Neuer Rüstungswettlauf Mehr Atombombe fürs Geld

Die Atommächte modernisieren ihre Arsenale. Die neuartigen, höllischen Nuklearwaffen sind klein und präzise. Die Hemmschwelle, sie einzusetzen, sinkt.
Atombombenexplosion in den USA (Test der 37-Kilotonnenbombe "Priscilla" in der Wüste von Nevada am 24. Juni 1957)

Atombombenexplosion in den USA (Test der 37-Kilotonnenbombe "Priscilla" in der Wüste von Nevada am 24. Juni 1957)

Foto: Science Photo Library

Ob die Zivilisation im atomaren Feuersturm endet, hängt unter anderem von einem Computer des Typs IBM Series/1 aus den Siebzigerjahren ab. Eine schwarze 8-Zoll-Floppy-Disk lässt sich von vorn in das hellgraue Gerät einschieben. Der Arbeitsspeicher umfasst kaum mehr als ein paar Tausend Byte.

Seit rund 40 Jahren wacht die greise Maschine über einige der mächtigsten Waffen, die die Menschheit je erschaffen hat. "Dieses System koordiniert die operativen Funktionen der US-Atomstreitkräfte, so etwa die Interkontinentalraketen, die nuklearen Bomber und deren Tankflugzeuge", heißt es in einem Bericht des US-Rechnungshofs vom vergangenen Jahr.

Das US-Verteidigungsministerium plant, das System zu erneuern. Doch damit könnten die Probleme erst anfangen. Denn ein neues atomares Wettrüsten hat begonnen. Und das Rechner-Update ist nur ein winziger Teil der Rüstungsoffensive.

Während in New York in dieser Woche erneut die Uno-Mitgliedstaaten über ein weltweites Verbot von Atomwaffen verhandeln, konterkarieren die Atommächte die Bemühungen mit der größten militärischen Nuklearoffensive seit Jahrzehnten.

1,2 Billionen Dollar wird allein die US-Regierung bis 2050 vermutlich ausgeben, um ihre Atomwaffen zu modernisieren. Auch Russland und China, Indien, Pakistan, Israel, Frankreich, Großbritannien und Nordkorea entwerfen neue Bomben, Sprengköpfe, Trägersysteme oder Abwehrraketen.

Plötzlich fühlt sich alles wieder so an wie im Kalten Krieg, als sich in Europa sowjetische SS-20- und amerikanische Pershing-II-Raketen gegenüberstanden. Mehrere Zehntausend atomare Sprengsätze gleichzeitig waren in den dramatischsten Zeiten des Kalten Krieges einsatzbereit. Heute sind es zwar nur noch etwa 2000 auf jeder Seite, doch immer noch genug, um den gesamten Planeten in wenigen Stunden in die Steinzeit zurückzubomben.

Dabei schien sich die Lage zu entspannen. Noch 2009 entwarf der damalige US-Präsident Barack Obama die Vision einer "atomwaffenfreien Welt". Russland und die USA einigten sich 2010 im "New Start"-Abkommen auf eine Reduzierung ihrer strategischen Atomwaffen.

Doch dann kamen die Krimkrise, der Syrienkrieg, Donald Trump und Kim Jong Un. Seither rührt sich das alte Monster wieder - nur dass es neue Akteure mit neuen Verstrickungen sind, die ihm Leben einhauchen: ein aufstrebendes China, ein wirtschaftlich angeschlagenes Russland, ein verunsichertes Amerika - und machthungrige Männer an den Kommandoständen der Atomarsenale, denen es offenbar wenige Probleme bereitet, mit dem Einsatz von Nuklearwaffen zu drohen.

"Wir müssen das militärische Potenzial strategischer Atomwaffen stärken, besonders mit Raketen, die zuverlässig jedes Raketenabwehrsystem überwinden können", sagte Kremlchef Wladimir Putin im Dezember vor Militärs.

Trump reagierte umgehend via Twitter: "Die USA müssen ihre nuklearen Fähigkeiten erheblich verstärken und ausbauen, bis die Welt in Sachen Atomwaffen zur Vernunft kommt."

Frieden schaffen mit möglichst fetten Waffen: Diese Logik funktionierte tatsächlich über ein halbes Jahrhundert, weil beide Seiten atomare Arsenale aufbauten, deren Einsatz keine Gewinner gekannt hätte.

