Interview mit Geert Wilders "Ich will die Grenzen schließen"

Geert Wilders, 52, sitzt im schmal geschnittenen Anzug und handgenähten Schuhen hinter der Panzertür seines Büros im niederländischen Parlament, es ist im englischen Kolonialstil gehalten. Seit der Gründer der "Partei für die Freiheit" wegen seiner Hassreden gegen den Islam ins Fadenkreuz militanter Extremisten geriet, wird er schwer bewacht. Wilders' Fraktion verfügt über zwölf Sitze im Unterhaus mit seinen 150 Mitgliedern.
SPIEGEL: Herr Wilders, die gerade noch begeisterten Brexit-Befürworter in Großbritannien haben inzwischen einen mächtigen Kater. Sie aber nötigten am Dienstag das niederländische Parlament, ebenfalls über die Möglichkeit eines EU-Ausstiegs abzustimmen. Natürlich haben Sie eine krachende Niederlage erlitten. Wissen Sie eigentlich, was Sie da anstreben?
Geert Wilders: Natürlich, sehr genau sogar. Die Instabilität, die wir aktuell in England sehen, ist nur temporär. Langfristig werden die Briten profitieren, wie auch wir vom EU-Austritt profitieren würden.
SPIEGEL: Die Niederlande sind weltweit der zweitgrößte Exporteur landwirtschaftlicher Produkte. Ihr wichtigster Markt ist die EU. Was sollte der Vorteil eines Austritts sein?
Wilders: Wir würden endlich unsere nationale Souveränität zurückerhalten, unsere Autonomie in Fragen der Geld- und Einwanderungspolitik, wie die Schweiz. Das ist mein Lieblingsbeispiel: ein Land im Herzen Europas, das sogar mit China und Japan individuelle Handelsabkommen hat. Und auch die Briten, Deutschlands drittgrößter Handelspartner, werden mit der EU einig werden.
SPIEGEL: Die Schweiz ist - anders als die Niederlande - in erster Linie ein Finanzplatz. Und die Schweiz muss wie auch das Nicht-EU-Land Norwegen sehr wohl freien Zuzug von Arbeitnehmern gewähren, um das Recht auf freien Handel mit der EU zu behalten.
Wilders: Sehen Sie doch hin, warum die Engländer diesen Austritt wollten! Politiker wie Premierminister David Cameron haben sich von der Realität entfernt. Die Bürger beobachten, wie Milliarden ausgegeben werden für Griechenland, für die Türkei, für die Deals mit Erdogan oder für Asylbewerber.
SPIEGEL: Die Realität in England ist, dass die Politiker dort zurzeit keinen Plan haben, wie sie aus der Misere wieder herauskommen. Viele Bürger fühlen sich mit falschen Zahlen und Versprechungen betrogen.
Wilders: Ich habe nichts für die Zukunft versprochen, sondern gesagt, was ich in der Vergangenheit anders gemacht hätte. Die Unterstützer meiner Partei sehen, wie die politische Führung Europas Asylbewerbern und Migranten erlaubt, zu uns zu kommen, und dafür Milliarden von Euro ausgibt. In Dubai fährt die Polizei Lamborghini, und auch sonst sind diese Länder nicht arm. Saudi-Arabien und die Golfstaaten sollten sich um diese Leute kümmern. Sie sind näher dran, haben dieselbe Religion, dasselbe Klima, dieselbe Kultur. So hätte ich das gelöst.
SPIEGEL: Andere Anrainerstaaten Syriens beherbergen bereits Millionen Geflüchtete, und wir leben in einer globalen Welt - wollen Sie sich da einfach ausklinken?
Wilders: Ich glaube wie Sie, dass die Menschen Schutz finden sollten. Aber wir können sie nicht mehr aufnehmen. Die Asylbewerber hier sind für mich keine Flüchtlinge, sie kamen bereits durch sechs oder sieben sichere Länder. Nach der Dublin-Regelung müssen sie in dem sicheren Staat bleiben, den sie zuerst erreichen.
SPIEGEL: Die Niederlande nahmen vergangenes Jahr rund 43.000 Flüchtlinge auf. Ist das wirklich zu viel für ein 17-Millionen-Volk?
Wilders: Ob Ihnen das gefällt oder nicht - ich will die niederländischen Grenzen schließen. Meine Wähler möchten nicht noch mehr Asylanten. Ich schäme mich nicht, diese Bürger zu repräsentieren. Ich bin stolz darauf.
SPIEGEL: Falls es je zu einem EU-Austritt der Niederlande käme, wie wollten Sie eigentlich die Staatsschulden begleichen - wenn Sie, wie jetzt Großbritannien, die Kreditwürdigkeit der höchsten Stufe verlören und die Zinsen deshalb hochgingen?
Wilders: Das genau ist doch das Problem, die Europäische Zentralbank in Frankfurt mit ihrer idiotischen Null-Zins-Politik. Damit kürzen die Banker unsere Renten, und das Konzept ist Gift für unsere Wirtschaft. Wir wollen unsere eigene Geldpolitik machen.
SPIEGEL: Kein Land kann seine Geldpolitik vom globalen Markt abkoppeln.
