Reiche Das Gift des Geldes
Sie war also keine brave Tochter gewesen. Hatte gezickt, gebockt, getan, was sie wollte. Hatte nicht an die Firma gedacht, das Geld, die Familie. An ihre armen reichen Eltern. Wie konnte sie nur diesen Mann heiraten, diesen "Guru", diesen Herrn Göthert mit seinen merkwürdigen Ansichten. Wusste sie denn nicht, was das bedeutete, so eine Ehe?
Wenn Angela Göthert, die einzige Tochter der Berliner Unternehmerlegende Peter Dussmann, das vorher nicht begriffen hatte, dann spätestens am Tag, als sie das Hochzeitsgeschenk auspackte. Die Mutter hatte ihr das Paket geschickt, weil die Eltern nicht zur Feier kamen, und vielleicht war das auch besser so für alle.
Das Geschenk, so schildert es Götherts Anwalt in einem Schriftsatz, der heute beim Landgericht Berlin liegt, sah so aus: "eine alte Decke mit Flecken, aus der Studienzeit", "eine alte Badematte aus der Zeit ihrer Buchhändlerlehre", ein halb fertiger Pulli, den Göthert gestrickt hatte, "als sie 13 Jahre alt war", "eine alte Fernbedienung von Bang & Olufsen" und ein "bestickbares Gobelin-Kissen"; das hatte Göthert ihrer Mutter selbst zum Geburtstag geschenkt. Dazu, so heißt es weiter, habe im Paket noch eine Hochzeitskarte gesteckt, geschrieben, unterschrieben nur von der Mutter, mit harten Worten, die man auch zynisch verstehen kann.
"Wenn es einen Wettbewerb für das aller-aller-fieseste Hochzeitspaket gäbe, dann könnte dies gut passen", schrieb sie im Juni 2006 an die Frau zurück, die ihr das Leben geschenkt hatte. Und jetzt das.
Neun Jahre später ist aus dem Familienkrach eine Juristenschlacht geworden: um das Erbe von Peter Dussmann, um die Ehre zweier Frauen, Mutter gegen Tochter. Eine Schlacht, die demnächst vor dem Landgericht ausgetragen werden soll. 19 Monate nach dem Tod des Firmenpatriarchen, dessen Konzern gut zwei Milliarden Euro Jahresumsatz mit Putzdiensten, Gebäudemanagement und dem gleichnamigen KulturKaufhaus an der Berliner Friedrichstraße macht, bekriegen sich teure Topanwälte auf beiden Seiten: Klage und Widerklage, Replik und Duplik, fast 600 Seiten allein die Schriftsätze, dazu mehr als 170 Anlagen.
Gekämpft wird um die Macht im Unternehmen - und um ein Erbe mit allen Attributen eines Märchenschatzes: Traumhäuser in Traumlagen, Goldmünzen, edle Weine, allein Uhren im Schätzwert von 9,2 Millionen Euro. Angela Göthert fühlt sich um einen großen Teil dieses Erbes betrogen, will die Hälfte von allem, aber am liebsten ihre Mutter wegen "Erbunwürdigkeit" ganz leer ausgehen lassen. Auch dass Catherine von Fürstenberg-Dussmann im Konzern das Sagen hat, an der Spitze des Stiftungsrats, im "Topjob", wie die Witwe das selbst mal nannte, ficht die Tochter vor Gericht an. Die Mutter wiederum lässt ihre Anwälte von "entwürdigenden Vorwürfen" sprechen, an denen nichts, gar nichts dran sei.
Sie pocht darauf, dass das letzte Testament von Peter Dussmann gültig sei. Ein Testament, das ihr 75 Prozent sicherte, der Tochter nur 25 Prozent. Das aber zu einem Zeitpunkt aufgesetzt wurde, im Mai 2010, als Dussmann nach einem Schlaganfall schon unter gesetzlicher Betreuung stand und in einer Berliner Klinik lag. Nicht klar bei Verstand, unfähig zu so einer Entscheidung, wie die Tochter meint. Klar genug, um zu wissen, was er wollte, was er tat, behauptet dagegen die Witwe.
