Unseriöse Verbraucherschützer Die windigen Methoden von Fluggastrecht-Portalen

Wer wegen einer verspäteten Reise eine Entschädigung fordert, wendet sich oft an ein Internetportal. Doch nicht alle sind seriös - und es gibt eine Alternative.
Passagiere am Flughafen München: "Man muss kratzen, wenn es juckt"

Passagiere am Flughafen München: "Man muss kratzen, wenn es juckt"

Foto: ullstein bild

Jeden Tag wird Heinz Klewe zugeschüttet mit Beschwerden, über Frust mit Fluggesellschaften und Ärger mit der Bahn. Mal kam der Flieger einen Tag später, mal wurde die Bahncard nicht anerkannt. Und einmal wollte ein Mann wegen erlittener Verspätungen zwei Wochen verlorene Lebenszeit von der Deutschen Bahn ersetzt haben. Klewes Leute schickten ihm eine Absage.

Klewe ist Chef der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp). Die gibt es seit 2009, doch kaum einer kennt sie. Sonst würden sie noch viel mehr Fälle erreichen, 2017 waren es 15.601.

Stattdessen wenden sich enttäuschte Kunden oft an teils windige Portale im Internet, die versprechen, Kunden zustehende Verspätungszahlungen einzutreiben. Und diese Portale wiederum haben die söp für sich entdeckt und spannen sie häufig für ihre Zwecke ein. Der Kunde bekommt das selten mit.

Klewe, 66, hat einen Stapel Forderungen vor sich liegen, alle kommen sie von Internetportalen. "Die gehen heute wieder gebündelt zurück, weil das Vorgehen nicht der Verfahrensordnung entspricht", sagt er. Das Kalkül der Einsender: Die söp soll kostenfrei schlichten, die kommerziellen Fluggasthelfer lassen sie für sich arbeiten und kassieren vom Verbraucher dennoch happige Bearbeitungsgebühren. "Wir sind nicht die kostenlos arbeitende Resterampe, mit der andere sehr viel Geld verdienen."

Nicht alle Anbieter arbeiten so, doch die Sitten sind rau. Die EU-Kommission rügte das Vorgehen mancher Firmen: Gebühren seien intransparent, nicht immer könnten Vollmachten vorgelegt werden, das Marketing sei aggressiv.

Am stärksten umkämpft ist das Geschäft mit verspäteten Flügen. Bis zu 600 Euro Entschädigung sind gemäß Fluggastrechteverordnung möglich. Vor allem die inzwischen insolvente Air Berlin sorgte in der Vergangenheit für zahlreiche Fälle.

Manches Portal wirft angeblich siebenstellige Gewinne jährlich ab; andere haben kaum die Liquidität, Auszahlungen an die Kunden sofort auszuschütten. Die Portalbetreiber gönnen sich untereinander nichts, es werden gefälschte Forderungen eingereicht, um die Konkurrenz zu testen oder gar abzumahnen.

Die Arbeit der söp ist für den Verbraucher kostenlos, der Kunde bekommt im besten Fall die ihm zustehende Forderung überwiesen, ohne dass eine Bearbeitungsgebühr einbehalten wird. Bei Onlineportalen werden Provisionen von bis zu 30 Prozent der Entschädigungssumme fällig. Manche Anbieter überweisen zwar nach einer Prüfung der Forderung die fällige Summe sofort und tragen das Risiko, ob die Airline wirklich zahlt - doch dafür verlangen sie einen Aufschlag.

Die söp wird als Verbraucherschlichtungsstelle von Airlines getragen, aber auch die Deutsche Bahn, Reedereien und Fernbusfirmen gehören zu den Mitgliedern. Bezahlt wird die Schlichtung über eine Fallpauschale, die das Verkehrsunternehmen tragen muss. Die söp spricht eine Empfehlung aus, die sich nach der Rechtsprechung richtet; der Reisende wie auch das Unternehmen können sie ablehnen - die Schlichtungsquote liegt auf alle Verkehrsmittel angewandt bei 76 Prozent. Um seinen Fall von der söp bearbeiten zu lassen, muss der Reisende, anders als bei den Digitalportalen, zunächst seine Entschädigung selbst erfolglos eingefordert haben.

Die Ansprüche gegen Fluggesellschaften summieren sich in Deutschland auf etwa 800 Millionen Euro im Jahr, sie sind zu einem großen Kostenfaktor geworden, weshalb sich die Linien schwertun, allzu freizügig auszuzahlen.

Viele der beschwerdewilligen Kunden schreiben zunächst selbst an die Airlines - ohne Portal und ohne Rechtsanwalt. Die anderen suchen oft im Internet nach Hilfe; die beliebtesten Suchbegriffe: "Flugverspätung" gefolgt von "Entschädigung". Mehrere Euro kann es pro Klick kosten, für diese Suchwörter Werbung bei Google zu schalten. "Man muss kratzen, wenn es juckt", sagt Lars Watermann von EUflight. Sei der Ärger erst einmal verflogen, forderten viele Nutzer nicht mehr die Entschädigung, die ihnen zustehe.

Manche setzen sogar Bodentruppen ein, die am Flughafen gestrandeten Reisenden Reklame für ein Fluggastportal in die Hand drücken sollen. Die meisten Flughäfen verbieten das; auch Werbung in den Terminals darf mancherorts nicht geschaltet werden, weil die Flughafenbetreiber die Airlines nicht verärgern wollen.

Viele Anbieter versuchen, den Streitfall statt durch teure Volljuristen mithilfe von Computeralgorithmen prüfen zu lassen. Sobald die Flugnummer eingegeben ist, ermittelt eine Software Wetterdaten oder historische Erfahrungen mit Airline und Strecke. Aus der Kombination dieser Informationen errechnet eine Formel, wie aussichtsreich die Forderung sein könnte. "Wir erledigen mit anderthalb Stellen 25.000 Anfragen im Jahr", sagt Konstantin Loebner von Wirkaufendeinenflug.de.

Klewe setzt weiterhin auf seine 17 Volljuristen, er kann sich seine Fälle nicht aussuchen. Schwarzfahrer etwa, die sich zu Unrecht ertappt fühlen. Oder den Fall einer Dame im Fernbus auf der Reise von Florenz nach München, die während einer Pinkelpause im Bus eingeschlossen worden war.

Sie bekam den Ticketpreis zurück.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren