Forschungspolitik Von Fürsten und Göttern
Es lebt sich gut am Englischen Garten im Münchner Norden. Im August riecht es nach frisch gemähtem Gras, die Vögel singen, und auch die Rhododendronbüsche sind gut in Form. Wer in einem der gediegenen Bungalows wohnt, kennt seine Nachbarn gut - und das meist nicht nur vom Plausch am Gartenzaun.
In einem der schicken Häuserkomplexe des Stararchitekten Sep Ruf wohnt nicht nur die ehemalige Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), sondern auch ihr Nachfolger mit seiner Frau. Sie ist ebenfalls bei der Forschungsgesellschaft beschäftigt.
Ein paar Häuser weiter lebte bis vor Kurzem noch der ehemalige Präsident der Organisation mit seiner Gattin. Auch die Biologin hatte lange einen Posten bei der MPG inne. Der Sohn ist mittlerweile Geschäftsführer einer MPG-Stiftung. Die Villa steht übergangsweise leer, die Namen am Klingelschild sind noch nicht abmontiert. Der Amtswechsel ist erst ein paar Wochen her.
Die Gelehrten sind gern unter sich. Auch der eine oder andere Institutsdirektor wohnt in Schwabing. Die MPG besitzt viele Immobilien, die ihren Mitarbeitern vorbehalten sind - als Anreiz für ihr Spitzenpersonal.
Willkommen in dem Mikrokosmos der deutschen Forschungselite, die sich nicht nur im Labor trifft, sondern auch beim Heckestutzen, wo man sich in nachbarschaftlicher Verbundenheit gegenseitig hilft.
Was den Funktionären und Spitzenforschern normal erscheint, sorgt nicht nur bei den unteren Hierarchien für Frustration. Verärgert sind auch Prüfer an den Landesrechnungshöfen; da sich die wichtigste deutsche Forschungsorganisation aus Steuergeldern und privaten Zuwendungen finanziert, obliegt ihnen die Kontrolle der bundesweit über 80 Institute. Mehrfach sind die Beamten in den vergangenen Jahren auf Ungereimtheiten bei der Haushaltsführung gestoßen, die viel über das Selbstverständnis der MPG-Hierarchen aussagen - und auch über ihren Umgang mit Geld.
So fand der Bayerische Oberste Rechnungshof heraus, dass der im Juni abgetretene MPG-Präsident Peter Gruss 2008 Eigentümer eines Göttinger Grundstücks der Max-Planck-Gesellschaft wurde, ohne dass diese ausreichend Kenntnis davon hatte. Recherchen des SPIEGEL und des ARD-Magazins "Report Mainz" zufolge waren in der Tat weder der Senat noch der Verwaltungsrat über den Vorgang informiert. Lediglich ein kleiner Personenkreis hatte damals die Schenkung des mehr als 700 Quadratmeter großen Areals abgesegnet. Zu den Entscheidern gehörte die ehemalige Generalsekretärin - also Gruss' damalige Nachbarin in München.
Auch die Kosten für den Notar und die Steuern gingen zulasten der Forschungsgesellschaft. Gruss' Gehalt wurde im besagten Jahr durch den Grundstücksdeal um knapp 200 000 Euro aufgebessert. Insgesamt sind die Bezüge eines Präsidenten der Max- Planck-Gesellschaft mit allen Amtszulagen fast so hoch wie das Grundgehalt eines Bundesministers: rund 14 000 Euro im Monat.
Gemessen daran, was Manager in der Privatwirtschaft verdienen, sind das gewiss keine astronomischen Gehälter. Allerdings ist die Max-Planck-Gesellschaft auch kein Privatunternehmen, sondern ein gemeinnütziger Verein.
Die MPG äußert sich zwar umfangreich zu den Vorgängen, möchte dies in großen Teilen aber nicht so veröffentlicht sehen. Zur Vergütung des Präsidenten teilt sie so viel mit: Im Jahr 2012, also nach der Rüge des Rechnungshofs, sei ein spezieller Ausschuss des Senats eingeführt worden. Dieser beschäftige sich nun auch mit der Vergütung des Präsidenten.
Nicht nur in Bayern praktizieren manche der Max-Planck-Manager einen laxen Umgang mit Forschungsgeldern. Auch die sächsischen Rechnungshofsbeamten stießen bei einer Prüfung des Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik auf gravierende Mängel bei der Haushaltsführung. Die Verantwortlichen hätten "in erheblichem Umfang gegen das Gebot der zweckentsprechenden, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung der Zuwendungen verstoßen", heißt es in einem Rechnungshofbericht. Keiner der geprüften Aufträge sei ausgeschrieben gewesen; den Zuschlag erhielt häufig ein generöser Spender. Zudem seien die Gehaltseinstufungen der Mitarbeiter nicht nachzuvollziehen.
Auch über manche Bewirtungsabrechnungen wunderten sich die Prüfer. Mehr als 200 000 Euro musste das Institut zurückzahlen, weil Getränke, teures Essen und Bands für private Zwecke als dienstliche Spesen ausgewiesen worden waren. Man wolle die Strukturen verbessern, hieß es in einer Stellungnahme des Instituts.
Aber was sind schon 200 000 Euro bei einem jährlichen Gesamtetat von knapp zwei Milliarden? Geld ist in der MPG reichlich vorhanden. Die gute finanzielle Ausstattung ermöglicht Forschung auf exzellentem Niveau; auch deshalb sind die Max-Planck-Institute erste Adresse für internationale Spitzenforscher. Insgesamt 17 Nobelpreise haben Wissenschaftler der Organisation seit ihrer Gründung 1948 erhalten.
