Trennungsdrama Wie Männer diskriminiert werden

Matthias Becker kennt das schon: Er nennt einer neuen Bekanntschaft seinen Beruf, und das Gegenüber schmunzelt. Männerbeauftragter der Stadt Nürnberg, soll das vielleicht ein Witz sein?
Becker, grauer Pferdeschwanz, silberner Ring im rechten Ohr, hat sich daran gewöhnt. Genau wie an den großen Schriftzug im Flur, an dem jeder vorbeimuss, der zu ihm will. "Frauenbeauftragte" steht da nur, weil seine Stelle bei der Nürnberger Frauenbeauftragten angesiedelt ist.
Im Vorzimmer seines Büros hat dann auch noch eine Kollegin ein Poster an die Wand gehängt, die Zeichnung eines kleinen Mannes, der an einem Bügelbrett steht - auf einer Leiter. "Der Mann wächst mit der Aufgabe", heißt es daneben.
Was würde passieren, wenn Becker seinerseits eine Karikatur mit einer Frau am Bügelbrett über den Schreibtisch hängen würde? Es wäre ein kleiner Skandal.
Für solche Gedankenspiele hat Becker allerdings selten Zeit. Denn seitdem er im Mai 2016 seinen Job angetreten hat, rennen die Männer ihm die Bürotür ein.
"Viele sagen: Endlich hört mir mal jemand zu." Becker ist in seiner Position ein Unikat im Land. Männer gelten gemeinhin beim Thema Geschlechterdiskriminierung als Täter, nicht als Opfer. Warum eigentlich?
Beispiel häusliche Gewalt: 18 Prozent der polizeilich erfassten Opfer waren einer Auswertung von 2015 zufolge Männer. "Aber wo schicke ich die hin, wenn sie nicht mehr nach Hause können und kein Geld haben?", fragt Becker. Für Frauen gebe es in dieser Situation wenigstens Zuflucht in einem Frauenhaus. Männer muss Becker dann schon mal in die Obdachlosenunterkunft vermitteln.
Die weitaus meisten von Beckers Besuchern kommen aber aus einem anderen Grund: wegen ihrer Kinder. Sie sind nicht mehr mit der Mutter zusammen oder waren es nie und müssen feststellen, dass sie als Väter zum Teil von Justiz und Behörden als Elternteil zweiter Klasse behandelt werden. Sosehr sich die Politik in den vergangenen Jahren auch bemüht hat, Männer zu mehr Teilhabe am Familienleben zu bewegen und Frauen damit mehr Teilhabe am Berufsleben zu ermöglichen: Wenn Familien zerbrechen und Eltern sich trennen, ist der moderne Vater oft nicht mehr gefragt.
Wenn ein getrennter Mann mehr sein will als nur Wochenend- und Spaßpapa, hat er gegen den Willen der Mutter oft kaum eine Chance dazu. Schätzungen des Familiengerichtstages zufolge ist in etwa 95 Prozent der strittigen Fälle der Lebensmittelpunkt eines Kindes bei der Mutter zu verorten.
Auch das geltende Unterhaltsrecht geht noch vom Modell Familienernährer aus. Ob ein Vater nur alle zwei Wochen zu Besuch kommt oder die Kinder mehrere Tage die Woche zu sich nimmt, spielt für seine finanziellen Verpflichtungen der Mutter gegenüber oft keine Rolle.
In den Berliner Ministerien sagen Fachreferenten längst, "das passt nicht mehr in die Zeit". Getan hat sich allerdings in den vergangenen Jahren so gut wie nichts.
Statistisch wird nach einer Trennung nach wie vor nur der Elternteil erfasst, bei dem die Kinder leben - er gilt pauschal als "alleinerziehend". Zu 89 Prozent besteht diese Gruppe aus Müttern, die finanziell oft unter verheerenden Bedingungen leben.
Was aber ist mit den Vätern dieser Kinder? Über sie weiß man oft nur, dass erschreckend viele keinen oder zu wenig Unterhalt für ihre Kinder bezahlen. Aber wie jene dastehen, die sich sehr wohl um ihre Kinder kümmern, ist weitgehend unbekannt. Was bedeutet die Trennung für sie finanziell? Wie viel Anteil haben sie an der Kindererziehung? Aussagekräftige Statistiken und Untersuchungen dazu gab es lange keine.

