NPD-Verbotsverfahren "Die braune Saat ist aufgegangen"

Ist die NPD gefährlich? Oder bedeutungslos? Totalitarismusforscher Steffen Kailitz ist Gutachter im NPD-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Und er weiß, warum die rechtsextreme Partei verboten gehört.
NPD-Aufmarsch und Gegenprotest in Berlin

NPD-Aufmarsch und Gegenprotest in Berlin

Foto: Björn Kietzmann/ Action Press

Steffen Kailitz, Jahrgang 1969, ist Politikwissenschaftler an TU Dresden. Er ist Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut und beschäftigt sich u.a. mit Extremismus- und Totalitarismusforschung.

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SPIEGEL: Herr Kailitz, kommenden Dienstag soll sich endlich entscheiden, ob die NPD verboten wird oder nicht. Was erwarten Sie?

Kailitz: Eigentlich spricht alles für ein Verbot der Partei. Die NPD ist originär nationalsozialistisch. Der entscheidende Unsicherheitsfaktor dürfte sein, welche Bedeutung die Verfassungsrichter der Frage nach dem gesellschaftlichen Einfluss der NPD beimessen - und ob sie dann zum Schluss kommen: Die NPD ist so unbedeutend, dass es keine Notwendigkeit für ein Verbot gibt.

SPIEGEL: Und, ist sie so unbedeutend?

Kailitz: Natürlich kann man immer über die gesellschaftliche Bedeutung einer Partei streiten. Ich frage mich aber, ob man dieses Gewicht einer Partei nicht unterschätzt, wenn man nur auf die Mandate schaut und nicht auch auf ihre politische Wirkung.

SPIEGEL: Die NPD sitzt derzeit in keinem Landtag, hat nur noch wenige Kommunalmandate, auch sonst ist ihre Lage eher desolat: Ihre Mitglieder schwinden, um ihre Finanzen steht es schlecht, Verfassungsschützer sprechen von nahezu inaktiven Landesverbänden. "Wo ist da die Gefährlichkeit?", hat Verfassungsrichter Peter Müller in der Verbotsverhandlung gefragt.

Kailitz: Die liegt schon in ihrer Programmatik - sie geht sogar noch über das hinaus, was die NSDAP vor ihrer Machtergreifung aufgelegt hat, gerade was die ideologische Geschlossenheit ihres völkischen Denkens anbelangt.

SPIEGEL: Was heißt das?

Kailitz: Wie schon die NSDAP plant die NPD die Vertreibung von zig Millionen Menschen aus Deutschland - bei der NSDAP waren es die Juden, bei der NPD sind es alle Ausländer, und zwar rein nach der ethnischen Herkunft, egal ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht. Die NPD hat sich viel konkretere Gedanken darüber gemacht, wie sie das umsetzen will, als damals die NSDAP in ihrem Programm. Und dass die spätere Rassengesetzgebung des "Dritten Reichs" für das NPD-Konzept Pate stand, finde ich offenkundig.

SPIEGEL: Dass Deutsche mit ausländischen Wurzeln unter einer NPD-Regierung das Land verlassen müssten, haben die Parteianwälte im Verbotsverfahren bestritten.

Kailitz: Aber mit welchen Windungen! Und das ist in der Partei nicht gut angekommen. Natürlich vertritt die derzeitige Parteiführung eine moderate Linie - ohne das Verbotsverfahren wäre der relativ gemäßigte Frank Franz aber auch niemals Parteivorsitzender geworden. Schon das Parteiprogramm sagt eindeutig: "Eine Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung, lehnen wir strikt ab." Dabei ist auch dieses Programm noch eher wolkig formuliert, richtig zur Sache geht es in einem Aktionsprogramm der NPD von 2002, das bis heute Gültigkeit hat.

SPIEGEL: Der Bundesrat, Antragsteller im Verbotsverfahren, hat ausgerechnet die-ses Aktionsprogramm aber nicht in das Verfahren eingebracht. Wohl, weil auch V-Leute daran mitgeschrieben haben.

Kailitz: Das mag sein - trotzdem war es in meinen Augen ein Riesenfehler, darauf zu verzichten. Man kann kein Parteiverbot betreiben, ohne die zentralen programmatischen Dokumente einzubeziehen.

SPIEGEL: Das erste Verbotsverfahren scheiterte 2003 auf peinlichste Weise auch daran, dass angebliches Belastungsmaterial von V-Leuten stammte. Hätte man dieses Risiko erneut eingehen sollen?

Kailitz: Bei dem Aktionsprogramm handelt es sich um ein Gesamtdokument der Partei, hier haben viele Leute mitgewirkt, und die Bundespartei und ihre Landesverbände haben sich das immer wieder zu eigen gemacht. Und noch in der mündlichen Verhandlung im März 2016 hat ja dann auch der Anwalt der NPD in einem nachgereichten Schriftsatz zum Verbotsverfahren selbst auf das Aktionsprogramm mehrfach Bezug genommen - in meinen Augen ist dieses Programm jetzt eindeutig in das Verfahren eingeführt.

SPIEGEL: Aber welche Aussicht auf Verwirklichung hat das bei einer Partei, die auf Landesebene nirgendwo mehr auf fünf Prozent kommt?

Kailitz: Auch den Brexit oder den Erfolg Trumps hatten nur wenige erwartet. Und den beträchtlichen Zulauf, den die Rechtsextremisten und Rechtspopulisten derzeit schon in ganz Europa haben, muss man auch vor dem Hintergrund einer eigentlich relativ entspannten wirtschaftlichen Situation sehen. Käme jetzt noch eine schwere Wirtschaftskrise hinzu, dann kann da noch mehr ins Rutschen geraten. Dass sich AfD-Wähler etwa dann der NPD zuwenden, ist durchaus möglich. Vor allem wenn die Kameradschaften die NPD wieder verstärkt unterstützen, hat die Partei schlagartig wieder ein erhebliches Mobilisierungspotential. Man darf nicht vergessen: Ihre größten Erfolge feierte die NPD kurz nach dem Scheitern des ersten Verbotsverfahrens. Das könnte sich jetzt wiederholen, wenn es nicht zu einem Verbot kommt.