Wilders: Die Schweizer können das, die Norweger auch. Warum wir nicht? Ob wir wirtschaftlich dann den Deutschen folgen oder einem anderen Land, werden wir sehen. Ich bin nicht wie die Brexiteers, ich bestreite nicht, dass wir Zuwanderung und Niederlassung von Kapital und Dienstleistungen zulassen müssen. Ich habe auch kein Problem mit Menschen aus der Slowakei und Litauen. Ich habe aber ein Problem mit der Zuwanderung aus islamischen Ländern. Die EU lässt uns hier keine freie Entscheidung über Immigrations- und Asylgesetze. Deshalb ist der EU-Austritt notwendig.
SPIEGEL: In welcher Währung wollen Sie künftig bezahlen, wenn Sie die Eurozone verließen? Wie wäre es mit Yen?
Wilders: Sie sehen alles nur negativ. Wir können den Gulden wieder einführen, das würde zwei Jahre lang Kosten verursachen, aber ab dem dritten Jahr Vorteile bringen. Das sagt eine unserer Studien, die von seriösen Wirtschaftsinstituten durchgeführt wurde. Wir könnten dennoch dem Euro folgen. Es gibt viele Möglichkeiten.
SPIEGEL: Sollen dann um die Niederlande wieder die Schlagbäume heruntergehen?
Wilders: Darf ich eine weitere Studie einer holländischen Universität zitieren, die lange vor der Flüchtlingskrise erstellt wurde? Sie sagt, dass die Zuwanderung von nicht-westlichen Immigranten unseren Staat jährlich 7,2 Milliarden Euro kostet - viel mehr, als uns Grenzschließung und Visa-Einschränkungen kosten würden.
SPIEGEL: Wie wollen Sie den größten Hafen Europas, Rotterdam, offenhalten - und gleichzeitig Menschen abweisen, die Ihnen zwar nicht passen, die aber ein gültiges Visum eines anderen europäischen Staates haben?
Wilders: Ich habe ja nichts gegen Kanadier oder Australier. Wir entscheiden aber, wen wir ins Land lassen und auch, wen wir zum Illegalen machen. Wir müssten ja beispielsweise keine Portugiesen mehr akzeptieren, wenn die Portugiesen etwa weiterhin Flüchtlingen aus Somalia Visa für den Schengenraum geben.
SPIEGEL: Was geschähe mit den rund 850.000 Muslimen, die bereits in den Niederlanden leben?
Wilders: Es sind bereits eine Million Muslime! Solange die sich an die Gesetze halten und die Verfassung respektieren, hat niemand etwas zu fürchten. Sie können bleiben, haben gleiche Rechte und die Chance auf ein fantastisches Leben in Holland. Aber wenn jemand die doppelte Staatsbürgerschaft hat und ein Verbrechen begeht, sollte ihm der niederländische Pass entzogen und er in das andere Land geschickt werden, auch wenn er hier geboren wurde. Wenn wir hier bei den Marokkanern beispielsweise ein Zeichen setzten, hätte das enorme Wirkung. 80 Prozent der Menschen, die mit niederländischem Pass als Dschihadisten nach Syrien gehen, sind in Wahrheit Marokkaner.
SPIEGEL: Um Extremisten im eigenen Land aufzuspüren, braucht es vor allem den Austausch mit internationalen Sicherheitsbehörden auch in der Europäischen Union. Oder wollen Sie Probleme mit niederländischen Terrorverdächtigen künftig allein lösen?
Wilders: Man kann befreundet sein, auch ohne EU-Mitgliedschaft. Der Vertrag von Prüm, nach dem zwischen Europäern Daten für die Strafverfolgung ausgetauscht werden, ist ein gutes Beispiel für internationale Kooperation.
SPIEGEL: Sie behaupten, der Islam habe dem Westen den Krieg erklärt. Tatsächlich haben das die Terrorgruppe al-Qaida und der "Islamische Staat" getan. Die meisten der 1,6 Milliarden Muslime aber betrachten die Dschihadisten als Barbaren und Feinde, so wie wir. Warum kriminalisieren Sie eine ganze Glaubensgemeinschaft?
Wilders: Was Sie sagen, ist nicht wahr. Studien von holländischen und auch Berliner Universitäten bestätigen, dass 80 Prozent der niederländischen Muslime es heroisch finden, als Kämpfer nach Syrien zu gehen. Eine Universität in Amsterdam berichtet, dass elf Prozent der Muslime bereit sind, Gewalt gegen Nichtmuslime und auch Muslime anzuwenden. Ich bin viel gereist, nach Afghanistan, Ägypten, in Iran und unterscheide sehr wohl zwischen moderaten Muslimen und dem Islam. Der Islam ist keine Religion, sondern eine imperialistische Ideologie wie der Kommunismus oder der Faschismus.
SPIEGEL: Die Bibel ist kein minder gewalttätiges Buch als der Koran.
Wilders: Die Unterschiede sind doch gravierend! Darüber könnte ich Stunden reden. Noch einmal, ob es Ihnen gefällt oder nicht: Der Islam will uns zerstören, und ich will das aufhalten. Deshalb habe ich meine Partei gegründet, und damit liege ich in Umfragen bei bis zu 25 Prozent der Wählerstimmen. Ich werde nicht aufhören, gegen den Islam zu kämpfen, bis ich die Freiheit für unser Land erreicht habe.
Im Video: SPIEGEL-Redakteurin Susanne Koelbl zum Interview mit Geert Wilders
