Katharina Thalbach über Politiker "Mit Angst spielt's sich schlecht"

Katharina Thalbach, 63
Foto: Norman Konrad/DER SPIEGELSPIEGEL: Frau Thalbach, was haben Politik und Schauspiel gemeinsam?
Thalbach: Die ganze Welt ist eine Bühne. Alle Menschen sind kleine Schauspieler. Auf Politiker trifft es aber natürlich noch mehr zu, sie haben einen Text, eine Botschaft, ein Publikum, Kostüme. Sie sind wie Schauspieler auf das nächste Engagement aus. Also brauchen sie Applaus und Fans. Aber bitte kriegen Sie das nicht in den falschen Hals.
SPIEGEL: Wie könnte man das in den falschen Hals kriegen?
Thalbach: Wenn Sie schreiben: "Politiker sind Schauspieler" klingt das gleich negativ. Es klingt, als würden sie dem Wähler was vorspielen, ihn anlügen. Tun sie mit Sicherheit, aber das Schauspiel ist auch etwas Notwendiges. Politik ist, glaube ich, eigentlich ein trockenes Geschäft, das muss für die Wähler so übersetzt werden, dass sie dem Dargebotenen gern folgen, dass sie es verstehen. Wenn man Shakespeare einfach nur so runterliest, hört auch keiner zu. Man braucht eine Inszenierung.
SPIEGEL: Glauben Sie, dass Politikern das eigene Schauspiel manchmal zu viel wird?
Thalbach: Ich habe mich mal für eine Rolle mit einer SM-Hure unterhalten, damals, als der Regierungssitz noch in Bonn war. Ein Großteil ihrer Kunden waren Politiker. Sie sagte, dass die gern ganz klein werden wollen, alle Macht abgeben. Die wollen loslassen und mal eine gewischt kriegen und in die Windeln machen. So ist das, wenn man immer in einer Rolle ist. Man braucht irgendwann einen Ausgleich. Die Politikerrolle scheint ja doch sehr trieb- und impulsbefreit. Ich würde sie nicht dauerhaft spielen wollen.
SPIEGEL: Das Spiel wird dann interessant, wenn jemand einen Fehler macht.
Thalbach: Ja, vielleicht weil dann die vorgeschriebenen Texte fehlen. Dann wird es Improvisationstheater. Spontan fällt mir Ziege ein.
SPIEGEL: Ziege?
Thalbach: Na, Ziege, der mit den Poolfotos mit der Gräfin.
SPIEGEL: Rudolf Scharping.
Thalbach: Den nannte man doch immer Ziege, wegen seines Bärtchens, das fand ich sehr passend. Der war glücklich und dachte, er zeigt der Welt jetzt, wie er sich fühlt. Nur passte das nicht zu seiner Rolle als Verteidigungsminister. Richard III. kann im Machtkampf auch keine Poolfotos machen, obwohl, er mit Lady Anne in der Themse würde mir gefallen.
SPIEGEL: Sie haben einmal die Kanzlerin gespielt, in einem Fernsehfilm über den Skandal um Karl-Theodor zu Guttenberg. Sind Sie Merkel vorher mal begegnet?
Thalbach: Einmal, beim Friseur Udo Walz, nach der Wahl 2005. Da war ja diese legendäre Talkshow, in der Gerhard Schröder behauptet hat, die Wahl irgendwie gewonnen zu haben. Ich fand das so was von präpotent, so bescheuert männlich. Jedenfalls wurde der Friseursalon von Walz in Berlin für Frau Merkel gesperrt, aber ich kam noch von der Toilette. Sie kam mir entgegen mit irgendwelchen Dingern im Haar. Ich habe mich kurz vorgestellt und gesagt, dass ich sie nicht gewählt habe, aber meine Solidarität gegen Schröders Verhalten bekunden muss. Sie bedankte sich, die Silberfolie im Haar wackelte, das war's.
SPIEGEL: Für die Vorbereitung auf die Rolle hat das Treffen nichts gebracht?
