Fahrverbote Schlechte Nachrichten für Dieselfahrer

Weil Autohersteller und Politik es mit der Luftreinhaltung nicht so genau nehmen, wollen Umweltverbände sie in Gerichtsverfahren durchsetzen. Für viele Dieselfahrer könnte das bitter werden: Es drohen flächendeckende Fahrverbote.
Foto: Lino Mirgeler/ dpa

Wer über die Bundesstraße 14 in Stuttgart rauscht, kann das, was an der Seite zu sehen ist, für Rollrasen in der Senkrechten halten. Doch es ist mitnichten ordinäres Grün, das Arbeiter an die Stellwand neben der Straße tackern. Das Graue Zackenmützenmoos ist durch seine strukturierte Oberfläche mit vielen kleinen Wölbungen imstande, Luftpartikel besonders gut zu binden. Deshalb haben Botaniker das Moos im Schwarzwald herangezogen. In heißen Sommern wird ein Nebeldüsensystem die 100 Meter lange und 3 Meter hohe Wand befeuchten.

Die Wunderpflanze soll die derzeit schlimmste Problemzone der schwäbischen Landeshauptstadt kaschieren: Die B14 am Neckartor ist die dreckigste Straße Deutschlands. Maximal 35 Tage mit überhöhtem Feinstaubwert erlaubt die Europäische Union pro Jahr, laut der Messungen dort ist diese Zahl im März schon überschritten. Zudem liegen die Werte für Stickstoffdioxid (NO²) an den Hauptverkehrsstraßen im Stuttgarter Talkessel regelmäßig oberhalb des Zulässigen. Der Stoff wird zu zwei Dritteln allein von Diesel-Pkw ausgestoßen.

Deshalb stellt die Stadt nicht nur für gut eine halbe Million Euro eine Mooswand auf, sie schickt zusätzlich nachts zwei Feinstaubkehrmaschinen über die Fahrbahnen der B14. Und die Landesregierung beschloss eine bundesweit einzigartige Maßnahme: Ab Januar 2018 dürfen an Tagen mit Feinstaubalarm ältere Dieselfahrzeuge ohne Euro-6-Abgasnorm nicht mehr in Stuttgart einfahren.

Verbissen kämpfen Stadt und Bundesland gegen jedes Mikrogramm Schadstoff in der Luft. Sie stehen unter Druck: Vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart wird bald über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe wegen zu hoher Stickstoffdioxid-Werte verhandelt, die Schriftsätze sind bereits ausgetauscht. Vor einem Jahr hat die Stadt in einem Vergleich vor Gericht zwei Anrainern des Neckartors zugesagt, dass der Verkehr an Tagen mit schlechter Luft um 20 Prozent abnehmen soll. Bricht sie diese Vereinbarung, drohen dem Bundesland Strafen und den Autofahrern weitere Fahrverbote.

Nicht nur im Stammland von Porsche und Daimler treiben Umweltschützer mithilfe von Gerichten die Politik vor sich her. Allein die Deutsche Umwelthilfe, eine kleine Organisation mit Sitz im badischen Radolfzell, klagt in 16 Städten. Für ihren Feldzug gegen Dreckschleudern auf vier Rädern müssen die Organisationen lediglich ein paar Straßen pro Kommune finden, in denen die Grenzwerte gerissen werden. Dann verweisen sie vor Gericht auf geltendes Recht. Für sieben Städte sind bereits Urteile ergangen. Zuletzt mahnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bessere Luft in München an.

In Düsseldorf erklärten Richter, Immissionsschutz- und Straßenverkehrsrecht böten eine Grundlage für Fahrverbote, die in Betracht gezogen werden müssten. Das Land Nordrhein-Westfalen hat Revision eingelegt. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet noch in diesem Jahr darüber, in wieweit örtliche Fahrverbote zulässig sind, auch wenn sie nicht durch ein Bundesgesetz geregelt sind.

