Jan Fleischhauer Der schwarze Kanal Bringt meine Feinde
In der evangelischen Kirche gibt es eine große Diskussion über die Bibel, oder besser gesagt darüber, was im 21. Jahrhundert noch zur Heiligen Schrift gehören soll. Der Theologe Notger Slenczka hat vorgeschlagen, endlich das Alte Testament auszumustern. Schon jetzt sei es so, dass die Texte des Alten Testaments im Vergleich mit denen des Neuen "in der Frömmigkeitspraxis einen minderen Rang" hätten, schreibt er. Warum also nicht konsequent alles von der Genesis bis zum Buch Maleachi dekanonisieren und damit aus dem Bestand entfernen, der für Christen heilig ist? In Zukunft würden sich diese Teile bei den Apokryphen wiederfinden, wo all die Schriften stehen, die seit je als zweifelhaft gelten.
Für jeden friedliebenden Menschen ist das Alte Testament eine Zumutung. Man findet ständig unkritische Darstellungen von Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit, Kindesmisshandlung, Frauendiskriminierung und sogar der Todesstrafe. Auch was die Auseinandersetzung mit Andersgläubigen angeht, entspricht die Bibel in ihrem vorapostolischen Teil nicht modernen Toleranzansprüchen. "Samaria wird wüst werden; denn es ist seinem Gott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen und ihre kleinen Kinder zerschmettert und ihre Schwangeren aufgeschlitzt werden", heißt es bei Hosea 14,1. Pastoren in Amerika fordern seit Längerem, dass die Bibel nur unter Aufsicht gelesen werden sollte.
Die evangelische Kirche hat sich schon immer mit dem Gott des Alten Testaments schwergetan. Sie setzt auf Verständnis und Ermunterung anstatt auf Strafe und Verdammnis, was sich bereits mit der Geschichte vom Sündenfall nur mühsam in Einklang bringen lässt. "Wir sind keine Kirche der Angst", sagte mir kürzlich eine Pastorin auf die Frage, ob sie noch an Himmel und Hölle glaube. Ich fand das wahnsinnig sympathisch, ich bin auch gegen Angst. Das Problem ist nur, dass nicht mehr viel übrig bleibt, sobald man anfängt, Texte, die vor der Geburt der Grünen entstanden, auf anstößige Stellen zu durchforsten.
Wenn man die Dinge zu Ende denkt, ist auch Luther eine hoch zweifelhafte Figur. Der Mann war nicht nur ein schlimmer Antisemit, sondern auch ein furchtbarer Frauenfeind. Selbst Jesus ist nicht das Friedenslamm, für das viele ihn halten. "Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt her und macht sie vor mir nieder", heißt es im Lukasevangelium. Keine Ahnung, wie Jesus das Margot Käßmann erklären will, wenn er dereinst die Gelegenheit dazu hat.
Was die Attraktivität bei den eigenen Leuten angeht, ist das Programm der steten Selbstliberalisierung leider nicht ganz so erfolgreich. Acht Millionen Protestanten haben ihrer Kirche seit 1970 den Rücken gekehrt, das sind fast doppelt so viele Kirchenaustritte wie bei den Katholiken, die bis heute noch nicht einmal das Fegefeuer aus ihrem Katechismus verbannt haben. Am besten suchen sich die Reformatoren auch ein neues Kirchenvolk, das alte ist einfach zu rückschrittlich.