Aids-Berichterstattung im SPIEGEL "Untergangsstimmung, Panik"

Früh in den Achtzigerjahren hat der SPIEGEL vor der Krankheit Aids gewarnt und damit auch viel Kritik ausgelöst. Die Berichterstattung ärgert Bernd Aretz, 68, bis heute. Er ist Rechtsanwalt im Ruhestand, langjähriger Aktivist der Aidshilfe, HIV-infiziert.

SPIEGEL: Wie haben Sie erfahren, dass Aids existiert?

Aretz: Ich wusste es aus einer englischen Schwulenzeitschrift, aber auf Deutsch habe ich zum ersten Mal 1982 im SPIEGEL darüber gelesen. Und habe mich schwarzgeärgert.

SPIEGEL: Warum? Der SPIEGEL hat früh darüber berichtet, weil ein Wissenschaftsreporter, ein ausgebildeter Arzt, davon erfahren hatte, dass unter Schwulen eine gefährliche neue Krankheit umgeht. Was ist schlecht daran?

Aretz: Es kommt doch darauf an, wie man darüber berichtet! Ich habe ein Titelbild noch vor Augen, es war, glaube ich, 1985: "Die großen Seuchen: Aids, Syphilis, Pest, Cholera".

SPIEGEL: Was stört Sie daran?

Aretz: Es waren diese düsteren Bilder, es war diese Katastrophenberichterstattung, die eine Untergangsstimmung schuf. Panik.

SPIEGEL-Titel vom 6. Juni 1983

SPIEGEL-Titel vom 6. Juni 1983

Foto:

DER SPIEGEL

SPIEGEL: Aber vielleicht hat der Kollege mit seiner Berichterstattung ja mehr Menschen gerettet als zu seiner Zeit als Arzt? Weil er die Menschen sensibilisiert hat für die Gefahren?

Aretz: Das ist Humbug. Diese Stimmung förderte nicht die Aufklärung, sondern Angst. Ich war damals Anwalt, mit dem Schwerpunkt soziales Elend aller Art, und ich erinnere mich gut: Juristen bezogen ihre Einschätzungen über Aids aus dem SPIEGEL. Ich erinnere mich an eine Philippinerin, die ich vertrat, sie hatte sich bei ihrem Mann infiziert, hatte ihn bis zum Tod gepflegt und sollte nun abgeschoben werden, weil keine Ehe mehr als Hinderungsgrund vorlag. Unerhört, fand ich, und die Gegenseite argumentierte: Sie sehen doch, das ist eine Seuche, wie die Pest, die Cholera.

SPIEGEL: Man musste schließlich warnen.

Aretz: Man musste aufklären, aufklären, aufklären - ohne Druck und Bedrohungsszenarien. Ich habe 1984, sobald es den HIV-Test gab, einen machen lassen und erfahren: Ich bin infiziert. Ich weiß also, von welcher Stimmung ich spreche. Ich hatte das Glück, in Frankfurt eine gute medizinische Betreuung zu bekommen bei einer Ärztin, die Studien durchführte und nicht Ihrer Panikmache verfiel.

SPIEGEL: Sie sagen: unserer Panikmache. Aber wenn ich die Aids-Berichterstattung der frühen Jahre anschaue, dann finde ich im SPIEGEL nicht nur die harte Haltung, die der bayerische Innenstaatssekretär Peter Gauweiler vertrat - für Zwangstests, im Extremfall sogar für Internierung -, sondern auch Kritik daran. Und ich finde die Haltung Rita Süssmuths wieder, die damals Bundesgesundheitsministerin war und sich jeder Form von Repression widersetzte.

Aretz: Ja, es gab sogar einen Titel mit ihr, auf dem sie in einer kondomähnlichen Plastikfolie zu sehen ist. Wenn's hilft, hat sie sich wohl gesagt. Aber prägend waren doch die anderen Titel, die anderen Texte. Was mich vor allem geärgert hat, war: Es wurde immer wieder der Eindruck erweckt, als sei quasi bei jedem Sexualkontakt mit einem HIV-Infizierten eine Ansteckung zu erwarten. Und das war und ist nicht so.

SPIEGEL: Inzwischen hat das "Schwule Netzwerk NRW" dem SPIEGEL eine "Kompassnadel" für seine "positive Darstellung einer vielfältigen und pluralistischen Gesellschaft" verliehen.

Aretz: Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, nach dieser Vorgeschichte. Aber die Zeit der Horrorgeschichten ist ja tatsächlich vorbei. Ich denke, irgendwann muss man alte Kriege auch mal begraben.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren