Straßen Die Mystery-Maut
Eigentlich kann der Hausherr nichts gewinnen. Dutzende Grundschüler sitzen im Atrium des Bundesverkehrsministeriums, und auf der Bühne ist Alexander Dobrindt (CSU) zwischen Käpt'n Blaubär und Hein Blöd eingeklemmt. Das Jugendlichste an ihm ist noch die fehlende Krawatte. Doch der Minister schlägt sich wacker, fragt die Kinder mit gespielter Unwissenheit, lobt artig ("Ihr wisst ja alles, das ist super") und verspricht, ganz Politiker, Fahrradhelme für alle.
Besser als erwartet - das ist für Dobrindt derzeit nicht nur das Motto, wenn er eine Verkehrsfibel vorstellt. Auch bei dem Projekt, das über sein politisches Überleben mitentscheidet, will es der chronisch Unterschätzte allen zeigen. Wenn er sein Konzept einer Maut für ausländische Autofahrer vorlegt, sollen selbst die schärfsten Kritiker sagen: Chapeau, Herr Minister!
So weit ist es noch lange nicht. Um Spott zu hören, muss Dobrindt nicht einmal bei der Opposition nachfragen. Selbst in den Koalitionsfraktionen gibt es scharenweise Abgeordnete, die sein Projekt angesichts der Komplexität für den gröbsten Unfug seit Erfindung des Dosenpfands halten.
Für Dobrindt ist die Aufgabe der größte Stresstest seiner Karriere. Schließlich haben die listigen Gegner im Koalitionsvertrag gleich drei scheinbar unerfüllbare Bedingungen formuliert: Die Maut darf keinen inländischen Autofahrer zusätzlich belasten, muss aber mit dem EU-Recht kompatibel sein, das wiederum die Diskriminierung ausländischer Fahrer verbietet. Und sie soll auch noch zu erklecklichen Einnahmen führen, um den Verkehrsetat zu päppeln.
In den vergangenen Monaten behandelte Dobrindt sein Konzept wie eine Geheimsache, nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten arbeitete an der Maut. Wahrscheinlich in der zweiten Junihälfte wird der Minister sein Konzept vorstellen.
Dobrindt will demnach eine nach ökologischen Kriterien gestaffelte Maut. Je umweltfreundlicher ein Auto ist, desto günstiger soll die Vignette sein. Damit nicht jedes Fahrzeug unterschiedlich bepreist werden muss, könnte es eine überschaubare Zahl von Mautkategorien geben, also etwa rot, gelb, grün und ein paar Zwischentöne.
Weil kein inländischer Autofahrer mehr zahlen soll als derzeit und kein EU-Bürger diskriminiert werden darf, favorisiert Dobrindt offenbar folgendes Szenario: Die Kfz-Steuer wird ab 2016 nach einem ähnlichen Prinzip erhoben wie die bis dahin eingeführte Pkw-Maut. Derzeit richtet sich die Kfz-Steuer unter anderem nach dem Hubraum. Nach dem Umbau gäbe es die einfacheren Öko-Klassen, die auch bei der Maut gälten.
Deutsche Autofahrer bekämen dann mit Zahlung der Kfz-Steuer eine Jahresvignette zugeschickt. Ausländische Autofahrer müssten sie kaufen. Sie könnten aber auch eine Monats- oder Zehn-Tage-Vignette erwerben. Für eine Jahresvignette würde der Fahrer eines Porsche Cayenne aus Amsterdam dann genauso viel bezahlen wie der aus Starnberg. Im Umkehrschluss bedeutet das: Ausländer könnten deutsche Autobahnen weiterhin kostenlos nutzen, wenn sie ein Elektroauto fahren, das hierzulande von der Kfz-Steuer befreit ist.
Weil Dobrindt wohl davon ausgeht, dass Niederländer und Dänen eher mit modernen - als günstig eingestuften - Autos gen Süden aufbrechen, rechnet er nicht mehr mit einem Einnahmenwunder. Intern kalkuliert er, dass die Maut rund eine halbe Milliarde Euro einbringen könnte.
Damit hätten sich die Erwartungen binnen wenigen Monaten fast halbiert. Noch im vergangenen Jahr war ein Gutachten für Dobrindts Behörde zu dem Ergebnis gekommen, dass die Maut 900 Millionen Euro pro Jahr einbrächte. Schon das war angesichts der immensen Unterfinanzierung der Infrastruktur ein bescheidener Beitrag. Dobrindt lasse sich davon aber nicht irritieren, heißt es. Er folgt der pragmatischen Devise: "Ein Euro ist besser als kein Euro."
Trotzdem ahnt er, dass die wahren Fallstricke für sein Projekt politischer Natur sind. Es gibt genug Gegner, die nur darauf warten, sein Vorhaben zu torpedieren. Für die Zeit nach der Vorstellung, berichten Vertraute, habe er erst mal keinen Urlaub geplant. Und in den vergangenen Wochen sei er in eigener Sache unterwegs gewesen, habe unter anderem SPD-Chef Sigmar Gabriel und Kritiker im benachbarten Ausland eingeweiht.
Von Berlin bis nach Brüssel lautete seine Botschaft: Fürchtet euch nicht! So soll der große Aufschrei ausbleiben. Dobrindt dürfte es außerdem gelegen kommen, dass zwei potenziell gewichtige Gegner geschwächt sind. Der ADAC hat sich politische Enthaltsamkeit verordnet. Und die EU-Kommission dürfte nach der Europawahl mit wichtigeren Dingen beschäftigt sein als der Frage, was ein deutscher Verkehrsminister gerade im Detail so plant.
Um dennoch die Untiefen des EU-Rechts zu meistern, hat sich Dobrindt rechtlichen Beistand organisiert. Sein Ministerium erteilte bereits Anfang 2014 der Großkanzlei Olswang einen Auftrag über die "juristische Beratung im Bereich Straßennutzungsgebühren". Zwar sollen sich die Anwälte vorwiegend um die Lkw-Maut kümmern, wie aus dem Amtsblatt der EU hervorgeht. Doch "ausnahmsweise kann auch juristische Beratung im Bereich Pkw-Maut Gegenstand der Leistungserbringung sein". Dann könnten im Zweifel Anwälte das Mautgesetz schreiben - und nicht Dobrindts Beamte.