Rechtspopulismus-Debatte Donald Trump im Faschismustest

Faschistenführer Mussolini in Mailand 1936: "Sexuelle Bulimie"
Foto: Aisa/ FotofinderWenn Donald Trump ein Faschist ist und sein Regime faschistisch sein würde, könnte das diese Folgen haben: Die wahren Demokraten in den USA würden früher oder später den Aufstand wagen, um ihre Freiheit zu verteidigen, und der Rest des Westens, der ja universell für die Freiheit, die Demokratie und die Menschenrechte eintritt, müsste die Aufständischen unterstützen, selbst in einem Bürgerkrieg.
Ist er denn ein Faschist? Mit Trump "kommt der Faschismus nach Amerika", schrieb der konservative Intellektuelle Robert Kagan in einem Essay, den der SPIEGEL nachgedruckt hat. Trump "ist ein Faschist", rief Jakob Augstein auf SPIEGEL ONLINE aus. "Trump ist eine Medienfigur - und ein Faschist - unserer Zeit", behauptete Fred Turner , Kommunikationsforscher an der Universität Stanford, in der "Zeit". "Dies ist mit Sicherheit die Weise, wie Faschismus beginnen kann", schrieb der Chefredakteur des "New Yorker", David Remnick, am Tag nach Trumps Wahl.
Faschismus ist ein historischer und ein politischer Begriff. Er steht historisch für autoritäre, extrem gewaltbereite Regime, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa weit verbreitet waren. Politisch ist es seither ein Kampfbegriff, der den Gegner in die Ecke von Benito Mussolini und Adolf Hitler stellt, ihn damit extrem diffamiert und mundtot machen soll. Viele demokratische Politiker haben sich von links als Faschisten beschimpfen lassen müssen, ohne dass es dafür die geringste Grundlage gab. Jetzt ist die Lage anders.
Trumps skrupelloses Gebaren im Wahlkampf, sein Rassismus, seine Drohung, Hillary Clinton ins Gefängnis zu stecken, liegen jenseits dessen, was für eine Demokratie verträglich ist. Das ist nicht mit George W. Bush zu vergleichen, nicht mit Ronald Reagan, Trump agiert in einer eigenen Kategorie. Es sei denn, es wäre Faschismus.
Ist es Faschismus, wäre es eine Katastrophe für die Welt. Siehe oben. Ist es nicht Faschismus, würde es vor allem Trumps Wähler diffamieren, sie in die schmutzige Ecke stellen, weil sie einem Faschisten an die Macht verholfen haben, sie weiter verbittern, bis sie vielleicht tatsächlich für die Demokratie verloren sind. Deshalb kommt es darauf an, sorgfältig mit diesem Begriff umzugehen. Was ist Faschismus, und was hat Trump damit zu tun? Oder die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich, Victor Orbán in Ungarn. Es geht hier um Trump, aber die anderen Rechtspopulisten kann man dabei mitdenken.
Dem Faschismusexperten Robert O. Paxton fiel auf, dass Trumps "hervorstehender Unterkiefer" an Mussolini erinnere. Auch im Umgang mit Frauen dürften sich Parallelen finden: Mussolini wurde "sexuelle Bulimie" unterstellt (Hitler allerdings so gar nicht). Auf der politischen Ebene ist der Vergleich schwierig, weil es so viele Vorstellungen gibt von dem, was Faschismus ist.
Als erste faschistische Organisation in Europa gilt die Action française, die sich Ende des 19. Jahrhunderts bildete. Der erste faschistische Staat war Mussolinis Italien, dann kam Hitlers Nationalsozialismus. Auch in Ungarn, Kroatien, Spanien oder Portugal entwickelten sich in den Dreißiger- und Vierzigerjahren Regime mit faschistischen Elementen. Aber zwischen Nazideutschland und Francisco Francos Spanien liegen so große Unterschiede, dass man sie kaum in einem Atemzug nennen kann. Franco war ein Diktator, aber er wollte nicht bis tief in die Köpfe und das Privatleben der Menschen hineinherrschen, er war kein Imperialist, er versuchte nicht, das Judentum zu vernichten.
