Noch-Dreisternekoch im Interview "Diese 40 Quadratmeter Küche waren doch mein Leben"

Harald Wohlfahrt, Deutschlands höchstdekorierter Sternekoch, muss nach 37 Jahren das Restaurant Schwarzwaldstube in Baiersbronn verlassen. Was steckt dahinter?
Sternekoch Wohlfahrt im Festspielhaus Baden-Baden: "Ich möchte nicht in der weißen Jacke rausgetragen werden"

Sternekoch Wohlfahrt im Festspielhaus Baden-Baden: "Ich möchte nicht in der weißen Jacke rausgetragen werden"

Foto: Boris Schmalenberger / DER SPIEGEL

Wohlfahrt, 62, zählt zu den einflussreichsten Vertretern seiner Zunft, mehrere Sterneköche lernten bei ihm. 37 Jahre lang leitete er das Restaurant Schwarzwaldstube in Baiersbronn, das zum Hotel Traube Tonbach gehört. Nun berät er unter anderem die Gastronomie des Festspielhauses Baden-Baden.


SPIEGEL: Herr Wohlfahrt, wenn Sie beim Kredenzen eines Fünf-Gänge-Menüs tot umfielen - wäre das ein würdiges Ende?

Wohlfahrt: Den Gedanken hatte ich noch nie. Ich möchte nicht in der weißen Jacke rausgetragen werden, vielleicht noch mit dem Löffel in der Hand. So stelle ich mir das nicht vor, dass man am Arbeitsplatz, an dem man immer so viel von sich gegeben hat, auch noch sein Leben lassen muss.

SPIEGEL: Rockstars oder Schauspieler sagen ja gern, dass der Tod sie am liebsten auf der Bühne ereilen solle.

Wohlfahrt: Nun bin ich weder das eine noch das andere.

SPIEGEL: Aber doch auch ein Künstler.

Wohlfahrt: Kochen ist zunächst Handwerk, und in manchen Fällen kommt Kunst heraus. Ich hatte Esserlebnisse, die so prägend waren, dass sie mir bis zur Stunde im Gedächtnis geblieben sind. Ich erinnere mich an einen Besuch beim Sternekoch Joël Robuchon in Paris, 35 Jahre ist das her, es gab Perigord-Trüffel auf einem Zwiebelragout mit Speck, ein puristisches Gericht, aber mit einem Duft, einem Ausdruck und einer Wildheit, dass es mir neue Türen aufgestoßen hat. Ich dachte nur: Was ist da los auf deinem Teller?!

SPIEGEL: Wie ungerecht, dass Köche keinen Applaus bekommen.

Wohlfahrt: Da muss ich widersprechen. Ich bin gegen Ende des Menüs immer rausgegangen, habe meinen Gästen in die Augen geschaut und mich ihrem Urteil gestellt. Die hatten ihren Tisch in der Schwarzwaldstube zum Teil ein Vierteljahr im Voraus gebucht. Baiersbronn ist ja nicht der Nabel der Welt, das heißt, es muss das Interesse an meinem Namen, meiner Person, meiner Küche gewesen sein, das sie lockte. Da wollte ich natürlich wissen, ob die Erwartung erfüllt wurde. Aus Kritik konnte ich lernen. Und manchmal wurde geklatscht.

SPIEGEL: Sie sind ein Star Ihrer Zunft. Die Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach war Ihre Bühne, 25 Jahre lang am Stück hielten Sie dort drei Sterne. Sie waren das Aushängeschild des Hauses, bis Sie sich dieses Jahr mit der Eigentümerfamilie Finkbeiner überwarfen.

Wohlfahrt: Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen könnte.

SPIEGEL: Im Juli bekamen Sie Küchenverbot, Sie klagten, man trennte sich. Ein unwürdiger Schlusspunkt einer großen Karriere, ein Schock für die Branche. Sternekoch Vincent Klink sagte bestürzt, Heiner Finkbeiner und Sie seien doch "wie siamesische Zwillinge" gewesen.

Wohlfahrt: Nun, Willi Finkbeiner, der Onkel des heutigen Eigentümers, war wie ein Vater zu mir.