Männerverbände beklagen deshalb nicht ganz zu Unrecht die "Mütterlastigkeit" der Politik und deren "ständiges Väter-Bashing", auch wenn der Ton zuweilen fragwürdig ist.
Erst Mitte Juli dieses Jahres veröffentlichte die neue Familienministerin Katarina Barley (SPD) eine vielsagende Umfrage unter getrennten Eltern. Vor allem Väter wünschen sich demnach mehr Kontakt zu ihren Kindern - und fordern bessere rechtliche und finanzielle Unterstützung, wenn eine Familie auseinanderbricht. Aus gutem Grund.
Ein teurer Abend
Mitte Juli ging es wieder einmal um den Donnerstagabend. Der Realschullehrer Florian Schneider* und seine Ex-Frau saßen sich in einem Familiengericht gegenüber, dabei außerdem: drei Anwälte, eine Richterin, ein Vertreter des Jugendamts und eine "Verfahrensbeiständin". Sie sollte die Kinder der Schneiders vertreten, die acht und elf Jahre alt sind.
Acht Leute, die eine Antwort suchten auf die Frage, wo die Töchter die Zeit von 19.15 Uhr am Donnerstagabend bis zum Schulbeginn am Freitagmorgen verbringen sollen. Wieder einmal ging man unverrichteter Dinge auseinander.
Dabei ist es nicht gerade Quality Time, um die es da geht. Wie die meisten Kinder in diesem Alter müssen die Töchter der Schneiders gegen 20 Uhr mit Geduld ins Bett komplimentiert werden. Am Morgen nach dem Aufstehen bleibt nicht einmal eine volle Stunde, bis die Kinder aus dem Haus müssen. Trotzdem wollen weder Vater noch Mutter auf diesen einen Abend pro Woche verzichten.
Die Familie lebt deshalb nach einem komplizierten Stundenplan. Die Töchter sind nach einem Beschluss des Amtsgerichts von 2015 von "Mittwoch nach Schulende bis Donnerstag, 19.15 Uhr" beim Vater, sowie alle 14 Tage zusätzlich von Freitag nach Schulende bis Montagmorgen.
I n der Praxis bedeutet das alle zwei Wochen ein wildes Hin und Her: Mittwoch nach der Schule gehen die Mädchen zum Vater, wo sie eigentlich bis Montagmorgen bleiben. Am Donnerstagabend allerdings müssen sie zur Mutter hinübergehen, die nur einen Fußmarsch entfernt wohnt, um dort zu schlafen.
Erst kürzlich erklärten die beiden Schwestern einer Gutachterin, der Donnerstagnachmittag im Hause des Vaters müsse deshalb oft "abrupt abgebrochen" werden. Es gebe Hetze beim Essen, oder aber ein Film müsse plötzlich unterbrochen werden.

Die zuständige Richterin aber lehnte es bisher ab, die Kinder eine Nacht mehr beim Vater schlafen zu lassen. Denn der komplexe Kompromiss hat einen juristischen Grund: Mit der Donnerstagnacht hat die Mutter, wenn man die Ferien noch berücksichtigt, einen Betreuungsanteil von 56 Prozent, so hat es die Juristin einmal ausgerechnet. Damit liegt der "Schwerpunkt der Kinderbetreuung" offiziell bei Schneiders Ex-Frau.
Eine hälftige Betreuung, im Juristendeutsch "Wechselmodell" genannt, kann ein Gericht in hoch zerstrittenen Familien in der Regel nicht anordnen, so hat es auch der Bundesgerichtshof in diesem Februar entschieden. Zu groß sei bei einer solchen Erziehung der Kooperationsbedarf zwischen den Eltern, finden auch viele andere Juristen.
Tatsächlich fällt es schwer, sich vorzustellen, wie Eltern sich über ein vergessenes Mathebuch austauschen, wenn sie nur über Anwälte kommunizieren oder sich ständig streiten. Andererseits ist fraglich, ob bei Familien wie den Schneiders aktuell weniger Abstimmungsbedarf besteht.
