"Harry Potter and the Cursed Child" Eule entflogen

Jamie Parker, Sam Clemmett und Poppy Miller spielen Harry, Albus Severus und Ginny Potter
Foto: DPA/ Theatre DepartmentIn einer Zeit, in der alles von allen verraten und gewusst wird, sollte das "Cursed Child", das verwunschene Kind, ein Geheimnis bleiben. #KeepTheSecrets, zu Deutsch: Behalts für dich, steht auf den Eintrittskarten von "Harry Potter and the Cursed Child", Joanne K. Rowlings Theaterstück über den erwachsenen Harry Potter, das am 30. Juli im Londoner Palace Theatre seine Uraufführung feiert.
Die Voraufführungen sind schon seit einigen Wochen zu sehen. Doch so ein Hashtag sagt gar nichts, vermutlich finden sich alle Geheimnisse im Internet. Einer filmt immer.
Aber noch findet sich erstaunlich wenig im Netz. Der Druck, nicht zum Verräter zu werden, ist für manche vielleicht zu groß. Joanne K. Rowling hat ihn selbst aufgebaut. #DontBeWormtail, twitterte sie. Wormtail, Wurmschwanz, ist der Spitzname desjenigen, der im Buch ein Geheimnis verraten hatte und so dafür sorgte, dass Harry Potters Eltern starben. In der Realität steht dieser Rückgriff auf die Fiktion im Interesse des Marketings.
Die Schlange vor der Sicherheitskontrolle am Eingang führt um das Theater herum. Die Besucher sind angereist aus Deutschland, Italien, irgendwoher: ins Londoner West End.

Viele Besucher tragen einen Zaubererumhang. Die Fans der ersten Stunde sind erwachsen geworden, was sie nicht davon abhält, sich wie die Helden ihrer Kindheit zu verkleiden. Über dem Eingang zum Theater thront das Logo des Stücks: Ein Junge sitzt in einem geflügelten Nest, er umklammert seine Beine, er fürchtet sich. Und schaut nach oben, nicht auf die Menge unten, die versucht, ihn und den "Cursed Child"-Schriftzug auf ein präsentables Selfie zu bekommen. Wer ist das verwunschene Kind im Nest? Bislang wissen das nur wenige. Als Buch erscheint das Theaterstück im englischen Original erst am 31. Juli, die deutsche Übersetzung folgt im September.
Vor neun Jahren hatte Rowling angekündigt, es werde keinen weiteren "Harry Potter"-Roman geben - nun hat sie ein Theaterstück geschrieben, gemeinsam mit dem Drehbuchautor Jack Thorne und dem Theaterregisseur John Tiffany.
"Harry Potter and the Cursed Child" beginnt dort, wo der letzte Roman geendet hat: Harry Potter steht mit seiner Familie am Bahnhof. Er bringt seine Kinder zum Zug Richtung Hogwarts - 19 Jahre nach dem Sieg über seinen Widersacher Lord Voldemort. Harry Potter ist erwachsen. Und er ist gestresst. Er arbeitet für das Zaubereiministerium in London. Einer seiner Söhne ist bereits in Hogwarts, der zweite soll folgen - und leicht wird es für den Jungen nicht. Er spielt eine wichtige Rolle in dem Stück. Albus Severus, so heißt er, wird mit dem berühmten Vater hadern.
Die Tickets für "Harry Potter and the Cursed Child" sind bis Mai kommenden Jahres ausverkauft, 175.000 Karten waren innerhalb von 24 Stunden weg. Jeden Freitag gibt es online noch 40 Tickets für die darauffolgende Woche. Aber was ist das Angebot von nicht mal 200.000 Karten im Vergleich zu den 450 Millionen Exemplaren, die von Rowlings sieben "Harry Potter"-Romanen weltweit verkauft wurden?

Palace Theater in London
Foto: Ben A. Pruchnie/ Getty ImagesIm Vorfeld hat es Verwunderung darüber gegeben, dass Hermine im Stück schwarz ist, anders als in den "Harry Potter"-Filmen. Doch nirgendwo im Buch steht, sie sei weiß. Die Schauspieler sind andere als in den Filmen. Jamie Parker spielt den gealterten Harry Potter, Noma Dumezweni ist Hermine Granger und Paul Thornley ist Ron Weasly. Nur Sam Clemmett braucht sich nicht mit einer Filmfigur zu messen, er spielt Albus Severus: den jüngeren Sohn Harry Potters, der im Film nur kurz auftaucht, ganz zum Schluss, auf dem Bahnhof King's Cross.
Was auf der Bühne passiert, lässt das Publikum vergessen, dass es im Theater sitzt, und ans Kino denken, an ganz großes Kino. Jeremy Chernick, verantwortlich für die Special Effects, und Jamie Harrison, der sich, wie es sich für ein derartiges Stück gehört, um das magische Illusionstheater kümmert, bringen die klassischen Tricks mit viel Effektzauber auf die Bühne.
Feuer, Wasser, Schwarzlicht. Schwarz gekleidete Menschen lassen, im Schatten der Bühne verschwindend, Gegenstände fliegen. Videos werden auf dreidimensionale Oberflächen projiziert - so entstehen scheinbar Veränderungen am Gebäude, vibrierende Wände etwa. Nur echte Tiere gibt es keine mehr auf der Bühne. Bei der ersten Voraufführung flog eine Eule davon.
Wer dann aus dem Theater geht, vermutet hinter der nächsten roten Telefonzelle wirklich den Eingang zum Zaubereiministerium. Das ist die größte Stärke der Inszenierung: Sie steht der eigenen Fantasie nicht nach. In der Buchfassung des Stücks wird man das alles so nicht nachlesen können. Dort kommen zu den Dialogen wohl nur Regieanweisungen - und keine funkelnden, ausformulierten Romansätze von Joanne K. Rowling.