Wohlfahrt-Kreation „In manchen Fällen kommt Kunst heraus“

Wohlfahrt-Kreation „In manchen Fällen kommt Kunst heraus“

Foto: Berthold Steinhilber / LAIF

SPIEGEL: Mit Heiner Finkbeiner entzweiten Sie sich dann in der Frage Ihrer Nachfolge. Warum haben Sie nicht geräuschlos an Ihren Souschef Torsten Michel übergeben, wie es geplant war?

Wohlfahrt: Dazu möchte ich mich nicht äußern.

SPIEGEL: Angeblich hatten Sie Michel bereits vor Jahren versprochen, dass er Sie beerben würde, wenn Sie 60 sind. Zuletzt gab es dann die Idee, dass Sie dem Haus als sogenannter kulinarischer Direktor erhalten bleiben.

Wohlfahrt: Die Idee, ja. Die gab es vonseiten der Geschäftsleitung. Meine Arbeitszeit wäre von 9 bis 17.30 Uhr gewesen. Samstag, Sonntag frei.

SPIEGEL: Klingt doch super.

Wohlfahrt: Stimmt.

SPIEGEL: Warum haben Sie abgelehnt?

Wohlfahrt: Das Problem war, dass man mich damit fremdbestimmt hätte. Ich hätte mich einer Sache unterworfen, die mein Seelenleben völlig durcheinandergebracht hätte.

SPIEGEL: Wurde Ihnen Ihr Alter vorgeworfen?

Wohlfahrt: Sehen Sie einen alten, zittrigen Mann vor sich?

SPIEGEL: Es heißt, Sie hätten sich mehr Loyalität gewünscht von Ihrem Stellvertreter Michel.

Wohlfahrt: Dazu sage ich nichts. Vielleicht habe ich ihm zu viel Vertrauen geschenkt. Aber so kannte ich das, ich habe immer junge Kollegen an meiner Seite heranwachsen lassen. Kochen ist keine Einmann-veranstaltung. Allein sechs der heutigen Sterneköche haben bei mir gelernt. Irgendwas scheinen die mitgenommen zu haben.

SPIEGEL: Gibt es einen Arbeitstag, den Sie gern ungeschehen machen würden?

Wohlfahrt: Viele. Das betrifft vorwiegend Fehler, die ich gemacht habe. Ich habe alles gegeben und nicht genügend gefordert für mich selbst. Operationen habe ich in meinen Urlaub gelegt. Ich habe eine Sommergrippe ausgefochten, ohne mich krankzumelden, die ging über vier Wochen, da habe ich mit 40 Fieber in der Küche gestanden. Meinen Sie, es würde mir heute jemand danken, wenn ich mir damals was am Herzen zugezogen hätte? Was ich gemacht habe, war unverantwortlich. Als ich Vater geworden war, habe ich meine Frau vom Wochenbett abgeholt, sie an der Haustür abgegeben, meine Kochjacke übergestreift und bin zur Arbeit.

SPIEGEL: Verrückt.

Wohlfahrt: Ja. Und wenn Sie in der Nacht vor der Erstkommunion Ihrer Kinder bis in die Puppen arbeiten, kommen Sie gar nicht runter von dem Trip, da haben Sie keine Muße, so ein Fest zu würdigen.

SPIEGEL: Haben Sie vom Betrieb keine Zugeständnisse eingefordert?

Wohlfahrt: Natürlich nicht.

SPIEGEL: Selbst schuld, oder?

Wohlfahrt: Heute ist mir klar, es ist das Normalste auf der Welt, sich so etwas auszubedingen.

SPIEGEL: Wie oft sagen Sie: Harald, was warst du für ein Rindvieh?

Wohlfahrt: Das sage ich nie. Ich habe von meinen Gästen ein Höchstmaß an Anerkennung bekommen, auch von Kritikern.

SPIEGEL: Hat Ihre Familie unter Ihrem Beruf gelitten?

Wohlfahrt: Meine Kinder hatten tausend Vorteile ...

SPIEGEL: ... stets gutes Essen ...

Wohlfahrt: ... aber auch einen Vater, von dem sie meist nur die Absätze sahen. Ich hatte ein offenes Ohr, aber ein normales Familienleben hat nie stattgefunden.