Lehrer Schneider will die geltende Regelung deshalb nicht hinnehmen. Er fühlt sich zum "Elternteil zweiter Klasse degradiert". Seine Idealwelt sind Länder wie Belgien oder Frankreich. Dort ist das Wechselmodell ausdrücklich im Gesetz verankert, in Belgien sind Richter sogar verpflichtet, eine paritätische Betreuung "vorrangig" zu prüfen, wenn ein Elternteil das fordert.
Es gibt viele psychologische Studien, die nach Ansicht von Befürwortern belegen sollen, dass eine solche Aufteilung für Kinder und Eltern gleichermaßen förderlich ist. Nach Ansicht von Kritikern allerdings kranken diese Untersuchungen in der Regel daran, dass nicht klar ist, weshalb es den betroffenen Familien besser ging: ob es am Wechselmodell lag - oder an der Tatsache, dass zwischen den Eltern weniger gestritten wurde. Auch französische Psychologen warnten bereits, dass Kinder Schaden nehmen, wenn ein Wechselmodell erzwungen werde, obwohl die Eltern nur zanken.
Wahrscheinlich muss schlicht im Einzelfall entschieden werden, was wirklich zum Wohle des Kindes ist. Das Problem allerdings: In Deutschland ist die Frage, wer wie viel erzieht, oft mehr als nur eine des Prinzips. Wenn etwa die Schneiders so stur um den Donnerstagabend streiten, geht es auch um sehr viel Geld.
Denn dem deutschen Unterhaltsrecht liegt das Prinzip zugrunde, dass einer die Kinder erzieht und der andere für sie zahlen muss. Aus dieser Logik heraus entstand 1962 die sogenannte Düsseldorfer Tabelle, die in ihrer Grundstruktur bis heute gilt. Sie weist den Lebensbedarf eines Kindes aus, gestaffelt nach Alter und nach dem Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils.
In der Regel muss also im Streitfall nur einer seine finanziellen Verhältnisse offenlegen, schon das bringt viele Väter auf die Palme.
Besonders ungerecht aber ist: Wie viel Betreuung dieser Elternteil übernimmt, wird in der Unterhaltstabelle nicht berücksichtigt. So mancher Vater zahlt deshalb den vollen Satz, obwohl er genau wie die Mutter ein Kinderzimmer vorhält und eine zweite Garnitur an Kleidung - und einen guten Teil der Betreuung übernimmt.
"Nur in verhältnismäßig wenigen Fällen weichen die Richter von den Vorgaben der Düsseldorfer Tabelle ab", sagt Heinrich Schürmann vom Deutschen Familiengerichtstag, einem bundesweiten Juristenverein zur Weiterentwicklung des Familienrechts. "Wir machen mit einem solchen System viel kaputt", findet der Jurist. "Rein finanziell betrachtet, bietet es für Väter einen Anreiz, so wenig Kontakt wie möglich zu den Kindern zu haben."
Umgekehrt wird es vielen Vätern schwer gemacht, auch unter der Woche auf ihre Kinder aufzupassen, wenn sie das wollen. Denn bei der Festsetzung des Unterhalts gilt in der Regel die sogenannte volle Erwerbsobliegenheit.
Heißt: Der Unterhaltssatz orientiert sich an einer Vollzeitstelle.
Fragt man Fachpolitiker der Grünen, der SPD oder der Union, sagen alle, dass das Unterhaltsrecht reformbedürftig sei. Konkrete politische Vorschläge allerdings gibt es bislang keine. Im Wahlkampf spielen andere Themen eine Rolle.
Lehrer Schneider weiß deshalb nicht, was ihn finanziell erwartet. Seine Ex-Frau fordert rückwirkend für die vergangenen Jahre Unterhalt für die Kinder. Im schlimmsten Fall geht es um Tausende Euro, fürchtet er. Laut Düsseldorfer Tabelle nämlich käme er bei seinem Einkommen wahrscheinlich schnell auf einen Betrag von mehr als 800 Euro pro Monat. Allerdings gibt es einen Beschluss des Bundesgerichtshofs, wonach bei einem Umgang "weit über das übliche Maß hinaus" die Unterhaltspflicht verringert werden kann.
Das Absurde ist: Bei einer gleichwertigen Betreuung der Kinder durch die Eltern sieht die Rechnung plötzlich ganz anders aus. Dann nämlich gilt, grob gesagt, dass die Ausgaben für die Kinder entsprechend den Einkommen auf die Eltern verteilt werden. So hat es ebenfalls der Bundesgerichtshof entschieden.
