Kapstadt Der ersten Millionenmetropole geht das Wasser aus

Schon frühmorgens rollen schwere Lastwagen durch die Straßen von Kapstadt, sie transportieren Erdbohrer, die so martialisch aussehen wie Geschütze. Ihr Einsatzgebiet liegt in den besseren Vierteln der Stadt, dort, wo überwiegend weiße Bürger wohnen. In deren Gärten arbeiten sich die Bohrköpfe tief in den felsigen Untergrund. Man hört die Geräte bis in die Abendstunden hinein unablässig rattern und knirschen und hämmern.
Es sind die ultimativen Waffen im Kampf gegen die schlimmste Dürre, die Kapstadt seit über hundert Jahren heimgesucht hat. Wer es sich leisten kann, lässt private Brunnen bohren, um unabhängig zu sein von der öffentlichen Wasserversorgung. Denn schon bald könnte der Worst Case eintreten und kein Tropfen mehr aus den Hähnen kommen: Nach drei Dürrejahren sind die Staudämme fast leer.
Die Stadtverwaltung hat den Day Zero, den "Tag null", auf den 12. April festgelegt und die drastischen Sparmaßnahmen verschärft, um die Katastrophe vielleicht doch noch zu verhindern: Seit Monaten darf jeder Kapstädter nur noch 87 Liter Wasser pro Tag verbrauchen, ab 1. Februar ist die Ration auf 50 Liter beschränkt.
"Wir haben den Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt", erklärte Bürgermeisterin Patricia de Lille vorige Woche, und es klang schon fast verzweifelt. Seit 2011 ist die 66-jährige Politikerin im Amt, sie hat den Ernst der Lage sträflich unterschätzt.
Jetzt ahnt auch sie, dass Kapstadt die erste Millionenmetropole sein könnte, der demnächst das wichtigste Lebensmittel ganz ausgeht.
Das Desaster am Kap wird weltweit beachtet, besonders in schnell wachsenden Ballungszentren, wo das Wasser ebenfalls knapp wird. Es ist ein Menetekel in Zeiten des Klimawandels. Und ein Lehrstück, das nicht nur vom kolossalen Scheitern der Politiker handelt, sondern auch von der Gleichgültigkeit der Bürger, die eine existenzielle Bedrohung ignorieren oder verdrängen.
Zwar legen viele in diesen Hitzetagen Notvorräte an, in den Supermärkten kommt es bereits zu Hamsterkäufen von Mineralwasser. Doch die Mehrheit der Bevölkerung hat das Ausmaß der Krise noch immer nicht begriffen: Trotz dringlicher Appelle der Behörden halten unglaubliche 61 Prozent die Wasserrestriktionen nicht ein. Sie waschen weiterhin ihre Autos, füllen Swimmingpools auf, sprengen nachts klammheimlich den Rasen. So kann das Ziel, den täglichen Gesamtverbrauch von über 600 auf unter 500 Millionen Liter zu drücken, unmöglich erreicht werden.
Die Folgen sind schon jetzt verheerend. Industrie und Gewerbe mussten den Wasserverbrauch um 45 Prozent zurückfahren und die Produktion drosseln. Die Landwirtschaft und der Weinbau im Umland rechnen mit massiven Ernteverlusten. Tausende Arbeitsplätze sind gefährdet. Investoren werden abgeschreckt. Touristen könnten ausbleiben. Infektionskrankheiten und Seuchen drohen.
Und das in der angeblich bestregierten und lebenswertesten Stadt Afrikas, wie Kapstadt sich gern anpreist. Am Flughafen begrüßt die Bürgermeisterin Patricia de Lille die Besucher auf einer prächtigen Fototapete. Aber es könnte sein, dass das Bild bald entfernt wird. Denn in der vergangenen Woche hat ihr der Vorstand der eigenen Partei, der Democratic Alliance, die Zuständigkeit für Wasserfragen entzogen; hochrangige Funktionäre fordern de Lilles Rücktritt, weil sie in andere undurchsichtige Deals verwickelt sein soll.
"Ich versuche seit zehn Jahren, den Politikern den Ernst der Lage klarzumachen, auch mit der Bürgermeisterin habe ich gesprochen", sagt Anthony Turton. "Aber sie war unfähig, die komplexe Herausforderung zu begreifen." Turton, 63, Dozent am Zentrum für Umweltmanagement der Universität in Bloemfontein, zählt zu den streitbaren Wasserexperten am Kap. Sein Urteil fällt vernichtend aus: Er spricht von einem drohenden "Ökozid", vom "Selbstmord einer Gesellschaft", die ihre Lebensgrundlagen zerstöre.

Das Desaster sei ja nicht über Nacht gekommen, sondern habe sich über zwei Jahrzehnte angebahnt, sagt Turton. Kapstadt erlebte seit dem Ende der Apartheid anno 1994 eine rasante Urbanisierung, die Bevölkerungszahl hat sich beinahe verdoppelt, auf über vier Millionen Einwohner. "Doch die natürlichen Ressourcen sind nicht entsprechend gewachsen, und die politische Elite hat untätig zugesehen, wie die Schere immer weiter auseinanderging."
In der Zeitung "Cape Times" brachte ein Leserbriefschreiber das Problem auf den Punkt: "Wir haben nicht zu wenig Wasser, sondern zu viele Menschen."
Das Wasserdebakel erschüttert die Glaubwürdigkeit der liberalen Democratic Alliance. Sie regiert in Kapstadt und in der Provinz Westkap und hat sich stets als Alternative zum korrupten African National Congress präsentiert, der in allen anderen Provinzen und auf nationaler Ebene absolute Mehrheiten hält. Nun zeigen dessen Vertreter voller Schadenfreude auf die Stümperei in Kapstadt.
"In Wahrheit ist die Regierung in Pretoria hauptverantwortlich für die Wasserversorgung, wir sind nur für die Verteilung zuständig", sagt Dave Bryant, 33, einer der jüngeren Stadträte. "Die Regierung lässt uns hängen." Sie habe bislang nur lächerliche 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und blockiere den Mittelabfluss aus dem nationalen Nothilfebudget. So schiebt man sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Tatsächlich haben Kapstadt und Pretoria den Schlamassel gemeinsam verschuldet.
Dabei hat es nicht an Empfehlungen von Fachleuten gefehlt, wie die Katastrophe abzuwenden wäre, die Liste reicht von der rechtzeitigen Erschließung neuer Grundwasserressourcen über die Sanierung des maroden Leitungssystems bis zu technologischen Innovationen wie Meerwasser-Entsalzungsanlagen und effiziente Brauchwassernutzung. All diese Rettungsmaßnahmen sollen nun schnell durchgezogen werden. Doch sie kommen um Jahre zu spät.
Natürlich seien der Klimawandel und Wetterphänomene wie El Niño die Ursache des Wassermangels, sagt Anthony Turton. "Aber die Folgen werden durch das Versagen staatlicher Institutionen verschärft."
Bislang hat das Missmanagement in der Stadtverwaltung die Bevölkerung nicht wachgerüttelt, die meisten glauben, irgendwie gehe das Unheil schon wieder vorbei. Wer allerdings hinausfährt zum rund hundert Kilometer entfernten Theewaterskloof-Damm, bekommt es mit der Angst zu tun: Der Pegel des größten der sechs Hauptdämme, die das Kapstädter Wassersystem speisen, ist am Montag dieser Woche auf 14,2 Prozent abgesunken, wobei 10 Prozent wegen der Verschlickung nicht nutzbar sind. Der Stausee ist zu einem Rinnsal geschrumpft. Heiße Winde blasen Sandwolken durch das ausgedörrte Becken. Es ist, als würde man in einer Wüste stehen.