Doch dieses Kalkül könnte nun aus der Balance geraten. Kleinere Atomwaffen sollen entstehen, deren Präzision die Hemmschwelle zum atomaren Ersteinsatz senken könnte. Neue Raketenabwehrsysteme, Überschallflugkörper, Pläne für hochpräzise konventionelle Langstreckenwaffen und Cyberkrieg-Tricks stören das Gleichgewicht des Schreckens.

"Als der Kalte Krieg endete, dachten wir, dass auch das Wettrüsten verschwinden würde", sagt Ivo Daalder, Chef der unabhängigen Denkfabrik Chicago Council on Global Affairs und ehemaliger US-Botschafter bei der Nato, "aber was wir in den letzten zwei, drei Jahren sehen, ist eine fehlende Verantwortung im Umgang mit diesen außergewöhnlichen Waffen."

Viele Planspiele folgen der grausamen Logik von 1945: Bombe werfen, dann Frieden anbieten.

Daalder sieht das Tabu des Atomwaffeneinsatzes bereits fallen. "Ich fürchte, dass es bald Technologien geben könnte, die dazu verleiten, diese Waffen tatsächlich zu benutzen", sagt er. "A bigger bang for the buck", mehr Wumms fürs Geld, so wurden Nuklearwaffen in den Fünfzigerjahren gepriesen. Gewöhnt sich die Welt gerade wieder an diese Sichtweise?

Für Amerikas Strategen sind vor allem zwei Männer schuld an der aktuellen Destabilisierung: Nordkoreas Kim Jong Un und Russlands Wladimir Putin. Kim droht unverhohlen mit dem Atomschlag, obwohl Nordkorea dazu noch nicht in der Lage ist.

Bei Putin wiederum enden manche militärischen Planspiele mit einer nuklearen "Deeskalation". Die Strategie folgt der ebenso grausamen wie menschenverachtenden Logik von 1945: Bombe werfen, dann Frieden anbieten.

Im Dezember 2014 veröffentlichte Moskau eine neue Militärdoktrin, in der sich Russland das Recht vorbehält, Atomwaffen gegen Angriffe mit Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Auch ein konventioneller Angriff auf Russland, der "die Existenz des Staates in Gefahr bringt", könnte den Einsatz von Atomwaffen auslösen.

Russland hat eingeräumt, atomfähige "Iskander"-Raketen zeitweilig zu Übungen in die Enklave Kaliningrad verlegt zu haben. Sie können Ziele im westlichen Polen erreichen.

Im Februar ließen US-Stellen durchsickern, Putin habe zwei Bataillone einer neuen russischen Mittelstreckenwaffe, Kürzel SSC-8, in Dienst gestellt. Russland bestreitet den Vorwurf. Stimmt die Geschichte, dann hat das Land gegen den Washingtoner Vertrag über landgestützte nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) verstoßen, jenes Abkommen, das 1987 das Ende des Kalten Krieges einleitete.

Drei U-Boote der neuen "Borei"-Klasse sind einsatzfähig, bestückt mit atomaren Interkontinentalraketen. Fünf weitere sollen folgen. Der Flugzeughersteller Tupolew arbeitet an einem modernen Tarnkappenbomber. Ebenfalls neu entwickelt werden atomare Marschflugkörper, und Interkontinentalraketen vom Typ "Sarmat". Letztere sollen bis zu 24 Sprengköpfe tragen und Raketenabwehrsysteme überwinden können.

Schon fürchten die Amerikaner, Putin könnte den von Russland ratifizierten Kernwaffenteststopp-Vertrag von 1996 ignorieren und die neuesten Sprengköpfe unterirdisch ausprobieren. Der Vertrag gilt als eines der wichtigsten Waffenkontrollabkommen überhaupt.

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"Die Russen fliegen Nuklearbomber bis zur Nordsee, ihre U-Boote verlassen Murmansk, so wie zuletzt während des Kalten Krieges", sagt Ivo Daalder. Der Amerikaner erkennt eine "neue nukleare Doktrin" auf russischer Seite, ein Weltbild, "in dem atomare Eskalation als Mittel vorkommt, Kriege zu führen und zu gewinnen".

Aber sind die Russen wirklich so aggressiv? Oder reagieren sie nur auf eine veränderte Lage in Amerika? Schon Obama ordnete 2010 - entgegen seiner Vision von einer nuklearlosen Welt - die umfassende Modernisierung des Atomwaffenarsenals an. Trump jedoch verleiht dem Vorhaben nun eine andere, aggressivere Note.