Schneider müsste dann womöglich gar nichts oder nur sehr wenig Geld an seine Ex-Frau überweisen. "Ich will mich nicht vor dem Unterhalt drücken", sagt er, "aber ich finde, wenn jemand sein Kind zu 30, 40 oder 50 Prozent mitbetreut, sollte das beim Unterhalt proportional berücksichtigt werden." Der Lehrer hat deshalb selbst ein Betreuungs- und Unterhaltsmodell entworfen, mit dem er nun bei Politikern und im Internet kräftig Lobby macht.
Die Realität in den Gerichtssälen
Jürgen Rudolph kommt gerade aus den USA zurück. Er hat dort einige Wochen an einem kalifornischen Familiengericht hospitiert. "An die archaische Welt in Deutschland muss ich mich erst wieder gewöhnen", sagt der Rechtsanwalt.
Rudolph ist in Juristenkreisen ziemlich berühmt - oder berüchtigt, je nach Perspektive. Er war fast 30 Jahre lang Richter am Familiengericht in Cochem an der Mosel.
Aus Entsetzen über die hitzigen Gefechte, die sich Eltern in seinem Gerichtssaal lieferten, entwickelte er in den Neunzigerjahren gemeinsam mit Sachverständigen, Jugendamtsmitarbeitern und anderen Juristen die "Cochemer Praxis".
Sie basiert auf der simplen Idee, dass Eltern bei Umgangs- und Unterhaltsstreitigkeiten über Mediationsverfahren möglichst eine friedliche Lösung finden sollen. Sachverständige und auch die zuständigen Anwälte sollten bei einem Elternkonflikt von Anfang an zusammen an einer Deeskalationsstrategie arbeiten.
Trotz oft langwieriger Verfahren brachte Rudolph so auch teils schwer zerstrittene Familien wieder ins Gespräch. "Sie glauben gar nicht, wie viel eine klare Ansage hilft, dass bei diesem Streit keiner als Verlierer den Gerichtssaal verlassen wird."
Elemente des Cochemer Modells wurden später in das Familienverfahrensgesetz übernommen. "Spurenelemente", wie Rudolph findet.
Er ist mittlerweile 74 und wieder als Anwalt tätig. Im Rahmen eines Forschungsprojekts hat er in den vergangenen Jahren an die 90 Familiengerichte in Deutschland besucht. Sein Fazit ist ernüchternd.
Die Richter: "oft ohne Grundlagenkenntnis darüber, welche psychologischen Mechanismen nach einer Trennung zum Tragen kommen".
Viele Jugendamtsmitarbeiter: "erschreckend desinteressiert".
"Die deutsche Rechtsprechung hinterlässt viele zertrümmerte Familien", sagt Rudolph. "Die Strukturen sind einfach so, dass ein Elternteil viel zu leicht aus dem Leben seiner Kinder herausgekegelt werden kann. Und meistens sind das die Väter, einfach weil es dem veralteten deutschen Rollenverständnis entspricht, dass ein Kind zur Mutter gehört."
In Gerichtssälen herrscht deshalb oft Kriegsstimmung, das merkt man schnell bei einem Blick in entsprechende Akten. So viel Streit zu schüren wie möglich ist zuweilen sogar eine zielführende Taktik. Denn wenn die Kommunikation nur noch über den Anwalt läuft, ist das für etliche Richter Grund genug, einem Elternteil das Sorgerecht zu entziehen. Selbst wenn der Kontakt zum Kind noch gut ist.
Der Kampf ums Sorgerecht
Wie viele andere Väter von Kleinkindern muss auch Peter Stein* am Wochenende oft ziemlich früh aufstehen, allerdings nicht, um seinem kleinen Sohn die Flasche warm zu machen. Stein muss sich auf den Weg von Berlin nach Freiburg machen, wo sein Kind mit der Mutter wohnt. "Es fühlt sich an wie eine Strafe", sagt der schmale Ingenieur über die große Entfernung.
Dabei hatte er sich immer Kinder gewünscht. "Aber die Mutter und ich, wir kannten uns noch viel zu wenig, als sie schwanger wurde." Sie seien beide völlig überfordert gewesen, sagt er. Die Situation eskalierte, der Kontakt brach im sechsten Monat der Schwangerschaft ab.