Es ist oft gar nicht das Geld, das in solchen Fällen alles vergiftet, nicht das Geld an sich. Schließlich wäre genug da, für beide Erben, für Leben und Leben lassen, für den Luxus, die Dinge leichtzunehmen. Und selbst wenn so eine Residenz in Südfrankreich, in Saint-Jean-Cap-Ferrat, erste Reihe über der Steilküste, schon mal etwas mehr ins Geld geht. Oder das 800 Jahre alte Wasserschloss Ascholding in Bayern. Oder die Challenger 604 - man glaubt ja nicht, was die Wartung bei diesen Fliegern so kosten kann, knapp 800 000 Dollar in einem Jahr.
Aber selbst wenn: Bei einem geschätzten Familienvermögen von einer halben Milliarde Euro ist das nicht so viel, dass man das unbeschwerte Leben mit einer Blutsfehde belasten müsste, vor Gericht, vermutlich in aller Öffentlichkeit.
Nur nutzt es leider nichts, wenn eine Familie Geld satt hat, sich aber alle gegenseitig furchtbar satthaben. Dann wird das Geld zu einer Währung, in der nicht nur gezahlt, sondern heimgezahlt wird. Je mehr Geld, umso voller die Kriegskasse, sich zu bekämpfen, zu besiegen, zu vernichten. So wird dann Geld doch zu Gift, zur bösen Mitgift des Reichtums.
Am Anfang dieses Familiengemetzels in besten Berliner Kreisen steht ein Testament aus dem Jahr 1981. Dussmann, einer dieser gebürtigen Schwaben, die nicht aufhören, bevor sie aus einer Idee ein Geschäft und aus dem Geschäft ein Imperium gemacht haben, hatte Catherine von Fürstenberg kennengelernt, eine US-Schauspielerin. Schon 1981, im Jahr vor der Hochzeit, setzte er seinen Letzten Willen auf: Erben, je zur Hälfte, sollten seine schwangere Freundin und die ungeborene Tochter, Angela. Sie blieb das einzige Kind des Paares.
Die Prozessakte zeichnet heute das Bild einer Kindheit im goldenen Käfig. Der Vater: unter der Woche weit weg in der Berliner Konzernzentrale. Ein harter, kantiger Alleinherrscher, der sich in seine selbst erschaffene Welt nicht hineinreden ließ - sein Laden, seine Leute, sein Leben. Und die Mutter: mit Angela im Sommer in Ascholding, im Schloss, 650 Quadratmeter Wohnfläche, sechseinhalb Hektar Land. Und im Winter in Malibu, im Beachhouse mit Hinterausgang zum Pazifik.
Heute tut sich Angela Göthert schwer, überhaupt noch das Wort "Mutter" in den Mund zu nehmen, damals aber soll es ein enges Verhältnis gewesen sein. Mit einer Mutter, immer in Angst um das Kind, vor Entführern, die ihr die Tochter nehmen könnten. Und einer Tochter, behütet, mit Leibwächter, aber fast ohne Freunde.
Umso schwieriger wurde es zwischen den beiden, als die Tochter älter wurde, sich abnabeln wollte. Sie studierte Literaturwissenschaften in Harvard; schon als sie dort einen Freund hatte, Mathematikstudent, habe der ihrer Mutter nicht gepasst, heißt es in einem Schriftsatz.
Und als Angela dann, zurück in Deutschland, Ronald Göthert kennenlernte, war das für ihre Eltern genau die Sorte Mann, die es im Leben der Tochter nie geben sollte. Göthert war nicht nur 17 Jahre älter. Er vermarktete eine eigene esoterische Lehre, die "Göthertsche Methode", bei der man schon ganz fest an unsichtbare Feinstoffkörper glauben muss, einen "Ätherleib" und einen "Astralleib", nach denen man in schulmedizinischen Büchern vergebens sucht.
