Lesbisches Paar mit Kindern "Ich musste erst mal erklären, dass ich nicht fremdgegangen bin"

Czarnetzki, Becker-Czarnetzki
Foto: Janek Stroisch/DER SPIEGELPascale Becker-Czarnetzki, 53 (r.), und Heike Czarnetzki, 53, sind seit 30 Jahren zusammen. Sie gehörten in Deutschland Anfang der Neunziger zu den ersten Frauenpaaren, die durch Insemination schwanger wurden. Gemeinsam haben sie drei Kinder großgezogen, Heike bekam Zwillinge, Pascale einen Sohn. Heike Czarnetzki und Pascale Becker-Czarnetzki (im Folgenden zu "Becker" abgekürzt) arbeiten als Biologinnen. Sie leben in Oberboihingen bei Stuttgart, ihre drei Kinder sind heute erwachsen.
SPIEGEL: Frau Czarnetzki, Frau Becker-Czarnetzki, wie lebt es sich als lesbisches Paar im Jahr 2017 in Deutschland?
Becker: Wir haben die Menschen hier immer als tolerant und liebenswert erlebt.
Czarnetzki: Aber wir mussten uns genau überlegen, wie wir unsere Kinder vor dem Staat schützen.
SPIEGEL: Ihre Kinder sind durch Insemination gezeugt worden. Kennen Sie einen schönen Ausdruck für Insemination?
Czarnetzki: Leider nicht. Viele sagen künstliche Befruchtung. Ich mag das gar nicht. Das ist wirklich nichts Künstliches.
Becker: Man hat eine Spritze statt eines Penis.
SPIEGEL: Wie hat der Weg zu Ihren Kindern begonnen?
Becker: Wir haben als Erstes eine Anzeige in der Zeitschrift "Emma" geschaltet. Da stand drin, dass wir Informationen über Insemination in Deutschland suchen. Wir haben keine einzige Antwort bekommen. Das war 1991, da konnte man im Internet noch nicht recherchieren.
Czarnetzki: In Deutschland hatte die Bundesärztekammer in ihrer Musterrichtlinie stehen, dass Samenspenden grundsätzlich nur bei Ehepaaren angewandt werden. Es gab zwar damals kein Gesetz, das die Insemination bei lesbischen Frauen verboten hätte, aber die Ärzte hatten trotzdem alle Schiss, dass ihnen die Approbation entzogen wird. Wir haben dann deutsche Frauenärzte abtelefoniert.
SPIEGEL: Und was haben die gesagt?
Czarnetzki: Frauen behandeln wir nicht.
Becker: Nur Ehepaare wurden behandelt. Frauenpaare nicht.
Czarnetzki: Es gab damals einen Arzt in Karlsruhe, der hat das auch für lesbische Frauen gemacht, aber der war sehr teuer, und er hatte den Ruf, anzügliche Bemerkungen zu machen.
Becker: Letztendlich haben wir doch einen Arzt gefunden in Deutschland.
SPIEGEL: Wo?
Becker: Egal. Wir haben das in den letzten 23 Jahren keinem erzählt. In den Neunzigerjahren arbeiteten die Ärzte mit der Angst, jemand könnte auf die Idee kommen zu prüfen, ob das rechtens ist.
SPIEGEL: Wie haben Sie entschieden, wer von Ihnen das Kind bekommt?
Becker: Heike war weiter mit ihrer Doktorarbeit als ich, sie durfte anfangen.
SPIEGEL: Sie wurden schwanger. Wie haben die Menschen reagiert?
Czarnetzki: Ich war in der elften Woche, mir war speiübel, ich lag auf dem Bett mit der Schüssel im Arm, und meine Mutter kam zu Besuch. Sie fragte, ach, bist du krank, soll ich dir eine Suppe machen? Ich hab dann gesagt, Mutti, was würdest du sagen, wenn du Oma würdest? Sie schaute mich lange ernst an, dann drehte sie sich empört zu Pascale um und sagte: Und das lässt du dir gefallen? Ich musste ihr erst mal erklären, dass ich nicht fremdgegangen bin.
SPIEGEL: Sind Sie stolz, dass ...?
Becker: Ja, natürlich, ich bin super stolz!
Czarnetzki: Sie wollten fragen, worauf wir stolz sind?
SPIEGEL: Genau.
Becker: Darauf, dass wir selbst entschieden haben, dass wir diesen Weg gehen können. Ohne die Gesellschaft zu fragen, ob wir das dürfen. Und ich bin stolz auf unsere wunderbaren Kinder.