Über die Geburt wurde Stein vom Jugendamt informiert. Ein Mitarbeiter teilte trocken mit, er sei beauftragt worden, "die Vaterschaft festzustellen und den Unterhaltsanspruch geltend zu machen". Kein Glückwunsch, kein freundliches Wort. Kein Versuch, ihn mit dem Kind zusammenzubringen.
Wenig später hielt Stein seinen Sohn zum ersten Mal in den Armen, bei der Kindsmutter. Danach sah er das Baby alle zwei Wochen für einige Stunden. Mehr wollte sie nicht, und Stein wollte nicht drängeln. Einmal bot er an, die Hälfte der Betreuung zu übernehmen, weil sie sich überfordert fühlte. Sie habe entsetzt reagiert, sagt Stein. "Sie rief: Ich lasse mir doch mein Kind nicht wegnehmen."
Genauso habe es sich von Anfang an angefühlt: als ob es ihr Kind wäre und er nur der Bittsteller.
Mehrere Versuche beim Jugendamt und bei Sozialdiensten, ein Gespräch zu dritt zu organisieren, scheiterten. "Da hieß es nur, man könne sie nicht dazu zwingen", sagt Stein. Er hat den Glauben an den Rechtsstaat ein Stück weit verloren. Denn der zwingt ihn, vor Gericht zu ziehen, wenn er sich mehr um seinen Sohn kümmern will.
Anders als in anderen europäischen Ländern haben in Deutschland nur verheiratete Väter automatisch die "elterliche Sorge" für ihr Kind. Bei unverheirateten Paaren muss die Mutter dem Vater diese Rechte und Pflichten erst ausdrücklich übertragen. Erst dann darf er offiziell mitreden, etwa wenn es um den Namen des Kindes geht, den Wohnort, die Religion oder die Schule.
Weigert eine Mutter sich, das Sorgerecht zu teilen, können Väter seit 2013 einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht stellen. Die Neuregelung sollte die Situation von Vätern wie Stein eigentlich verbessern, doch es war ein vergiftetes Geschenk. "Ein solcher Antrag ist ein perfekter Startschuss für eine jahrelange Auseinandersetzung vor Gericht", sagt die Juraprofessorin Hildegund Sünderhauf-Kravets von der Evangelischen Hochschule in Nürnberg.
Sie hält diese Sorgerechtsbestimmung schlicht für verfassungswidrig, "das verstößt gegen das Gleichheitsprinzip". Allerdings entspricht sie dem urdeutschen Familienbild, dass ein Kind in allererster Linie zur Mutter gehöre.
Auch Steins Sohn lebt bis heute bei seiner Mutter, Stein sieht ihn nur noch alle vier bis sechs Wochen. Vier Monate nach der Geburt hatte die Mutter sich und das Kind am Wohnsitz der Großeltern angemeldet - in einer Kleinstadt am anderen Ende Deutschlands. Wenige Monate später zogen Mutter und Kind nach Freiburg. Ihre genaue Adresse kennt Stein nicht.
Wenn er seinen Sohn am Wochenende besucht, finden die Übergaben in einem Café oder auf der Straße statt. Für gewöhnlich hat er ihn dann drei Stunden am Samstag und drei Stunden am Sonntag.

Kürzlich allerdings hatte das Kind Fieber. "Als er mir auf der Schulter eingeschlafen ist, habe ich ihn natürlich zurückgebracht, der musste schlicht ins Bett", sagt Stein. "Da bin ich dann im Endeffekt die 1600 Kilometer hin und zurück für eine Stunde Besuch gefahren."
Die Situation bringt den 42-Jährigen emotional an seine Grenzen. Aber auch finanziell.
An seinen Unterhaltspflichten nämlich ändern die hohen Reisekosten nichts. Der Ingenieur hatte anfangs noch die Hoffnung, er könne die vielen Fahrten und Übernachtungen wenigstens bei der Steuer geltend machen. Doch das geht nur, wenn jemand aus beruflichen Gründen vom Familienwohnsitz aus in eine andere Stadt pendeln muss. Dann ist sogar eine Zweitwohnung steuerlich absetzbar.
Eltern, die ihre Kinder besuchen, bleiben meist allein auf den Kosten sitzen.
