Jerusalem-Entscheidung "Trumps Inbox quillt schon jetzt über"

Demonstrant im Gazastreifen
Foto: IBRAHEEM ABU MUSTAFA/ REUTERSSPIEGEL: Für seine Entscheidung, Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen, erntete Donald Trump Kritik vom Papst, der Uno und vielen arabischen Regierungen. Warum ist dieser Beschluss so bedeutsam - und so umstritten?
Haass: Jerusalem ist eine heilige Stätte für Juden, Christen und Muslime, sowohl Israelis als auch Palästinenser sehen Jerusalem als ihre Hauptstadt. Trumps Entscheidung ist umstritten, weil der Status der Stadt der heikelste Punkt bei jedem zukünftigen Friedensabkommen ist. Mit diesem Schritt hat Trump einen wichtigen Aspekt der amerikanischen Jerusalem-Position vorzeitig festgelegt. Der größte Teil der restlichen Welt ist der Auffassung, dass die Jerusalem-Frage nicht als erste behandelt werden sollte, dass sie nicht isoliert behandelt werden sollte und dass sie nicht unilateral behandelt werden sollte.
SPIEGEL: Trump spricht von einer "Anerkennung der Realität" - der Sitz der israelischen Regierung ist ja faktisch in Jerusalem. Es habe Israelis und Palästinenser dem Frieden bisher ja auch nicht näher gebracht, dass es keine formale Anerkennung Jerusalems durch die USA gab.
Haass: Die amerikanische Position zu Jerusalem hat nichts damit zu tun, dass die Friedensbemühungen gescheitert sind. Der Grund dafür ist, dass sowohl die israelische Regierung als auch die palästinensische Führung gespalten sind und dass zwischen beiden Seiten ein gewaltiger Graben klafft. Zu dem Argument, dass diese Entscheidung nur die Realität anerkenne - nun, das ist korrekt, aber es ist eine selektive Wahrnehmung der Realität. Trump hätte Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen und parallel auch etwas über das Verhältnis der Palästinenser zu Jerusalem sagen können. Das Problem ist, dass seine Äußerung einseitig nur auf Israel eingeht.

Haass
Foto: Cathal McNaughton/ ReutersSPIEGEL: Trump hat aber auch gesagt, dass seine Entscheidung die Festlegung der Stadtgrenzen und den Status Ostjerusalems nicht beeinflussen soll - ist das nicht ein entscheidendes Detail?
Haass: Nein, ist es nicht. Wahr ist, dass die Entscheidung selbst keinen Einfluss auf den Konflikt über das Thema Jerusalem hinaus hat. Aber die Frage ist doch: Bringt es die Diplomatie voran, Jerusalem jetzt einseitig herauszugreifen? Ich sehe keine Vorteile, nur Nachteile.
SPIEGEL: Wenn man all die gegenwärtigen Konflikte auf der Welt betrachtet, erscheint dies als ein denkbar schlechter Zeitpunkt, eine weitere Krise zu riskieren.
Haass: Absolut. Trumps Inbox quillt schon jetzt über. Die USA sind mit einer Vielzahlvon Herausforderungen konfrontiert, mit Nordkorea, der Ukraine, Syrien, Venezuela - warum also noch eine weitere hinzufügen? Ich sehe keinen Grund, warum wir das jetzt tun müssten. Ich sehe kein überzeugendes Argument, selbst wenn man es prinzipiell für richtig hielte, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen.
SPIEGEL: Der Präsident behauptet, dass seine Entscheidung den Friedensprozess voranbringen werde - was in Anbetracht der Proteste beinahe zynisch klingt. Können Sie sich dennoch vorstellen, wie dieser Schritt den Frieden befördern könnte?
Haass: Hätte der Präsident die Jerusalem-Entscheidung mit anderen Positionen verbunden, hätte dies den Friedensprozess womöglich voranbringen können. Etwa, wenn er es mit dem israelischen oder palästinensischen Verhalten verknüpft hätte. Oder wenn er es im Kontext einer neuen amerikanischen Politik präsentiert hätte. Aber ich sehe nicht, wie es helfen sollte, Jerusalem jetzt herauszugreifen.
SPIEGEL: Bedeutet dies das Ende der Friedensmission, mit der Trump seinen Schwiegersohn Jared Kushner beauftragt hatte, oder sogar jedes Friedensprozesses?
Haass: Schon vor dieser Entscheidung waren die Chancen auf Frieden gering, und nun sind sie noch immer gering. Ob diese Regierung, ob Jared Kushner einen Plan vorlegen wird, weiß ich nicht. Es gibt dazu schon länger Konsultationen zwischen den USA und Saudi-Arabien. Aber ich sehe keinen Anlass für Optimismus. Und ich kann erst recht nicht nachvollziehen, wie die formale Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt die Erfolgschancen irgendeines Friedensplans erhöhen sollte.
SPIEGEL: Trump sagte auch, dass er eine Zweistaatenlösung unterstützen würde, wenn beide Seiten sie wollten. Wie interpretieren Sie diese Aussage?
Haass: Es ist wichtig, diesen Grundsatz festzuhalten. Aber ihn nur zu formulieren reicht nicht, man muss sich doch auch fragen: Bringt diese Ankündigung uns einer Zweistaatenlösung näher? Ich würde mich gern irren, aber ich bezweifele das.