Das viele Geld, über das die MPG verfügt, verführt aber auch dazu, die Steuermillionen allzu großzügig und teilweise unkontrolliert an die Spitzenforscher zu verteilen. Auf eine Million mehr oder weniger kommt es da nicht an.
Der schwedische Genetiker Svante Pääbo, MPG-Direktor am Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, beschreibt in seinem neuen Buch "Die Neandertaler und wir" mit entwaffnender Ehrlichkeit, wie er an Fördermittel der Max-Planck-Gesellschaft kam. Als er das Neandertaler-Genom sequenzieren wollte, wandte er sich an einen alten Bekannten, der es mittlerweile ins MPG-Präsidium geschafft hatte. Ob es denn möglich wäre, für das Vorhaben fünf Millionen zu bekommen, fragte Pääbo ihn. Wenige Tage später meldete sich sein Kumpel mit der frohen Botschaft, dass das Geld aus einem Innovationsfonds "bereits reserviert" sei für Pääbo und "nur noch auf einen schriftlichen Antrag" warte.
Als der Genforscher die Formalitäten erledigte, kam ihm "eine äußerst peinliche Erleuchtung": Die MPG war von einem Bedarf von fünf Millionen Euro ausgegangen, Pääbo benötigte jedoch nur fünf Millionen Dollar - also fast eine Million Euro weniger. Sein Wohltäter "lachte nur", als er von dem Missverständnis erfuhr. Am Ende einigten sie sich darauf, dass bestimmt noch Zusatzkosten anfallen würden, die mit dem extra Geld gleich mit abgedeckt wären.
Manchem wissenschaftlichen Mitarbeitern müssen solche Geschichten wie Hohn erscheinen. Die Vereinigung der Max- Planck-Doktoranden PhDnet kämpft seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Mitspracherecht. Zuletzt schickte sie Anfang des Jahres eine Beschwerde an die Generalverwaltung und die Direktoren. Viele der Promotionsstipendiaten fühlen sich von ihren Chefs ausgenutzt.
Die Macht der Direktoren an den MPG-Instituten ist legendär. Manche nennen sie die Fürsten, andere sprechen von Göttern im Forscherolymp. "Wir können meistens nicht viel machen, falls sich einer nicht an die Regeln hält", sagt ein Verwaltungsmitarbeiter. "Je größer der Name, desto unangreifbarer ein Direktor."
Keiner will die Stars an Harvard oder Oxford verlieren. Die internen Kontrollmechanismen scheinen deshalb nur schwach ausgeprägt zu sein, auch wenn die MPG dies vehement bestreitet. Es gebe beispielsweise eine interne Revision, schreibt die Gesellschaft in einer Stellungnahme. Allerdings bemängelt auch Wolfgang Löwer, Experte für Wissenschaftsrecht aus Bonn: "Wenn die Freiheit der Wissenschaft plötzlich auf haushaltsrechtliche Fragen und Belange der Verwaltung trifft, dann geht das häufig schief." Das sei vor allem ein Problem des außeruniversitären Bereichs.
Anders ist es auch nicht zu erklären, dass es zu solchen Ungereimtheiten kommt wie beim Neuperlacher Halbleiterlabor der MPG. Dort soll ein Professor für extraterrestrische Physik durch den Verkauf von Siliziumchips über seine eigene Firma mutmaßlich jahrelang Forschungsgelder veruntreut haben (SPIEGEL 24/2014). Der Physiker, der mittlerweile nicht mehr am Halbleiterlabor arbeitet, dementiert dies. Auch die MPG sieht bisher keinen Verdacht auf Untreue.
Die Gründung eigener Unternehmen durch Max-Planck-Mitarbeiter ist intern nicht unumstritten. Einerseits ist unternehmerisches Denken der Wissenschaftler durchaus gewollt, damit aus der Grundlagenforschung neue Produkte hervorgehen. Andererseits besteht die Gefahr, dass der Steuerzahler private Unternehmen subventioniert.
Die Max-Planck-Gesellschaft gibt deshalb Leitlinien vor, an die sich die Wissenschaftler halten sollen. Schon lange gilt etwa, dass die Forscher nicht gleichzeitig Arbeitsverträge mit der MPG und einer Ausgründung haben dürfen. So soll erst gar kein Verdacht aufkommen, dass MPG-Mitarbeiter öffentliches Geld in private Gewinne umwandeln.
Die Gefahr der Interessenkonflikte besteht indes bei jeder Art der Zusammenarbeit, was viele gern übersehen. Eine Göttinger Firma, die Mikroskope herstellt, hat etwa nach wie vor noch den Direktor für biophysikalische Chemie im Team. Auch der gerade erst verabschiedete Direktor am Institut für Psychiatrie führt schon seit Jahren mit dem hannoverschen Unternehmer Carsten Maschmeyer eine Pharmafirma, die Antidepressiva zur Marktreife bringen soll. Er habe zu "marktüblichen Preisen" Lizenzen von der MPG gekauft, sagt der ehemalige Direktor dazu.
Angesichts der mangelnden internen Kontrollmechanismen traut Rechtsexperte Löwer aus Bonn der Max-Planck-Gesellschaft nicht zu, dass sie ihre strukturellen Probleme allein in den Griff bekommen wird. Der ehemalige Richter am Verfassungsgerichtshof in NRW fordert deshalb eine Reform des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes, das den außeruniversitären Forschungseinrichtungen seit 2012 mehr Eigenverantwortung und Flexibilität zugesteht. "Es sollte darin nicht nur um Freiheit gehen", sagt Jurist Löwer, "sondern auch um gesetzliche Möglichkeiten der Kontrolle."
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