US-Experte Tim Wu im Interview "Bei Facebook herrscht Panik"

Facebook ist zur Gefahr für die Demokratie geworden. Regulierungsexperte Tim Wu beschreibt Möglichkeiten, diese Macht zu beschränken.
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Tim Wu, 45, ist einer der weltweit profiliertesten Kritiker der Internetmonopolisten wie Facebook oder Google. In Büchern wie "The Attention Merchants" verbindet der Rechtsprofessor von der New Yorker Columbia University die historische Analyse der Aufmerksamkeitsökonomie mit einer Reflexion der Regulierungsmöglichkeiten dieser, so sieht es derzeit aus, demokratiefressenden Maschinen.

SPIEGEL: Herr Professor Wu, wie ernst ist die Lage für Facebook?

Wu: Sehr ernst. Bei Facebook herrscht regelrecht Panik. Dass Cambridge Analytica an die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern gelangte und damit die amerikanischen Präsidentschaftswahlen eventuell manipuliert hat, ist ja nur der aktuellste Skandal. Auch bei Google gibt es dunkle Geschichten. Aber Facebook hat mehr Leichen im Keller als Google.

SPIEGEL: Wie geht es jetzt weiter?

Wu: Es wird weitere Enthüllungen geben. Mehr und mehr Angestellte werden sich melden, die ihren Job gekündigt haben, weil sie bei dieser Art von Geschäftspraktiken nicht mitmachen wollten. Sie sind wie Deserteure, die das Facebook-Regime verlassen, so wie Ostdeutsche die DDR verlassen haben. Und jetzt sagen sie: Das war kein Paradies hier.

SPIEGEL: Sie beschreiben das Geschäftsmodell von Facebook als den Grund allen Übels, also die Verwertung der Daten von Nutzern zu Werbezwecken. Ist Facebook einfach zu weit gegangen, oder ist das Geschäftsmodell an sich das Problem?

Wu: Um diese Frage zu beantworten, muss man ins Jahr 2012 oder 2013 zurückgehen. Facebook hatte damals ein echtes Einnahmeproblem. Sie hatten all die Aufmerksamkeit der Menschen, aber sie machten damit einfach nicht genug Geld. Und so investierten sie viel Zeit und viele Dollar darauf zu überlegen, wie sie das ändern könnten. Wie sie also die Welt überzeugen könnten, dass sie die Macht haben, Menschen zu manipulieren. Sie haben dabei ein paar sehr aggressive Experimente gestartet. Das Ergebnis sehen wir jetzt.

SPIEGEL: Der Nutzer wurde zur Ware.

Wu: Und Cambridge Analytica ist ja nur ein Beispiel dafür. Der Einfluss Russlands bei den amerikanischen Wahlen ist ein anderes. Die Bots, also automatisierte Nutzer, Roboter im Prinzip, sind ein weiteres Problem. Und Fake News überhaupt. All das ist die Konsequenz daraus, dass Facebook sich vor ein paar Jahren entschieden hat, eine Werbe- und Manipulationsplattform zu sein, besser als alle anderen.

SPIEGEL: In Ihren Büchern "Der Master Switch" und "The Attention Merchants" erzählen Sie die Vorgeschichte all dieser Entwicklungen. Was ist nun die beste Reaktion auf die Datenexzesse von Facebook, Google und den anderen Internetmonopolisten?

Wu: Ich beschäftige mich vor allem mit Fragen des Wettbewerbs- und des Kartellrechts, und ich glaube, dass immer deutlicher wird, dass man Facebook, um es einmal auf dieses Unternehmen zu fokussieren, auf die eine oder andere Art regulieren muss. Facebook ist einfach zu groß geworden. In den USA gibt es, und das beschreibe ich in meinem neuen Buch, eine im Vergleich zu Europa sehr viel ältere Tradition, wie man mit dem Problem der Größe von Unternehmen umgeht: Man zerschlägt sie, sehr aggressiv, so wie es unter Präsident Theodore Roosevelt Anfang des 20. Jahrhunderts geschehen ist. Das sogenannte Trust Busting.

SPIEGEL: Mark Zuckerberg spricht selbst davon, dass Facebook reguliert werden könnte, aber es wirkt gleichzeitig so, als wollte er, dass der Staat sich heraushält.

Wu: Ich glaube nicht, dass Facebook wirklich reguliert werden will. Ich glaube, dass Mark Zuckerberg ein Mann mit einem empfindlichen Ego ist, der groß und mächtig sein will. Eine Zerschlagung von Facebook, etwa durch die Abtrennung von Instagram und WhatsApp aus dem Facebook-Konzern, wäre für ihn erniedrigend. Es wäre für ihn eine Niederlage, wenn er vor dem Kongress aussagen würde. Er sieht sich als der Mann, der die Menschheit zusammenbringt, das ist sein Selbstbild.

SPIEGEL: Was wären die direkten Folgen durch die Änderung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre?

Wu: Das würde grundsätzlich das Geschäftsmodell von Facebook gefährden. Und dort haben sie ja schon reagiert. Sie wollen um jeden Preis vermeiden, dass sie wie ein Medienunternehmen behandelt werden, das dann die Persönlichkeitsrechte ganz anders regeln müsste als die neutrale Plattform, die Facebook sein will. Die Änderung des Algorithmus im Januar ist eine Antwort darauf - Freunde und Familie werden ja seitdem gegenüber Nachrichten bevorzugt.

SPIEGEL: Zurück zu den Anfängen also?

