Arbeitsministerium in der NS-Zeit Der Schrecken der Effizienz

Arbeitsfront-Leiter Ley
Foto: Bayerische StaatsbibliothekSeit zwei Jahren war der Krieg vorbei, als Walter Stothfang am 3. September 1947 in seiner Gefängniszelle einen Bericht verfasste. In allen Einzelheiten schilderte er den alliierten Anklägern, wie das NS-Regime ausländische Arbeitskräfte für die Kriegswirtschaft rekrutierte, er erklärte die Zuständigkeiten und Abläufe, sortierte die Vorgänge nach Ländern und Besatzungsstatuten.
Gegen Ende des Krieges, so hielt er nüchtern fest, seien etwa sechs Millionen zivile ausländische Beschäftigte als Zwangsarbeiter in Deutschland eingesetzt worden. "In dieser Zahl sind nicht enthalten: die Kriegsgefangenen, die Insassen der K.Z.Lager und auch nicht die Juden."
Stothfang wusste, worüber er schrieb. Schließlich war er von 1943 bis Kriegsende persönlicher Referent von Fritz Sauckel, dem Mann, der von Adolf Hitler 1942 zu seinem "Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" ernannt worden war und von den Alliierten 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hingerichtet wurde.
Für Sauckel, von 1927 an Gauleiter in Thüringen, war Nürnberg die Endstation. Für Stothfang war es ein Neuanfang.
Im Entnazifizierungsverfahren 1948 als "Mitläufer" eingestuft, machte der Beamte in den Fünfzigerjahren als ausgewiesener Fachmann Karriere, zunächst in der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, später im Arbeitsministerium.
Seine Geschichte findet sich in einem Buch mit dem Titel "Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus", das am Dienstag auf einem Symposium in Berlin der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) übergeben wird. Den Auftrag dazu hatte noch ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) gegeben.
Gut drei Jahre lang hat eine sechsköpfige Historikerkommission aus Deutschland, Großbritannien, der Schweiz und den Niederlanden die braune Vergangenheit der Behörde aufgearbeitet. Nun haben die Forscher ihre Erkenntnisse in einem ersten sogenannten Syntheseband zusammengefasst.
Sechs Jahrzehnte vergingen nach Kriegsende, bis Ministerien und Behörden begannen, umfangreich die Zeit vor 1945 freizulegen. Zu fragen, wie belastet sie von der Vergangenheit des "Tausendjährigen Reichs" waren. Der Preis des Neubeginns war das Wegschauen, weil beim Aufbau der Demokratie auch ein Teil der alten Eliten beteiligt war.
Den Anfang hatte der grüne Außenminister Joschka Fischer gemacht, als er 2005 eine Historikerkommission einsetzte, um alte Naziseilschaften im Auswärtigen Amt zurückzuverfolgen. Es folgte Ministerium um Ministerium, Behörde um Behörde. Zuletzt sieht nun auch das Bundeskanzleramt den Bedarf, seine Nazivergangenheit aufzuarbeiten.
Bis die Historikerkommission des Arbeitsministeriums ihre Arbeit begann, gab es bereits zahlreiche Studien zur Arbeits- und Sozialpolitik des NS-Staates, doch die Erforschung ihrer zentralen Behörde unterblieb. Dabei hatte die Arbeits- und Sozialpolitik im Selbstverständnis der NSDAP als "Arbeiterpartei" eine zentrale Rolle gespielt.
Die Rolle der Beamten galt lange als vernachlässigenswert: Bis heute halten viele das Reichsarbeitsministerium noch immer für eine schwache Behörde, entmachtet von der NS-Führung, an die Wand gedrängt von Robert Ley und seiner Deutschen Arbeitsfront (DAF), in der fast alle deutschen Beschäftigten organisiert waren.