Verständlich, dass die Eltern alarmiert waren. Aber hatte Peter Dussmann wirklich schon vor seinem Schlaganfall gesagt, dass er "keine Tochter mehr hat", wie die Anwälte der Witwe heute behaupten? Und wenn er das sagte, hatte er es auch so gemeint? Wollte er sie deshalb tatsächlich enterben lassen? Obwohl er sich weiter mit seiner Tochter traf, mit ihr telefonierte? So wie Angela Göthert es darstellt, war es nur die enttäuschte Mutter, die seit der Hochzeit, seit diesem Geschenkpaket, mit ihr gebrochen hatte.
Im Jahr 2006 erfährt Peter Dussmann, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Arteriosklerose. "Der Doktor sagte: ,Sie haben zwei bis fünf Jahre, und dann kommt was. Entweder Sie sterben oder sitzen dann im Rollstuhl'", erzählte seine Frau später in einem Interview mit der "Welt am Sonntag". Peter Dussmann verdrängt die Krankheit nicht, im Gegenteil: Die Eheleute reisten an Orte, die in ihrem Leben etwas bedeutet haben, sie wollen sie gemeinsam noch mal sehen. Was er aber in den kommenden beiden Jahren nach der Hochzeit seiner Tochter und der Prognose seines Arztes unstreitig nicht macht: ein neues Testament, um die Tochter zu enterben. Obwohl er weiß, dass jeder Tag sein letzter sein kann und dann das alte Testament von 1981 gilt - Frau und Tochter je die Hälfte.
Dagegen versucht die Mutter schon vor dem Schlaganfall, das Erbe neu zu regeln. Im April 2008 schreibt sie auf ihrem persönlichen Briefpapier an Angela Göthert. Das Schreiben ist nur von ihr signiert, nicht von Peter Dussmann. Wusste er davon? Darin fordert die Mutter ihre Tochter auf, schriftlich auf ihr Erbe zu verzichten.
Damit würde ihre Mutter zur Alleinerbin - Göthert unterschreibt nicht.
Belegt ist, dass Peter Dussmann sich um sein Lebenswerk sorgt. Der Konzern soll nach seinem Tod nicht wegen einer Erbschaft für die Tochter verkauft, zerschlagen werden müssen. Im Juli 2008 lässt er sich von einem Anwalt Pläne für eine Stiftung skizzieren. Seine Tochter soll "nach derzeitiger Planung" tatsächlich "keinen Einfluss auf die Unternehmensgruppe nehmen". Für seine Frau stellt er sich eine Rolle in einem "Stiftungskuratorium" oder "vergleichbaren Gremium" vor; von einem "Topjob" ist keine Rede.
Ist das erst mal nur eine Idee oder schon ein fixer Plan, wie die Anwälte der Witwe heute vortragen? Fest steht: Dussmann setzt das selbst nicht mehr um - am 2. Oktober ist die Zeit, die ihm der Arzt gegeben hat, abgelaufen. Er liegt nachts in der Kabine seiner Jacht "Opal C", als er einen schweren Schlaganfall erleidet. Am folgenden Morgen wird er gefunden, es dauert Stunden, bis er in eine Klinik kommt. Zuerst in Ostia, dann in Rom, ein paar Tage später in die Berliner Charité.
Man kann an dieser Stelle nun darüber streiten, ob die Krankengeschichte des Peter Dussmann die Öffentlichkeit etwas angeht. Die Witwe lässt ihren Presseanwalt drohen, um Berichte zu verhindern. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil sie sich selbst 2010 und 2011 in Interviews über den Zustand ihres Mannes ausgelassen hat ("kann nur Ja und Nein sagen"; "kann noch ein Wort sagen: Love"). Oder nach seinem Tod im September 2013 alle Welt ziemlich indiskret hat wissen lassen, am Ende habe sie "gebetet, dass er stirbt", "er hatte keine Perspektive" mehr.