Eine frühe Definition stammt vom deutschen Historiker Ernst Nolte, der manchen Unsinn geschrieben hat, aber unbestritten als Experte für den Faschismus galt. Seine Definition lautet so: "Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie." Dieser etwas umständliche Satz hilft heute wenig, da die Sowjetunion nicht mehr existiert und der Marxismus kein echter Gegner mehr ist.
Mitte der Neunzigerjahre, als Angst vor einem neuen Faschismus in Russland ausbrach, definierte der im Februar verstorbene Schriftsteller und Universalgelehrte Umberto Eco Elemente eines "Urfaschismus". Die Leitfrage war: Woran erkennt man faschistisches Denken in allen Zeiten? Eco hatte Mussolinis Italien als Junge erlebt und schrieb 1942 im Rahmen eines Wettbewerbs einen Aufsatz zum Thema: "Sollen wir sterben für den Ruhm Mussolinis und die ewige Bestimmung Italiens?" Seine Antwort: Ja, natürlich sollen wir sterben. "Ich war ein heller Junge", schrieb Eco 1995.
Sollen wir sterben für den Ruhm Trumps und die ewige Bestimmung der USA? Würde amerikanischen Schülern eines Tages diese Frage vorgelegt, lebten sie im Faschismus, ohne Zweifel. Damit sich nicht wiederholen kann, was er selbst erlebt hatte, versuchte Eco, ein Frühwarnsystem zu errichten, und definierte 14 Kriterien für den Urfaschismus, eine Art Faschismustest also. Der lässt sich auf Trump anwenden, auf das, was man politisch von ihm weiß, und das stammt vor allem aus dem Wahlkampf.
"Das erste Merkmal des Urfaschismus ist der Traditionskult", beginnt Eco. Es gehe um die "ursprüngliche Wahrheit", um das Quasireligiöse faschistischer Bewegungen. Bei Trump ist das nicht besonders ausgeprägt, er kommt aus dem Immobiliengeschäft und der Reality-Show, eine philosophisch-religiöse Untermauerung spielte bislang keine große Rolle. Negativ also.

Kandidat Trump im Wahlkampf in Tampa, Florida
Foto: Picture Alliance/ Zuma PressPunkt zwei ist die "Ablehnung der Moderne", des Kapitalismus, vor allem aber der Aufklärung und der Vernunft, "des Geistes von 1789", wie Eco schreibt, der Französischen Revolution also. Trump ist Kapitalist, hat politisch aber einen starken Zug zum Irrationalen, Unbeherrschten gezeigt. Hier gilt ein Unentschieden.
Eindeutig ist Punkt drei, "Misstrauen gegenüber der Welt des Intellekts". In Trumps Welt sind die meisten Intellektuellen Teil des verhassten "Establishments".
In Punkt vier geht es Eco um das geschlossene Weltbild, um totale "Übereinstimmung". Ein Weltbild, dem sich alles unterwerfen muss, ist bei Trump derzeit nicht erkennbar.
Punkt fünf: "Der Urfaschismus sucht Unterstützung, indem er die natürliche Angst vor Unterschieden ausbeutet und verschärft. Der erste Appell einer faschistischen oder vorfaschistischen Bewegung richtet sich gegen Eindringlinge. So ist der Urfaschismus qua Definition rassistisch." Das klingt, als hätte Eco über Trump, AfD, Le Pen geschrieben.
Punkt sechs: "Der Urfaschismus entstand aus individueller oder sozialer Frustration. Deshalb gehörte zu den typischen Merkmalen des historischen Faschismus der Appell an eine frustrierte Mittelklasse, eine Klasse, die unter einer ökonomischen Krise oder der Empfindung politischer Demütigung litt und sich vor dem Druck sozialer Gruppen von unten fürchtete." Besser lässt sich Trumps Appell an seine Wähler nicht beschreiben.
Nationalismus ist Ecos siebter Punkt. Trump in Reinform.
Umberto Eco hat versucht, eine Art Frühwarnsystem zu errichten - 14 Kriterien für den "Urfaschismus".
Nach der Hälfte von Ecos Katalog steht es so: Vier Kriterien sprechen für Urfaschismus, zwei nicht, einmal Unentschieden.
