Interview zum Dieselskandal "VW lässt uns im Stich"

Der oberste VW- und Audi-Händler Deutschlands prangert Volkswagen an: Der Konzern frustriere Autoverkäufer und Kunden gleichermaßen.
Dirk Weddigen von Knapp

Dirk Weddigen von Knapp

Foto: Sonja Och / DER SPIEGEL

Dies Interview wurde im September 2017 geführt

Dirk Weddigen von Knapp, 62, Vorsitzender des Volkswagen und Audi Partnerverbands, vertritt 1330 Händler und 970 Servicepartner der Marken VW und Audi. VW vertreibt rund drei Viertel seiner gut 600.000 jährlich verkauften Autos in Deutschland über die Händler.

SPIEGEL: Zwei Jahre Dieselskandal - was macht das mit den VW-Händlern im Land?

Weddigen von Knapp: Im September 2015 hat uns die Nachricht überrascht, dass Volkswagen, den wir bis dahin für den Konzern der Konzerne gehalten haben, betrogen hat. Ausgerechnet der Hersteller, der bis ins Kleinste perfekt sein wollte, der das Spaltmaß zwischen zwei Blechen zum Maß aller Dinge erklärt hat. Was da ans Licht kam, hat die Händler in eine Krise gestürzt wie noch nie. Viele von ihnen sind mit Volkswagen groß geworden, auch wohlhabend. Nun standen sie vor einem Problem, das sich keiner hatte vorstellen können. Wir waren entsetzt - und glauben Sie mir: nicht nur aus Angst ums Geschäft.

SPIEGEL: Bei den Händlern lief danach die größte Rückrufaktion in der Geschichte von VW an. Softwareupdates für 2,4 Millionen Autos mit dem Dieselmotor EA 189.

Weddigen von Knapp: Es klingt vielleicht merkwürdig, aber das hat uns Händler erst mal beruhigt: Rückrufaktionen, das kennen wir, damit werden wir fertig. Bis heute sind 90 Prozent der betroffenen Autos geflasht, wie wir das nennen, haben also die neue Software bekommen. Dann aber rollte Ende 2016 die nächste Manipulationswelle an, bei den Temperaturfenstern, in denen die Abgasreinigung läuft. Und seit dem Dieselgipfel Anfang August geht es um alle Euro-5-Dieselmotoren. Die VW-Händler fühlen sich so, als wären sie keuchend aus dem Wasser aufgetaucht, und gleich drückt sie wieder einer runter.

SPIEGEL: Würden Sie selbst noch einen Diesel kaufen?

Weddigen von Knapp: Das habe ich getan. Einen Golf Diesel mit Euro-6-Motor.

SPIEGEL: Aber selbst bei einem Touareg mit Euro-6-Motor können Sie keinem Kunden mehr garantieren, dass er damit demnächst noch in die Stadt kommt.

Weddigen von Knapp: Wir Händler geben ja keine Garantie.

SPIEGEL: Volkswagen auch nicht.

Weddigen von Knapp: Dann verstehen Sie ja auch, in welcher Rolle der Händler ist. Schwierig. Aber VW verspricht uns, dass die aktuellen Euro-6-Modelle den aktuellen Zulassungsregeln entsprechen und die Grenzwerte auch auf der Straße schaffen.

SPIEGEL: Und das glauben Sie einem Konzern, von dem nun alle wissen, dass ihm nicht zu trauen ist - schon gar nicht, wenn es um Abgaswerte geht?

Weddigen von Knapp: Das ist eine Fangfrage, die beantworte ich nicht. Als Kaufmann kann ich nur die Eigenschaften zur Kenntnis nehmen, die mir der Hersteller zusichert.

SPIEGEL: Jetzt drücken Sie sich davor, die Dinge beim Namen zu nennen.