Der Trend in der Rechtsprechung ist eindeutig: Die Gerichte bewerten die Gesundheit der Stadtbevölkerung höher als noch vor ein paar Jahren. Das Recht des Bürgers auf freie Fahrt durch Ballungsräume gilt dagegen weniger - vor allem für jene, die einen Diesel steuern. Der Deutsche Städtetag rechnet damit, dass sich "in absehbarer Zeit" begrenzte Dieselfahrverbote in mehreren deutschen Großstädten nicht mehr abwenden ließen.

Doch das ist für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nur ein Etappenziel. Die 1975 gegründete Organisation kämpfte auch schon für sauberes Wasser oder für das Dosenpfand. Seit 2005 fordert die DUH saubere Luft ein und stützt sich auf die seinerzeit in Kraft getretenen Grenzwerte der EU. "Alle diese Schadstoffverfahren haben wir bisher gewonnen", sagt Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

Umweltschützer Resch

Umweltschützer Resch

Foto: Rüdiger Wölk/imago

Resch empfängt in seinem Büro im zweiten Stock einer ehemaligen SS-Kaserne am Stadtrand von Radolfzell am Bodensee. "Besser so als ein Neubau draußen auf der grünen Wiese", sagt der Umweltmanager, der früher Kampagnenchef bei der Naturschutzorganisation BUND war. Auch gegenüber dem Verbrennungsmotor gibt sich Resch pragmatisch: "Ich bin kein Dieselfeind." Er wolle nur, dass die Grenzwerte eingehalten würden, nicht nur auf dem Prüfstand, sondern im Realbetrieb.

Was sich simpel anhört, kann immense Folgen für die Fahrzeugflotte in Deutschland haben. Vor Reschs Schreibtisch hängt ein Transparent mit einem Fahrverbotsschild, darauf der Zusatz: "Gilt für Diesel". Resch hat das Schild für ein Fernsehteam aufgebaut, das vor ein paar Tagen da war. Autofahrer können es durchaus als Drohung verstehen. Denn laut Umwelthilfe erfüllt fast kein Diesel die Norm tatsächlich auch auf der Straße. Dazu müssten die Fahrzeuge umgerüstet werden.

Dieselmotoren seien seit Einführung der Euro-4-Norm im Jahr 2005 nicht sauberer, sondern schmutziger geworden, erklärt Resch. Die Motoren seien auf einen niedrigen Ausstoß des Klimagases CO² getrimmt worden, deswegen mussten die Verbrennungstemperaturen steigen, was größere Mengen anderer Schadstoffe produziert.

Resch hält vor allem die Obergrenzen bei Stickoxiden für zu lasch: Bei Pflanzen hält das Bundesimmissionsschutzgesetz schon 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für schädlich - Menschen mute man dagegen einen Wert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid zu.

"Wir fluten die Städte mit giftigen Gasen", sagt er. Das Stuttgarter Modell mit Fahrverboten an Feinstaubtagen hält der Umweltschützer für Augenwischerei: "An Tagen, an denen kein Feinstaubalarm ist, bringt das für Stickoxide gar nichts." Stattdessen wolle die Umwelthilfe vor Gericht durchsetzen, dass sich das Einfahrtverbot auf alle schmutzigen Diesel erstreckt.

Solche Sätze alarmieren die Politik, vor allem im Autoland Baden-Württemberg. Ministerpräsident Winfried Kretschmann gerät von beiden Seiten unter Druck. Die Umwelthilfe will weiter gehende Verbote, doch schon für sein Fahrverbot light musste Kretschmann heftige Kritik einstecken.

Die SPD bezeichnet es als unsozial, die FDP als unternehmerfeindlich. Die AfD warnt vor einer "massenhaften kalten Enteignung der Dieselfahrzeugbesitzer". Das Handwerk fordert Ausnahmen, ebenso die Omnibusunternehmer. Kretschmann erhielt einen Brief von Franz Fehrenbach, dem Aufsichtsratschef von Bosch, wo 15000 Arbeitsplätze am Diesel hingen.