Punkt acht: "Die Anhänger müssen sich vom offensichtlichen Reichtum und der Macht ihrer Feinde gedemütigt fühlen." Dem jungen Eco wurde eingeimpft, dass die Engländer fünfmal am Tag essen würden, häufiger als "die armen, aber nüchternen Italiener". Auch die Juden seien unangenehm reich. Obwohl Trump als Milliardär gilt, treibt viele Anhänger die Wut gegen ein Establishment um, das sich bereichert habe.
Für den Urfaschismus, Punkt neun, ist das Leben "nur um des Kampfes willen da". Ewiger Krieg also. Das gehört eindeutig nicht zu Trumps Botschaften.
Punkt zehn: Eco sieht beim Urfaschismus ein "massenhaftes Elitebewusstsein". Wer Mitglied der Bewegung, der Partei, der Nation ist, schaut auf die jeweils anderen herab. Sicherlich verachten manche weiße Anhänger Trumps Schwarze, aber noch ist das Demütigungsgefühl stärker als das Elitebewusstsein.
"Der urfaschistische Held erwartet den Tod mit Ungeduld" - Punkt elf. Alle würden in diesem Sinne erzogen. Gilt nicht.
Für Eco "überträgt der Urfaschist seinen Willen zur Macht auf die Sexualität". Punkt zwölf. Trifft zu.
Punkt dreizehn: "Wo immer ein Politiker die Legitimität eines Parlaments in Zweifel zieht, weil es den Willen des Volkes nicht mehr zum Ausdruck bringe, riecht es nach Urfaschismus." Das ist die Grundlage des Rechtspopulismus. Die in Washington, die in Berlin, die in Paris wüssten nicht mehr, was "das Volk" wolle.

Anti-Trump-Protest in New York
Foto: Pacific Press Agency/ ImagoZu seinem letzten Punkt schreibt Eco: "Alle Nazi- oder faschistischen Schulbücher bedienten sich eines verarmten Vokabulars und einer elementaren Syntax, um die Instrumente komplexen und kritischen Denkens im Keim zu ersticken. Aber wir müssen uns auch auf andere Formen von Newspeak einstellen, selbst wenn sie in der scheinbar unschuldigen Form einer populären Talkshow daherkommen." Aus diesen Zeilen grinst einen Trump geradezu an.
Achtmal Ja, fünfmal Nein, einmal Unentschieden, das ist das Ergebnis von Ecos Faschismustest, angewandt auf Donald Trump. Eco hat nicht hinterlassen, wie die Ergebnisse zu deuten sind, nur einen Satz: Jedes einzelne Kriterium könne "zu einem Kristallisationspunkt für den Faschismus werden".
Gegenprobe. Robert Paxton hat in seinem Standardwerk "Anatomie des Faschismus" neun "mobilisierende Leidenschaften" für Faschismus genannt. Fünf davon bilden die Stimmung unter Trumps Wählern ab: ein überwältigendes Krisengefühl; die Angst vor dem Niedergang durch die "zersetzenden Effekte von individualistischem Liberalismus, Klassenkonflikten und Einflüssen aus dem Ausland"; das Bedürfnis nach einer "reineren" Gemeinschaft; das Bedürfnis nach Autorität durch geborene Anführer; "die Überlegenheit der Instinkte des Führers über abstrakte und universelle Vernunft". Gerade der letzte Punkt trifft exakt auf Trump und seine Wähler zu.
Nicht oder nur teilweise zutreffend sind: der Glaube an die Vorrangstellung einer Gruppe, die über jedem Recht stehe; der Glaube, Opfer zu sein, womit jede Handlung gerechtfertigt sei, ohne gesetzliche oder moralische Grenzen; eine Ästhetik der Gewalt; "das Recht der Auserwählten, andere ohne die Schranken irgendeines menschlichen oder göttlichen Gesetzes zu beherrschen".
Zwei Tests, zwei Ergebnisse, die mehrheitlich dafür sprechen, mit Trump könne sich der Faschismus in den USA etablieren, einmal ganz knapp, einmal nicht.
Hitler und Mussolini zeigten ihr wahres Gesicht erst, nachdem sie die Regierungsgeschäfte übernommen hatten.