Weddigen von Knapp: Nein, bestimmt nicht. Wir haben einen Skandal, und wie der Konzern damit umgeht, das ist unglaublich. Die Wolfsburger reden jetzt von einer "Industrie-Diskussion". Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Sie meinen damit, der Dieselskandal sei eigentlich kein Volkswagen-Thema, sondern ein Thema der deutschen Autoindustrie insgesamt. Das ist eine grobe Verletzung ethischer Werte. Man bekennt sich nicht mehr schuldig für das, was man verursacht hat. Das empfinde ich als schwierig.

SPIEGEL: Haben Sie das VW-Vorstandschef Matthias Müller schon gesagt?

Weddigen von Knapp: Herr Müller spricht kein Wort mit uns. Wir reden mit dem Vertrieb für Deutschland.

SPIEGEL: Und was sagt Ihnen der Vertrieb?

Weddigen von Knapp: Die tun so, als ginge das Leben weiter wie bisher. Der Vertrieb macht eine Händlerkonferenz und will dort mit uns über die Verkaufsziele im nächsten Jahr reden. Als wäre der Abgasskandal eine Grippe, die schnell überstanden ist. Dabei müsste der Vertrieb jetzt erst mal mit uns darüber sprechen, welche wirtschaftlichen Folgen der Skandal für die Händler hat. Wenn eine Krise die Autohäuser so trifft wie diese, müsste unter wirklichen Partnern viel mehr darüber geredet werden.

SPIEGEL: Der Konzern ist vermutlich so mit sich beschäftigt, dass ihn die Händler gerade nicht sehr interessieren.

Weddigen von Knapp: Den Eindruck muss man haben. Die Händler haben jedenfalls das Gefühl, dass Volkswagen sie im Stich lässt. Mit Vorführ- und Werkswagen stellt VW ihnen Autos auf den Hof, dafür müssen sie jetzt die Verluste hinnehmen. Trotzdem kümmert sich der Konzern nicht um ihre Sorgen. Im Gegenteil: Gerade jetzt will Audi einen neuen Händlervertrag durchdrücken. Dann könnte Audi das wichtige Geschäft mit Großkunden ohne die Händler machen. Das läuft mit uns nicht.

SPIEGEL: Wie sieht denn in Zeiten von Dieselgate der Alltag auf dem Hof Ihrer Autohäuser aus?

Weddigen von Knapp: Wenn die Leute kommen, ist das allererste Thema: Was ist los mit meinem Auto? Meinem Diesel? Kann ich das überhaupt noch weiterfahren? Wie kannst du mir garantieren, dass der Wagen, den du mir für 40.000 Euro aus meiner Familienkasse verkauft hast, so läuft, wie er soll?

SPIEGEL: Haben sich die Händler schon an brüllende Kunden gewöhnt?

Weddigen von Knapp: Die gibt es vermutlich auch. Verbrieft ist aber die elend lange Zeit, die man mit der Beruhigung von Autokäufern verbringt; Familienväter und -mütter oder Rentner, die bisher jedes Golf-Modell gekauft haben. Und jetzt kommen noch die Fuhrparkmanager hinzu. Und die Klempner, die Schreiner, die Heizungsinstallateure, die zu Hunderten in der Stadt herumfahren, alle mit Dieseltransportern. Was machen die, wenn morgen die Städte gesperrt werden? Die haben wir jetzt auf der Matte stehen, die fragen: Ist das euer Ernst? Was liefert ihr mir hier für ein Auto?

SPIEGEL: Gab es schon Prügel?

Weddigen von Knapp: Das nicht, aber etwas, das auf Dauer schlimmer ist: tiefe Enttäuschung. Auf diese Enttäuschung zielen die Anwälte, die immer systematischer Kunden angehen, damit sie klagen. Nicht gegen den Konzern. Gegen uns, die Verkäufer, wegen arglistiger Täuschung.

SPIEGEL: Dass sich der Kunde einen Anwalt nimmt, kann man verstehen. Allein hat er gegen einen Konzern, der sich so hart gegen Ansprüche wehrt, doch kaum eine Chance.