SPIEGEL: Nun gibt es aber die AfD...

Kailitz: ...deren rechter Flügel im Osten ganz klar rechtsextremistisch ist und kaum Unterschiede zur NPD aufweist, vor allem wenn man sich die Reden Björn Höckes anhört. Scheitert der Verbotsantrag, könnte sich die NPD jedenfalls als das radikalere Original präsentieren.

SPIEGEL: Das Verfassungsgericht hat in seiner früheren Rechtsprechung aber mehr verlangt als nur Reden, nämlich eine "aggressiv-kämpferische Haltung" mit dem Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Lässt sich das für Sie belegen?

Kailitz: Sicher. Nehmen Sie etwa die Briefe von angeblichen "Ausländerrückführungsbeauftragten", die von der NPD im Bundestagswahlkampf an Kandidaten anderer Parteien mit Migrationshintergrund geschickt wurden.

SPIEGEL: Der NPD-Anwalt hat das in der Verhandlung als Scherz abgetan.

Kailitz: Egal ob einer der Angeschriebenen die Aufforderung zur sofortigen Ausreise ernst nahm oder nicht - das ist kein Scherz und keine Bagatelle.

SPIEGEL: Denken Sie dabei auch an das Rundschreiben des Parteivorsitzenden Franz, das kurz vor Beginn der Verhandlung an Dienststellen von Polizei und Bundeswehr ging und in dem es heißt, "Integrität und Identität des Volkes stehen aufgrund schwindender nationalstaatlicher Selbstbestimmung und massenhafter Überfremdung auf dem Spiel"?

Kailitz: Absolut, er sprach darin vom Widerstandsrecht gegenüber der Regierung. Hier wird das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt, in dem man Polizei und Bundeswehr dazu aufruft, Bürgerprotesten bis hin zu einem Sturz der Regierung zuzusehen. Das ist ein ganz gravierender Punkt. Und welche Früchte so etwas trägt, sieht man immer wieder bei Ausschreitungen in Ostdeutschland wie in Heidenau, wo in völlig verquerer Weise von der NPD und ihrem Umfeld das Widerstandsrecht bemüht wird.

SPIEGEL: Das letzte Parteiverbot in Deutschland stammt aus dem Jahr 1956. Die Verfassungsrichter müssen in diesem Verfahren die Voraussetzungen für ein Parteiverbot weiterentwickeln und dabei auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigen. Was, wenn es gemessen an diesen neuen Maßstäben einfach nicht für ein Verbot reicht?

Kailitz: Das würde mich schon wundern. Worauf will man denn warten? Dass die NPD wieder in mehr Landtage einzieht? Soll der Bundesrat einen neuen Verbotsantrag stellen, wenn die aufgestellte Hürde der gesellschaftlichen Bedeutung der NPD überschritten wird?

SPIEGEL: Manche argumentieren, eine weiterbestehende NPD könnte die AfD schwächen ...

Kailitz: Ein zynischer Gedanke. Natürlich gibt es da eine gewisse Wechselwirkung. Allerdings ist es doch so, dass die braune Saat der NPD über den Umweg Pegida und AfD inzwischen aufgegangen ist. Es ist frappierend, wie Vokabeln, die lange Zeit primär in Reihen der NPD benutzt wurden, inzwischen im rechten Spektrum verbreitet sind, ja teilweise sogar ganz allgemein, unbedacht und ohne ideologischen Hintergrund verwendet werden. "Bevölkerungsaustausch", "Systemparteien", die Bezeichnung von Zuwanderung als "Völkermord". Auch der "Bio-Deutsche", ein im doppelten Sinne reinrassiger NPD-Begriff, der den bezeichnet, der nicht nur nach der Staatsangehörigkeit, sondern auch nach der ethnischen Herkunft Deutscher ist - was immer das konkret bedeuten soll. In unseren Breiten gab es ja seit den Germanen immer Zuwanderung.

SPIEGEL: Der politische Erfolg der AfD begründet sich nicht zuletzt aus ihrer klaren antiislamischen Haltung - die NPD ist dagegen im Antisemitismus verwurzelt.

Kailitz: Muslime sind heutzutage der Hauptfeind der Rechtsextremisten und damit auch der NPD. Dort dominiert die rassistische Komponente noch, in der AfD wird dagegen mehr die Frage der Religionszugehörigkeit betont, indem man sogar behauptet, dass der Islam gar keine Religion sei, sondern nur eine Art politischer Verein, den man von staatlicher Seite einfach verbieten könnte. Auch das ist eine Position, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

SPIEGEL: Die NPD wurde und wird vom Verfassungsschutz beobachtet, auch wenn viele V-Leute wegen des laufenden Verfahrens abgeschaltet sind. Könnte der Verfassungsschutz diese Leute so einfach wieder aktivieren?

Kailitz: Ich weiß nicht, ob das klug wäre, viele V-Leute haben ja oft als eine Art Doppelagent gearbeitet.

SPIEGEL: Die AfD wird derzeit noch nirgendwo vom Verfassungsschutz beobachtet. Ein Fehler?

Kailitz: Ja. Wenn man extremistische Parteien beobachten will, dann auch die AfD, zumindest im Osten. Und erst recht, falls es nicht zu einem NPD-Verbot kommt, denn das gäbe auch AfD-Leuten wie Höcke weiteren Auftrieb.

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