Die DAF war nach der Zerschlagung der Gewerkschaften gegründet worden, aber hatte nichts mit einer Interessenvertretung der Arbeitnehmer gemein. An der Spitze des Reichsarbeitsministeriums saß wiederum mit Franz Seldte ein Minister, der zwar von 1933 bis 1945 im Amt blieb, aber spätestens von 1938 an keinen persönlichen Zugang mehr zu Hitler hatte und als Mann mit geringer Sachkenntnis und minimalem Ehrgeiz galt.
So hatten es die führenden Beamten wie Stothfang oder Seldte nach dem Krieg zu ihrer Entlastung geschildert.
Die Historikerkommission zeichnet nun ein anderes Bild der Behörde, die nicht nur passiv verwaltete, sondern sich als einer von vielen Akteuren im komplexen NS-Staat zu behaupten versuchte. Weil die Beamten nur begrenzten Zugang zum Machtzentrum um Hitler hatten, konzentrierten sie sich auf das, was sie am besten konnten: Aufträge der politischen Führung möglichst effizient und regelkonform umzusetzen.
Es entstand eine schrecklich effiziente Behörde, die das NS-Regime stabilisierte, es mit Arbeitskräften versorgte und schließlich den Krieg bis zu seinen letzten Tagen am Laufen zu halten versuchte, um jeden Preis.

Osteuropäische Zwangsarbeiter
Foto: Ullstein Bild1919 war die Behörde als junges Fachressort gegründet worden, um die Versehrten des Krieges zu versorgen. Mit dem Ausbau des Wohlfahrtsstaats in der Weimarer Republik expandierte das Amt.
Mochten sich die Nationalsozialisten noch so antibürokratisch gerieren, auf die Juristen und Experten des Ministeriums konnten und wollten sie nach der Machtübernahme 1933 nicht verzichten. Bis 1937 blieb die Zahl der NSDAP-Mitglieder deutlich unter 20 Prozent. Erst mit dem Beamtengesetz aus dem gleichen Jahr, das NS-Treue und Parteimitgliedschaft zu einem wichtigen Kriterium machte, stieg die Zahl der Parteigänger im Ministerium rasant.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich die Behörde zu einem Superministerium mit 16 Abteilungen. Zugleich veränderten sich die Zuständigkeiten, und im Laufe der Zeit verschwammen die Grenzen zwischen der Behörde und den neuen Partei- und Sonderverwaltungen wie DAF oder Reichsarbeitsdienst. Tatsächlich lief die Zusammenarbeit zwischen den neuen Behörden und dem Ministerium viel reibungsloser und effizienter als bislang angenommen.
Ideologisch teilte die Spitze des Hauses die Ziele der NS-Führung: Deutschland sollte wieder Weltmacht werden, nur wenige trauerten der Demokratie oder unabhängigen Gewerkschaften nach. Nicht einmal der Rassenwahn schreckte sie ab.
Bereits am 21. September 1933 hatte Minister Seldte Richtlinien für den sozialen Wohnungsbau herausgegeben: Als Bewohner für die neuen Siedlungen wurden "minderwertige, namentlich an vererblichen geistigen und körperlichen Gebrechen leidende Siedler" ausgeschlossen, weil sie die "Volkskraft" schwächten. Infrage kamen nur "rassisch wertvolle und erbgesunde Familien", die "arische" Abstammung musste bis mindestens zu den Urgroßeltern nachgewiesen werden - zwei Jahre bevor die Nürnberger Rassegesetze die Juden zu Bürgern zweiter Klasse machten.
Zur zentralen Stütze des Systems wurde die Behörde bei der Vorbereitung und Organisation der Kriegswirtschaft. Spätestens ab 1935, als die Arbeitslosigkeit sank, lautete ihre Aufgabe, genügend Beschäftigte für die Aufrüstung zu organisieren.
Je mehr Fachkräfte für Hitlers Kriegspläne benötigt wurden, umso mehr Macht erhielt die Verwaltung. Sie durfte Arbeitsplatzwechsel verbieten und Beschäftigte auch gegen ihren Willen für Arbeiten von "staatswichtiger Bedeutung" heranziehen.