Weddigen von Knapp: Ich verstehe das total, wir sind die Allerletzten, die unsere Kunden nicht verstehen. Wenn ich ein normaler Kunde wäre und hätte eine Rechtsschutzversicherung, würde ich auch klagen. Die Käufer nehmen nur ihr Recht in die Hand. Die wollen ihr Auto ausgetauscht bekommen oder ihr Geld zurück. Selbstverständlich ist das ein berechtigter Anspruch. Wenn ich etwas kaufe, überzeugt davon, es ist gut, und dann erfahre, es ist nicht gut, vielleicht kann ich bald nicht mal mehr in die Stadt fahren, dann bin ich kalt enteignet. Mein Auto ist nicht mehr das wert, was es noch wert wäre, wenn VW nicht manipuliert hätte.

SPIEGEL: Trotzdem geht VW mit vielen Klägern durch die Gerichtsinstanzen.

Weddigen von Knapp: Was Volkswagen macht, vergrätzt die Kunden noch mehr. Volkswagen spricht nur von 5000 anhängigen Klagen. Aber laufende Verfahren haben wir mehr. Wir wissen, dass allein die Kanzlei Stoll & Sauer in Freiburg 3700 Klagen betreibt. Die Kanzlei Baum Reiter & Collegen in Düsseldorf will 5000 Klagen gegen VW einreichen. Ich mache zur Einschätzung noch eine Rechnung auf: Zu unserem Händlernetz gehören 50 Großunternehmen, die mehrere Händler vereinigen. Diese Großen haben im Schnitt rund 80 Klagen anhängig, macht 4000 Klagen. Und wir haben etwa 950 kleinere Betriebe, jeder mit rund 5 Klagen. Zusammen noch mal 4750. Aber das ist nur der Anfang. Ende 2017 läuft eine wichtige Frist ab. Deshalb wird bis zum Jahresende noch ein ganzer Schwung hinzukommen.

SPIEGEL: Was heißt das für die Autohäuser?

Weddigen von Knapp: Der Händler wird verklagt und muss sich einen Anwalt nehmen. Der reicht den Fall bei VW ein; dort wird ihm gesagt, wie er sich zu verhalten habe. Wenn er sich daran nicht hält, übernimmt der Konzern hinterher nicht die Kosten.

SPIEGEL: Was hat Volkswagen den Händlern zugesagt?

Weddigen von Knapp: Dass der Konzern die Gerichtskosten ersetzt. Aber so wie bisher geht das nicht weiter. Die VW-Händler müssen in Vorleistung gehen und bis zum Ende des Gerichtsverfahrens durchhalten. Audi rechnet schon nach der ersten Instanz ab, das haben wir gerade mit Audi so verabredet, und das ist fair. VW macht das nicht. Dort wird erst am Ende abgerechnet. Aber wenn ich als Händler 80 Verfahren habe und damit in die zweite Instanz muss, habe ich 80 Mal gut 20.000 Euro auf der Uhr.

SPIEGEL: Sie sagen doch, im Prinzip halten Sie die Ansprüche für nachvollziehbar. Trotzdem muss der Händler gegen den Kunden kämpfen und für VW die Klage durchziehen.

Weddigen von Knapp: Ja, grotesk. Das ist eine perverse Situation, und sie führt dazu, dass wir diese Kunden nie mehr wiedersehen. Wer klagt, den haben wir als Kunden verloren, das ist doch klar. Für diese Kunden sind wir der Feind. Und die erzählen das noch herum, bei Freunden, Verwandten, die Kläger sind nur die Spitze des Eisbergs. Mich fragen die Händler: Was machen wir mit den Kundenverlusten? Wir haben diese Kunden aufgebaut, über Jahre, Jahrzehnte, manche Stammkunden seit Generationen, die kannten schon unsere Eltern, Großeltern. Wenn eine Familie Volkswagen fuhr, fuhr sie immer wieder Volkswagen. So haben wir 21 Prozent Marktanteil erreicht. Und jetzt sind wir vor Gericht mit ihnen.