Bislang ging es eher um Haltungen, nicht um Taten. Der historische Faschismus, vor allem der deutsche, etwas schwächer der italienische, war ungemein gewalttätig, vernichtete die Demokratie, die politischen Freiheiten, ignorierte die Menschenrechte. Angriffskriege, Holocaust - all das klebt am Wort Faschismus.
Will Trump etwas Ähnliches? Bislang gibt es keinen Hinweis darauf. Er drohte Hillary Clinton mit Gefängnis, sein Chefberater Stephen Bannon ist ein übler Kerl, der sich schon antisemitisch geäußert hat, aber das ist noch weit weg von den Taten des historischen Faschismus.
Allerdings weiß niemand, wie Trump sich als Präsident der Vereinigten Staaten aufführen wird. Dass er das politische Klima vergiftet, bürgerliche Freiheiten einschränkt, Minderheiten diskriminieren lässt, darf man nach diesem Wahlkampf erwarten, aber will er die Demokratie, die Freiheit und die Menschenrechte abschaffen wie der historische Faschismus? Und könnte er es, wenn er denn wollte?
Paxton empfiehlt, Trump nicht einen Faschisten zu nennen, weil es zum Verständnis seines Aufstiegs nichts beitrage. "Obwohl Trumps Themen und Techniken oberflächlich betrachtet faschistisch wirken, sind die gesellschaftlichen Dynamiken hinter seinem Aufstieg andere", schreibt Paxton in der "tageszeitung". Der historische Faschismus brauchte die Demütigungen Deutschlands und Italiens nach dem Ersten Weltkrieg und den Kommunismus als Gegner. Die Demokratien beider Länder waren schwach und ergaben sich fast widerstandslos den neuen Herrschern.
Auch wenn sich die Hälfte der Wähler für Trump entschieden hat, heißt das nicht, dass sie die Demokratie, die Freiheit und die Menschenrechte loswerden wollen. Bislang haben sie nur von einem demokratischen Grundrecht Gebrauch gemacht, sie haben gewählt. Ihre Demokratie ist über 200 Jahre alt, sie hat die Macht klug verteilt, über "checks and balances", und sie hat eine starke Zivilgesellschaft hervorgebracht. Selbst wenn Trump ein Faschist wäre, heißt das nicht, dass er den Faschismus in den USA durchsetzen kann. Für Paxton ist das, was Trump anstrebt, nicht Faschismus, sondern "eine klar als amerikanisch erkennbare Perversion von Demokratie".
Wie ist nun die Bilanz? Nach Ecos und Paxtons Kriterien spricht einiges dafür, dass Trump ein Faschist und Anführer einer faschistischen Bewegung sein könnte (allerdings wäre das keine organisierte Bewegung wie im historischen Faschismus). Das ist alarmierend, keine Frage. Aber es gibt keinen belastbaren Hinweis dafür, dass er faschistisch handeln wird und das System mit Gewalt umkrempelt. Eher wird er innerhalb des Systems wüten.
Nun können jene, die Donald Trump für einen Faschisten halten, zu Recht einwenden, dass auch Hitler und Mussolini ihr wahres Gesicht erst zeigten, nachdem sie die Regierungsgeschäfte übernommen hatten. Allerdings haben sie schon vorher keinen Hehl daraus gemacht, dass sie die Demokratie verachten und Gewalt nicht scheuen.
Wenn man Trump, so abscheulich sein Wahlkampf war, jetzt schon einen Faschisten nennt, unterstellt man seinen Wählern, dem Faschismus verfallen zu sein, halb Amerika also. Halb Amerika in der Ecke, in der Hitler und Mussolini stehen. Als Deutscher sollte man mit solchen Zuteilungen ohnehin vorsichtig sein. Es geht jetzt darum, Trumps Wähler und die Sympathisanten des Rechtspopulismus überall von ihren Anführern und Parteien wegzulotsen. Das ist nur im Dialog möglich. Und der kann nicht mit der schlimmsten aller politischen Diffamierungen beginnen.
Für die demokratisch gesinnten Amerikaner gilt nun das, was David Remnick im "New Yorker" geschrieben hat: "Verzweiflung ist keine Antwort. Das Autoritäre bekämpfen, Lügen anprangern, ehrenvoll und leidenschaftlich im Namen amerikanischer Ideale kämpfen - das ist das, was jetzt zu tun ist. Das ist alles, was zu tun ist."