Getunte E-Bikes Die Frisierwelle überrollt Deutschland

E-Bikes mit dem gewissen Extra
Foto: Tim Wegner/ DER SPIEGELIm Frühjahr fiel Streifenpolizisten in Osnabrück ein Radfahrer auf. Der flitzte wie ein gedopter Tour-de-France-Profi durch die Stadt - ohne sich sonderlich abzustrampeln. Als die Beamten ihn stoppen wollten, gab er richtig Gas.
Kurz darauf lieferte sich die Polizei in Münster eine Fahrrad-Verfolgungsjagd der neuen Art. Erst jenseits von 44 Stundenkilometern konnte der Beamte auf seinem Dienstmotorrad den Drahtesel einholen.
In beiden Fällen saßen die Radler auf getunten E-Bikes. Genauer: auf manipulierten Pedelecs, die eigentlich nur bis zu einem Tempo von 25 Stundenkilometern die Muskelkraft des Fahrers unterstützen dürfen. Es ist die Einstiegsklasse in die Welt der elektrifizierten Zweiräder.
Mehr als 2,5 Millionen Räder mit Akkuantrieb rollen bereits über deutsche Straßen. 95 Prozent gehören zur Pedelec-Klasse, bei der ein Hilfsmotor die eigenen Pedaltritte verstärkt.
Pedelecs sind führerscheinfrei, auf Radwegen zugelassen und nicht nur bei Senioren beliebt. Die E-Motoren werden zunehmend auch in Trekkingrädern und Mountainbikes verbaut. E-Bikes sind - anders als Elektroautos - ein Massenerfolg.
Die jüngere Zielgruppe ist allerdings gern zügig unterwegs. Da dürfen es mehr sein als die 25 km/h, die fitte Fahrer auch ohne Hilfe aus dem Batteriefach erreichen.
So hat eine Form der Nachhilfe Konjunktur, die in Mofabesitzerkreisen als "Frisieren" bekannt ist - und die auch die beiden Radfahrer in Münster und Osnabrück nutzten. Für das Fahrrad-Tuning sind nicht einmal besondere Schrauberkenntnisse nötig.
E-Bike-Händler offerieren Bauteile, die nur auf die Sensoren der Räder gesteckt werden müssen. Sie bringen die abgeregelten Pedelec-Motoren je nach eigener Trittfrequenz teils auf mehr als 45 Sachen.
Ihre "Module" seien leicht zu installieren, unauffällig - und schnell wieder runter vom Rad, werben die Händler. Eine Box, die laut Werbetext sämtliche Bosch-Motoren "optimiert", kostet um 139 Euro. Andere Lösungen, die fest verbaut werden und bei denen man den Turbo per Knopfdruck am Lenker zuschaltet, können 250 Euro kosten.
Luigi Monaco ist einer der Anbieter. Seine Firma heißt Badass Ebikes und hat ihren Sitz in der Nähe von Aschaffenburg. Über Verkaufszahlen will Monaco nicht reden, nur so viel: "Die Leute wollen es." Badass Ebikes ist einer der führenden Anbieter für derlei Geschwindigkeitsmanipulationen. Monaco verkauft nach eigenen Angaben inzwischen weltweit, "bis nach Neukaledonien". Seine "Badassbox" ist bereits in der vierten Variante auf dem Markt, das aktuelle Modell verspricht "über 50 km/h".
Andreas Serwotka von Elektrofahrrad-einfach.de, der ebenfalls Tuning-Produkte vertreibt, schätzt, dass schon bis zu fünf Prozent der Pedelecs frisiert sind - das wären mehr als 100.000 Räder. Seine Kunden seien nicht unbedingt Raser, sondern vielfach Pendler. Ein Tempolimit wie in den USA, wo 20 Meilen pro Stunde erlaubt sind, also 32 km/h, würde vielen seiner Klienten ausreichen: "Damit könnte der Gesetzgeber das Tunen für viele uninteressant machen", sagt Serwotka. Ansonsten werde die Nachfrage weiter steigen: "Der Trend zu jüngeren Pedelec-Käufern beginnt gerade erst." Tuning-Kits zu verkaufen ist legal - ihr Betrieb im Straßenverkehr ist es nicht. Die Händler weisen auf ihren Websites und Werbevideos darauf hin, frisierte Räder "nur auf Privatgelände" oder "für den Sportbereich" einzusetzen; oder, wie Monaco sagt, "im privaten Wald".

E-Tuner von Badass
Foto: Tim Wegner/ DER SPIEGELWürden nur Waldbesitzer tunen, liefen die Geschäfte wohl nicht so rund. Die Warnungen der Verkäufer sind eher augenzwinkernd zu verstehen, wie das Video eines weiteren Händlers zeigt: Erst belehrt er die Zuschauer, sein System keinesfalls auf der Straße zu nutzen, dann führt er es vor - auf einer Straße. Dem Fahrspaß, frohlockt er, stehe nun "nichts mehr im Wege".
Höchstens die Polizei. Denn die kleine Manipulation kann gravierende Folgen haben - sie hievt die Räder in eine andere Fahrzeugklasse, für die Führerschein, eine eigene Versicherung, Helm und Kennzeichen vorgeschrieben sind. Zudem erlischt bei Manipulationen die Garantie des Herstellers. Mal abgesehen davon, dass sogar unfrisierte Pedelecs bei Tests oft schlecht abschneiden: Mal versagen die Bremsen, immer wieder kommt es zu Materialbrüchen.
Noch wirkt die Polizei von der Pedelec-Welle überrollt. Die Beamten müssen die Manipulationen erst erkennen - und Verdächtige dann auch noch einholen. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat bereits einen Flyer an Beamte verteilt, der erklärt, wie sie frisierte Pedelecs entlarven können. Verschiedene Module und Dongles samt ihren "Montagepositionen" sind verzeichnet, ein Foto der "Badassbox" und sogar Eigenbauten von Hobby-Fahrradhackern.
Man versuche, derlei Manipulationen technologisch zu erkennen und zu erschweren, sagt der Leiter der Bosch-E-Bike-Sparte, Claus Fleischer. Es handle sich aber um "ein Katz-und-Maus-Spiel, eine 100-prozentige Lösung gibt es aktuell nicht". Immer wieder komme es vor, dass sich Kunden mit der Bitte um Tuning-Tipps direkt an Bosch wendeten. Sie würden gewarnt: "Wer tunt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer." Für den Osnabrücker, der auf seinem aufgemotzten Pedelec vor der Polizei flüchtete, wird das Fahren ohne Fahrerlaubnis das kleinere Problem sein: In seinem Gepäck entdeckten die Beamten auch noch 120 Gramm Cannabis.
Video: Wie Werkstätten die Bikes tunen - und wie die Polizei reagiert