Mangelernährung Wie herrlich im Klimawandel die Pflanzen gedeihen - aber nicht deren Nährstoffe

Mehr Kohlendioxid in der Luft lässt Weizen, Reis und Kartoffeln prächtig wachsen. Trotzdem warnen Klima-Experten vor Ernährungskrisen. Wie ist das möglich?
Arbeiterinnen beim Reistrocknen in Bangladesch

Arbeiterinnen beim Reistrocknen in Bangladesch

Foto: Azim Khan / Pacific Press / picture alliance / DPA

Ausgerechnet ein Mathematiker schöpfte frühzeitig Verdacht. Schon 2002 warnte Irakli Loladze, damals an der Princeton University, vor einer bis dahin kaum beachteten Folge des Klimawandels: In Zukunft, sagte er voraus, würden die wichtigen Nahrungspflanzen - Getreide und Kartoffeln, Früchte und Blattgemüse - an Nährwert verlieren.

Loladze fand seither eine Menge Indizien dafür, dass der Anteil von Eisen, Zink und Proteinen bereits sinkt. Er glaubte auch, die Ursache zu kennen: die steigende Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre.

Heute gilt der Mathematiker mit den sonderlichen Thesen als Pionier. Sein Verdacht hat sich bestätigt.

Der klimabedingte Rückgang der Proteine ist gut belegt. Vor wenigen Wochen haben Forscher der Harvard University ausgerechnet, was das für die globale Ernährung bedeuten könnte. Probleme sehen sie vor allem in Regionen, in denen die Versorgung schon heute schlecht ist. Bis 2050 könnten demnach weitere 148 Millionen Menschen mit Proteinmangel zu kämpfen haben - 53 Millionen allein in Indien.

Mögliche Folgen: Muskelschwäche und verschlechterte Wundheilung. Neugeborene wiegen weniger, Kinder bleiben im Wachstum zurück.

Umso besser gedeihen die Pflanzen - und ebendas ist das Problem. Den meisten Arten kommt das Treibhausgas gerade recht. Sie sind früh in der Evolution entstanden, als das Kohlendioxid in der Erdatmosphäre noch überreich verfügbar war. Selbst das heutige CO2-Angebot erleben sie als Mangel. Eine steigende Dosis wirkt auf diese Hungerleider wie Dünger: Sie fördert ihr Wachstum.

Im Gegenzug aber - Pech für den Menschen - sparen die Pflanzen Proteine ein. "Sie produzieren davon immer nur so viel, wie sie brauchen", sagt Andreas Fangmeier, Biologe an der Universität Hohenheim. "Die Faustregel lautet: je höher der Ertrag, desto weniger Proteine."

Versuche haben gezeigt, welcher Rückgang bei Weizen und Reis, bei Gerste und Kartoffeln zu erwarten ist. Sie kamen auf Verluste von bis zu 15 Prozent. Im Schnitt sind es mehr als 8 Prozent. Nur bei wenigen Nutzpflanzen, darunter Mais oder Hirse, zeigt sich kaum ein Effekt. Diese Arten sind entwicklungsgeschichtlich jünger und kommen mit weniger CO2 aus.

Mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung sind jedoch auf Proteine aus Weizen oder Reis angewiesen. Obendrein liefern die betroffenen Pflanzen in Zukunft wohl auch weniger Mineralstoffe. In ähnlichem Umfang wie bei den Proteinen sinkt der Gehalt an Kalzium und Magnesium, vor allem aber an Zink und Eisen. "Wir erzeugen immer mehr Biomasse, aber der Gehalt an Mikronährstoffen kommt nicht mit", bestätigt der Braunschweiger Biologe Hans-Joachim Weigel.

Noch ist unklar, wie es zu der schleichenden Auszehrung kommt. Sind die Pflanzen gut mit CO2 versorgt, bilden sie damit vermehrt Zucker und Stärke. Möglicherweise geht dann der Anteil der anderen Substanzen einfach entsprechend zurück.

Das Treibhausgas senkt zudem den Wasserbedarf, weil über die Blätter dann weniger verdunstet - nicht schlecht in Dürrezeiten. Doch damit nehmen die Wurzeln vermutlich auch weniger Mineralstoffe aus dem Erdreich auf.

