Windkraft kontra Vogelschutz Das Kettensägen-Massaker im Namen der Energiewende

Biologin Vielhaber in einem Wald bei Zinzow: Reifenspuren am Tatort
Foto: Thomas Lobenwein / DER SPIEGELAls die Vogelkundler den Wald bei Blesewitz besuchen, ist nichts mehr, wie es war. Wo eigentlich Rotmilane, Schreiadler und Mäusebussarde in den Baumkronen nisten, ist alles kaputt. Die Brutplätze südwestlich von Anklam sind zerstört. Jemand hat die Bäume einfach gefällt.
Das vorpommersche Kettensägen-Massaker soll sicherstellen, dass keiner der dort heimischen Greifvögel mehr sein Zuhause findet. Im vorigen März entdeckten Mitglieder vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) die Schäden bei einem Kontrollgang.
Zwar sind die Täter bis heute unbekannt, doch Naturschützer hegen einen Verdacht: Es könnte sich um Bürger handeln, die wirtschaftlichen Nutzen aus einer geplanten Windenergieanlage ziehen wollen.
Das Phänomen im Landkreis Vorpommern-Greifswald ist nicht neu. Seit 2015 haben die Behörden 10 Fälle mit insgesamt 35 zerstörten oder beseitigten Horsten registriert. Alle befanden sich im Schutz- und Prüfradius eines Windenergieprojekts.
Ähnlich läuft es vielerorts: Die Täter kommen bei Tag oder bei Nacht, hinterlassen meist Spuren - und werden trotzdem fast nie erwischt. Manche Tiere werden vergiftet, erschossen oder durch Lärm vertrieben. Andere verlieren ihren Horst, weil Unbekannte den Baum mit Steigeisen erklettern und den Brutplatz von Hand zerstören - oder wie bei Anklam mit der Kettensäge anrücken. Fast immer liegen die Tatorte in auffälliger Nähe zu sogenannten Windeignungsgebieten.
Bundesweit zählt allein der Nabu seit 2010 mehr als 60 Fälle, mit einzelnen oder mehreren zerstörten oder verschwundenen Horsten. Lars Lachmann, Vogelschutzexperte beim Nabu, beobachtet eine steigende Tendenz - der Grund seien geänderte Schutzbestimmungen. "Früher hatten die Tiere keinen Einfluss auf die Planung und den Bau von Windparks." Heute blockierten die Vögel den Bau. Also müssten sie aus Sicht mancher Leute verschwinden.
Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Naturschutzorganisation "Komitee gegen den Vogelmord" fordert seit Jahren den Einsatz spezialisierter Ermittler für Attacken auf Greifvögel und andere Wildtiere, wie sie in anderen europäischen Ländern längst Standard sind. "Nur selten werden Täter in Deutschland ermittelt", kritisieren die Vogelschützer, Verfahren würden oft gegen Geldzahlungen eingestellt.
Seit 2015 sammeln sie mit ihrer "Erfassungs- und Dokumentationsstelle Greifvogelverfolgung und Artenschutzkriminalität" (Edgar) bundesweit Fälle. Nach ihren Erkenntnissen liegt die Aufklärungsquote unter zehn Prozent.
Zu den betroffenen Arten gehört der Rotmilan. Der Vogel, leicht zu erkennen an seinem rostroten Gefieder, hat eine Spannweite von bis zu 1,95 Meter. Am Himmel ist der Rotmilan kaum zu übersehen, wenn er über dünn besiedelte Landstriche gleitet. Majestätisch zieht er seine Kreise, bevor er zum Sturzflug ansetzt und Mäuse, Feldhamster oder kleinere Vögel greift. Mehr als die Hälfte der geschätzten 25.000 Brutpaare ist in Deutschland beheimatet - viele in Mecklenburg-Vorpommern.
Etliche Rotmilane nisten rund um das Schloss Zinzow und den zugehörigen englischen Landschaftspark bei Anklam. Johanna Vielhaber, die das Gut mit ihrem Mann und dessen Familie bewirtschaftet, beobachtet die Vögel seit Langem, kartografiert ihre Standorte und meldet sie der Naturschutzbehörde.
