Neues Shoppingerlebnis Die virtuelle Umkleidekabine

Moderne Technik ändert den Einkaufsbummel: Bald können Kunden die Ware im virtuellen Raum ausprobieren - und mit einem Wisch Kleidungsstücke auf den eigenen Körper projizieren.
3-D-Umkleidekabine in China: "Das hat einen Wow-Effekt"

3-D-Umkleidekabine in China: "Das hat einen Wow-Effekt"

Foto: Su Yang/ Imaginechina/ DPA

Der Mann war seiner Zeit voraus. Im Herbst 1967 präsentierte der Franzose Jean-Claude Bourdier im Pariser Warenhaus Au Printemps ein "optisches Umkleideverfahren": Der Kopf der Kundinnen wurde mithilfe von Spiegeln auf den Körper von Mannequins projiziert. Es sollte so aussehen, als trüge die Kundin die Kleidung selbst.

Mindestens 200.000 "Illusionskabinen" wollte der junge Erfinder verkaufen. Doch durchgesetzt hat sich Bourdiers magischer Spiegel nicht. 50 Jahre später allerdings schickt sich eine ganz ähnliche Idee an, das Einkaufserlebnis zu revolutionieren - sie basiert auf Virtual Reality (VR).

Mithilfe einer Brille taucht der Nutzer dabei in eine künstliche dreidimensionale Welt ein. In dieser eigenen, in sich abgeschlossenen Umgebung kann er sich frei bewegen und agieren.

Hersteller und Händler hoffen auf zusätzliche Umsätze. Die stationären Filialisten könnten durch virtuelle Showrooms ihre Nachteile bei der Sortimentsauswahl gegenüber der Konkurrenz im Internet ausgleichen. Aber auch ihre Onlinekonkurrenten wollen die Technik nutzen, um das Shoppen im Netz attraktiver zu machen.

Für Birger Priddat, Wirtschaftsphilosoph an der Universität Witten-Herdecke, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Technik sich durchsetzen wird. "Die aktuelle Onlinewelt hinterlässt bei den Menschen eine Lücke, weil man die Dinge im Internet bislang nicht erleben oder berühren kann", sagt er. "Die VR-Technik könnte diese Lücke schließen."


Im Video: Die Zukunft des Einkaufens?
Klettern, am Lagerfeuer campen, mit einem Kajak den Amazonas runterfahren - all das können Kunden in drei Berliner Sportgeschäften mit einer Virtual-Reality-Brille erleben. Nur Spielerei oder verkaufsfördernd?

DER SPIEGEL

Auch beim Einkauf in der realen Welt: "Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit nur einem Wisch sämtliche Kleidungsstücke auf Ihren Körper projizieren - und zwar direkt auf Ihre persönliche Figur, Ihren individuellen Gang und Ihre Bewegungen zugeschnitten", sagt Priddat. Man könnte sehen, wie sich das Ballkleid beim Tanzen dreht. Oder wie man in Sportkleidung auf dem Laufband steht. Der Lippenstift kann getestet werden, ohne dass man einmal mit der Farbe in Berührung kommen muss.

In der Dreidimensionalität kann sich der Kunde in jedem beliebigen Outfit von allen Seiten betrachten; sich selbst beraten wie eine fremde Person. Er kann sogar individuell zusammengestellte Kleider anprobieren und ordern, die noch nicht einmal gefertigt wurden.

Noch vor wenigen Jahren waren VR-Brillen teuer und nur unter Computerspiel-Nerds verbreitet. Inzwischen sind die futuristischen Geräte, die an verspiegelte Skibrillen erinnern, für weniger als hundert Euro erhältlich. Anbieter wie Samsung, Zeiss, aber auch Facebook und Google fluten den Markt mit neuen Modellen. Günstige Pappversionen für das Smartphone kosten nur ein paar Euro.

Auf die Hersteller jedoch kommen hohe Kosten zu, sie müssen ihre Produkte für die Nutzung in der virtuellen Welt mit spezieller Fototechnik vermessen lassen. Christian Rahtjen und Martin Kupfer von der Hamburger Firma 747 Studios sind auf solche mittels 3-D-Animation erzeugten Bilder spezialisiert. Zu ihren Kunden zählen Siemens, Bosch, Nestlé und Vitra.

Ein ganzes Sortiment zu "visualisieren", wie Rahtjen es nennt, kann eine hohe sechsstellige Summe kosten. Für kleine Marken ist das meist unerschwinglich.

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"Aber das Einkaufen in der virtuellen Realität hat natürlich einen Wow-Effekt", sagt Rahtjen. Die Frage sei, ob die Technik ein ernsthaftes Verkaufsinstrument werde, "oder ob es hauptsächlich für das Image einer Marke genutzt wird".

Noch setzen deutsche Einzelhändler die Innovationen vor allem als Marketing-Gag in ausgewählten Filialen ein. Bei Saturn befindet sich der VR-Shop in einer virtuellen Raumstation, der Beratungs-Avatar ist eine Mischung aus Alien und Tintenfisch. Intersport im Berliner Einkaufszentrum Alexa lädt die Kunden zu einem Abenteuerurlaub ein. Sie können im virtuellen Kajak auf dem Amazonas fahren oder ein Lagerfeuer vor der Kulisse der Nordlichter entzünden.

In China ist der Handel schon wesentlich weiter. Dort bilden sich vor den ersten vernetzten Umkleidekabinen, den "smart dressing rooms", lange Schlangen mit überwiegend junger, neugieriger Kundschaft. Für die chinesische Kundschaft hat das US-Kaufhaus Macy's bereits einen virtuellen Laden eröffnet.

"Pop-up-Stores, in denen man diese neue Technik erleben kann, dürften auch hierzulande ein großes Publikum anlocken", sagt Angelika Huber-Straßer von der Unternehmensberatung KPMG. Auch wenn die Investitionskosten hoch seien, "für teure Güter wie Autos oder Luxusmarken, die sich von der Konkurrenz unterscheiden wollen, werden sich solche Anwendungen langfristig auszahlen".

So könnte der Kunde in dem selbst konfigurierten Auto eine virtuelle Spritztour machen, er könnte die Stereoanlage aufdrehen und den Fahrtwind spüren - wie bei einer echten Probefahrt.

Einen echten Mehrwert für die Kunden gibt es vor allem bei Einrichtungsgegenständen wie Betten und Küchen. Ein virtueller Showroom bietet eine fast unbegrenzte Auswahl, ganz unabhängig von der Größe des stationären Geschäfts.

Bei Ikea in Berlin-Lichtenberg kann sich der Kunde mithilfe einer VR-Brille in einer Art virtuellen Ikea-Katalog umsehen, er kann sich Produkte in allen Varianten zusammenstellen und dabei sogar die Lichtverhältnisse regulieren. Was er aber nicht kann: am Ende der Einkaufstour die ausgewählten Waren und Farbwünsche abspeichern und damit zur Kasse gehen.

Mit dem unbefriedigenden Ergebnis, dass der virtuelle Einkauf erst einmal genau das bleibt: virtuell.

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