Natürlich könnte man die Zeit, in der man "Das Liebesleben des Nathaniel P." liest, auch bei halb-ironisch-halb-koketten Gesprächen in dieser neuen Bar verbringen. Oder auf der Party eines ehemaligen Germanistik-kommilitonen, dessen Freunde neuerdings alle einen echt vielversprechenden Job haben. Oder gleich auf Tinder. Es wäre ähnlich schmerzhaft. Aber nicht halb so amüsant.
Der Autorin Adelle Waldman ist es gelungen, eine Sittenkomödie über dieses Milieu zu schreiben, die vor allem auszeichnet, was sie nicht ist: nicht zynisch, nicht anbiedernd, nicht nervig. Folgerichtig haben so gut wie alle amerikanischen Kulturmagazine dieses Buch begeistert besprochen. Lena Dunham schwärmte von seiner Authentizität. Waldman wurde die Jane Austen unserer Zeit genannt. Ihr Mr Darcy ist ein Intellektueller aus Brooklyn in jenem Alter zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig, in dem die Absichten ernster und die Abgründe tiefer werden. Und es stimmt: Ihr Buch ist so geistreich wie gegenwartsnah. Das Lesen fühlt sich an, als würde man Nathaniel P. daten, mit allen fünf Phasen, die dazugehören.
Phase 1 Natürlich kennst du Nathaniel Piven. Hauptsächlich aus den Geschichten, die über ihn kursieren. Wie die mit Juliet. Selbstverständlich muss man nicht gleich heiraten, nur weil während einer Affäre das Kondom gerissen ist und einen nun die Erfahrung einer Abtreibung verbindet. Aber wäre es zu viel verlangt gewesen, den Kontakt minimal stilvoll abzubrechen? An Dummheit kann es nicht liegen. Gerade arbeitet er an einem Essay über die Kommerzialisierung des Gewissens. Belesen soll er sein und gewitzt. Sonst hätte er kaum einen so hohen Vorschuss für sein erstes Buch erhalten.
Phase 2 Vielleicht ist er doch gar nicht so übel? Du hattest ja keine Ahnung, dass Nate in Harvard einsam war, weil er nicht der Sohn eines New Yorker Regisseurs oder Anwalts, sondern jüdischer Einwanderer aus Rumänien ist, die ihm die Codes der gehobenen Gesellschaft nicht beibringen konnten. Außerdem scheint er doch schlaue und schlagfertige Frauen zu schätzen, die ihm intellektuell ebenbürtig sind. Frauen, die Hannah heißen und sich nicht gleich einlullen lassen. Frauen, mit denen du befreundet wärst. Wer hätte das gedacht?
Phase 3 Aber warum behandelt er diese Frauen dann nicht besser? Nate verliert das Interesse, sobald er sie sicher hat. Du verlierst den Glauben an ihn. Bemerkt er vor lauter tiefsinnigen Gedanken seinen Sexismus nicht? Wie kann er überrascht sein, wenn eine Frau ebenso belesen ist wie er? Wie kann ein Mann mit Uni-Abschluss Frauen nach einem Punktesystem bewerten? Und warum ist eigentlich immer er das Opfer?
Phase 4 Vielleicht weil ein reflektiertes Arschloch trotzdem ein Arschloch ist. Jetzt weißt du, warum die "New York Times" Nathaniel P. mit einem alten Puzzle verglich: Erst nachdem man schon viel zu viel Zeit investiert hat, merkt man, dass die wichtigsten Teile fehlen.
Phase 5 Du bist jetzt eine Juliet oder Hannah oder wie sie alle heißen. Wird Nate jemals glücklich werden? Soll er. Aber ohne dich.
Maren Keller
Adelle Waldman: "Das Liebesleben des Nathaniel P.". Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Liebeskind; 304 S.; 19,90 Euro.
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