SPIEGEL: Ab wann wird Ehrgeiz krankhaft?

Wohlfahrt: Teuflisch war er, krankhaft nicht.

SPIEGEL: Waren Sie ein Egoist?

Wohlfahrt: Das muss ich wohl gewesen sein, sonst wäre ich nicht so weit gekommen. Wenn die Ehefrau jeden Abend allein vor dem Fernseher sitzt, gehört eine Menge Charakterfestigkeit dazu, dass sie nicht auf dumme Gedanken kommt und sich die Aufmerksamkeit vielleicht woanders holt.

SPIEGEL: Christian Bau, Koch des Jahres und Wohlfahrt-Schüler, sagt, er habe viele gute Ratschläge von Ihnen bekommen, der wertvollste sei jedoch gewesen, sich ein Kindermädchen zu nehmen.

Wohlfahrt: Meine Frau und ich haben drei Kinder großgezogen, Familie Finkbeiner vier. Ich war stundenmäßig mit Sicherheit länger in den Betrieb eingebunden als die Finkbeiners. Ich erinnere mich, dass Frau Finkbeiner immer Hilfe im Haushalt hatte, die wir uns nicht hätten leisten können.

SPIEGEL: Aber Sie müssen doch gut verdient haben!

Wohlfahrt: Als der Anwalt, der mich in diesem Jahr gegen die Traube vertreten hat, meinen Gehaltszettel sah, rief er aus: Um Gottes willen, ich dachte, Sie hätten eine Finca auf Mallorca und eine Jacht!

SPIEGEL: Nichts davon?

Wohlfahrt: Nichts. Ich habe nie gesagt: Entschuldigung, ich verdiene zu wenig. Das war ein Fehler.

Wohlfahrt, SPIEGEL-Redakteur Kühn "Ostern, Weihnachten und Silvester in der Küche"

Wohlfahrt, SPIEGEL-Redakteur Kühn "Ostern, Weihnachten und Silvester in der Küche"

Foto: Boris Schmalenberger / DER SPIEGEL

SPIEGEL: Gab es nie Versuche, Sie abzuwerben?

Wohlfahrt: Schon, aber ich wusste, wie mühsam es gewesen war, dahin zu kommen, wo wir mit der Schwarzwaldstube waren. An einem anderen Standort neu anzufangen hätte eine Mordsanstrengung bedeutet. Und ich wollte meine Kinder nicht auch noch aus ihrer Schule herausreißen und sie nach Hamburg oder München verpflanzen.

SPIEGEL: Wären Sie Fernsehkoch geworden, dann hätten Sie wohl ein dickeres Polster.

Wohlfahrt: Wo hätte ich das zeitlich reinpacken sollen? Man hat mit Argusaugen geschaut, ob ich an meinem Platz bin. Wenn ich bei einer Benefizveranstaltung war oder zum Gastkochen, musste ich Urlaub nehmen. Ich war, anders als die meisten TV-Köche, nicht Inhaber, sondern Angestellter, das ist ein Riesenunterschied. Ich habe den Fernsehruhm nicht vermisst. Als Sternekoch haben Sie in Feinschmeckerkreisen eine Reputation, die geht weltweit.

SPIEGEL: Angeblich hatten Sie mal das Angebot, für Katzenfutter zu werben.

Wohlfahrt: Es gab eine Anfrage von Whiskas. Aber stellen Sie sich die Häme vor, die ich über mich hätte ergehen lassen müssen. Das kam nicht infrage. Es sei denn, die hätten so viel bezahlt, dass ich bis zum Lebensende nichts mehr hätte tun müssen.

SPIEGEL: Warum ist Spitzenküche eigentlich immer noch ein Männerding?

Wohlfahrt: Dass es so wenige Sterneköchinnen gibt, hat sicherlich zu tun mit dem natürlichen Wunsch, Kinder zu bekommen. Hauptkampftage in der Gastronomie sind Freitag, Samstag, Sonntag. Jedes Ostern, Weihnachten und Silvester steht man in der Küche, sodass man sich prüfen muss: Lohnt sich das? Ich habe nie nach Geschlechtern differenziert, wenn ich Leute eingestellt habe. Frauen haben in meiner Küche immer zu einem noch besseren Umgangston geführt, weil die Männer in der Brigade dann noch anständiger auftreten wollten.