Vor gut einem Jahr konnte die Biologin einen Horst bei einem Spaziergang plötzlich nicht mehr in den Baumkronen ausmachen. "Er stand mitten in einem geplanten Windeignungsgebiet", erzählt Vielhaber. Man habe noch Reifenspuren erkennen können, ergänzt ihr Mann. Sie erstatteten Anzeige. Die Polizei stellte fest, dass der Baum mit großer Forsttechnik entfernt wurde, doch die Täter wurden nicht gefasst.
Zu viele Menschen seien in der Region wirtschaftlich verflochten mit oder abhängig von der Windenergie, beklagt Vielhaber. "Wir sind nicht gegen Windenergie", sagt sie. Es gehe der Familie allein um den Naturschutz und das empfindliche lokale Ökosystem. Der Rotmilan habe zwar auch natürliche Feinde, doch das größte Risiko für den Vogel sei der Mensch.

Zielobjekt Rotmilan: Vergiftet, erschossen, vertrieben
Foto: Blickwinkel / IMAGOGefahr droht zudem von anderer Seite. Rund um Windräder ist der Boden wärmer, daher siedeln sich verstärkt Mäuse dort an, eine wichtige und einfache Futterquelle für die Vögel.
Sind sie auf der Jagd, richten sie ihre Augen permanent auf den Boden. Die Beute fest im Blick, übersehen manche Rotmilane die Rotoren und verlieren im Sturzflug ihre Gesundheit oder ihr Leben.
Das Thema beschäftigt auch die Industrie. "Eine Methode ist, andere Futteranlaufstellen zu errichten, damit der Rotmilan nicht zu den Anlagen fliegt", sagt Geschäftsführer Wolfram Axthelm vom Bundesverband Windenergie. Dieses Verfahren komme bereits erfolgreich zum Einsatz.
Sein Verband ist wegen der Horstzerstörungen besorgt. Axthelm sagt, dass die Behörden endlich aktiver gegen Täter vorgehen müssten. "Die Staatsanwaltschaften entfalten zu wenig Ermittlungsdruck, es scheint bei dem Thema an Engagement zu fehlen." Wer Nistplätze geschützter Arten zerstört, begeht eine Straftat, den Tätern drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis.
Naturschützer aus Mecklenburg-Vorpommern sprechen von einem "nahezu mafiösen Schweigen" in vielen Orten. "Wenn man nichts gesehen oder gehört haben will, deckt man einander oder liefert abenteuerliche Erklärungen und Lügen."
Dabei genießen die Brutreviere der Rotmilane in dem Bundesland Bestandsschutz: Wenn die Horste und damit oft die Vögel verschwinden, ist erst nach Ablauf einer dreijährigen Frist der Weg für Windenergieanlagen frei. "Die Menschen müssten begreifen, dass sie von getöteten oder vertriebenen Tieren keinen Profit haben", sagt Nabu-Experte Lachmann.
Er sieht vor allem Politiker in der Pflicht, Gesetze zu schaffen, und verweist auf die Notwendigkeit eines erweiterten Bestandsschutzes. Dieser müsse auch greifen, wenn Horste während der Planung einer Windkraftanlage verschwinden.
"Bisher werden die Tiere und ihre Plätze beseitigt, sie tauchen nicht mehr in Gutachten auf, und schon steht der Genehmigung nichts mehr im Weg." Da die Planung vier bis fünf Jahre dauern könne, sei die Methode, vor der Prüfung die Vögel zu beseitigen, bislang lukrativ. "Hier reichen die bisherigen Richtlinien längst nicht aus."
Wolfram Axthelm will nicht warten, bis der Gesetzgeber handelt. Mit seinem Bundesverband Windenergie will er nun selbst Vogelkiller ermitteln: "Wir überlegen, bundesweit Belohnungen zur Ergreifung der Täter auszuloben."