Die Witwe plauderte solche Dinge aus, als sie sich in ihrer neuen Rolle als Unternehmerin präsentierte. Nun aber geht es um weit Wichtigeres: einen anstehenden Gerichtsprozess, ein Millionenvermögen, aber vor allem um die Zukunft eines Konzerns mit 61 000 Mitarbeitern. Das alles steht, das alles fällt in diesem Streit mit der Krankenakte, ihrem Inhalt, ihrer Bewertung. Deshalb hat sich der SPIEGEL entschieden, Aussagen daraus zu zitieren, soweit dies für die Frage, ob Peter Dussmann testierfähig war, von Bedeutung ist und für das Verständnis nötig erscheint. Fragen an die Witwe, die sich daraus oder aus anderen Umständen des Falls ergeben, blieben ohne Antwort.
Berliner Charité, die erste Prognose nach dem Schlaganfall, die Ärzte notieren: "Herr Peter Dussmann ist gegenwärtig nicht in der Lage, seine Situation zu erfassen und für sich Entscheidungen zu treffen." Sie stellen einen Eilantrag auf Betreuung. Es sei "auf absehbare Zeit" nicht zu erwarten, dass Dussmann seine Dinge selbst regeln könne. Auch nicht "finanzielle Angelegenheiten" oder die "Vertretung vor Behörden".
Das sieht die zuständige Betreuungsrichterin nach ihrer Visite am 10. November 2008 bei Dussmann ähnlich: "Ein Gespräch ist mit dem Betroffenen definitiv nicht zu führen", schreibt sie und bestellt ein Arztgutachten. Peter Sperling wird es schreiben, ein Freund der Familie, Chirurg an der privaten Berliner Meoclinic. Er ist eine der Schlüsselfiguren in diesem Fall, weil er Dussmann danach immer wieder untersuchen wird.
Am 1. Dezember 2008 teilt Sperling dem Gericht mit, eine "freie Willensbildung" sei bei dem schweren Schadensbild "in jedem Fall ausgeschlossen"; der Patient sei "nicht in der Lage, seine Gesamtsituation zu erfassen". Danach stellt die Richterin Dussmann für die folgenden sechs Monate unter Betreuung. Bei Fragen, wo er leben soll und wie er ärztlich behandelt wird, entscheidet seine Frau für ihn. Wenn es um Geld und Behörden geht, hat der Rechtsanwalt das Sagen, der ihm schon das Stiftungsmodell ausgearbeitet hat.
Wie es um Dussmann noch im Frühjahr 2009 steht, lässt sich an Aufzeichnungen der Pfleger ablesen. Er sei sehr desorientiert, heißt es einmal, und sogar: "Hat Frau nicht erkannt." Zwar sieht Sperling im März Hoffnungszeichen. Der "neurologische Befund" habe sich "gebessert", die "deliranten Zustände" hätten nachgelassen. Doch am 20. April 2009 fällt Dussmann mit dem Kopf auf eine Tischkante. Danach kommt von ihm, wie auch seine Frau in Interviews öffentlich sagt, selten mehr als "Ja" oder "Nein".
Sperling schreibt sein zweites Gutachten für die Betreuungsrichterin: Es sei "von einer so schweren Hirnschädigung auszugehen, dass eine Betreuung über den Maximalzeitraum von 7 Jahren erforderlich sein wird". Die Richterin schaut sich den Patienten selbst noch mal an. Er antworte auf Fragen "mit einem verwaschenen Ja" - auf alle Fragen. Zufällig trifft sie auf dem Flur Dussmanns persönliche Assistentin. "Diese berichtet, dass der Betroffene nur ganz selten kleine lichte Momente habe", notiert die Richterin - die Anwälte der Witwe deuten das heute als Missverständnis. Nach dem Besuch wird die Betreuung um sieben Jahre verlängert.
Was aber wird aus dem Vermögen, der Firma? Im Juni 2009 bekommt Angela Göthert Besuch. Der Bruder ihrer Mutter, ein Anwalt aus Missouri, soll die Bedingungen für einen Deal ausloten. Die Mutter will Göthert aus der Firma herauskaufen. Von bis zu 65 Millionen Euro sei die Rede gewesen, sagen Götherts Anwälte. In einem Gesprächsvermerk, den der Onkel seiner Nichte hinterher schickt, nennt er keine Summen, aber andere Details: Das Geld solle in zwölf Jahresetappen fließen.
