Global Village Die Mauern von Sanaa
Vielleicht stimmt es ja tatsächlich, und die Italiener besitzen einen besonderen Sinn für Schönheit, sagt Marco Livadiotti und tritt mit seinem taubengrauen Wildlederschuh in eine Pfütze. Er jedenfalls, Livadiotti, mache da weiter, wo Pier Paolo Pasolini aufgehört habe.
Livadiotti will die Schönheit retten.
Regisseur Pasolini drehte 1971 eine Dokumentation über die Altstadt von Sanaa, es wurde ein 13-minütiger Appell an die Unesco, die Stadt zum Weltkulturerbe zu erklären. Er wollte sie so davor schützen, dass sie sich selbst zerstört. Pasolini hatte gesehen, was die Moderne in Italien angerichtet hatte. Er war fasziniert von der Schönheit Sanaas, von den rötlichen Fassaden, die mit ihren Ornamenten verzauberten Lebkuchenhäusern gleichen. Er fürchtete, die Öffnung des Jemen und die Modernisierung könnten die einzigartige Architektur der Stadt gefährden.
43 Jahre später, an einem Samstag im April, zeigt Marco Livadiotti mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Hauswand eines Neubaus aus kirschroten Backsteinen: "Die alte Schönheit geht, dieser neue Kitsch wird bleiben." Für jedes neue Haus, das hier gebaut werde, müsse ein altes weichen.
Livadiotti, Ende fünfzig, Jeans, Kaschmirschal, wurde in Libyen geboren, einer früheren italienischen Kolonie. Mit fünf Jahren kam er hierher, sein Vater sollte sich als Leibarzt um Jemens letzten König kümmern.
Es hat geregnet, geschüttet eher, Wasser flutet das alte Wadi, das ehemalige Flussbett, das zu einer Art Autobahn betoniert worden ist, die die Stadt umgibt. Stück für Stück verändert sich gerade deren einzigartiges Antlitz; ein Drittel der Gebäude in der Altstadt ist bereits abgerissen. Sanaas Bewohner möchten nicht mehr in uralten Lehmtürmen mit kleinen Fensterchen wohnen; sie wollen jetzt lieber neue Häuser aus Beton, mit großen Fenstern. Die Stadt wächst schnell. Lebten 1990 noch 500 000 Menschen in Sanaa, sind es heute knapp drei Millionen. Und seit Platz rar geworden ist, wird der Grund, auf dem die Häuser stehen, umso wertvoller.
Es sei in Ordnung, größere Fenster für mehr Licht zu wollen, sagt Marco Livadiotti, aber die Wünsche Einzelner dürften doch das Ensemble nicht zerstören. Noch dazu in einem Land, das außer seiner Natur und seiner Architektur nicht viel vorzuweisen habe. "Sanaa ist wie Venedig, das gibt es nur ein einziges Mal", sagt er. Er will dafür kämpfen, dass es so bleibt.
1986 wurde die Altstadt Sanaas von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt, Pasolinis Appell hatte gewirkt. Nur leider bedeute das überhaupt nichts, sagt Livadiotti. Denn eine Strategie habe die Uno-Behörde nicht, geschweige denn einen Plan für die Rettung der Stadt.
Bis vor einigen Jahren besaß Marco Livadiotti die größte Reiseagentur im Jemen. Als immer weniger Touristen kamen, weil das Land nun nicht mehr nur als wunderschön galt, sondern auch als sehr gefährlich, verkaufte er sein Unternehmen.
Seither widmet er sich seiner Leidenschaft für Architektur. In Italien kaufte er sich einen Palazzo an der Amalfi-Küste, renovierte und möblierte ihn so stilsicher, dass die Architekturzeitschrift AD darüber eine Titelgeschichte druckte. "Zu Hause beim Meister der Eleganz", lautete die Überschrift. Livadiotti hat das gut gefallen. Im vergangenen Jahr verbrachte er mehrere Monate auf einer Insel vor Mosambik, wo er für einen Freund ein Hotel entworfen hat. Livadiotti wechselt gern zwischen den Welten, er liebt das Reisen - und den Jemen.
In der Altstadt renoviert er gerade die Residenz eines Botschafters, ausschließlich mit Materialien, die hier seit Jahrhunderten für den Hausbau eingesetzt werden: Lehmmörtel, Kalk und Gips statt Zement und Beton. Lehm sei einer der besten Baustoffe überhaupt, schwärmt Livadiotti. Er reguliere die Feuchtigkeit und speichere die Wärme, binde Schadstoffe und sei außerdem vollständig recycelbar. Er versteht nicht, warum die Menschen in seiner Stadt früher alles richtig gemacht haben, heute aber davon nichts mehr wissen wollen. Die Altstadt, sagt er, sei über die Jahrhunderte organisch gewachsen. Er will einen offenen Brief an den Präsidenten schreiben, mit der Forderung, dass jede Renovierung staatlich genehmigt und überwacht werden müsse.
Aber in einem Land, in dem der Staat sich nicht einmal selbst vor dem Zerfall bewahren kann, stehen die Chancen für eine solche Forderung nicht gut. Hier ist man auch im Kulturministerium der Ansicht, dass es im Jemen Dringenderes gebe, als alte Häuser vor dem Abriss zu schützen.
Im Suk al-Milh, dem früheren Salzmarkt, kauft der Italiener Hirsemehl. Hinter Säcken buntfarbener Pulver, Samen und Körner hocken Männer, die Backen geschwollen vom Khat. Um den Bauch gegürtet tragen sie ihre Dschambia, den jemenitischen Krummdolch. Es ist ein malerisches Bild, eines der wenigen.
Marco Livadiotti ist zurzeit wahrscheinlich der einzige Europäer, der einfach so durch die Altstadt spaziert. Mittlerweile ist es auch in der Hauptstadt gefährlich geworden, sich frei zu bewegen. Die meisten Botschaften sind geschlossen, Hilfsorganisationen werden nur noch durch Ortskräfte vertreten. Livadiotti war mit einer Jemenitin verheiratet, sein 17-jähriger Sohn besucht ein Internat in Rom. Vor Kurzem hat er seinem Vater eine Mail geschrieben, er solle den Jemen doch endlich verlassen, er habe Angst um ihn.
Auch diese Bitte wird wahrscheinlich unerfüllt bleiben.