"Die neue Regierung geht sehr provokant vor", sagt Adam Mount vom Center for American Progress, einem Washingtoner Thinktank. Der Präsident strebe nukleare Überlegenheit an. Den New-Start-Vertrag habe er als "schlechten Deal" bezeichnet. Und die künftige atomare Abschreckung stellt Trump sich "modern, robust, belastbar und maßgeschneidert" vor - Vokabeln, die laut Mount im Militärjargon eher einsetzbare Kriegswaffen als strategische Abschreckungswaffen beschreiben. "Russland und China könnten solche Signale als Ankündigung der USA verstehen, die nuklearen Kapazitäten auszubauen statt sie nur zu erhalten", warnt Experte Mount.

Tatsächlich prescht das Pentagon mit der teuersten Nuklearmodernisierung seit der Reagan-Regierung voran. Die Firmen Lockheed Martin, Northrop Grumman und Boeing bewerben sich derzeit um den Zuschlag für den Bau einer neuen Interkontinentalrakete, Codename GBSD (Ground Based Strategic Deterrent). Die Waffe wird die alte Minuteman III ersetzen. Das erste U-Boot der neuen "Columbia"-Klasse soll 2030 in Dienst gestellt werden. Es wird ballistische Atomraketen tragen und soll besonders leise sein, um sich besser anschleichen zu können.

Zudem wird ein strategischer Tarnkappenbomber, Typenbezeichnung B-21, entwickelt, der sowohl Atombomben vom Typ B61 wie auch neue nukleare Langstreckenmarschflugkörper tragen soll. Der kantige Nurflügler könnte 2025 einsatzbereit sein.

Dies alles ist zunächst Teil eines turnusmäßigen Waffenupgrades, das unter anderen Umständen dazu beitragen könnte, die Lage zu stabilisieren. Die perverse Logik der nuklearen Abschreckung funktioniert nämlich nur, wenn alle Kontrahenten glaubhafte Drohkulissen aufbauen.

Doch derzeit scheinen die US-Waffenkonstrukteure im Namen von Sicherheit und Zuverlässigkeit den Brand eher zu schüren. "Die USA streben eindeutig nach Waffensystemen, die jenen aller anderen Länder überlegen sind", sagt Hans Kristensen, Direktor des Nuclear Information Project, der Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler in Washington. Die Generäle versuchten vor allem, die Flexibilität des Atomarsenals zu erhöhen: "Sie wollen die Freiheit haben, einzugreifen, wo und wann sie wollen." Erhöht das die Gefahr eines Kernwaffeneinsatzes? "Ich glaube ja", sagt der Waffenexperte.

Ein Beispiel für eine technische Neuerung, die das strategische Gleichgewicht erheblich stören könnte, hat Kristensen jüngst zusammen mit Kollegen erstmals detailliert beschrieben. Es handelt sich um ein neues Zündsystem der Amerikaner, Superzünder genannt, das alternde Atomsprengköpfe auf Langstreckenraketen in moderne Präzisionswaffen verwandelt.

Bislang programmierten die US-Waffenbauer die Detonation ihrer auf ballistischen Raketen montierten Atomsprengköpfe auf eine feste Höhe. Nicht berücksichtigt wurde dabei, wie weit die Rakete auf ihrer Flugbahn vom Kurs abkommt. Der neue Zünder nutzt nun Radar, um Kursabweichungen zu erkennen, und passt die Detonationshöhe entsprechend an.

Die Wahrscheinlichkeit, ein Ziel - etwa ein feindliches Raketensilo - mit einem einzigen 100-Kilotonnen-Sprengkopf zu zerstören, erhöhe sich damit auf "fantastische" 86 Prozent, sagt Kristensen. Der Superzünder erlaube eine höhere Zerstörungswahrscheinlichkeit mit weniger Gefechtsköpfen. Über 500 der aufgerüsteten Sprengköpfe sollen bereits auf Atom-U-Boot-Raketen der Amerikaner und Briten installiert sein.

Auch die atomare US-Fliegerbombe B61 könnte ein neues Wettrüsten einleiten. Etwa 150 Exemplare lagern in europäischen Standorten, rund 20 davon auch auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst beim Eifeldörfchen Büchel.