Der Wassermangel sei die "neue Normalität", sagen Wetterforscher. Sie haben die Niederschläge von 1920 bis 2017 verglichen und festgestellt, dass die jährliche Regenmenge in der Stadt stetig schrumpft. Kapstadt wird sich wie São Paulo, Los Angeles, Melbourne und andere Großstädte, die in dürregeplagten Regionen liegen, auf die klimatischen Veränderungen einstellen müssen. Denn seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltbevölkerung verdreifacht - und der Wasserkonsum versechsfacht.
An dieser globalen Herausforderung droht Kapstadt in diesen Tagen exemplarisch zu scheitern. Noch können andere von diesem Scheitern lernen. Denn wenn sich nichts ändert, werden sich bis zur Jahrhundertmitte nicht nur in Afrika, sondern auch im Mittelmeerraum, in Indien, China und Australien Wüsten ausbreiten.
Was sich derzeit in Kapstadt abspielt, war in den vergangenen Jahren auf ähnliche Weise an vielen Orten der Welt zu beobachten: eine rekordverdächtige Dürre etwa 2015 im Osten Brasiliens, wo der Millionenmetropole São Paulo das Wasser auszugehen drohte. Oder die "Jahrhundertdürre" in Kalifornien, die fünf Jahre dauerte und 2017 offiziell endete - bis auf Widerruf. Denn das Problem, dass im staubtrockenen Süden Kaliforniens weder eine Riesenstadt wie Los Angeles noch wasserintensive Landwirtschaft eine gute Idee ist, bleibt ungelöst.
Kein Regen, Gluthitze. Noch zehn Wochen bis zum Tag null. In Townships wie Nyanga, wo der ärmere Teil der Bevölkerung lebt, werden die städtischen Leitungen bereits jetzt tagelang abgestellt. Eine absurde Maßnahme, wenn man bedenkt, dass in den dicht bevölkerten Wohnquartieren der Schwarzen nur vier Prozent des Wassers konsumiert werden.
200.000 Haushalte verbrauchen laut jüngsten Schätzungen nach wie vor mehr als 10.500 Liter im Monat, Kontrollgeräte wurden installiert, um notorische Verschwender zu bestrafen. Aber solche Zwangsmaßnahmen schrecken wohlhabende Kapstädter offenbar nicht ab - sie können die Bußgelder locker zahlen.
"Dieses Verhalten ist asozial", sagt eine weiße Rentnerin. Sie schleppt einen Plastikkanister zum Auto, den sie gerade an einer der letzten öffentlich zugänglichen Quellen aufgefüllt hat. Jetzt zeige sich die soziale Ungleichheit zwischen Armen und Reichen, Schwarzen und Weißen. "Ich nenne das die neue Wasser-Apartheid."
Die Quelle sprudelt am Springs Way im Stadtviertel Newlands. Jeder kann sich hier kostenlos Wasser holen, maximal 25 Liter am Tag. Es ist ein Ort, an dem sich die Verteilungsschlacht um ein lebenswichtiges Gut besichtigen lässt: Täglich kommen Hunderte hierher, um Notreserven anzulegen. Die Zufahrt ist immerzu verstopft, lange Warteschlangen haben sich gebildet, die Stimmung ist äußerst gereizt. Denn auch kommerzielle Händler füllen hier ihre Tanks, manche zapfen Tausende Liter ab, um sie in den Slums mit hohem Profit zu verkaufen.
Unterdessen wird die Quelle von Wachmännern gesichert, weil es mehrfach zu Schlägereien gekommen ist. Wenn der Day Zero tatsächlich eintritt, soll an 200 Sammelpunkten im gesamten Stadtgebiet Trinkwasser verteilt werden, 25 Liter pro Bürger und Tag. Polizei und Militär sollen dafür sorgen, dass Ordnung herrscht, wenn Hunderttausende anstehen.
Schwarzseher prophezeien, dass Chaos und Anarchie ausbrechen könnten. Sie ziehen Vergleiche mit dem Endzeitfilm "Mad Max: Fury Road", der von einer brutalen Wasserdiktatur in einem lebensfeindlichen Ödland handelt. Die Hauptdarstellerin ist Charlize Theron, eine Südafrikanerin.