Thalbach: Die Vorbereitung wurde mir gratis geschenkt, von jedem Sender. Ich fing dann an, mir vorzustellen, wie ich mich mit Macht fühlen würde. Ich führe manchmal Regie, das ist Macht im Promillebereich. Wenn man diese kleine Macht in Gedanken auf den ganzen Globus ausdehnt, fühlt man sich im ersten Moment ganz groß, wie auf einer riesigen Bühne. Dann dachte ich: Jetzt verstehe ich diese Haltung. Das drückt. Das lastet auf den Schultern, der Kopf sackt ein bisschen ab. Frau Merkel wirkt ja nicht immer gerade locker.

Bundeskanzlerin Merkel in Oslo
Foto: B3575 RoyalPress Nieboer/ dpaSPIEGEL: Kohls und Schröders Schultern wirkten ganz locker, trotz der Macht.
Thalbach: Na ja, die hatten andere optische Probleme. Machtmänner ist eine Rolle, die es schon seit Ewigkeiten gibt. An Frauen ist das Publikum noch nicht so gewöhnt, deshalb gehen die in der Darstellung lieber auf Nummer sicher und machen ein bisschen auf Mann. Die altägyptische Pharaonin Hatschepsut hat sich Bärte angelegt. Merkel trägt ihre Blazer-Uniform. Wenn sie mal ihren Busen zeigt, ist da gleich ein Riesenaufschrei. Oh Gott, sie ist eine Frau!
SPIEGEL: Schröder hat in der Elefantenrunde das geliefert, nach dem sich so viele sehnen: den "echten" Menschen.
Thalbach: War das der "echte" Mensch, oder will man das glauben? Vom Blick hinter die Kulissen lebt Ihre ganze Branche. Man will immer wissen, was passiert, wenn das Licht ausgeht. Der König kackt! Die Zeitungen und Zeitschriften und Paparazzi haben so viel Material, weil wirklich niemand immerzu spielen kann. Jeder ist mal krank oder müde oder genervt oder hat seine Rolle satt. Man sollte es halt nicht auf der Bühne merken. Bei Schröder hatte ich das Gefühl, dass der ganz generell nicht in der Lage war zu schauspielern. Der war immer er selbst. Der hatte ein massenkompatibles Selbst, wenn es gut lief, und ein eher unangenehmes, wenn es schlecht lief.
SPIEGEL: Merkel ist nicht dafür bekannt, ihre Emotionen zu zeigen. Wie gefällt Ihnen die Inszenierung von Politik derzeit?
Thalbach: Früher habe ich ganz gern die Debatten im Fernsehen gesehen, heute bin ich gelangweilt davon. Es ist, als würde überall der gleiche Film laufen, nur manchmal wird ein anderer besetzt oder es werden ein, zwei Zeilen umgeschrieben. Schauspieler freuen sich, wenn man über sie lacht oder weint. Politiker scheinen erreichen zu wollen, dass man gar nichts fühlt außer dem, was man eh schon fühlte. Beim Kochen würde man sagen, sie wollen das Glutamat sein. Sie wollen, dass das, was man sowieso schmeckt, verstärkt wird.

Manfred Krug
Foto: Jˆrg Schmitt / picture alliance / dpaSPIEGEL: Haben Politiker es schwerer als Schauspieler? Sie müssen immer den Gleichen darstellen, Schauspieler können die Rollen wechseln.
Thalbach: Es gibt auch Schauspieler, die immer nur Variationen von sich gespielt haben. Manne Krug war so einer, der war eigentlich immer er selbst, das hat ausgereicht, weil er so talentiert war. Dafür hat ihn eine ganze Nation geliebt. Nur hat er dann auch irgendwann gesagt: Jetzt reicht's mit Öffentlichkeit. Das Gleiche bei Juhnke. Der konnte am Schluss kaum noch auf die Straße gehen, er war für die Leute öffentliches Eigentum. Irgendwann hat er das nicht mehr ausgehalten. Er ist geflohen, weil er die Leute nicht fühlen lassen wollte, dass es ihm zu viel wird. Das ist der Vorteil des Schauspielers. Der darf privat scheu sein, die Öffentlichkeit meiden. Politiker müssen leutselig sein, sie dürfen nie aus der Rolle fallen. Das stelle ich mir verdammt anstrengend vor.
SPIEGEL: Ist es interessant, Mächtige zu spielen?