Die Folgen betreffen kaum den wohlgenährten Westen; hier wäre ein mäßiger Rückgang der Pflanzenqualität zu verkraften. Zu leiden haben aber die Bewohner ohnehin schon gebeutelter Weltgegenden, die sich mehr schlecht als recht ernähren.

Die Rede ist oft von "verstecktem Hunger": Die Menschen dort werden zwar halbwegs satt, sie bekommen genügend Kalorien, aber es fehlt ihnen an Proteinen und Mineralien. Jeder weitere Rückgang des Nährwerts schlägt voll auf sie durch.

Weizenernte (Archiv): Mehr Ertrag, weniger Nährstoffe

Weizenernte (Archiv): Mehr Ertrag, weniger Nährstoffe

Foto: Armin Weigel/ dpa

Schon jetzt sind weltweit rund zwei Milliarden Menschen mangelhaft mit Eisen und Zink versorgt. Allein der klimabedingte Schwund beim Zink dürfte bis 2050 weitere 138 Millionen Menschen in Not bringen, vor allem in Afrika und im südlichen Asien. Das hat eine Modellrechnung des Harvard-Forschers Samuel Myers ergeben.

Der Düngeeffekt des CO2 galt lange als einer der wenigen Vorzüge des Klimawandels. Die Konzentration des Treibhausgases ist bereits von 280 ppm (Teile pro Million) vor der industriellen Revolution auf gut 400 ppm angestiegen; in wenigen Jahrzehnten könnten 550 ppm erreicht sein.

In manchen Gewächshäusern wird der Anteil des Gases heute schon zwecks Ertragssteigerung künstlich erhöht. Unter Glas sind die Folgen freilich gut beherrschbar: Mit ausgeklügelten Düngergaben und optimaler Bewässerung lassen sich trotz hohen Ertrags noch passable Nährwerte erzielen. Aber was im Treibhaus funktioniert, kann unter freiem Himmel ganz anders verlaufen.

Das gilt auch für die Forschung. Bislang beschränkten sich die meisten Versuche auf eingetopfte Pflanzen in Klimakammern. Dort sind Feuchte oder Temperatur exakt zu regulieren - gut für verlässliche Befunde, aber nicht sehr praxisnah. In solchen Laborstudien fallen die Nährstoffverluste vergleichsweise hoch aus.

Realistischer sind Freilandversuche, bei denen die Pflanzen den Launen von Wind und Wetter ausgesetzt sind. Erhöht wird dort zumeist nur der CO2-Gehalt der Luft - das Gas strömt aus großflächig verteilten Düsen, Sensoren messen beständig die Konzentration über dem Feld. Im Freiland messen die Forscher in der Regel einen deutlich geringeren Schwund an Proteinen und Mineralstoffen.

Das Braunschweiger Thünen-Institut für Biodiversität hat gerade eine Studie mit Winterweizen veröffentlicht. "Bei uns sank der Proteingehalt um höchstens 5 Prozent", sagt der Biologe Remy Manderscheid. "Dafür stieg der Ertrag pro Quadratmeter um 15 Prozent."

Freilich sagt so ein Versuch allein nicht viel aus. Im Freiland schwankt das Wetter stark, keine Saison ist wie die andere. Für solide Mittelwerte wäre eine ganze Reihe von Experimenten nötig. Die sind jedoch aufwendig und teuer. Rund 350 Tonnen Kohlendioxid bläst allein das Thünen-Institut jedes Jahr in die Luft.

Dennoch sind sich die Forscher einig, dass es mehr solcher Versuche brauche. Noch ist nicht gut genug verstanden, wie die Pflanzen ihre Regelkreise dem gewandelten Klima anpassen.

Manderscheids Kollege Hans-Joachim Weigel glaubt, dass es nicht mehr genügt, Versuchsfelder einfach nur zu begasen. Man müsse das Klima der Zukunft möglichst vollständig simulieren, sagt er, soweit das im Freiland möglich sei: "Wir können mit lichtdurchlässigen Regendächern für Dürre sorgen und mit Infrarotstrahlern die Pflanzen unter Hitzestress setzen."