SPIEGEL: Wie viel Umsatz haben die VW-Händler verloren?

Weddigen von Knapp: Seit 2015 rund drei Prozentpunkte Marktanteil. Das sind in Deutschland etwa 73.000 neue Autos weniger im Jahr. Aber die größten Sorgen machen uns die Rückläufer aus Leasingverträgen. Die Preise für gebrauchte Diesel gehen nach unten. Wenn der Händler es überhaupt schafft, so einen Rückläufer gleich zu verkaufen, macht er heute je nach Typ bis zu 3000 Euro Verlust gegenüber dem Restwert, mit dem er das Auto vor der Dieselkrise kalkuliert hatte. Allerdings stehen die Höfe voll, es dauert länger, bis der Wagen verkauft ist. In der Zwischenzeit fallen die Preise noch mehr. Wenn das so weitergeht, werden die Händler in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.

SPIEGEL: Lässt sich das stoppen?

Weddigen von Knapp: Ja, wenn VW endlich bereit ist, seine Kunden in der Krise anständig zu behandeln. Der Dieselgipfel hat nicht gut funktioniert. Man hätte nicht bloß das nächste Softwareupdate beschließen sollen. Anständig wäre die Hardwarelösung gewesen, das Nachrüsten von Bauteilen. Weil nur das wirklich taugt. Nur damit ist garantiert, dass der Großteil der Stickoxide aus dem Abgas herausgewaschen wird. Und nur dann kommt das Vertrauen der Kunden in den Diesel zurück.

SPIEGEL: Der Softwareflash kostet rund 70 Euro, die harte Nachrüstung 1500 Euro und mehr.

Weddigen von Knapp: Stimmt, aber das ist zu kurz gedacht. VW braucht einen hohen Dieselanteil, um bis 2020 das CO2-Ziel der EU von 95 Gramm pro Kilometer für die gesamte Flotte zu schaffen. Sonst zahlt VW Milliarden-Bußgelder. Nicht einmal, sondern jedes Jahr. Deshalb sollte der Konzern nachrüsten. Nur das wäre ein vernünftiger Umgang mit dem Kunden, und nur so könnte der Konzern den Diesel rehabilitieren, damit wieder mehr Dieselautos gekauft werden. Die Nachrüstung kostet zwar auch Milliarden, aber nur einmal.

SPIEGEL: Warum bekommen Sie das nicht in die Köpfe in Wolfsburg?

Weddigen von Knapp: Weil dort die Meinung vorherrscht, dass es mit 70 Euro getan ist. Es geht ums Geld, einzig und allein ums Geld. 70 Euro sind 70 Euro und 1500 Euro sind 1500 Euro.

SPIEGEL: Weniger Verkäufe, hohe Verluste mit Leasingautos, jede Menge Ärger vor Gericht - was erwarten Sie vom Konzern, der Ihnen das eingebrockt hat?

Weddigen von Knapp: Wir haben vor knapp drei Wochen einen Brief an Herbert Diess geschrieben, den Vorstandsvorsitzenden der Marke VW, und haben angekündigt, dass die Händler Schadensersatz fordern. Darin steht, dass wir dazu ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben haben und darüber mit ihm in Kürze reden wollen. Und natürlich, dass wir die harte Nachrüstung fordern. Ich habe bis heute keine Antwort bekommen.

SPIEGEL: Um welche Summe geht es?

Weddigen von Knapp: Warten wir das Gutachten ab. Wir wollen Geld dafür, dass Händler viele Stunden dafür opfern mussten, Klagen zu lesen und mit ihren Anwälten zu reden. Das könnte ein einstelliger Millionenbetrag werden. Dazu kommen die Verluste bei den Leasingrückläufern und bei den Gebrauchtwagen, sicher eine hohe zwei- bis dreistellige Summe. Eines ist klar: So lange das nicht geklärt ist, müssen wir über die Verkaufsziele des nächsten Jahres nicht reden.

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