Prozesse Der Weinberg des Herrn

Benediktinerkloster Neresheim
Foto: Stefan Puchner/ dpaVier Wochen lang hatten die Benediktinerbrüder im schwäbischen Kloster Neresheim um ihren ehemaligen Abt Norbert Stoffels getrauert. Sie hatten nichts angerührt, was dem Verstorbenen gehört hatte, so wie es die Ordensregeln verlangen. Dann öffneten sie den privaten Sekretär im Schlafzimmer des Alt-Abts - und stießen auf Bankauszüge, die keinem der offiziellen Klosterkonten zuzuordnen waren.
Noch mehr aber überraschte den neuen Klostervorsteher Pater Albert der Betrag, der auf dem Konto lag: gut drei Millionen Euro. "Mit solchen Summen hantieren wir im Kloster gewöhnlich nicht", sagt er.
Als er sich bei der zuständigen Bank nach dem geheimen Vermächtnis seines Vorgängers erkundigte, wurde schnell klar, warum im Kloster keiner von der Existenz des Kontos wusste: Sämtliche Korrespondenz lief über einen Rechtsanwalt aus Krefeld, einen gewissen Walter Marcelli. Den hatte der alte Abt mit einer Vollmacht für das Konto ausgestattet. Der neue Prior ließ die Vollmacht löschen - und hatte alsbald persönlich das Vergnügen mit Marcelli. Der 82-Jährige erhob als Treuhänder Anspruch auf einen Großteil des Geldes, doch Pater Albert blieb hart.
Seitdem liefern sich das Kloster und der Anwalt einen bizarren Rechtsstreit vor dem Landgericht im württembergischen Ellwangen. Vier verschiedene Zivilprozesse wurden in der Sache angestoßen. Im Kern geht es darum, wem die Millionen auf dem Konto gehören. Aber der Fall wirft noch größere Fragen auf, denn das Klosterkonto war möglicherweise Bestandteil eines raffinierten Steuersparmodells. Nun lautet die Frage, ob Marcelli die Klosterbrüder ausgenutzt hat. Oder haben Anwalt und Abt gemeinsame Sache gemacht, um dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen? Oder ist das Kloster gar nur ein kleines, zufällig sichtbar gewordenes Stückchen einer weitverzweigten Schwarzgeldwaschanlage namens Weinberg?
Sechsstellige Summen eingezahlt und zurückgebucht
Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat auf jeden Fall Ermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche eingeleitet. Auch das Landeskriminalamt ist eingeschaltet. Denn klar ist: Der alte Abt hatte das Konto Anfang 2010 eröffnet, kurz nachdem hierzulande die Abgeltungsteuer auf Zinserträge eingeführt worden war. Kirchliche Einrichtungen sind aber bei anerkannter Gemeinnützigkeit von der Abgabe befreit. War also alles ein groß angelegter Betrug mit kirchlichem Segen?
Rechtsanwalt Marcelli tritt im Dreiteiler, mit Beinprothese und getönter Brille auf. Von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wisse er nichts, die Vorwürfe weist er zurück. Er rühmt sich, "der Erfinder dieser raffinierten Finanzkonstruktion" zu sein, an der sich bereits einige Finanzbeamte die Zähne ausgebissen hätten.
Das "Steuervermeidungsmodell", sagt Marcelli, habe in den Siebzigerjahren ein Stifter gegründet, dessen Namen er nicht verraten dürfe. Geldgeber aus dem gesamten Bundesgebiet hätten den Weinberg unterstützt. Das Kloster sei einer von vielen Nutznießern gewesen. Seine eigene Aufgabe in dem Konstrukt, das einer Stiftung gleiche, sei es gewesen, sich als "Verwalter des Treuguts" darum zu kümmern, "dass der Weinberg ertragreich wirtschaftet".
Eifrig war Marcelli in der Tat. Und seine Investitionen über das Klosterkonto warfen offenbar Gewinn ab. So wurden mitunter sechsstellige Summen von Marcellis Privatkonto eingezahlt und zurückgebucht. Am Ende sollte auch ein erklecklicher Geldbetrag fürs Kloster übrig bleiben, behauptet Marcelli. War Abt Stoffels also mehr an irdischen Reichtümern interessiert, als seine Mitbrüder bislang ahnten?
Fast vier Jahrzehnte lang leitete der Abt die Geschicke des Klosters. Der Bundesverdienstkreuzträger galt als vorbildlicher Kirchen- und Ehrenmann. Heute leben nur noch zehn Mönche in der Benediktinerabtei auf der Schwäbischen Alb, acht von ihnen sind zwischen 75 und 86 Jahre alt.
Ansprüche des Anwalts sind "unglaubwürdig und gegenstandslos"
Pater Albert ist mit 57 der Zweitjüngste. Er erinnert sich noch genau, wie Marcelli ihm nach dem Tod des Abts zum ersten Mal vom Weinberg erzählte. Zuerst habe er da an die Reben nahe Würzburg gedacht, von denen der Messwein im Kloster stammt. Dann sei ihm als Theologe natürlich das berühmte Gleichnis aus der Bibel vom Weinstock und den Reben eingefallen. "Aber irgendwann wurde mir klar, dass dieser Herr von einem ganz anderen Weinberg spricht", sagt der Pater.
Die Anwälte des Klosters bezeichnen die Ansprüche des Anwalts als "unglaubwürdig und gegenstandslos". Aber auch sie können nicht leugnen, dass der schlitzohrige Marcelli den Abt in finanziellen Dingen wohl besser kannte als seine Mitbrüder. Er kann Spendenquittungen und Vollmachten vorlegen, die eindeutig die Handschrift des Abts tragen.
Vor Gericht konnte oder wollte Marcelli bislang nicht belegen, aus welchen Quellen das Geld auf dem Weinberg-Konto stammt und wer im Einzelnen profitierte. Die zuständigen Richter am Landgericht Ellwangen wiesen deshalb alle Klagen ab. Doch der Anwalt aus Krefeld hat angekündigt, durch alle Instanzen zu gehen, in einem Fall hat er bereits Berufung eingelegt.
Aufseiten des Klosters wiederum hat sich nach den Anfragen des SPIEGEL eine hochpreisige PR-Agentur aus München eingeschaltet. Die Männer sind kein unbeschriebenes Blatt in der Branche und mit der katholischen Kirche bestens vertraut. Zuletzt kümmerten sie sich um das angekratzte Image der Vatikanbank.