Thalbach: Na klar, besonders, wenn sie böse sind. Es wäre spannend, mal eine ganz kompetente, gescheite, irrsinnig witzige, sehr singfreudige und männerverschlingende Königin zu haben, die ihr Land glücklich macht. Aber interessanter ist eigentlich die Ohnmacht. Ich glaube eh, dass Politiker viel häufiger Ohnmacht als Macht empfinden. Die scheitern ja ständig. Dann erkennen sie: Die wirkliche Macht habe auch ich nicht. Den Moment hat man als Schauspieler auch. Wir gebärden uns wie große Stars, die gibt's aber eigentlich nur in Hollywood oder im großen französischen und britischen Kino. Wenn man über die Landesgrenzen kommt, ist man ein Niemand. Ich glaube, diese Erkenntnis der eigenen Kleinheit kann bei Politikern zu Zynismus und Resignation führen. Aber die Rolle des Mächtigen muss man nach außen hin durchhalten.
SPIEGEL: Was würden Sie am politischen Spiel ändern?
Thalbach: Die einförmigen Kostüme und das unglaubwürdige Lächeln auf Wahlplakaten. Schlechte Werbung fürs Politiktheater. Doch vor allen Dingen beginnt die Langeweile mit dem politischen Text. Bei Tschechow heißt es: Wenn ein Gewehr an der Wand hängt, muss es auch schießen. Die Politik ist leider voller Füllwörter, die nichts meinen und nichts wollen.

Gregor Gysi
Foto: DPASPIEGEL: Wie erklären Sie sich die Inhaltslosigkeit?
Thalbach: Die haben Angst, negativ aufzufallen. Aber mit Angst spielt's sich schlecht. Ich glaube, dass die Leute sich wünschen, mehr geboten zu kriegen. Man sieht das ja an Martin Schulz. Ein neuer Typ, endlich, dachten viele und wandten sich ab, als der auch wie alle anderen war. Ich habe jedenfalls eine Sehnsucht nach etwas anderen Figuren. Früher gab es Leute wie Strauß oder Wehner. Heute hat Gysi noch großen Unterhaltungswert. Manchmal erschreckt mich meine Sehnsucht fast. So jemand wie Seehofer - ich finde ihn furchtbar mit seinen politischen Ansichten. Als Figur ist er mir aber lieber als die, bei denen ich nicht mehr weiß, wer sie überhaupt sind.
SPIEGEL: Schauspieler wollen Applaus. Und Politiker?
Thalbach: Politischer Applaus beunruhigt mich, weil ich in der DDR groß geworden bin. Wenn ich Bilder von Parteitagen sehe, wo Massen wie gesteuert anfangen zu jubeln, hat das für mich etwas Gefährliches.
SPIEGEL: Ist in der Politik ein zu erfolgreiches Stück eine Gefahr?
Thalbach: Schauen Sie sich Trump an. Der hat einen Unterhaltungsfaktor, auf der Bühne wäre er der Knaller. Den würde jeder Schauspieler spielen wollen, es kommt alles zusammen, was man für eine spannende Rolle braucht: Dummheit, Gefährlichkeit, Hässlichkeit. Im echten Leben kann ich darüber nicht mehr lachen, er ist der mächtigste Mann der Welt. Was wurde im "Dritten Reich" geklatscht und gejubelt. Am Ende muss ich mir doch widersprechen: Mir ist das langweilige politische Stück doch lieber.
SPIEGEL: Hat Ihnen Frau Merkel mal gesagt, ob sie Ihre Darstellung von ihr mochte?
Thalbach: Ich wurde zu einer Veranstaltung eingeladen, wo sie sich den Film "Die Legende von Paul und Paula" gewünscht hatte und danach mit Filmschaffenden sprach. Ich habe sie dort gefragt, ob sie den Film gesehen hat. Sie sagte, für so etwas habe sie keine Zeit. Sie habe nur gehört, er sei sehr amüsant. Ich konnte in dem Moment nicht sagen, ob das stimmt. Merkel kann als öffentliche Person natürlich nie die Maske fallen lassen. Schade eigentlich. Ich stelle mir gern vor, dass sie abends zu Hause sitzt, sich in den Sessel fallen lässt und zu ihrem Mann sagt: "Und wieder bin ich gescheitert, lass uns lieber über Physik sprechen." Das würde mir gefallen.
SPIEGEL: Frau Thalbach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.