65 Millionen? Wie die Anwälte der Witwe heute selbst vortragen, schätzt der Bruder den Unternehmenswert damals auf 250 Millionen. Angela Göthert hat Nachfragen; als keine Antworten kommen, lehnt sie ab. Unklar, ob Dussmann in seinem Zustand etwas von diesem Angebot erfährt.
Er wird aber offenbar auch nicht gefragt, als sein Vermögensbetreuer Geld beschaffen muss, um Schulden abzulösen, die Dussmann beim eigenen Konzern hat. Angeblich gibt es dafür im Spätsommer 2009 nur einen vernünftigen Weg: nicht die Uhren verkaufen, die Bilder, den Wein. Die Wahl fällt aufs Strandhaus in Malibu, das beliehen wird. Dafür wird ein Trust aufgelöst, den Dussmann 1982 gegründet hat, mit dem Haus als einzigem Vermögen.
Diesen Trust sollte Angela Göthert bekommen, wenn sie 30 wird; kurz vorher, mit 28, verliert sie ihn also. Eine gezielte Gemeinheit? Die Anwälte der Mutter halten dagegen, auf die Immobilie im fernen Amerika hätte der kranke Dussmann am ehesten verzichten können; mit dem gespannten Verhältnis zwischen Mutter und Tochter habe das nichts zu tun gehabt.
Warum aber wurde das ohne Dussmann so beschlossen? Der Verfahrenspfleger, vom Gericht extra für diese Entscheidung bestellt, begründet das so: "Von einer persönlichen Anhörung des Betreuten habe ich angesichts seines Gesundheitszustands abgesehen, er ist derzeit nicht in der Lage, den Sachverhalt zu verstehen, zu beurteilen und sich darüber verständlich zu machen." Noch neun Monate bis zum neuen Testament.
Dussmann wird weiter regelmäßig untersucht, auch von einem Neurologen der Meoclinic. Danach fasst Mediziner Sperling die Ergebnisse in Befundberichten zusammen: Im Dezember 2009 attestiert er eine "progrediente Verschlechterung der neurologischen und psychiatrischen Symptomatik"; er vermerkt eine "ausgeprägte Wesensveränderung mit Zunahme aggressiver Verhaltenszustände". Im Juni 2010, nach einer Computertomografie am 20. Mai, notiert er: "keine Neuerungen".
Und am 25. Mai 2010, nur fünf Tage nach dem Befund "keine Neuerungen", setzt Dussmann ein neues Testament auf. 75 Prozent für seine Frau, nur noch ein Viertel für die Tochter - das entspricht ihrem Pflichtteil.
Kurz vorher war er in die Meoclinic gekommen, weil es ihm körperlich schlechter ging. An einem Tag, als seine Frau allein bei ihm im Zimmer war, soll er plötzlich auf sie gezeigt und "alles, alles" gesagt haben. Sie habe nachgehakt, was er meine, so ihre Anwälte in einem Schriftsatz. Es habe gedauert, bis sie die richtige Frage gestellt habe: ob er ein neues Testament machen wolle. Und da habe ihr Mann "Ja" gesagt. Alles für sie? "Ja." Ob er einverstanden sei, wenn der Tochter 25 Prozent blieben - es sei nämlich nicht möglich, sie ganz zu enterben. "Ja".
Die Ehefrau bittet sofort einen befreundeten Anwalt um Hilfe, der schickt einen Notar ans Krankenbett, der sich nach eigenen Angaben selbst von der Testierfähigkeit überzeugt. Und als Zeuge steht daneben: Sperling, der Arzt, der Freund der Familie. So entsteht ein Testament, das Tage später die Betreuungsrichterin zu dem Vermerk veranlasst: "Die unterzeichnende Richterin teilt die Auffassung des Notars (Testamentserrichtung) nicht."
Ein Hinweis, dass Dussmann das Testament untergeschoben worden sein könnte? Doch so billig ist die Wahrheit nicht, und preiswert gibt es sie hier auch nicht: Während Göthert als Gutachter einen Essener Professor für Neurologie angeheuert hat, der erklärt, dass Dussmann an diesem Tag "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage war, für sich Entscheidungen zu treffen", bietet die Gegenseite Koryphäen aus Aachen und Berlin auf. Sie zerpflücken Götherts Gutachten - und die Berichte von Sperling gleich mit.