Stein kann sich die Reiserei eigentlich nur deshalb leisten, weil er irgendwann auf die Website "Mein Papa kommt" gestoßen ist, die private Übernachtungsplätze für Väter und Mütter wie ihn vermittelt. 1000 freiwillige Gastgeber in ganz Deutschland hat das Netzwerk in seiner Kartei, und rund 800 Männer und 150 Frauen, die es nutzen. Viele könnten sich regelmäßige Besuche bei ihren Kindern sonst wohl kaum leisten. "Die meisten stehen unter erheblichem finanziellen Druck", sagt Annette Habert, die gemeinsam mit einem Partner die Website und das dahinterstehende gemeinnützige Unternehmen Flechtwerk 2+1 gegründet hat.
Habert ist eigentlich Religionslehrerin, auf die Idee für "Mein Papa kommt" brachte sie ein achtjähriger Junge. Er erzählte von den Besuchen seines Vaters und dass der nachts im Auto schlafen müsse. Ob sie da nicht etwas tun könne.
Ähnlich herzzerreißende Geschichten hat Habert seit damals viele gehört.
Ein Vater, der das Netzwerk irgendwann kontaktierte, sei früher mit seinem Baby zum Spielen in den Waschsalon gegangen, wenn das Wetter schlecht war. Ein anderer habe im Auto einen Vorhang zwischen Vorder- und Rücksitz gespannt: zum Kasperletheaterspielen.
Habert und ihre Kollegen versuchen deshalb seit einigen Jahren, neben den Übernachtungsmöglichkeiten auch "Kinderzimmer auf Zeit" zu organisieren: Kitas oder Familienzentren, die ihre Räumlichkeiten am Wochenende für die Pendeleltern und ihre Kinder öffnen.
Es ist symptomatisch, dass das Unternehmen trotz zahlreicher Anträge bislang wenige öffentliche Zuschüsse bekommt. "Diese Eltern haben nicht ganz zu Unrecht das Gefühl, dass ihr Bemühen um ihre Kinder gar nicht gesehen wird", sagt Habert.
Die Familienpolitik
"Da draußen gibt es eine Wut, die unglaublich ist", sagt Gerd Riedmeier. Der Bayer mit dem grauen Haarschopf und dem rollenden R verdient sein Geld eigentlich als Stadtführer und Mediator, einen großen Teil seiner Zeit widmet er allerdings seiner Tätigkeit als Sprecher der "Interessengemeinschaft Jungen, Männer und Väter". Es ist einer von mehreren Männerverbänden, die sich in den vergangenen Jahren gegründet haben und die Fachpolitikern zufolge mittlerweile zum Teil ebenso "brachial" beanspruchen, für das Kindswohl zu sprechen, wie so mancher Frauenverein.
Riedmeier selbst beteuert, diese "Geschlechterpolarisierung" wolle er "gar nicht mehr sehen". Gleichzeitig gehört zu den zentralen Forderungen der Vereinigung ein "standardisierter" Vaterschaftstest noch im Kreißsaal, um "prophylaktisch" auch "einem möglichen Betrug bezüglich der Barunterhaltsleistungen für das Kind" entgegenzuwirken. Es dürfte diese bizarre Mischung sein, die eine Familienpolitikerin genervt den Kopf schütteln lässt, wenn sie auf die Forderungen der Männerlobby angesprochen wird.
In wenigstens einem Punkt allerdings haben Riedmeier und seine Mitstreiter recht: Wenn Eltern sich trennen, spielen Männer wie die Kindsväter Schneider und Stein bisher eher eine Nebenrolle für die Politik. Stattdessen rückt der Elternteil in den Fokus, bei dem die Kinder wohnen. Und das ist meist die Mutter.
Rund 1,6 Millionen Alleinerziehende gibt es den Statistiken zufolge in Deutschland, und ihre Situation ist oft prekär. Kein Wunder, denn wenn eine Familie auseinanderbricht, bedeutet das für viele Eltern auch ökonomisch eine Katastrophe. Von einem Tag auf den anderen müssen zwei Haushalte finanziert werden.
Hinzu kommt, dass für viele wichtige Steuervorteile wegfallen: Über das Ehegattensplitting können verheiratete Paare im Jahr mehrere Tausend Euro sparen. Geld, das nach einer Scheidung bitterlich fehlt.
