Leitartikel Kampf den Avataren
Zerschlagt Google? Zerschlagt Facebook? Zerschlagt Twitter? Macht kaputt, was euch kaputt macht? Ein hässliches Wort geht wieder um, ein Wort aus wilden Zeiten des Kapitalismus: Monopol. Das Monopol steht für fette Gewinne, für eine Übervorteilung der Konsumenten, für politische und ökonomische Macht, von der es nur ein Katzensprung ist bis zum Machtmissbrauch.
Derzeit entstehen Monopole, die mächtiger sind als alles, was es bislang gab. Unternehmen wie Google und Facebook dominieren nicht nur ihre Märkte, sie gewinnen auch Gewalt über die Menschen. Sie lernen aus den Daten, die wir ihnen mit unseren Klicks und Einträgen zur Verfügung stellen, sie bilden Konsumentenprofile und lenken uns so, dass wir unser Geld auch zu ihrem Nutzen ausgeben. Wir müssen nicht folgen, aber wir werden konditioniert, manchmal ohne dass wir es merken.
Der Schriftsteller Dave Eggers hat in seiner fulminanten Dystopie "The Circle" eine Welt entworfen, in der ein digitales Unternehmen Politik und Menschen beherrscht und eine Tyrannei unter der Maßgabe des totalen Konsums errichtet. So etwas dürfen wir nicht zulassen. Der Europäische Gerichtshof hat in der vergangenen Woche die digitale Selbstbestimmung gestärkt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat versprochen, dass er sich um eine Regulierung der digitalen Märke kümmern will.
Ist das der richtige Weg? Was ist der richtige Weg?
Es gehört zum demokratischen Grundverständnis, dass zu viel Macht gefährlich ist, dass sie begrenzt werden muss. Es gehört aber auch zum demokratischen Grundverständnis, dass die Bürger der Souverän sind, dass sie entscheiden. Und sie entscheiden sich für Google, Facebook, Twitter. Sie machen diese Unternehmen zu Monopolisten, weil die offenkundig das reizvollste Angebot haben. Es ist die Selbstbestimmung, die am Ende die Selbstbestimmung gefährdet: Man entscheidet sich für Google und wird dann von Google konditioniert. Diese Unternehmen haben die Macht, die wir ihnen geben.
Deshalb ist Zerschlagung kein Weg. Die Politik kann nicht jene bestrafen, die besonders tüchtig sind. Das verstieße gegen die Idee vom Wettbewerb.
Umso schärfer muss die Politik zupacken, wenn diese Macht missbraucht wird, und sie wird missbraucht. Wenn Google die Angebote assoziierter Unternehmen nach oben stellt, ist das Machtmissbrauch. Wenn Google nach undurchsichtigen Kriterien Konsumentenprofile erstellt und ausbeutet, ist das Machtmissbrauch. Wenn Suchmaschinen einem die Chance rauben, seine Vergangenheit im Netz loszuwerden, weil die Daten ewig gebündelt werden, ist das Machtmissbrauch.
Google baut digitale Avatare von uns und spielt mit denen das große Konsumspiel. Dies verletzt die Würde des Menschen, und die soll unantastbar sein, sagt das Grundgesetz.
Der Europäische Gerichtshof hat eine richtige Entscheidung getroffen. Wer sich vor einem falschen oder veralteten Bild seiner Persönlichkeit schützen will, kann sich an die Suchmaschinen wenden. Aber das greift zu kurz und ist prinzipiell der falsche Ansatz. Nicht der Bürger muss sich gegen die Datenkraken stemmen, sondern der Staat.
Datenschutz sollte ähnlich wie Umweltschutz zur vordringlichen Staatsaufgabe werden. Auch die Umwelt wurde über Jahrzehnte vergiftet, weil man es einer verantwortungslosen Industrie überließ, ihre Profite auf den Verbrauch natürlicher Ressourcen zu gründen, ohne dafür zu zahlen. Der Staat hat die Pflicht, nicht nur die natürlichen Ressourcen der Menschheit zu bewahren, sondern ebenso ihre persönliche Ressource, die Würde.
Die Politiker müssen sich jetzt um eine digitale Weltordnung kümmern, einen Gesetzesrahmen, der Machtmissbrauch verhindert. Dazu gehören ein scharfes Wettbewerbsrecht sowie Transparenz. Wir wollen wissen, wie unsere Avatare entstehen, wie sie zusammengebaut sind, auch um uns gegen sie wehren zu können.
Und wir brauchen Alternativen. Erbärmlich ist, dass offenbar nur Amerikaner in der Lage sind, die großen Dinge auf den digitalen Märkten zu machen. Wo ist das europäische Google, das europäische Facebook, das europäische Twitter? An einem Monopol sind auch die Wettbewerber schuld, denn sie bieten keine guten Alternativen an. Digitale Märkte sind volatil, es gibt noch Chancen, die Europäer müssen kreativer werden, und die Politik kann hierfür durch Förderung einen guten Rahmen schaffen.
Sigmar Gabriel ist Weltklasse darin, Dinge anzukündigen, wenn sie Popularität versprechen. Er ist nicht gut darin, konsequent an politischen Zielen zu arbeiten. Man wagt es kaum zu hoffen, dass es diesmal anders ist, zumal die Bundeskanzlerin nicht einmal verbal Entschlossenheit zeigt. Dabei ist sie doch so sehr an Machtfragen interessiert. Und darum geht es jetzt. Wenn nicht die Politik Google einen Rahmen setzt, dann setzt bald Google der Politik einen Rahmen. Und verändert die Demokratie, wie wir sie kennen.