SPIEGEL: In Großküchen geht es schon mal zu wie auf dem Kasernenhof.

Wohlfahrt: Wir veredeln Nahrungsmittel, wir führen doch keinen Krieg! Bei uns wurde nie gebrüllt, da konnten Sie eine Nadel fallen hören. Klar können Sie da durchmarschieren wie ein Feldherr. Ich habe es vorgezogen, wie ein Hirte meine Herde vor mir herzutreiben.

SPIEGEL: Ist die Sorge, einen Stern zu verlieren, die Kastrationsangst des Spitzenkochs?

Wohlfahrt: Das klingt mir zu drastisch. Aber den dritten Stern zu halten war schon mein wesentlicher Antrieb. Ich habe immer gesagt, solange die Sterne bleiben, bleibe ich. Wenn sie gehen, gehe ich.

SPIEGEL: Sind Sie denn noch Sternekoch?

Wohlfahrt: Bis zum 31. Dezember, so lange bin ich auf dem Papier Angestellter der Traube Tonbach. Danach sind die Sterne weg.

SPIEGEL: Halten Sie es für möglich, dass Sie nochmals drei Sterne erreichen?

Wohlfahrt: Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Ich habe ja nicht das Kochen verlernt.

SPIEGEL: Haben Sie Verständnis, wenn jemand es überkandidelt findet, dass Sie Gerichte zubereiten mit so gewaltigen Namen wie "Komposition von Mandelmilchgranité und Baba auf Irish-Cream, kandierten Kumquats und Tannenharz-Knusperblatt"?

Wohlfahrt: Ich würde mir wünschen, dass derjenige es probiert. Wenn er danach noch sagt, was soll der Krempel auf dem Teller - dann war er am falschen Fleck.

SPIEGEL: Wenn ein Gast bei Ihnen Ketchup verlangt ...

Wohlfahrt: ... dann würde er es bekommen, aber das gab es noch nie.

SPIEGEL: Haben Sie jemals Lokalverbot erteilt?

Wohlfahrt: Einem Pfeifenraucher. Wir hatten auf unsere Speisenkarten geschrieben: Sehr geehrte Gäste, wir bitten Sie, das Rauchen in den dafür vorgesehenen Räumlichkeiten vorzunehmen. Es war noch die Zeit vor dem gesetzlichen Verbot. Ein Stammgast glaubte, für ihn gelte das nicht. Er kam stets als Letzter, wenn alle anderen schon beim Essen waren, und verteilte wie eine Dampflok seinen Rauch im Lokal. Auf so einen Gast muss man verzichten können - im Sinne aller anderen.

SPIEGEL: Ist Ihre Frau schon genervt, weil Sie jetzt ständig zu Hause kochen?

Wohlfahrt: Wir tun es als Team. Die Vorbereitung machen wir gemeinsam. Wenn der Akt des Kochens kommt, assistiert sie mir.

SPIEGEL: Wer spült ab?

Wohlfahrt: Die Spülmaschine.

SPIEGEL: Und die guten Gläser?

Wohlfahrt: Würde ich nie so sauber kriegen, dass meine Frau zufrieden wäre.

SPIEGEL: Sie haben die Traube Tonbach früher gern mit dem Erfolgsverein Bayern München verglichen. Erhoffen Sie heute für sich die Rolle von Jupp Heynckes - für einen Jüngeren vom Hof gejagt, als Nothelfer zurückgeholt?

Wohlfahrt: Ich habe schon kurz nach meiner Freistellung gesagt: Wenn heute die Traube Tonbach anruft, bin ich morgen wieder da - bevor die Schwarzwaldstube den Bach runtergeht.

SPIEGEL: Im Ernst? Nach allem, was vorgefallen ist?

Wohlfahrt: Selbstverständlich. Die Schwarzwaldstube kann nichts für das, was geschehen ist. Diese 40 Quadratmeter Küche, die waren doch mein Leben.

SPIEGEL: Herr Wohlfahrt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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