Mit dem Überfall auf Polen 1939 entzog der Krieg dem Arbeitsmarkt schließlich Millionen Männer. Ab 1940 wurden polnische und französische Kriegsgefangene im Reich zur Arbeit eingesetzt. Als im Dezember 1941 mit der Niederlage vor den Toren Moskaus der Abnutzungskrieg begann, beschloss das NS-Regime, den Arbeitseinsatz von Ausländern massiv auszuweiten. Verantwortlich wurde Sauckel als Generalbevollmächtigter, seine willigen Helfer waren die Beamten des Reichsarbeitsministeriums, die ihm unterstellt wurden.
Im Gefolge der Wehrmacht rückten sie in die besetzten Gebiete ein und hielten die Kriegswirtschaft am Laufen. Die rund zwölf Millionen Zwangsarbeiter wurden mit brutalen Methoden ins Reichsgebiet deportiert.
Auch die Zwangsarbeit folgte den rassistischen Motiven der Nazis. In den westlichen Ländern wie Frankreich oder Belgien gingen die Beamten gemäßigter vor, um die heimische Produktion der Rüstungsgüter nicht zu gefährden. Osteuropa dagegen galt als Reservoir für Arbeitskräfte, Nahrungsmittel und Rohstoffe, das rücksichtslos ausgebeutet werden konnte.
Die Behörde war auch an der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden beteiligt. Die Beamten standen zwar nicht in den Erschießungsgräben. Bis 1943 aber registrierten und bestimmten sie in den jüdischen Gettos der besetzten Gebiete, wer als "arbeitsfähig" oder "arbeitsunfähig" galt, es war eine Entscheidung über Leben und Tod. Wer als "Arbeitsjude" eingruppiert war, durfte auf einen weiteren Tag hoffen. "Eine Stunde gelebt ist auch gelebt", schrieb Samuel Gringauz später, der das Getto Kaunas überlebt hatte. Wer zur Zwangsarbeit nicht mehr fähig war, wurde als "arbeitsunfähige Ballastexistenz" ermordet.
Es gehört zu den Lebenslügen der Nachkriegszeit, dass man im "Dritten Reich" angeblich keine Möglichkeit gehabt habe, sich dem Unrecht entgegenzustellen. Denn ebenso wie es Beamte gab, die den Massenmord aktiv unterstützten, gab es auch jene, die den anderen Weg wählten. Adalbert Szepessy, bis 1942 Leiter der Arbeitsamtsstelle im Getto Krakau, fälschte Ausweise, um Juden vor der Deportation zu bewahren. SA-Obersturmführer Gustav Hörmann, in gleicher Stellung im Getto Kaunas, verhinderte mit gefälschten Listen eine Mordrazzia der SS und kümmerte sich um die Versorgung jüdischer Zwangsarbeiter.
Nach dem Krieg entfernten die Alliierten in den vier Besatzungszonen fast alle ehemaligen Nazis aus den Leitungspositionen der Arbeits- und Sozialverwaltung. Nach Gründung der Bundesrepublik fanden qualifizierte Beamte mit NS-Vergangenheit schnell zurück in die Ministerien.
Beschleunigt wurde der Prozess, als der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer die Wiedereingliederung der Mitläufer unter den Bürokraten per Gesetz vorantrieb. Ab 1951 mussten alle Bundesbehörden 20 Prozent ihrer Stellen für Beamte reservieren, die nach der Entnazifizierung nicht als "Hauptschuldige" oder "Belastete" galten. Nun kehrte das Gros der NS-Beamten zurück, und mit ihnen auch manch alte Seilschaft.
Im Arbeitsministerium stieg bis 1960 der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder in der Spitze der Behörde bis auf 70 Prozent, in kaum einem anderen Ministerium saßen mehr.