Der Realo sah sich genötigt, auf seinen begrenzten Einfluss hinzuweisen. "Wir leben in einem Rechtsstaat. Die Richter haben das letzte Wort." Anders als Politiker müssten die Juristen keine Rücksicht auf Industrie und Arbeitsplätze nehmen. Dann legte er noch ein Bekenntnis zum modernen Diesel ab: Er habe sich privat eine E-Klasse von Mercedes, einen Euro-6-Diesel, zugelegt. "Das ist der beste Verbrennungsmotor", so Kretschmann. "Es gibt keinen Grund für Diesel-Bashing, was diese Generation betrifft."

Doch die Verkaufszahlen neuer Dieselautos brechen ein, Händler von Gebrauchtwagen verzeichnen Wertverluste. Und auch die Razzia vor einigen Tagen beim Autobauer Audi wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung dürfte das Vertrauen der Verbraucher in Dieselfahrzeuge nicht erhöhen.

In ihrem jüngsten blauen Brief an die Bundesregierung "wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen über Luftqualität und saubere Luft" erwähnt auch die EU-Kommission den Diesel. "Die Kommission ist der Auffassung, dass der hohe Anteil von Diesel-Pkw die Schlussfolgerung zulässt, dass Steueranreize existieren, die kontraproduktiv hinsichtlich der Einhaltung der Verpflichtungen sind", heißt es in dem Schreiben von Mitte Februar.

Das Dokument führt 28 Regionen in Deutschland auf, in denen der Jahresgrenzwert für NO² "wiederholt und kontinuierlich überschritten" worden sei, darunter Heidelberg, Freiburg, Wuppertal und Hagen. Besonders schlimm sei es in Stuttgart, München und dem Rhein-Main-Gebiet um Frankfurt. Dann folgt die Klatsche für die Bundesregierung: "Die Kommission erachtet die Maßnahmen auf Bundesebene als unzureichend." Deutschland sei "seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen". Die EU hat schon zwei Vertragsverletzungsverfahren gegen Berlin eingeleitet, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof könnte folgen.

Foto: DER SPIEGEL

Der Dieselanteil an der Pkw-Flotte in Deutschland war laut Kraftfahrt-Bundesamt seit 1999 deutlich gestiegen: von 13,2 Prozent auf 48 Prozent im Jahr 2015. Das liegt an einem Pakt von Politik und Autoindustrie. Die Hersteller konnten ihre gewinnträchtigen Großmodelle mit dem Argument absetzen, dass die Diesel wenig verbrauchen und die Umwelt schonen würden. Die Politik subventioniert den Kraftstoff mit 18 Cent pro Liter. Angeschmiert sind die Stadtbewohner, die schlechte Luft einatmen müssen.

Das Stickoxidproblem trifft auch Kommunen, die sich für ökologisch vorbildlich hielten. In Hamburg, 2011 zur "Umwelthauptstadt Europas" gekürt, klagt ein Bürger mithilfe des BUND seit 2013 erfolgreich gegen die andauernde Überschreitung des Stickstoffdioxid-Grenzwertes an seinem Wohnort, der stark befahrenen Max-Brauer-Allee im Stadtteil Altona.

Das Hamburger Verwaltungsgericht drohte der Hansestadt im vergangenen Jahr mit einem Zwangsgeld, wenn nicht innerhalb eines Jahres schärfere Maßnahmen zur Luftreinhaltung festgeschrieben würden. Infrage kämen "ausdrücklich auch verkehrsbeschränkende Maßnahmen" stellte das Gericht fest.

"Die Städte befinden sich in einem echten Dilemma", sagt Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Natürlich wolle man die Gesundheit der Bürger schützen. Aber ein komplettes Dieselverbot würde die Innenstädte "lahmlegen", meint Dedy.