SPIEGEL: Hat der Staat sich eingemischt bei Ihrer Familie?
Becker: Oh ja! Wir haben eine Amtspflegschaft bekommen.
Czarnetzki: Zu uns, den Müttern ohne Trauschein, hat der Staat bis 1998 gesagt, ihr seid nicht mündig genug, ihr kriegt einen Amtspfleger zur Seite gestellt. Einmal im Jahr war ich gezwungen, auf die Meldebehörde zu gehen, um einen Schein abzuholen, der bestätigt, dass die Kinder noch bei mir gemeldet sind.
SPIEGEL: Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Czarnetzki: Einerseits wurden Frauen Professorinnen, andererseits lebte ich in einem Staat, der mir nicht zutraute, meine eigenen Kinder großzuziehen. Sobald ein Ehemann im Spiel war, hat der Staat sich rausgehalten. Das war noch altes Patriarchat, in den Neunzigerjahren. Mir wurden Rechte genommen, weil ich lesbisch bin. Ich war länger in einer Beziehung als meine Brüder, aber die haben geheiratet und gefeiert. Meine Partnerin und ich durften das nicht.
SPIEGEL: Haben Sie mal den Satz gehört: "Wer ist denn hier der Vater?"
Becker: Oft. Zu oft.
Czarnetzki: Die häufigsten drei Fragen mit dem Wort "Vater" sind: Wer ist der rechtliche Vater? Wer ist der biologische Vater? Wer ist der soziale Vater? Natürlich haben die Kinder einen biologischen Vater, von dem stammen ein paar Chromosomen. Aber der hat sie nicht getröstet, hat sie nicht gewickelt, ist nicht mit ihnen Fahrrad gefahren oder angeln gegangen. Solche Dinge machen die Elternrolle aus.
Becker: Die Frage, die die Leute eigentlich stellen wollen, ist: Von wem stammen die Gene?
Czarnetzki: Wenn Heterosexuelle sich einen Partner oder eine Partnerin suchen, verlangen sie doch auch keine Chromosomenanalyse und keinen Intelligenztest.
Becker: Ich will eine Familie haben, in der die Liebe entscheidet und nicht der Genpool.
SPIEGEL: Haben sich Ihre Kinder männliche Bezugspersonen gesucht?
Becker: Die Frage ist falsch gestellt.
SPIEGEL: Wie muss sie denn richtig heißen?
Becker: Ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen Bezugspersonen und Vorbildern. Wenn Kinder auf die Straße gehen, dann haben sie ja en masse männliche Vorbilder, und die sind wichtig. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass unsere Kinder sich einen Mann rauspicken, der eine Bezugsperson ist.
SPIEGEL: Glauben Sie, dass es einen Unterschied gibt, ob ein Kind bei gleichgeschlechtlichen oder heterosexuellen Paaren aufwächst?
Becker: Es gibt eine Studie, für die hat man Interviews geführt mit den Kindern homosexueller Eltern. Da hat man festgestellt, dass diese Kinder besonders tolerant und selbstständig sind. Vielleicht gibt es in manchen heterosexuellen Beziehungen eher solche Rollenstereotype, dass ein Junge nicht weint und ein Mädchen sich nicht dreckig macht. Das haben wir tatsächlich im Kindergarten von anderen Eltern gehört.
SPIEGEL: Was hat sich für lesbische Frauen geändert, seit Sie Ihr erstes Kind bekommen haben?
Becker: Die Möglichkeit zur Lebenspartnerschaft war ein erster Schritt. Seit dem Jahr 2005 dürfen gleichgeschlechtliche Partner die leiblichen Kinder ihres Lebenspartners adoptieren. Das haben wir getan. Damals waren wir darüber auch super glücklich und haben gar nicht gemerkt, wie sehr wir dadurch diskriminiert worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dann später durch mehrere Urteile Diskriminierungen im Steuerrecht und so weiter abgebaut.
Czarnetzki: Wenn Sie als verheiratetes heterosexuelles Paar zum Reproduktionsmediziner gehen und ein Kind bekommen, ist der Ehemann automatisch der rechtliche Vater. Der muss kein Gesundheitszeugnis und keinen Gehaltsnachweis vorlegen. Wir mussten das, wir mussten eine Stiefkindadoption durchführen. Das ist die größte Diskriminierung für Lesben im Moment.