Solange aber das Wissen so lückenhaft ist, haben Interpreten freies Spiel. Schwarzmalerische Berichte warnten schon vor einer Zukunft, in der auf den Feldern nur noch Junkfood wächst. "Ich halte das für übertrieben", sagt Thünen-Forscher Manderscheid. Der Mehrertrag pro Quadratmeter gleiche die Nährstoffverluste unterm Strich ja fast aus.

Das hilft allerdings dem indischen Landarbeiter nicht, dessen Reisportion bei gleichem Gewicht weniger Proteine und Mineralien liefert. Auch für Manderscheid steht deshalb außer Zweifel, dass es für Leute mit jetzt schon prekärer Versorgung nicht gut aussieht.

Zu rechnen ist zudem mit versteckten Effekten, die womöglich indirekt auch auf den Rest der Menschheit rückwirken. Ungewiss ist zum Beispiel die künftige Qualität von Bau- und Möbelholz, wenn die Bäume ihren CO2-Stoffwechsel umstellen.

Selbst das Schicksal der Wild- und Honigbienen könnte mit der Zusammensetzung der Luft zu tun haben. Sie decken ihren Bedarf an Proteinen ausschließlich über Blütenpollen. Der amerikanische Pflanzenphysiologe Lewis Ziska ging deshalb der Frage nach, wie es um die Ernährung der emsigen Bestäuber steht.

Ziska sah sich stellvertretend die Kanadische Goldrute an, die bis in den Oktober hinein oft üppig blüht. Für die Bienen, die sich im Herbst aufs Überwintern vorbereiten, sind die goldgelben Blüten eine wichtige Proteinquelle.

Honigbiene (Archiv): schlechte Pollenqualität bedeutet niedrigere Lebenserwartung

Honigbiene (Archiv): schlechte Pollenqualität bedeutet niedrigere Lebenserwartung

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa

Zum Glück für den Forscher ist die Geschichte der Goldrute bestens dokumentiert: Das Smithsonian-Naturkundemuseum verwahrt eine Sammlung von Hunderten gepressten Pflanzen, die bis 1842 zurückreicht. Ziska beschaffte sich Pollenproben und unterzog sie einer chemischen Analyse. Sein Befund: Seit dem Beginn der Industrialisierung hat der Proteingehalt der Goldrutenpollen um ein Drittel abgenommen.

Bekannt ist, dass schlechte Pollenqualität den Bienen zusetzt; unter anderem sinkt dadurch ihre Lebenserwartung. Möglicherweise ist also "versteckter Hunger" ein weiterer Grund, warum so viele Bienenvölker nicht mehr über den Winter kommen.

Als Nächstes will Ziska herausfinden, ob die Pflanzen mit dem CO2-Anstieg auch wichtige Vitamine einbüßen. Erstaunlicherweise ist darüber fast nichts bekannt. Ein internationales Forscherteam soll die Lücke schließen; auch der Mathematiker Loladze macht mit. Geplant ist ein Großversuch mit 18 Reissorten.

Solche Vorhaben stehen für eine überfällige Wende. Lange Zeit habe die Wissenschaft sich fast ausschließlich um mehr Biomasse und höhere Erträge gekümmert, sagt Biologe Weigel. Seit aber eine Steigerung mit herkömmlichen Mitteln kaum mehr möglich sei, komme vermehrt die Güte der Ernährung in den Blick: "Da ist gerade sehr viel im Gang."

Zumindest bei den offenkundigen Problemen drängt inzwischen auch die Zeit. Etliche Forscher arbeiten immerhin schon an einer Lösung. Ihr Ziel ist es, die Pflanzen zu überlisten. Trotz steigender Versorgung mit CO2 sollen diese sich wieder bequemen, ihre Früchte, Körner oder Knollen verstärkt mit gesunden Inhaltsstoffen anzureichern.

Fachleute sprechen von "Biofortifikation". Zu den Mitteln der Wahl gehören züchterische Tricks und - hierzulande nicht so beliebt - die grüne Gentechnik.

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