Als Chirurg habe Sperling von vornherein die Kompetenz für neurologische Fragen gefehlt; der Haus-Neurologe der Meoclinic aber, der Sperling unterstützte, habe fragwürdige, teils falsche Diagnosen gestellt. Dussmann sei, das ergäben die medizinischen Unterlagen eindeutig, gar nicht geistig eingeschränkt gewesen, sondern nur motorisch. Er habe kaum reden können, aber alles verstanden, verarbeitet und mit einem Ja oder Nein auch seinen Willen klar zum Ausdruck bringen können.
Und dass er rund um den 25. Mai 2010 "sehr angespannt und aggressiv" war, wie es in der Pflegeakte heißt, einmal sogar gegen einen Pfleger handgreiflich wurde, während er am Tag des Testaments "matt und unmotiviert" gewirkt haben soll? Auch dafür haben die Gutachter der Witwe eine Erklärung: Dussmann, der Tatmensch, Kraftmensch, schon früher oft unwirsch, sei daran verzweifelt, dass er in seinem Körper "gefangen" gewesen sei. Ein Zeichen für Verwirrung sei das nicht.
Als Trumpf präsentierten die Anwälte der Witwe nun aber kürzlich ein Schreiben von Sperling aus dem Februar 2014. Darin bestätigte derselbe Arzt, der über Jahre den schlechten Zustand Dussmanns bescheinigt hatte, dass der Patient am Tag des Testaments dem Notar stets habe folgen, sich problemlos mit Ja und Nein habe verständigen können und "die Bedeutung eines neuen Testamentes im vollen Umfang erfasst hatte". Noch überraschender war dann, dass die Anwälte ein ärztliches Zeugnis von Sperling mit einem Briefkopf der Meoclinic vorlegten, das sogar vom 27. Mai 2010 stammen soll - zwei Tage nach dem Testament. "Geistig rege" sei Dussmann beim Notartermin gewesen, im "Inbegriff seiner geistigen Kräfte".
Merkwürdig nur, dass dieses Dokument nicht in der Patientenakte der Meoclinic lag, sondern angeblich die ganze Zeit bei Sperling privat. Und warum ist der Briefkopf nicht derselbe wie bei anderen Sperling-Schreiben aus dieser Zeit? Wieso erfuhr auch das Betreuungsgericht damals nicht, dass der Patient angeblich wieder klar bei Verstand war und Entscheidungen treffen konnte? Sperling, der später plötzlich im Aufsichtsrat der Dussmann-Stiftung saß, neben der Ehefrau, kann dazu nichts mehr sagen. Er starb im September 2014.
Es wird wohl nun vor Gericht auf ärztliche Gutachten ankommen, die daran leiden, dass keiner der Gutachter den Patienten gesehen hat. Und auf Zeugen wie Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl. Der Neurologe war am Tag des Testaments bei Dussmann und sagt, nach seinem Eindruck sei Dussmann in keiner Weise "im Sinne einer Demenz eingeschränkt" gewesen. Aber auch Einhäupl hatte ihn nicht auf seine Testierfähigkeit untersucht, um die naheliegenden Zweifel auszuschließen.
Das alles kann sich über Wochen hinziehen, Monate, Jahre. Eine Familie und ihre Abgründe unter dem Mikroskop eines Gerichtsprozesses - und auf beiden Seiten genug Geld, dass die Anwälte und die PR-Berater das Okular der Öffentlichkeit schärfer und schärfer stellen. Am Ende wird einer gewinnen, sehr viel Geld. Und sich hoffentlich fragen, ob es das wert war. ■
Aus rechtlichen Gründen wurde dieser Artikel nachträglich bearbeitet.
Die Zukunft von 61 000 Mitarbeitern steht und fällt mit einer Krankenakte, ihrem Inhalt, ihrer Bewertung.