Wu: In gewisser Weise. Vor 15 Jahren hatten viele Menschen die Vorstellung, dass das Internet die Demokratie verbessern würde. Und das war ja keine verrückte Idee. Ich glaube, dass Optimismus im Leben hilft. Das Problem war, dass niemand dafür sorgte, dass die Interessen der wichtigsten Akteure auch auf dieses Ziel gerichtet blieben. Man nahm einfach an, dass schon alles gut werden würde.

SPIEGEL: Und deshalb nun der Schock?

Wu: Es war einfach unrealistisch zu denken, dass man die wichtigsten demokratischen Aufgaben an Privatunternehmen delegieren könne, die sich vor allem darum sorgen, wie sie ihren Besitzern, Investoren oder Aktionären Jahr für Jahr das meiste Geld einbringen. Und man kann ihnen das auch gar nicht vorwerfen. Sie sagen ab und zu ein paar idealistische Sätze über die "Community". Aber das ist nicht ihr eigentlicher Daseinszweck.

SPIEGEL: Das Problem liegt also am Ursprung all dieser Firmen?

Wu: Niemand hat Facebook oder Twitter so konstruiert, dass sie eine Quelle der Information und nicht der Desinformation sein würden. Niemand übernahm die Verantwortung dafür, als die eine Art von Information - Lügen, Fake News, Propaganda - mehr Geld einbrachte als die andere Art, die Wahrheit. Das war der große Fehler damals.

SPIEGEL: Was hätte man anders machen können? Oder was kann man jetzt anders machen?

Wu: Nehmen wir Google, ein Unternehmen, das hehre Ziele hatte - Google hätte keine normale Firma sein sollen, sondern ein öffentliches Unternehmen. Der Zweck hätte nicht Profit sein sollen, sondern eine bessere und reifere Form von Öffentlichkeit.

SPIEGEL: Ist es dafür zu spät?

Wu: Im Gegenteil. Ich glaube, gerade jetzt ist Raum und Gelegenheit für eine andere Art von sozialem Netzwerk, um Facebook Konkurrenz zu machen. Jemand, dem man mehr vertraut, jemand, der die Privatsphäre schützt. Amerika ist ein von Moral geprägtes Land, auch wenn es gerade durch Donald Trump nicht so aussieht. Ein Unternehmen mit einem moralischen Anspruch hätte gerade gute Chancen.

SPIEGEL: Das wäre eine andere Art von Marktwirtschaft?

Wu: Auch das hat in den USA eine Tradition. Jemand wie der Jurist Louis Brandeis etwa hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Vorstellung, dass der Markt den Menschen dienen müsse. Für ihn war die persönliche Entwicklung der wichtigste Faktor, viel wichtiger als Geld. Diese Gedanken werden wieder relevanter, glaube ich.

SPIEGEL: Der Idealismus am Anfang des Internets also, der Mythos der Weltveränderung, der Silicon Valley so antreibt.

Wu: Und genau dort haben die Widersprüche ja angefangen. Es gibt den doppelten Ursprung des Internets, geboren aus dem kalifornischen Ethos. Auf der einen Seite gab es den Glauben daran, dass die Menschen gut sind, man müsse ihnen nur die Chance dazu geben. Auf der anderen Seite gab es den radikal libertären Glauben, dass der Mensch sich selbst überlassen werden müsse, also Egoismus statt Kooperation.

SPIEGEL: Das kalifornische Ethos hat seinen Anfang in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren - es ist letztlich, wie es scheint, eine Frage des Menschenbildes.

Wu: Mich erinnert die Situation ein wenig an den Streit zwischen Freud und seinen Schülern. Freud beschreibt ja in "Das Unbehagen in der Kultur", dass ein gewisser Zwang nötig sei, um die dunklen Kräfte der Menschen zu bändigen, Sex, den Todestrieb, Macht - eine gewisse Form von Repression ist nötig, laut Freud, um die Zivilisation zu retten.

SPIEGEL: Und Facebook wäre dann das Es des Kapitalismus, die dunkle Seite dieser Form von Marktwirtschaft?

Wu: So könnte man es sagen. Freud steht jedenfalls heute recht gut da, wie ich finde. Die Hoffnungen und Träume der frühen Internetära scheinen heute in vielem zumindest naiv. All die Idealisten, die sagten, wir bauen Dinge für die Gemeinschaft und geben sie allen umsonst.

SPIEGEL: Freud veröffentlichte "Das Unbehagen in der Kultur" 1930, kurz bevor der Faschismus in Deutschland an die Macht kam. Ganz so dunkel sehen Sie die Situation aber nicht?

Wu: Ich glaube schon, dass es interessant ist, heute wieder zu überlegen, wie Faschismus entsteht - zumindest teilweise durch eine weit verbreitete wirtschaftliche Unzufriedenheit, die durch extreme wirtschaftliche Konzentration von Reichtum verursacht wird. Und die Sehnsucht nach einem starken Mann eröffnet, der verspricht, die Menschen von dieser Ungerechtigkeit zu befreien.

SPIEGEL: Monopolisten wie Facebook und Google sind durch ihre wirtschaftliche Macht eine Gefahr für die Demokratie?

Wu: Wir haben eine ökonomische Struktur wie Ende des 19. Jahrhunderts, im Gilded Age, wie es in den USA genannt wurde, als der Wunsch immer stärker wurde, den extremen Reichtum in den Händen einiger weniger zu zerschlagen. Es ist kein Wunder, dass auch die Politik diesen Radikalismus mehr und mehr spiegelt, nicht nur in den USA. Je größer die wirtschaftlichen Nöte, desto krasser die politischen Antworten. Auch das ist die Geschichte von Facebook.

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