Tourismus Kanonen fürs Paradies
Es war kein guter Winter für Waldkopf, Rosengasse und Vogelsang. Den Pisten mit den poetischen Namen im "Skiparadies Sudelfeld" fehlte der Schnee. Deutschlands größtes zusammenhängendes Skigebiet bot ein trauriges Bild: weiße Bänder auf braunen Hängen.
Doch das Sudelfeld soll bald attraktiver werden. Die Modernisierungspläne für das Skigebiet südlich von München sehen Großes vor: Eine Gondelbahn soll die Tagesgäste direkt vom Dorf Bayrischzell auf die Piste bringen. Die Schleppliftanlagen werden durch Sessellifte ersetzt. In den Hang wird ein Speichersee gebaggert, der 250 Schneekanonen mit Wasser versorgen soll.
Die Kosten belaufen sich auf bis zu 45 Millionen Euro, das Wirtschaftsministerium steht für eine Unterstützung bereit. Der Tourismus sei ein "erheblicher Einkommensbereich" im bayerischen Voralpenland, sagte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) im Landtag. Der Bürgermeister von Bayrischzell, Georg Kittenrainer, warnt: "Unser Dorf stirbt, wenn wir das Skigebiet nicht modernisieren."
Der Deutsche Alpenverein (DAV) argumentiert ähnlich existenziell, allerdings in die andere Richtung - er sieht die Berge sterben. "Ein solch massiver Ausbau der Beschneiung wäre ein herber Rückschlag für den Naturschutz", sagt Vizepräsident Ludwig Wucherpfennig. Der DAV will die "systematische Hinrichtung der Alpen" stoppen. Dafür wählt er ein Mittel, auf das er nach eigenen Angaben in der 145-jährigen Vereinsgeschichte noch nie zurückgegriffen hat, um die Natur zu schützen: Er zieht vor Gericht.
Das Landratsamt Miesbach hatte es mit Verweis auf das "öffentliche Interesse" erlaubt, den Speichersee im Landschaftsschutzgebiet zu bauen. Der Verein befürchtet, dass der Naturschutz damit nichts mehr wert sei: Ausnahmen könnten leicht zur Regel werden. Unterstützt wird der DAV vom Bund Naturschutz und von fünf weiteren Umweltverbänden. Deren Interesse reicht über das Sudelfeld hinaus: Werde dort modernisiert, komme ein "perverses Wettrüsten" mit Schneekanonen in Gang.
Der Streit wirft auch die Frage auf, ob solche Millioneninvestitionen in Deutschland überhaupt noch sinnvoll sind. Die deutschen Skigebiete kämpfen gegen zwei übermächtige Gegner: die Konkurrenz in Österreich und der Schweiz sowie den Klimawandel. Laut einer Studie des DAV können wohl selbst Schneekanonen nicht verhindern, dass in 30 Jahren nur noch drei Skigebiete in Deutschland schneesicher seien. Bei der Sudelfeld-Modernisierung handle es sich daher um eine "Steuergeldverschwendung für eine touristische Sackgasse".
Die Genehmigung für den Ausbau wurde in den letzten Tagen der Amtszeit des umstrittenen CSU-Landrats Jakob Kreidl erteilt. Seine zahlreichen Affären hatten ihn die Wiederwahl gekostet. So wurde unter anderem bekannt, dass Kreidl mit Sparkassenvertretern, Bürgermeistern aus der Region, Landratsmitarbeitern und deren Lebenspartnern drei Tage lang in edle Hotels in Österreich und der Schweiz gereist war, um sich Anregungen für den Ausbau des Sudelfelds zu holen.
Bayrischzells Tourismusmanager Harald Gmeiner war nicht dabei. Seine Rechnung funktioniert auch ohne Realitätscheck im Luxushotel. Ein Tagesgast im Winter bringt 80 Euro in die Gemeindekasse, ein Sommerbesucher lässt im Durchschnitt nur 20 Euro da. "Es wäre doch fahrlässig, wenn wir das Skigebiet aufgeben würden, obwohl wir es noch drei Jahrzehnte befahren können", sagt er. "Soll ich jetzt 25 Jahre lang überlegen, wie es ohne Schnee geht, und die anderen so lange das Geschäft machen lassen?"
Bürgermeister Kittenrainer will sich nicht vorschreiben lassen, wie Naturschutz funktioniert. Das "Lifestyle-Unternehmen" Alpenverein, lästert Kittenrainer, solle auf sich selbst schauen. Die Berghütten des DAV seien regelrechte Hotels, die mitten in Landschaftsschutzgebieten stünden. "Wird ein neuer Weg in den Alpen gebaut, ist der DAV der Erste, der eine Fahrgenehmigung braucht", sagt er. Wenn die Münchner künftig in ihren Autos bis nach Österreich auf die Piste fahren, verbrauche das mehr Energie als seine Schneekanonen im ganzen Jahr. Und: Sessellifte hätten weniger Pfeiler als Schlepplifte; in 30 Jahren könne man sie notfalls problemlos abmontieren. Bei den aktuellen Altmetallpreisen sei das ein Gewinn für künftige Generationen, keine Belastung.
Bis zum Start der Skisaison im Dezember sollen die neuen Schneekanonen einsatzfähig sein. Wenn die Bagger bis dahin nur vier Wochen lang stillstünden, würde der Speichersee nicht rechtzeitig fertig, klagt der Bürgermeister. Doch schon in dieser Woche könnte das Verwaltungsgericht München einen vorläufigen Baustopp verhängen.
In der vorigen Woche hatten die Bagger mit anderen Problemen zu kämpfen, die Natur schien sich gegen die Eingriffe zu wehren: Ein Wintereinbruch mitten im Mai überraschte die Arbeiter. Sie konnten nicht weitermachen, es lag zu viel Schnee.