Dramatischer Eisschwund Es fehlen fast vier Deutschlands

Grönland: Wenn das Meereis schwindet, erhitzt sich die Atmosphäre umso rasanter
Foto: Sipa Press/Action PressDie gute Nachricht zuerst: Nach den bizarren Hitzewellen von November, Dezember und Februar ist es in der Arktis doch noch richtig kalt geworden. Das Meereis wuchs bis Anfang März. Als es seine maximale Ausdehnung erreicht hatte, erstreckte sich die Eiswüste über 14,42 Millionen Quadratkilometer - ein Gebiet, immerhin 40-mal so groß wie Deutschland.
Und nun die schlechte Nachricht: Noch nie seit Beginn der Satellitenaufzeichnung vor 38 Jahren war die maximale Eisbedeckung der Arktis so gering. Gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 fehlte so viel Eis, wie es der Fläche von fast vier Deutschlands entsprechen würde.
Kein Zweifel, der vom Menschen gemachte Klimawandel ist in vollem Gange. Das Jahr 2016, so teilte die Weltorganisation für Meteorologie in Genf mit, war das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880. Die globale Durchschnittstemperatur lag um 1,1 Grad Celsius über dem Wert der vorindustriellen Zeit.
Zuvor galt 2015 als das heißeste Jahr - und davor 2014. Und 2017 lässt sich kaum kühler an; der Januar war nach Angaben der Nasa der drittheißeste überhaupt, der Februar wurde zum zweitwärmsten der Geschichte.
Zeitgleich mit dem Nordpol hat auch der Südpol Anfang März einen Eismangel-Rekord aufgestellt: Noch nie seit Beginn der Messungen 1979 gab es rund um den antarktischen Kontinent so wenig Meereis. Gegenüber den langjährigen Durchschnittswerten fehlte ihm eine Eisfläche, zweimal so groß wie Deutschland. Das ist umso überraschender, als das Meereis am Südpol über Jahre stetig zugenommen hat. Erst 2015 hatte es einen Rekordwert erreicht.
Wenn das Meereis schwindet, erhitzt sich die Atmosphäre umso rasanter. Helle Eisflächen werfen das Sonnenlicht zurück in den Weltraum - dunkles Wasser hingegen absorbiert die Sonnenenergie und heizt sich auf. "Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest des Planeten", sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Was in der Arktis geschieht, hat direkte Auswirkungen auch auf Deutschland. Zum einen verändert sich der polare Jetstream, jenes gewaltige Starkwindband, das von West nach Ost bläst und Wettersysteme vom Atlantik nach Nordeuropa transportiert. "Das Windband fängt in einer wärmeren Welt an zu schlingern, zu mäandern", sagt Levermann. Das Ergebnis: Extreme Wetterlagen treffen ungewöhnliche Orte, ein Polarwirbel erreicht Europa, eine Hitzewelle zieht über Grönland.
Ein zweiter Effekt macht die Situation noch bedrohlicher. Weil sich die weltumspannenden Windströme durch den Klimawandel verändern, komme es häufiger zu "stehen bleibendem Wetter", wie Levermann sagt. Wochen- und monatelang bleiben Hochdruck- oder Tiefdrucksysteme stabil - und können so lang anhaltendes Extremwetter erzeugen: Starkregen, der zu Fluten ausartet; Hitzewellen, die Rekorddürren verursachen.
Derzeit geschieht etwas Seltsames vor Peru. Die Wasseroberfläche vor der Küste ist seit Ende Januar bis zu sechs Grad wärmer als normal. Dies führt wegen der stärkeren Verdunstung zu verheerenden Niederschlägen und den stärksten Überflutungen seit 20 Jahren. Häuser wurden weggerissen, Straßen unterspült. Dutzende Menschen sind gestorben, Tausende obdachlos geworden.

Blick auf die Fluten im Norden Perus
Foto: HANDOUT/ REUTERSDie Peruaner nennen das Ereignis einen "Küsten-El-Niño" - eine Anspielung auf jenes natürliche El-Niño-Klimaphänomen, das sich alle zwei bis sieben Jahre einstellt. Dann erwärmt sich der tropische Pazifik vor Peru, was fast weltweit Klimakapriolen zur Folge hat - Niederschläge in Kalifornien, Dürren in Indonesien.
Ist der Küsten-El-Niño also Vorbote eines neuen El-Niño-Ereignisses? "Das wäre schon sehr ungewöhnlich", sagt der Kieler Meteorologe Mojib Latif. Der letzte El Niño, einer der stärksten überhaupt, ist gerade erst zu Ende gegangen; er hat zu den Rekordtemperaturen 2016 beigetragen. Eine Wiederkehr würde ins Gesamtbild passen: Mit fortschreitender Erwärmung, so glauben viele Forscher, könnten El Niños an Zahl und Intensität zunehmen.
Latif schaut gebannt auf das, was vor Peru geschieht. Einen regulären El Niño kann er derzeit noch nicht erkennen, weil sich der Pazifik in der Tiefe über weite Strecken eben nicht erwärmt. Aber Latif sieht durchaus Anzeichen für einen El Niño anderer Machart - einen, der "sich an der Oberfläche abspielt" und der "im Osten anfängt und dann nach Westen wandert".
Bisher sei ein solcher Umkehr-El-Niño noch nicht beobachtet worden. Je wärmer es werde, desto leichter entstünde eine solche Variante. Infolge der Erderwärmung, so Latif, könne dies sogar "ein permanenter Zustand werden". Armes Peru.