Washington "Trump gewinnt die politische Schlacht"

Wieso lassen die US-Republikaner Präsident Trump gewähren? David Frum, konservativer Autor und selbst Parteimitglied, erklärt Amerikas Entwicklung hin zur Trumpokratie.
Republikaner Frum

Republikaner Frum

Foto: Lexey Swall / DER SPIEGEL

Es ist Januar 2021, und Donald Trump steht nach einer erfolgreichen Wiederwahl vor seiner zweiten Vereidigung als Präsident - mit diesem Szenario begann David Frum einen Essay, den die Zeitschrift "The Atlantic" vor knapp einem Jahr druckte.

Frum ist Mitglied der Republikaner, arbeitete einst für das "Wall Street Journal" und beriet George W. Bush in Wirtschaftsfragen. Es war eine Dystopie, die er damals skizzierte: ein Präsident, der Schulden macht, um künstlich das Wirtschaftswachstum anzuheizen; ein Familienclan im Weißen Haus, der sich bereichert; und ein Volk, das längst zu zynisch ist, um gegen einen Autokraten aufzustehen. Im Frühjahr 2017 klang all das noch alarmistisch.

Inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, dass Frum nicht komplett falschlag. Trump wirbt gerade für ein Infrastrukturprogramm von 1,5 Billionen Dollar, das Arbeitsplätze schaffen und dazu dienen soll, seine Anhänger noch stärker an ihn zu binden. Gleichzeitig sind Trumps Geschäfte eng mit dem Regierungshandeln verflochten, in seinem Hotel in Washington steigen Diplomaten aus aller Welt ab, um dem Präsidenten zu gefallen. Und Trumps Hetze gegen die Presse und das FBI zeigt, wie wenig er für demokratische Institutionen übrighat.

Aus Frums Essay wurde ein Buch, das gerade auf Englisch erschienen ist: "Trumpocracy: The Corruption of the American Republic".

SPIEGEL: Herr Frum, vor knapp einem Jahr schrieben Sie, Amerika drohe in eine Autokratie abzugleiten. Heute beobachten wir einen Präsidenten, der bis zu acht Stunden am Tag fernsieht, nebenbei twittert und einfach zu unkonzentriert wirkt, um ordentlich zu regieren. Haben Sie sein autoritäres Talent überschätzt?

Frum: Meine Thesen sind bis heute relevant, fürchte ich. Vor allem wollte ich betonen, dass der moderne Autoritarismus weniger spektakulär ist, als es die Zusammenbrüche der Demokratien in den Dreißigerjahren waren. Sogar Wladimir Putin, der über das schlimmste Beispiel einer zerfallenden Demokratie wacht, ist kein Massenmörder. Staats- und Regierungschefs wie Jacob Zuma in Südafrika oder Viktor Orbán in Ungarn sind nicht ideologisch, sie teilen auch nicht den verrückten Idealismus von Hitler, Mussolini, Mao oder Stalin. Moderne Autokraten sind Diebe.

SPIEGEL: Was sie antreibt, ist nicht Ideologie, sondern Gier.

Frum: Richtig, und dabei verletzen sie die demokratischen Institutionen so wenig wie möglich. Der Schaden geschieht eher schrittweise, er ist nie vollständig, nie total. Meine zweite These war, dass Trump dann Erfolg haben wird, wenn er mit anderen kooperiert. Insofern ist der Begriff Autokrat etwas irreführend, weil er ja eine Ein-Mann-Herrschaft voraussetzt. Jeder moderne Autokrat ist in Institutionen eingebunden. Trump ist charismatisch, aber nicht im Sinne Max Webers. Seine Herrschaft ist eine bürokratische.

US-Präsident Donald Trump

US-Präsident Donald Trump

Foto: MANDEL NGAN/ AFP

SPIEGEL: Trotz der Attacken Donald Trumps gegen Presse, Justiz, Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden sind doch sämtliche Institutionen überaus lebendig. Widerspricht das nicht Ihrer These?

Frum: Es stimmt, dass vor allem die Justiz sehr veränderungsresistent ist. Selbst in den schlimmsten autoritären Zeiten unserer jüngeren Geschichte, in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zum Beispiel, konnte man sich seiner Rechte gewöhnlich sicher sein, wenn man vor einem Bundesgericht stand. Trump hat der Unabhängigkeit des Justizministeriums und des FBI erheblich geschadet. Als er voriges Jahr FBI-Chef James Comey entließ, erzählte er später im Fernsehen, er habe das getan, damit diese "Russland-Sache" verschwinde. Nun ist der stellvertretende FBI-Direktor Andrew McCabe zurückgetreten, den Trump seit Monaten angegriffen hatte.

SPIEGEL: In der vorigen Woche gab Trump ein von den Republikanern im Kongress verfasstes Memo frei, das zeigen soll, wie voreingenommen die Ermittler in der Russlandaffäre seien. Was verspricht er sich davon?