Viele Kommunalpolitiker sind ratlos. Fahrverbote für Diesel, ob im ganzen Stadtgebiet oder auf Hauptverkehrsstraßen, würden einen "Riesenärger" provozieren, sagt der Wiesbadener Bürgermeister und Umweltdezernent Arno Goßmann (SPD). Man könne nicht einfach Handwerker, Pendler, Kurier- und Taxifahrer, die im Vertrauen auf die Versprechen der Industrie vermeintlich saubere Dieselfahrzeuge gekauft hätten, aus der Stadt aussperren: "Solange wir nicht dazu gezwungen werden, mache ich keine einzige Straße zu."

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Goßmann will mit sanfteren Methoden die Luft in seiner Stadt sauberer bekommen. Seine Beamten haben einen Plan für ein Lastwagen-Durchfahrverbot vorbereitet, wie es in Stuttgart existiert. Experten glauben jedoch nicht, dass dies die Schadstofflast deutlich senken könnte. Lastwagen sind im Unterschied zu Diesel-Pkw häufiger schon mit gut funktionierenden Stickoxid-Reinigungssystemen mittels Harnstoffzugabe ausgestattet.

So ist absehbar, dass das Flickwerk regionaler Regelungen und Ausnahmen noch unüberschaubarer wird. Einheitlich und effektiver ließen sich Fahrverbote regeln, wenn die verhältnismäßig sauberen Fahrzeuge der sogenannten Euro-6-Norm eine Blaue Plakette bekämen. Solche Autos dürften dann trotz Smogalarms weiterfahren. Das befürwortet die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg ebenso wie eine Handvoll weiterer Bundesländer. Doch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) lehnt die Blaue Plakette ab.

Auch hier sind die Umweltverbände schon einen Schritt weiter. Sie argumentieren, dass selbst die Blaue Plakette zu wenig bringe, weil die Systeme der Euro-6-Diesel häufig abgeschaltet oder heruntergefahren werden, angeblich zum Schutz der Motoren. Das passiere gehäuft an Wintertagen, wenn die Belastungswerte in den Ballungsräumen hoch sind. Viele Euro-6-Autos seien daher in der Praxis sogar schmutziger als ältere Diesel.

Deswegen will der BUND jetzt das Kraftfahrt-Bundesamt verklagen. Eine ähnliche Klage der Umwelthilfe gegen das Amt liegt bereits beim Verwaltungsgericht Schleswig.

Nachhaltig sauberer könnte die Luft nach Ansicht der Aktivisten durch Maßnahmen werden, vor denen die Politik zurückschreckt: eine City-Maut, Einfahrbeschränkungen für alle Autos, strengere Tempolimits. Auch der staatlich subventionierte Trend zu schweren, spritschluckenden Wagen müsse auf den Prüfstand - dumm nur, dass die abgemahnten Kommunalpolitiker kaum etwas daran beeinflussen könnten.

"Einerseits sollen die Städte die Grenzwerte einhalten, andererseits wird ihnen nicht das richtige Handwerkszeug gegeben, um den Gordischen Knoten der Luftreinhaltung zu zerschlagen", sagt die Münchner Umweltreferentin Stephanie Jacobs. Weil Bayern auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs von 2012 nach einer Klage der Umwelthilfe nur mit Schulterzucken reagiert hat, drohen Richter nun mit einem Zwangsgeld, wenn auch nur in Höhe von insgesamt 10000 Euro.

Immerhin muss der Freistaat bis Ende Juni ein Straßenverzeichnis für München veröffentlichen, das die Gebiete ausweist, in denen der NO²-Grenzwert aktuell überschritten wird. Bis Ende August muss bekannt gegeben werden, dass ein Diesel-fahrverbot für diese Straßen in den Luftreinhalteplan aufgenommen werden soll. Bis Jahresende schließlich muss ein "vollzugsfähiges Konzept" vorliegen.

"Je länger das dauert, je später die Hersteller einlenken, desto größer wird der Schaden für den Diesel sein", ist Jürgen Resch überzeugt. Er plant schon den nächsten juristischen Kniff. Demnächst will die Umwelthilfe die Autohersteller als Kartell bei der EU anschwärzen: Die Konzerne hätten sich abgesprochen, die EU-Grenzwerte nicht einzuhalten.

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