Das trifft vor allem viele Mütter hart, die in Deutschland finanziell noch oft in hohem Maße von ihrem Mann abhängig sind (SPIEGEL 3/2017). Rund 43 Prozent der Alleinerziehenden gelten als armutsgefährdet. Zur traurigen Wahrheit gehört außerdem, dass laut Familienministerium rund 75 Prozent der Alleinerziehenden keinen oder keinen ausreichenden Unterhalt vom anderen Elternteil für die Kinder bekommen.
Lange konzentrierte sich die Politik darauf, diese dramatische Realität wenigstens etwas zu verbessern. Alleinerziehende können mittlerweile zumindest einen Entlastungsbeitrag von mindestens 1900 Euro bei der Steuer geltend machen. Die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sorgte zudem dafür, dass der Unterhaltsvorschuss für Kinder massiv ausgeweitet wurde.

Kindsvater Schneider hat sich einmal ausgerechnet, was es für einen Lehrer wie ihn bedeutet, als alleinerziehend zu gelten: Dann stünden ihm als Beamter nämlich Familienzuschläge von rund 350 Euro zu. Auch eine lohnenswerte Riester-Rente könnte er wohl abschließen. Denn der Staat zahlt für jedes Kind einen ordentlichen Zuschuss - bei Schneiders wären es 485 Euro im Jahr. Dieser Zuschuss lässt sich aber nicht teilen, und er fließt nur an den Elternteil, der das Kindergeld bekommt. Und das Kindergeld fließt in den Haushalt, in dem die Kinder gemeldet sind. Im Fall der Schneiders in den der Kindsmutter.
"Wir müssen komplett umdenken", fordert der Nürnberger Männervertreter Becker. "Eine moderne Gleichstellungs- und Familienpolitik muss auch die Männer mit ins Boot holen."
Dafür müssen dringend Strukturen her, in denen einem Kind nach der Trennung der Eltern möglichst sowohl Vater als auch Mutter erhalten bleibt; die Debatte dabei auf das Wechselmodell zu beschränken wäre zu eng gedacht - schließlich dürfte diese Betreuungsform schon aus praktischen Gründen nur für einen begrenzten Teil getrennter Eltern infrage kommen.
Es geht vielmehr darum, dass Jugendämter, Sozialeinrichtungen und Richter auch in der Praxis beide Elternteile als Bezugspersonen für das Kind gleichermaßen ernst nehmen und ein Streit zwischen getrennten Eltern schnellstmöglich deeskaliert und nicht noch befeuert wird.
Dafür muss zuallererst das Unterhaltsrecht grundlegend reformiert werden. Das Prinzip "Einer zahlt, einer betreut" ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und führt dazu, dass die Beantwortung der Frage, wer wie viel zahlt, im Streitfall maßgeblich davon abhängt, an welchen Richter die Eltern geraten.
Auch ein anderes Eingeständnis ist überfällig: Soviel auch noch getan werden muss, um Frauen beruflich und damit auch finanziell die gleichen Chancen zu ermöglichen wie Männern - es gibt auch Bereiche, in denen es Männer aufgrund ihres Geschlechts schwer haben.
Im Bundesfamilienministerium scheint sich diese Einsicht langsam durchzusetzen. Mitte Juli lud das Haus Interessenvertreter und Fachleute zu einem "Zukunftsgespräch: Gemeinsam getrennt erziehen" ein. Erstmals wurde eine vom Allensbacher Institut durchgeführte Studie präsentiert, die die Lebensrealitäten getrennter Familien untersuchte. 35 Prozent der befragten Väter wünschen sich mehr Kontakt zu ihren Kindern. Und rund die Hälfte aller Befragten wünscht sich eine gleichberechtigte Betreuung der Kinder.
Es muss dringend diskutiert werden, wie dieser Wunsch Realität werden kann. Ministerin Barley verspricht, dabei "Jungen, Männer und Väter auch in den Blick" zu nehmen (siehe Interview Seite 64). Väterlobbyisten wie Riedmeier sind begeistert von solchen Aussagen. "Da wurde ein ganz neuer Ton im Diskurs angeschlagen", sagt er.
Die Frage ist nur, was davon übrig bleibt, wenn Barley nach der Bundestagswahl nicht ins Familienministerium zurückkehrt.