Frum: Dieses Memo des Abgeordneten Devin Nunes sollte niemanden überzeugen. Es ist eine Requisite. Ein bedrucktes Papier, das man im Fernsehen hochhalten kann, um Trump-Unterstützer zu beeindrucken, die es nie lesen werden.

SPIEGEL: Gewinnt Trump trotzdem mit solchen Mitteln die Desinformationskampagne gegen Sonderermittler Robert Mueller?

Frum: Trump gewinnt nicht die Debatte, aber die politische Schlacht. Sein Ziel ist es, die Republikaner im Kongress zu überreden, das Ergebnis von Muellers Ermittlungen zu ignorieren. Außerdem will er verhindern, dass er seine Auslandsgeschäfte offenbaren muss. Und er will sich weiterhin weigern können, die Russlandsanktionen vollständig umzusetzen. Bislang scheint er mit dieser Strategie Erfolg zu haben.

SPIEGEL: Aber auch andere Präsidenten haben Normen verletzt, Gerald Ford veröffentlichte seine Steuererklärungen nur teilweise. Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy holten Familienmitglieder in die Regierung. Was ist an Trump so besonders?

Frum: Das moderne Präsidentenamt hat sich durch die beiden Weltkriege und den Kalten Krieg gewandelt. Der Nationale Sicherheitsrat und die CIA entstanden damals, und der Präsident bekam besondere Befugnisse - wenn eine sowjetische Atomrakete innerhalb von Minuten in den USA einschlagen kann, muss der Oberbefehlshaber schnell reagieren können. Um das zu kompensieren, haben wir das Amt mit mehr Regeln und Normen versehen. Noch mal zum FBI: Als das letzte Mal ein Direktor entlassen wurde, unter Bill Clinton, ging es um Vorwürfe der Veruntreuung. Es gab eine Untersuchung, der Mann durfte sich rechtfertigen, der Kongress wurde einbezogen. Schließlich, nach monatelanger Diskussion, wurde der FBI-Chef entlassen.

SPIEGEL: Aber Trump hatte das Recht, Comey zu feuern. Es war nicht illegal.

Frum: Das stimmt, aber nicht alles, was ein Präsident darf, ist auch legitim. Es geht darum, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was man macht und was nicht. Ein anderes Beispiel: Jeder Präsident ernennt Bundesanwälte, meist nach politischer Präferenz. Nach der Ernennung sind sie aber unabhängig. Barack Obama hat zu einer Kandidatin gesagt: Ich habe dich ernannt, aber du dienst mir nicht. Trump dagegen sucht gezielt Leute, die loyal sind. Das ist der Unterschied.

SPIEGEL: Macht das die USA zu einer "Trumpokratie", wie Sie es nennen?

Frum: Die Trumpokratie zeichnet sich dadurch aus, dass der Präsident, um beim letzten Beispiel zu bleiben, zunächst einige ihm gewogene Bundesanwälte findet. Und diese anschließend, bei der Anhörung im Kongress, von Senatoren bestätigt werden, obwohl die Senatoren genau wissen, dass die Bewerber zuvor vertrauliche Gespräche mit Trump geführt haben. Ein Teil der Trumpokratie besteht in der passiven Haltung des republikanisch geführten Senats, während der Präsident die Strafverfolgung politisiert. Trump ist so mächtig, wie die Institutionen es zulassen. Insofern ist die Lage heute schlechter als vor einem Jahr.

Frum, SPIEGEL-Redakteur Scheuermann: "Manches scheint schwer reparierbar"

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Foto: Lexey Swall / DER SPIEGEL

SPIEGEL: Wie hat Trump das geschafft?

Frum: Er hat einen Pakt mit den Republikanern im Kongress geschlossen. Historisch war es so, dass der Präsident eine Agenda hatte und der Kongress mit allen möglichen Einwänden seiner Mitglieder gegen diese Agenda klarkommen musste. In der Trumpokratie funktioniert es umgekehrt: Paul Ryan, der Parlamentssprecher der Konservativen, hat Pläne. Und so sagen die Republikaner zu Trump: Wir bieten dir Rückendeckung, wenn du unsere Gesetze unterschreibst.

SPIEGEL: Wie erklären Sie, dass Trump so unpopulär ist, obwohl die Wirtschaft doch stark ist?

Frum: Eine der großen Geschichten dieses Jahres wird sein, dass seine Popularitätswerte steigen. Unsere Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück, einzelne Unternehmen haben sogar ihren Angestellten Sonderzahlungen versprochen, weil die Gewinne so hoch sind. Davon wird Trump profitieren.

SPIEGEL: Sie nennen sich selbst konservativ.

Frum: Ich bin registriertes Parteimitglied der Republikaner.

SPIEGEL: Ist eine Partei, die sich als konservativ bezeichnet, nicht moralisch und ethisch völlig verfault, wenn sie einen homophoben, frauenverachtenden, rachsüchtigen, latent rassistischen Präsidenten stützt, egal, was er auch macht?

