaldo verfasst hat, ist ebenfalls ein Bestandteil der außergerichtlichen Einigung. In Klausel 10 heißt es, das Schreiben müsse Ronaldo von seinem Anwalt Osório de Castro vorgelesen werden.

Susan K. schreibt: "Ich mache mir nichts aus Deinem Geld. Ich wollte Gerechtigkeit. Aber da ist keine Gerechtigkeit in dieser Sache." Sie erwähnt "Medical Records", ärztliche Unterlagen, in denen die Verletzungen aufgeführt seien, die ihr Ronaldo zugefügt haben soll.

Die Geschichte der Susan K. ist die einer traumatisierten Frau. Sie schreibt: "Ich bin nicht mehr die Person, die ich mal war."

Wäre es nicht besser gewesen, die Angelegenheit zwischen ihnen von einem Gericht klären zu lassen?

Für den Rechtsstaat, weil solche Vereinbarungen Zweifel nähren?

Für Ronaldo, weil der Verdacht einer Vergewaltigung für immer an ihm kleben bleiben könnte?

Und für das Seelenleben der Susan K.? Ihr Brief an Ronaldo endet mit einem PS. Sie bedauere es, sich auf die Einigung eingelassen zu haben, schreibt sie in gefetteten Buchstaben: "Heute würde ich meine Entscheidung zurücknehmen!! Es ist ein Jahr vergangen, seit Du mich vergewaltigt hast."

Die letzten beiden Sätze klingen wie ein hilfloser Appell: "Ich hoffe, dass Du aus diesem schrecklichen Fehler lernst!! Nimm nie wieder einer Frau ihr Leben, so wie Du meines genommen hast!!"

Im Video: SPIEGEL-Redakteur Rafael Buschmann über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Cristiano Ronaldo

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