Die B61 wird derzeit für rund zehn Milliarden Dollar zur Version B61-12 aufgerüstet. Die ursprünglich als Schwerkraftbombe konzipierte Waffe hat ein neues Heckleitwerk und wird mit neuer Technik zur Lenkwaffe - und damit zu einer mächtigen, hochpräzisen Vernichtungsmaschine.

Lehrfilm aus den Fünfzigerjahren: A is for Atom

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Kritiker wie Kristensen sehen in der renovierten B61 daher eine Atomwaffe mit völlig verändertem Profil, die den Unterschied zwischen taktischer Kriegswaffe und strategischer Abschreckungsbombe verwischt. Damit verstoßen die USA gegen Obamas Versprechen, weder ganz neue Atomwaffen noch solche mit innovativen militärischen Fähigkeiten zu entwickeln.

Mit solchen Waffen, klein, präzise und vermeintlich berechenbar, beschwören die Militärs ein Schreckgespenst herauf: die Idee, dass ein Atomkrieg mit begrenzten Folgen möglich wäre.

"Bomben mit solchen Fähigkeiten sind destabilisierend", sagt Adam Mount. "Sie nähren den Irrglauben, dass sich ein Nuklearkrieg gewinnen lässt oder dass man Atombomben in einem konventionellen Krieg als taktische Waffen benutzen könnte." US-Experten reden bereits von nuklearen Marschflugkörpern für Nato-Kampfflugzeuge und Mini-Atombomben, die von 155-Millimeter-Panzerhaubitzen zum Beispiel aus dem Baltikum verschossen werden könnten.

Und genau dort, in den Nato-Mitgliedsländern Lettland, Litauen und Estland, könnte sich jenes Drama abspielen, vor dem es den Sicherheitsexperten am meisten graust. Was geschieht, wenn Russland ins Baltikum einmarschiert und der Bündnisfall eintritt? Zieht die Nato dann die atomare Karte? "Das ist unsere größte Sorge", sagt Mount: "dass ein regionaler Konflikt eskaliert und der Einsatz von Atombomben erwogen wird."

Die kalifornische Denkfabrik Rand, die das US-Militär berät, hat 2014 und 2015 eine solche russische Invasion durchgespielt. Demnach hätte die Nato zunächst keine Chance, das Baltikum zu verteidigen. In 36 bis 60 Stunden würden russische Kräfte Tallinn und Riga erreichen.

Wäre in einer solchen Situation ein Atomschlag sinnvoll, um die Russen in die Schranken zu weisen? Adam Mount hat dazu eine Studie mit verschiedenen Szenarien durchgeführt. Das Ergebnis: Der Einsatz von Kernwaffen ergäbe kaum Sinn.

Eine Atombombe über dem besetzten Gebiet zu zünden treffe vor allem die Zivilbevölkerung des Verbündeten, erläutert Mount. Ein Schlag über russischem Territorium wiederum berge die Gefahr der massiven Eskalation.

Selbst wenn die Russen eine kleine Fünf-Kilotonnen-Atombombe in großer Höhe explodieren ließen, um ihre Entschlossenheit zu untermauern, wäre es vermutlich vernünftiger, konventionell zu antworten, um eine weitere nukleare Eskalation zu verhindern.

"Es gibt in regionalen Konflikten einfach keine Ziele für Atomwaffen", sagt Mount. Daran ändere auch die Modernisierung der Waffen nichts.

Denn selbst eine kleine, präzise Kernwaffe bleibt eine Kernwaffe. Und es ist wichtig, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie Atombomben wirken.

Die derzeit gängige russische Interkontinentalrakete SS-25 beispielsweise hat bis zu 800 Kilotonnen Sprengkraft und ist damit 53-mal so stark wie die Hiroshima-Bombe.

Was so eine Waffe anrichten kann, lässt sich auf der Internetseite von Nukemap  simulieren. Würde eine SS-25 in einer Höhe von einem Kilometer über dem Brandenburger Tor in Berlin explodieren, wären 520.000 Menschen sofort tot und weitere 950.000 schwer verletzt. Der Feuerball der Detonation hätte einen Durchmesser von knapp 2,5 Kilometern.

Noch in zwei Kilometer Entfernung vom 100 Meter tiefen Bombenkrater wäre die Strahlung tödlich. Zwischen Charlottenburg und Friedrichshain stünde kein Haus mehr. Vom Grunewald im Westen bis Marzahn im Osten würden die Menschen Verbrennungen dritten Grades erleiden. 11 Krankenhäuser wären zerstört, 40 Feuerwehrstationen und 779 Schulen, Kitas und andere Bildungseinrichtungen.