Frum: Sie malen ein sehr düsteres Bild, wie eines dieser Gemälde aus dem deutschen Expressionismus. Das ist mir zu verallgemeinernd. Aber ich gebe zu, dass wir an einem Wendepunkt stehen. Es gibt drei Szenarien für die Republikaner. Im besten Fall entwickeln wir uns wieder zu einer Mitte-rechts-Partei, wie die Konservativen in Kanada, die Christdemokraten in Deutschland oder die australischen Liberalen. Sie alle akzeptieren den Wohlfahrtsstaat, der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde. Ein zweites Szenario ist eine Partei Paul Ryans, die wirtschaftlich extrem individualistisch denkt. Dafür gibt es kaum Mehrheiten. Das führt uns zum dritten Szenario, in dem wir gerade stecken: Weil die Vorhaben von radikal kapitalistischen, libertären Hardlinern wie Ryan so unpopulär beim amerikanischen Volk sind, braucht man antidemokratische Lösungen, um sie durchzusetzen.

SPIEGEL: Werden die Republikaner Trump überleben?

Frum: Es wird einen Generationenwechsel geben müssen. Als die meisten Menschen noch Zigaretten rauchten, änderte sich Politik etwas schneller, auf natürliche Weise.

SPIEGEL: Trump soll in exzellenter gesundheitlicher Verfassung sein, wie sein Leibarzt bestätigt hat.

Frum: Früher war Politik etwas für 40- bis 60-Jährige. Jetzt, wo unsere Gesellschaft immer älter wird - und damit auch die Politiker - konservieren wir die Konflikte der Vergangenheit. Wir sind so weit von 1968 entfernt wie Woodrow Wilson vom amerikanischen Bürgerkrieg. Unsere Politik kommt mir manchmal vor wie in der Zeit festgefroren. Wir kämpfen immer noch die alten Schlachten.

SPIEGEL: Glauben Sie, dass Donald Trump der amerikanischen Demokratie irreparablen Schaden zufügen kann?

Frum: Vor allem in der Außenpolitik scheint manches schwer reparierbar zu sein. Unsere Beziehungen zu Südkorea werden nicht mehr dieselben sein, das Land wird seine Sicherheit anders organisieren müssen. Auch unser Verhältnis zu Europa hat schweren Schaden genommen, zumal Großbritannien bald nicht mehr EU-Mitglied sein wird. Das Furchtbare war ja, dass die Republikaner dem Kandidaten Trump in der Debatte um die Nato-Beistandspflicht 2016 zustimmten und fragten: "Warum haben wir eigentlich unterschrieben, Estland zu verteidigen?"

SPIEGEL: Und doch scheint die Nato intakt zu sein. Zudem schickt Trump mehr Soldaten nach Afghanistan, voriges Jahr ließ er einen syrischen Luftwaffenstützpunkt bombardieren, nachdem Assad Nervengift gegen Zivilisten eingesetzt hatte. Sehen wir nicht in der Außenpolitik, dass Trump gewöhnlicher agiert, als viele dachten?

Frum: Ob die Nato wirklich noch funktioniert, wissen wir erst, wenn es zum Bündnisfall kommt. Europa vernachlässigen wir gerade vollständig. Spanien steckt mit Katalonien in seiner vielleicht größten Krise, aber monatelang fehlte uns ein Botschafter in Madrid. Wir haben derzeit keinen EU-Botschafter, was bedeutet, dass wir bei den Brexit-Verhandlungen außen vor sind. Und um sein Desinteresse an Deutschland deutlich zu machen, nominierte Trump einen Twitter-Süchtigen zum Chefdiplomaten in Berlin, der immer noch nicht vom Kongress bestätigt ist.

SPIEGEL: Was schlagen Sie vor, um die demokratischen Institutionen zu stärken?

Frum: Am wichtigsten ist bürgerliches Engagement. Es muss für den Präsidenten und auch für die republikanische Partei einen politischen Preis haben, wenn man mit der Integrität des FBI oder des Sonderermittlers Mueller spielt. Es gibt gerade eine riskante Strategie der Distanzierung bei den Geheimdiensten und dem Militär. Die Geheimdienste haben von Anfang an damit begonnen, dem Präsidenten Informationen vorzuenthalten, und sie verweigern zum Teil Befehle. Vor einigen Monaten hat der Verteidigungsminister seinen Soldaten durch die Blume zu verstehen gegeben, dass der Oberbefehlshaber seines Amtes nicht würdig ist. Das mag richtig sein. Aber wenn sich das Militär von der zivilen Kontrolle entfernt, kann das gefährlich werden.

SPIEGEL: Das klingt beunruhigend.

Frum: Ich sage nicht, dass wir kurz vor einem Militärputsch stehen. Womöglich verhält sich unsere Demokratie wie ein Autofahrer, der in einen Sekundenschlaf gefallen ist und das Steuer im letzten Moment herumreißt, nachdem er die Scheinwerfer eines Lastwagens auf der entgegenkommenden Spur gesehen hat. Vielleicht ist Trump dieser Lastwagen. Am Ende ist die Gesellschaft hoffentlich wacher und unser politischer Diskurs kompromissbereiter.

SPIEGEL: Herr Frum, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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