SPIEGEL: Warum hat Trump jetzt über Jerusalem entschieden und nicht gewartet, bis es Fortschritte im Friedensprozess gibt?
Haass: Darüber kann ich nur spekulieren. Trump hat im Wahlkampf versprochen, Jerusalem anzuerkennen. Nun behauptet er, seine Entscheidung würde nicht nur keinen Schaden anrichten, sondern sogar helfen. Ich überlasse es anderen zu beurteilen, welche politischen Motive er verfolgen mag.
SPIEGEL: Es heißt, die israelische Regierung habe Druck ausgeübt. Vielleicht deshalb?
Haass: Viele Israelis haben sich seit Langem für Jerusalem als anerkannte Hauptstadt eingesetzt, nicht nur bei Donald Trump, sondern bei vielen seiner Vorgänger. Sie und auch manche Amerikaner haben sich diese Anerkennung schon lange gewünscht. Aber all das ist nicht neu.
SPIEGEL: Wird die Allianz zwischen den USA und Israel nun gestärkt?
Haass: Die Israelis wissen diesen Schritt gewiss zu schätzen. Aber die Beziehung zwischen den USA und Israel ist kompliziert. Wir werden auch in Zukunft Meinungsverschiedenheiten haben - über die Details eines Friedensplans, über Siedlungen.
SPIEGEL: Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas warnte, dass Trumps Entscheidung "den Extremisten hilft, einen Glaubenskrieg zu führen, der der ganzen Region schaden wird". Teilen Sie diese Sorge?
Haass: Es ist tatsächlich eine Gefahr, dass Iran und viele islamistische Gruppen diese Entscheidung ausschlachten könnten und Fanatiker zu Angriffen auf amerikanische Botschaften, Firmen oder Touristen anstiften. Ich prophezeie nicht, dass dies geschehen wird, aber es könnte geschehen.
SPIEGEL: Ein weiteres Mal haben die USA im Alleingang eine Entscheidung getroffen, die die Verbündeten in Europa vor den Kopf stößt - nach dem angekündigten Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und der Drohung, den Nukleardeal mit Iran platzen zu lassen. Was bedeutet all das für die transatlantischen Beziehungen?
Haass: Man muss sich nur anschauen, wie kühl Außenminister Rex Tillerson diese Woche in Europa empfangen wurde. Es war eine schlechte Woche für die transatlantische Allianz und für die amerikanische Diplomatie überhaupt. Es fing damit an, dass wir uns weigerten, an der Uno-Konferenz zu Migration in Mexiko teilzunehmen - zu einer Zeit, in der einer von 113 Menschen weltweit auf der Flucht ist. Und nun auch noch dies. All das trägt zu dem Eindruck bei, dass die USA unilateral handeln und wenig Wert auf die Meinungen und Wünsche ihrer Verbündeten legen. Wobei, um fair zu sein, diese spezielle Entscheidung war etwas, was zumindest ein Verbündeter sich gewünscht hatte, nämlich Israel. Aber in Europa setzt sich der Eindruck fest, dass Donald Trumps Amerika ein anderes Amerika ist als das, was man bislang kannte.
SPIEGEL: In der arabischen Welt gab es eine interessante Diskrepanz: Während viele Staatschefs Trump heftig kritisierten, äußerte sich Saudi-Arabiens König vergleichsweise milde. Wie erklären Sie sich das?
Haass: Die Saudi-Araber haben alles dafür getan, ein gutes Verhältnis zu dieser Regierung aufzubauen. Die Führung betrachtet Donald Trump als deutlich besseren Partner als seinen Vorgänger. Deshalb vermeidet sie, Dinge zu sagen, die dieses gute Verhältnis gefährden könnten.
SPIEGEL: Der König von Saudi-Arabien ist aber auch der "Hüter der beiden heiligen Stätten des Islam" - und Jerusalem ist dessen drittheiligster Ort. Ist der König nicht aus religiösen Gründen in der Pflicht, Jerusalem für die Muslime zu bewahren?
Haass: Es wird spannend sein zu sehen, wie sich die saudi-arabische Position verändert, falls es Proteste gibt. Wenn es tatsächlich zu Protesten kommt, und wenn sie massiv ausfallen - wird sich die Regierung dann genötigt sehen, die USA zu kritisieren? Die Führung in Riad will zwar eine gute Beziehung zu Trump, aber sie versucht eben auch gerade, ihre Macht intern zu konsolidieren.
SPIEGEL: Was bedeutet die Jerusalem-Krise für das gemeinsame Ziel Saudi-Arabiens, Israels und der USA, Irans Einfluss in der Region zurückzudrängen?
Haass: Unruhen wegen Jerusalem könnten eine Kooperation erschweren. Für Riad könnte es ein Problem werden, wenn es so aussieht, als ob sich die Führung den Amerikanern und Israelis zu sehr annäherte.
SPIEGEL: Welche anderen geopolitischen Konsequenzen sehen Sie?
Haass: Dass die USA unilateral handeln und sich von ihren traditionellen Verbündeten abgrenzen, wird zum Narrativ von Trumps Außenpolitik werden. Die Jerusalem-Entscheidung könnte zudem die Zusammenarbeit mit arabischen Regierungen komplizierter machen. Aber die wichtigste Frage ist jetzt aus meiner Sicht, ob diese Entscheidung weltweit zu mehr Gewalt führen wird.