Elke Schmitter Besser weiß ich es nicht Maulwurfshügel der Überzeugungen
Der gute Kolumnist kommt durch die Drehtür des Saloons mit breitem, elastischem, etwas schwerem Schritt, bestellt sich einen Whiskey an der Theke und hat 'ne Meinung. Gut abgehangen, trocken formuliert und yeah. Die ideale Kolumnistin trägt ein kleines Schwarzes, schwingt auch die Hüften, aber anders, und hat die Stimme von Marlene Dietrich, den Witz von Dorothy Parker und ihren Background aus Oxford und einer angesagten Favela.
Leider wird das bei mir aber nichts.
Da sind zum einen nur ein Krefelder Gymnasium und eine behütete Kindheit. Da ist zum anderen eine gewisse Erschütterung diverser Grundsätze, die sich über die Jahre durchgesetzt hat. Vielleicht ist es eine Frage der Generation. Vielleicht ist es eine Folge von zu viel Lektüre auf dem Sofa, während die Welt nicht auf dem Sofa bleibt. Ein, zwei neue Weltordnungen, kategoriale Kapitalismuskritik, Kritik der Macht und der Strukturen und gut 20 Jahre Kritik der Kritik; man sieht die Paradigmen kommen und gehen ... Und irgendwann gibt es kaum ein Übel mehr, in das man, durch Duldung oder Selbsttäuschung, nicht selbst verstrickt wäre, sodass es immer schwerer wird, umstandslos zwischen der Melancholie des Opfers und dem Furor der Überzeugungstäterin zu wechseln.
Man hat es natürlich mit Grundsätzen immer leichter, weil sich der Einzelfall daneben weniger traurig ausnimmt (was kein Grundsatz, sondern eine Erfahrung ist). Auch deshalb ist ein kleines Set gusseiserner Überzeugungen, zum Beispiel "keine Todesstrafe", "keine Waffenlieferungen in Diktaturen", "keine Tiere essen", ganz bestimmt vorteilhaft. Gleich neben diesen Maulwurfshügeln der Überzeugungen aber beginnt der moralische Morast, den man nur in jenen Gummistiefeln durchwandern kann, auf denen so unattraktive Labels stehen wie "Einzelfallprüfung" oder "dkÜ" (das kleinere Übel). Sehr unattraktive Labels. Was aber stärker wird, das ist eine Empfindlichkeit gegen den moralischen Empörungsfundus der kategorialen Überzeugung. Und was zunimmt, das sind die Überraschungen.
Zum Beispiel sehe ich unsere Verteidigungsministerin im Fernsehen an einem Sonntagabend bei Günther Jauch konsequent den Fragen ausweichen, ob eine Nato-Aufrüstung nicht sinnvoll wäre und ob sie Putin nicht auch für einen "völkisch-nationalistischen Ideologen" halte. Ich dachte immer, Ursula von der Leyen sei Mitglied einer Sekte, deren Namen ich noch nicht kenne, so unbegreiflich war mir ihre anmutig glasierte, stets verlässliche Perfektion. Doch als sie nun darauf beharrte, hier keine Punkte zu machen durch die Verurteilung des russischen Präsidenten, weil das "uns ja keinen einzigen Schritt" weiterbringt, da war ich dankbar für diese unpersönliche Disziplin. Denn die Erfahrung sagt, dass Verhandlungen auf der Nichtächtung des Gegenübers beruhen. In diesem Fall scheint mir das prozedurale Wissen die beste Kehrseite der absoluten Ungewissheit.