Der Schauspieler Ben Kingsley, 66, über Rhythmus und die Kunst der Imitation
KulturSPIEGEL: Mit 17 hat man noch Träume. Erinnern Sie sich?
Sir Ben Kingsley: Mit 17 hatten sich meine Träume bereits erfüllt. Ich war der Mittelpunkt jeder Party, weil ich ein Talent dafür habe, in fremde Charaktere zu schlüpfen und Menschen zu unterhalten. Aber selbstverständlich, ohne je zu üben, die Kunst besteht in der Improvisation. Ob ich dabei in einem Partykeller stehe oder auf einem Filmset, ist egal. Ich habe nicht einmal eine Schauspielschule besucht, sondern bin nach der Schule direkt im Theater gelandet.
Wann haben Sie Ihr Talent erkannt?
Bei meiner Familie. Als Kind hat man ja kein Gefühl dafür, dass man mit einer Begabung gesegnet ist, sondern hält alles für ein tolles Spiel. Wenn bei Familienfesten jemand den Raum verließ, wurde ich umgehend aufgefordert, ihn zu imitieren. Ich konnte das ziemlich gut, die Gesten, die Mimik, die Sprache. Der Zuspruch tut einem Kind natürlich sehr gut. Mein Vater, der jung starb und meine Karriere leider nicht mehr erlebt hat, nannte mich immer den "Familien-Danny-Kaye", nach dem legendären amerikanischen Komiker. Als ich später auf Werbereise für den Film "Gandhi" war, traf ich Danny Kaye, der mich in sein Haus zum Essen einlud. Da schloss sich ein Kreis, und ich fühlte mich wieder wie ein Kind.
Sie heißen eigentlich Krishna Bhanji. Wann und warum änderten Sie Ihren Namen?
Ich war 19, als ich mit meinem Vater zu einem Vorsprechtermin im Theater fuhr. Ich machte meine Sache gut, bekam aber die Rolle nicht. Mein Vater, ein pragmatischer Mann, riet mir, meinen Namen zu ändern. Mit dem neuen Namen wurde ich vom nächsten Theater sofort engagiert.
Ihr Vater war Arzt. Erwartete man von Ihnen nicht auch eine seriöse Berufswahl?
Die wurde gefordert, und weil ich zu faul war, mir weitergehende Gedanken zu machen, spielte ich erst mal mit. Ich muss 17 gewesen sein, als ich einem Freund heimlich anvertraute, dass ich wohl Medizin studieren müsste, aber mein Herz an der Schauspielerei hinge. Was für eine Verschwendung von Zeit und Energie, entgegnete dieser traurig und entsetzt.
Sie hätten auch Popmusiker werden können. Angeblich wurden der Beatles-Manager Brian Epstein und John Lennon auf sie aufmerksam, als Sie mit eigenen Liedern auftraten.
Ja, die waren interessiert, aber ich war viel mehr fasziniert vom Rhythmus der Menschen. Jedes Individuum hat seinen spezifischen Rhythmus der Rede, der Gesten, der Manieren, der Gedanken, der Reaktionen. Ich habe einen Radar, der diese Rhythmen einfängt und in Darstellung umsetzt. Don Logan, der Gangster, den ich in "Sexy Beast" spiele, ist ein einziges wildes Stück Musik für Percussion, wenn Sie so wollen. Schauspiel und Musik liegen eng beisammen. Aber als Rockmusiker wäre ich vielleicht mit einer Überdosis Drogen jung abgetreten. Ich entschied mich lieber für die Disziplin der Royal Shakespeare Company, da sang ich auch und komponierte sogar Musik für zwei Aufführungen.
Was haben Sie bei der Royal Shakespeare Company gelernt?
Die Liebe zur Sprache, die Macht des Dramas, den Rausch einer Aufführung vor Publikum und das Genie Shakespeares. Nach 15 Bühnenjahren lud mich Sir Richard Attenborough dann ein, Gandhi in seinem Kinofilm zu spielen. Aber es gibt tatsächlich Journalisten, die immer wieder vermuten, er hätte mich auf der Straße angesprochen, weil ich Gandhi so ähnlich sehe.
Wie lange bleiben Sie in der Rolle, wenn die Kamera aus ist?
Im Idealfall verpufft die Figur zu null, wenn ich meinen Part gespielt habe. Das ist nicht einfach, aber es funktioniert meistens. Wenn ich nach den Dreharbeiten zu "Shutter Island" wieder ins Hotel kam, war Dr. Cawley, den ich da spiele, nicht mitgekommen. Zum Glück, denn aus Charakteren herauszufinden ist so wichtig wie hineinzukommen. INTERVIEW: CHRISTOPH DALLACH
um 1960
Der nächste KulturSPIEGEL erscheint am 29.3.2010
Ben Kingsley spielt Dr. John Cawley im Film Shutter Island von Martin Scorsese (Start: 25.2.).
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