US-Atombombe B61-12 (im Waffenentwicklungslabor der Sandia National Laboratories in Albuquerque): Glaubhafte Drohkulisse

US-Atombombe B61-12 (im Waffenentwicklungslabor der Sandia National Laboratories in Albuquerque): Glaubhafte Drohkulisse

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Muss sich die Welt nun darauf einstellen, dass solches Grauen wieder ernsthaft erwogen wird, als probates Mittel der Kriegführung? Männer wie Donald Trump oder Kim Jong Un nähren die Sorge, dass Entscheidungen über Atomwaffeneinsätze künftig impulsiv oder gar irrational getroffen werden könnten. Wladimir Putin gilt im Vergleich dazu zwar als rationaler Politiker. Bei ihm jedoch sitzt die Angst vor einer technischen Überlegenheit der USA tief.

Die Modernisierung der Atomwaffen schüre eine "alte russische Paranoia", sagt Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit: Die Amerikaner könnten insgeheim versuchen, sich die Fähigkeiten für einen atomaren Erstschlag anzueignen, um Russland zu entwaffnen.

Tatsächlich sind die USA den anderen Atommächten derzeit weit voraus, vor allem bei der Zielgenauigkeit und Verlässlichkeit der Waffen sowie bei der militärischen Aufklärung.

Raketenabwehrsysteme verstärken gegnerische Ängste. Im Mai vergangenen Jahres eröffnete die Nato eine Anti-Raketen-Basis im südlichen Rumänien. Eine weitere Anlage ist im polnischen Redzikowo in Bau. Dazu kommen US-Kriegsschiffe im Mittelmeer, die mit sogenannten Aegis-Systemen zur Raketenabwehr ausgerüstet sind.

Die Nato weist darauf hin, dass diese Systeme nicht gegen Russland gerichtet sind. Moskau sieht dennoch das nukleare Gleichgewicht gefährdet. Sobald eine Partei die Raketen der Gegenseite noch in den Silos zerstören oder effektiv abfangen kann, ist die Logik der sogenannten gegenseitig zugesicherten Zerstörung (mutual assured destruction, MAD) außer Kraft gesetzt. Auch neue Cyberkrieg-Methoden könnten diesen Effekt haben.

"Bei den Russen spielt die Frage eine zentrale Rolle, ob sie nach einem Angriff der USA noch genug Waffen übrig hätten, um zurückschlagen zu können", sagt Nassauer. Wladimir Putin drückte sein Unbehagen über das Nukleararsenal 2.0 im vergangenen Jahr vor Journalisten so aus: "Eure Leute haben kein Gespür für die drohende Gefahr", sagte er in Bezug auf die USA und ihre Alliierten. "Das ist es, was mir Sorgen macht."

Und so dreht der Kremlchef die Rüstungsspirale weiter. Putins Marine entwickelt russischen Medienberichten zufolge eine Unterseedrohne, die vor feindlichen Küstenstädten detonieren und diese in radioaktive Wolken hüllen soll.

Und unter dem Codenamen "Objekt 4202" tüfteln die Russen an einer sogenannten Hyperschallwaffe. Die selbstfliegenden Gefechtsköpfe sollen mehrfache Schallgeschwindigkeit erreichen und damit jede Raketenabwehr überwinden können.

Auch Chinas Militär, befehligt von Präsident Xi Jinping, testet eine solche Waffe, Kürzel DF-ZF. Die Amerikaner entwickeln für 2,4 Milliarden Dollar die AHW: Diese tödlichen Flugobjekte sollen auf ballistischen Raketen im Dutzend in den Himmel reiten, sich dort selbstständig machen und dann blitzschnell ins Ziel preschen.

Schon die schiere Wucht einer solchen Waffe würde ausreichen, ein feindliches Raketensilo zu zerstören. Die USA arbeiten deshalb bislang nur an konventionellen Hyperschallwaffen. Chinesen und Russen, so berichten Geheimdienstquellen, wollen ihre Blitzgeschosse womöglich auch mit Nuklearsprengköpfen ausstatten.

"Prompt Global Strike Weapons" werden solche Vernichtungsmaschinen genannt: Sie könnten jeden Ort der Welt zielgenau erreichen. Eine Abwehr ist bislang unmöglich.

Nach einem Fehlalarm blieb der Gegenschlag aus - wegen des veralteten Computersystems.

Was also ist zu tun, um einen neuen atomaren Rüstungswettlauf aufzuhalten? Kann man ihn überhaupt noch aufhalten? Donald Trumps Tweets jedenfalls sind eher dazu angetan, die Situation zu eskalieren. Er sei "darauf eingestellt", Japan und Südkorea die Entwicklung eigener Atomwaffen zuzubilligen, sagte er schon im Wahlkampf. Was wie ein Zugeständnis klingt, ist der Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Folge nämlich wäre die Weiterverbreitung von Atomwaffen - ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag und eine Katastrophe für die globale Sicherheit.

In der Nato beginnt derweil eine neue Diskussion über Kernwaffen. Jarosaw Kaczyski, Führer der polnischen Konservativen, wünschte sich kürzlich Europa als "atomare Supermacht". Gespeist wird diese Großmachtsvision von der Angst, den Schutzschild der USA zu verlieren. Ein unberechenbarer Donald Trump bringt damit auch Europas Sicherheitspolitik ins Schlingern.

Experten drängen deshalb darauf, dass Trump das Säbelrasseln einstellt und wie sein Vorgänger auf Rüstungskontrolle setzt. Kremlchef Putin hat vorgeschlagen, den New-Start-Vertrag bis 2026 zu verlängern. "Es wäre dumm von Trump, dieses Angebot nicht anzunehmen", sagt Nassauer. Doch der US-Präsident zögert.

Dabei würde die weitere Begrenzung der Nuklearwaffen den USA nur Vorteile bringen, sagt Adam Mount. "Das jetzige Atomarsenal der USA reicht völlig aus, um uns und unsere Verbündeten zu verteidigen. Wir sollten minimale Abschreckung und gegenseitige Verwundbarkeit mit China und Russland anstreben." Alles andere sei zudem viel zu teuer.

"Ich sehe eine wichtige Rolle für die nichtnuklearen Länder", ergänzt Hans Kristensen. "Sie müssen darauf drängen, Atomwaffen zu ächten." Bei dem derzeitigen Treffen der Vereinten Nationen in New York verhandeln die Vertreter von über 130 der 193 Uno-Mitgliedstaaten genau dieses Thema. Die Atomwaffenmächte sitzen allerdings nicht mit am Tisch. Auch Deutschland und die meisten anderen Nato-Länder halten sich fern.

Dabei könnte Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Der Russlandexperte Pavel Podvig vom Abrüstungsforschungsinstitut der Uno in Genf schlägt vor, alle in Europa stationierten nichtstrategischen Nuklearsprengsätze wie etwa die amerikanischen B61-Bomben oder vergleichbare russische Waffen in Bunkern abseits ihrer Einsatzorte einzulagern. Waffeninspekteure könnten überprüfen, ob es dabei bleibt.

"Wir müssen unter allen Umständen ausschließen, dass Atomwaffen in einem europäischen Konflikt eingesetzt werden", sagt Podvig. Die Waffen aus dem Verkehr zu ziehen verringere darüber hinaus die Gefahr, dass sie aus Versehen gezündet werden.

Den gleichen Effekt soll auch das Update des Pentagon-Computersystems haben, das die Betriebssteuerung der amerikanischen Interkontinentalraketen überwacht. Allerdings warnen Experten auch hier vor übertriebener Modernisierung.

1979 und 1980 zum Beispiel löste das North American Air Defense Command der USA Fehlalarm wegen eines vermeintlichen Atomwaffenangriffs der Sowjets aus. Ein US-Gegenschlag blieb bekanntlich aus - was der britische Sicherheitsexperte Andrew Futter auf das veraltete Computersystem zurückführt. "Die Operatoren konnten den Fehler schnell finden, weil sie das System verstanden", sagt er.

Eine neue, vollständig digitalisierte Kommandoapparatur, fürchtet Futter, werde sich weitaus trickreicher gestalten. Bei komplexen Systemen, vor allem bei jenen, die nie vollständig getestet werden können, sei die Gefahr der Fehlfunktion besonders groß.

"Mehr Technologie schafft nicht automatisch eine sicherere Welt", sagt Futter.

Im Video: Die Anfänge der Atombombe

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