Zeitungen Von Männern und Frauen
Es ist eine Geschichte, die Sheryl Sandberg, Facebook-Chefin und Amerikas oberste Frauenförderin, auf Veranstaltungen immer wieder erzählt: Kleine Mädchen, die wissen, was sie wollen, womöglich schon im Kindergarten andere herumkommandieren, werden gern "bossy" genannt, und das bedeutet nichts Gutes. Denn das heißt, diese Mädchen sind herrisch, rechthaberisch, wahrscheinlich auch irgendwie zickig.
Kleine Jungs hingegen, die das Gleiche tun, sind nicht "bossy", sie haben Managerqualitäten. Das wiederum ist gut. An dieser Stelle lachen alle wissend im Publikum, man selbst findet die Pointe ein wenig ermüdend, weil zu klischeebeladen. Ganz so ist das Leben doch nicht mehr. Dachte man. Bis Jill Abramson, 60 Jahre alt und erster weiblicher Chefredakteur der New York Times, am vergangenen Mittwoch ihres Postens enthoben wurde.
Begründet wurde dieser Schritt kaum. Nach ihrer Entlassung aber konnte man überall lesen, Abramson sei zu "pushy" gewesen, zu aggressiv und zu schroff. Außerdem habe sie manchmal, so New York Times-Verleger Arthur Sulzberger, "eine kratzbürstige Art an den Tag gelegt".
Das Magazin New Yorker berichtete in einem gut informierten Stück zu Abramsons Rücktritt außerdem, die Chefredakteurin habe vor einigen Wochen entdeckt, dass ihr Gehalt in verschiedenen Positionen unter dem ihrer männlichen Vorgänger lag (laut New Yorker immerhin um bis zu 100 000 Dollar jährlich). Sie habe sich daraufhin einen Anwalt genommen. Auch das soll ihren Verleger verstört haben.
Komisch. Eigentlich müsste Sulzberger damit umgehen können, dass jemand um seine Rechte kämpft. Zumindest bei männlichen Kollegen gilt es als normal, hartnäckig das bessere Gehalt zu fordern, das größere Büro, den beeindruckenderen Titel auf der Visitenkarte. Bei Männern heißt das Verhandlungsgeschick. Und bei Frauen?
Natürlich gehört es zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen, dass auch weibliche Chefs entlassen werden können. Man sollte es dann aber besser begründen können als mit der offiziellen Erklärung, es habe "ein Problem mit dem Management der Redaktion gegeben". Und schon gar nicht sollte man Gerüchte über einen "schwierigen Charakter" streuen.
Jill Abramson galt schon als "pushy", als die Times sie vor drei Jahren zur Chefredakteurin machte. Damals war es noch ein Argument für ihre Berufung. Legendär die Geschichte, wie Abramson von einem Lastwagen fast zu Tode gefahren wurde und kurze Zeit später schon wieder vom Krankenbett aus arbeitete. So musste eine Frau wohl sein, wenn sie in dem Old Boys Club bestehen wollte. Dachte man. Und so ist sie anscheinend bis heute. Merkwürdig. Denn irgendwie sollen Frauen dann doch nicht so sein.
Weil man von ihnen einen sanfteren Führungsstil erwartet? Den besseren Charakter, nicht mürrisch, nicht kauzig, nicht aggressiv? Das einflussreiche politische Magazin Politico widmete Jill Abramson schon vor einem Jahr eine vernichtende Studie ihres Charakters und kritisierte darin vieles, was man Männern nur selten vorwirft: Sie sei "unmöglich", "uneinsichtig" und "herablassend".
Man habe das Gefühl, dass die Berufung weiblicher Chefredakteure wie ein wissenschaftliches Experiment gehandhabt werde, sagte die ehemalige Chefredakteurin der Chicago Tribune, Ann Marie Lipinski, diese Woche: "Du probierst es mal, du sagst, okay, das war interessant, aber wir wollen es eher nicht wiederholen."
Was immer die Gründe für ihre Kündigung waren, man hätte Abramson einen würdevolleren Abgang gewünscht. Am vergangenen Donnerstag postete ihre Tochter unter dem Hashtag #pushy ein Foto ihrer Mutter auf Instagram, mit Boxhandschuhen vor einem Punching-Sack, daneben die Zeile: "Das neue krasse Hobby meiner Mutter". Das spricht für Selbstironie. Vielleicht ist das die einzig richtige Antwort.